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E-Book

Augen zu und durchwischen

Indiskretionen einer Putzfrau

AutorIsaure
VerlagRowohlt Verlag GmbH
Erscheinungsjahr2013
Seitenanzahl192 Seiten
ISBN9783644486416
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis4,99 EUR
Sie ist jung, sie hat zwei akademische Abschlüsse - und sie arbeitet als Putzfrau. Kein Wunder, dass Isaure es nicht beim Saubermachen belässt, sondern ganz nebenbei noch die Wohnungen ihrer Kunden inspiziert. Mit messerscharfer Ironie erzählt sie, wie diese es mit Ordnung und Sauberkeit halten und was ihre Einrichtung über sie verrät. Ob Hipster-Paar, Schauspielerin, neureiche Familie oder allein lebende Katzenbesitzerin - Isaure kennt ihre neurotischen Ticks und Geheimnisse und plaudert mit Vergnügen darüber.

Isaure, Jahrgang 1980, hat einen Bachelor in Kunstgeschichte und einen Master in Literaturwissenschaften. Sie lebt in Paris und arbeitet als professionelle Putzfrau.

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Leseprobe

2 Was sich in meinem Leben bisher so tat


Schon komisch, wie sich Erinnerungen an die Namen von Supermärkten knüpfen. Manchmal mehr als an Menschen, Lebensumstände oder Landschaften. Wenn ich jetzt daran zurückdenke, wie meine Karriere als Putzfrau begonnen hat, dann fällt mir als Erstes eine Supermarktkette ein, die es nicht mehr gibt.

1998, in dem Jahr, in dem ich ins Reinigungsgewerbe einstieg – wovon dieses Kapitel handelt –, hieß der Carrefour Market noch Intermarché, und meine Mutter kaufte dort regelmäßig ein. Hinter den Glastüren des Geschäfts erwartete einen der übliche Kassenvorbereich: Fotoautomat, Kopiergerät, Reitautomaten für quengelnde Kinder (also für alle Kinder, die zum Supermarkt mitgeschleppt werden) und dann, irgendwo zwischen den Einkaufswagen und dem Obst- und Gemüsestand, eine Korktafel, auf der Kunden und Marktleitung mit Klebestreifen und Reißzwecken Mitteilenswertes anbringen.

Dort also begann mein Abenteuer.

Ich gebe zu, es gibt poetischere Orte für den Anfang einer Geschichte, aber Sie werden sicher schon bemerkt haben, dass das hier nicht Der Herr der Ringe ist. Für die Neuseeland-Werbung, den dichten Nebel, in dem sich eine dunkle Gestalt abzeichnet, den finsteren Wald und die Ohrwurm-Melodie, mit der Sie anderthalb Stunden von insgesamt drei berieselt werden, bis Sie am Ende gar nicht anders können, als die CD mit dem Soundtrack zu kaufen, wenden Sie sich besser an die Konkurrenz.

 

Bei der Rückkehr vom Supermarkt reicht mir meine Mutter einen Fetzen Papier, der zwar nicht mein Leben umkrempelt – wir wollen nicht dauernd übertreiben –, aber dennoch weitreichende Konsequenzen hat. Dieser bekritzelte Papierschnipsel bedeutet, dass ich arbeiten muss.

Argh.

Mir leuchtet nicht ein, wozu. Ich habe mich gerade frisch an der Uni eingeschrieben. Ich weiß, heute sagen Studenten: «Ich bin in der L1.» Aber L1, das versteht doch kein Mensch, das bestätigt nur, was wir eigentlich schon alle wissen: Supermärkte sind eine viel anschaulichere Welt als Unis.

Es ist eine kleine, staatlich anerkannte Privatuni, die der Provinzelite vorbehalten ist. Untrügliches Zeichen: Es gibt einen Golfplatz.

Ich passe dort eigentlich nicht so recht ins Bild: Mein Vater ist Eisenbahner, meine Mutter Krankenpflegerin. Elite sieht anders aus. Immerhin haben meine Eltern meinem Wunsch, nicht auf eine staatliche Universität zu gehen, nachgegeben. Dieser kalten Welt, in der man sich meiner Vorstellung nach auf eine Bank quetscht (sofern man einen freien Platz findet), um unpersönlichen Vorlesungen zu lauschen, ziehe ich das angenehme Ambiente von Seminaren vor, in denen die Teilnehmerzahl auf achtzehn begrenzt ist. Ich finde es schick, dass die Professoren mich beim Vornamen nennen, und dass die Anforderungen hier höher sind als an einer staatlichen Uni, ist mir nur recht. Latein, Theologie und Rhetorik sind hier Pflichtfächer. Cool. Lernen hat mir noch nie was ausgemacht, im Gegenteil.

Dumm nur, dass meine Mutter meinen Studentenstatus nicht als Vollzeitbeschäftigung oder als Schutzschild vor dem wahren Leben anerkennt. Und das wahre Leben, das findet nun mal in der Arbeitswelt statt. So ist das eben, mit achtzehn muss man sein eigenes Geld verdienen.

Als Revolutionärin in der Tradition Robespierres (wenn es mir nützlich erscheint, revoluzze ich natürlich gerne auch ein bisschen, so wie alle) versuche ich dieses Diktat westlicher Lebensführung in Frage zu stellen:

«Geld verdienen? Wozu denn?»

«Ach, zerbrich dir darüber nicht den Kopf», erwidert meine Mutter. «Für Geld findet sich immer eine Verwendung. Du wirst schon sehen. Ruf bis dahin einfach die Nummer an, die ich dir gegeben habe.»

Meine Finger zerknüllen das Papierchen in meiner Hosentasche. Mit ein bisschen Glück kann man die Nummer bald nicht mehr lesen.

Ich grummle vor mich hin: «Na gut, später …»

«Nein, sofort!»

«Schon gut, schon gut, bloß keine Panik!»

«Auf der Stelle!»

Ich handle einen Aufschub aus. Ich werde am Nachmittag anrufen. First things first.

 

Ich habe kein Glück. Béatrice Seguin, die den Zettel im Supermarkt aufgehängt hat, sucht immer noch jemanden, der bei ihr zu Hause putzt. Kein Wunder: Meine Mutter hat einfach alle verfügbaren Streifen mit ihrer Telefonnummer abgerissen.

Béatrice sucht sogar so dringend jemanden, dass mein Vorstellungsgespräch am kommenden Samstag sehr kurz ausfällt. Ich muss nicht groß meine Motivation darlegen oder meine Kompetenzen nachweisen. Meine potenzielle Arbeitgeberin ist wild entschlossen, mir Arbeit zu geben, und zeigt mir sogleich ihre Wohnung. Im Grunde hat sie recht: Man breitet seine Kompetenzen nicht wie Scrabble-Buchstaben auf dem Tisch aus. Eine Putzfrau beweist sich durch ihre Arbeit.

Béatrice hat zwei Kinder – Pauline, noch ein Baby, und Quentin, ein kleiner sechsjähriger Fußballfan –, dazu einen weitgehend unsichtbaren Mann und ein langweiliges Vorstadthäuschen «im Grünen», womit ein verkrauteter Garten gemeint ist. Das Wohnzimmer besteht aus Möbelhaus-Sonderangeboten der siebziger Jahre, wahrscheinlich von Conforama – ein Wohnzimmerschrank im unvermeidlichen Kastanienfurnierimitat mit integrierter Bar und einer Vitrine in der Mitte, in der sich das ansammelt, was Familien gewöhnlich als «Souvenirs» bezeichnen und was im sonstigen Sprachgebrauch als «Plunder und Tinnef» gilt.

Der Plunder und Tinnef besteht in diesem Fall aus irgendwelchen Fußballpokalen, pseudovergoldeten Bilderrahmen mit Porträts von Patenkindern oder steif lächelnden Hochzeitspaaren und undefinierbarem scheußlichem Nippes, an dessen Herkunft sich keiner mehr erinnern kann, den aber sich aber auch niemand wegzuwerfen traut – man kann ja nie wissen.

Etwas wirklich Schlimmes ist in diesem öden Dekor, das so einige Überraschungen bereithält, aber auch nicht auszumachen. Auf dem WC verströmen sich in friedlicher Eintracht die «Bretonische Frische», der «Pinienduft Aquitaniens», der «Lavendel der Provence» und ein «Neutraler Geruchsvertilger». Diese massive Anhäufung von Lufterfrischern lässt das Schlimmste befürchten. Zum Glück völlig unbegründet. Es ist sauber hier, wie überall im Haus.

Am darauf folgenden Donnerstag fange ich an. Meine Kündigung reiche ich erst fünf Jahre später ein.

 

Als ich dort meinen Abschied nehme, ist die Fassade gerade neu gestrichen worden. Es sieht ziemlich verhunzt aus, aber das soll wohl so sein. Die gewählte Schwammtechnik brachte das unlösbare Problem mit sich, dass sich die Farbe mit diesem Werkzeug nur in zehn Zentimeter Abstand von den Mauervorsprüngen auftragen ließ. Die von den Seguins ausgesuchte Farbe – ein verwaschenes Ziegelrot – tut ein Übriges zum erwünschten Effekt: Das Haus sieht nun so richtig hässlich aus.

Weiterhin hat inzwischen eine Terrasse den halben Garten verdrängt, hauptsächlich um die Grünfläche, zu deren Pflege der Hausherr wenig Neigung zeigt, unter Beton verschwinden zu lassen. Der Rasenmäher ist in eine große Hütte verbannt worden, die die Hälfte des Restgartens belegt. So viel zum Thema Leben in der grünen Vorstadt.

Béatrice hat sich inzwischen Hals über Kopf in den Fußball gestürzt. Nachdem sie als Mutter eines kleinen Fußballhelden, also als Mädchen für alles, in den Club eingetreten ist, macht sie rasch Karriere. Schnell rückt sie in die verantwortungsvolle und vielfach beneidete Position der Leiterin des Getränkestands auf. Vor lauter Spielen, Training und Vollversammlungen ist sie praktisch eine hauptberufliche ehrenamtliche Managerin ihres Sohns. Nach dem geschickten Schachzug, auch noch ihre Jüngste in der Jugendmannschaft unterzubringen, kann sie nun jeden Samstag die gesamte Familie zum Stadion karren.

Als ich dort den Dienst quittiere, beginnen sich Flachbildschirme für Computer durchzusetzen. Quentin muss sich trotz allen Flehens und Bettelns immer noch mit seiner alten PlayStation 1 begnügen. Pauline kommt in die Schule, womit sie Anrecht auf ihren ersten Schreibtisch und die unverzichtbare Erstausstattung für eine «erfolgreiche Schulkarriere» hat: Post-its, Lineal und Stifte mit Diddlmaus-Motiven, die bald von Hello-Kitty-Kram abgelöst werden.

Heute ist Quentin mein Freund auf Facebook. Er ist fünfzehn und trägt eine coole, schräg ins Gesicht fallende Haarsträhne. Und mich quält immer noch diese eine Frage: Warum hat man mir in meiner gesamten fünfjährigen Dienstzeit dort immer verboten, das elterliche Schlafzimmer sauber zu machen?

 

Hinter jeder Arbeit lauert schon die nächste. Ermutigt durch diese erste Erfolgsgeschichte zögere ich nicht, mein Curriculum Vitae im Putzgewerbe durch weitere Erfahrungen zu bereichern.

Sechs Monate lang arbeite ich bei den Toupets. Drei Mädels im Teeniealter sorgen dort stets für frischen Wind.

Nett sind sie, aber anstrengend.

Ich sammle fleißig einzelne Haare auf, mache mich mit dem Bügeleisen über hauchdünne Wäschestücke her, bei denen ich jedes Mal befürchte, dass sie einfach verdampfen, und bringe Mädchenzimmer auf Vordermann. Die Kids sind begeistert. Sie haben noch nie in ihrem Leben eine staubfreie Stereoanlage gesehen. Oder geordnete CDs. Aufgeschüttelte Betten mit kunstvoll arrangierten Kissen. Da schlagen selbst die Plüschtiere Purzelbäume vor Freude. Zudem habe ich einen wahren Tsunami an Schminkutensilien und Schönheitsmittelchen gezähmt. Tuben, Dosen, Puder, Cremes, Fläschchen, Pinzetten, Stifte und Marterinstrumente für Augenbrauen und...

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