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Franziskus - Zeichen der Hoffnung

Das Erbe Benedikts XVI. und die Schicksalswahl des neuen Papstes

AutorAndreas Englisch
VerlagC. Bertelsmann
Erscheinungsjahr2013
Seitenanzahl432 Seiten
ISBN9783641119096
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis9,99 EUR
Der Wahl des neuen Papstes ist eine Revolution, eine Umwälzung von gewaltiger Bedeutung, im Vatikan vorausgegangen, die ihren Schatten auf alle folgenden Ereignisse geworfen hat. Was hat Benedikt XVI. tatsächlich zum Rücktritt, zum ersten Rücktritt eines Papstes seit über 700 Jahren, bewogen? Andreas Englisch deckt die wirklichen Hintergründe auf und beschreibt, was hinter den Kulissen des Vatikans geschehen ist, wie sich im Konklave die Machtverhältnisse zugunsten des neuen Papstes verschoben haben, welche Fraktionen um welche Papabili zunächst noch zur Diskussion standen und was letztlich den Ausschlag gab. Er stellt den neuen Papst eingehend vor und gibt einen Ausblick darauf, ob und wie es ihm gelingen wird, die drängendsten Probleme der katholischen Kirche zu lösen und im Kirchenstaat Ordnung zu schaffen.
Erweiterte Ausgabe von 2014

Andreas Englisch lebt seit fast vierzig Jahren in Rom und gilt als einer der bestinformierten Journalisten im Vatikan. Seit der Amtszeit von Johannes Paul II. trifft er alle amtierenden Päpste regelmäßig und begleitet sie auf ihren Reisen. Als Vatikanexperte und Italienkenner ist er ein gefragter Talkshowgast und Interviewpartner, seine Bücher sind Bestseller und wurden in zahlreiche Sprachen übersetzt, darunter »Franziskus - Zeichen der Hoffnung« (2013), »Der Kämpfer im Vatikan. Papst Franziskus und sein mutiger Weg« (2015), »Der Pakt gegen den Papst. Franziskus und seine Feinde im Vatikan« (2020) sowie zuletzt »Das Vermächtnis von Papst Franziskus» (2023). Zudem begeistert Andreas Englisch als kenntnisreicher Reiseführer durch Rom. Die Geschichte und Geschichten der Ewigen Stadt hat er in seinen Bestsellern »Mein Rom. Die Geheimnisse der Ewigen Stadt« (2018) sowie »Mein geheimes Rom. Die verborgenen Orte der Ewigen Stadt« (2021) aufgeschrieben.

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Leseprobe

Die Sensation Franziskus

Mittwoch, 13. März 2013. Sixtinische Kapelle. Vatikanstadt. Es ist 16.30 Uhr, als die Kardinäle nach der Mittagspause unter den weltberühmten Fresken von Michelangelo Buonarroti in die Kapelle zum vierten Wahlgang einziehen. Trotz der Stille in der Kapelle ist deutlich zu spüren, dass etwa 30 von ihnen von nackter Angst gepackt werden – so werden das später mehrere Kardinäle beschreiben. Es sind die etwa 30 Kurienkardinäle, die ständig in Rom wohnen und die Kirchenregierung, die Kurie, stellen. Sie wissen, dass sie jetzt vor allem eines unbedingt verhindern müssen: in Panik zu geraten. Was sie fürchten, darf auf keinen Fall eintreten: dass der Mann, der bereits im Jahr 2005 etwa 40 Stimmen bekam, der nächste Papst wird. Was sie auf Teufel komm raus verhindern müssen, ist die Wahl des Jorge Mario Bergoglio.

Die Kurienkardinäle erinnern sich gut an Bergoglio. Viel zu gut. Der Argentinier kam immer ungern nach Rom, aber wenn er kam, dann immer aus dem gleichen Grund: weil die Kurie ihm das Leben in Buenos Aires wieder einmal unmöglich gemacht hatte. Und sie hatten es ihm oft unmöglich gemacht! Bergoglio hatte die unangenehme Eigenschaft, dass er nicht einfach mit sich machen ließ, was die Kurie vorhatte. Wenn sie ihm wieder Ärger bereitet hatte, dann reiste er an, scheute nicht den Streit und besorgte sich einen Termin beim Papst. Zum Unglück der Kurie erfreute sich Bergoglio großer Wertschätzung sowohl von Johannes Paul II. als auch von Benedikt XVI. Streit war also vorprogrammiert, sobald Bergoglio in Rom war, und der Kardinal aus Buenos Aires hielt ihn aus.

Der entscheidende Konflikt war erst einige Monate her. Monsignore Ettore Balestrero, Zweiter Sekretär in der Abteilung des Staatssekretariats, das zuständig war für die Beziehung zu den Staaten, hatte Bergoglio attackiert. Dazu muss man wissen, dass Balestrero nichts anderes war als der verlängerte Arm des großen Bosses, des Kardinalstaatssekretärs Tarcisio Bertone. Wenn also Balestrero auf einen Kardinal losging, dann steckte Bertone dahinter – alle wussten das. Balestrero hatte Bergoglio wieder einmal vorgeworfen, dass dieser die besten Priester immer in die Slums schickte statt in die teuren Eliteschulen der katholischen Kirche für die Oberschicht oder in die Pfarreien der eleganten Stadtviertel von Buenos Aires oder gar nach Rom, wo wegen des Priestermangels dringend Nachwuchs gebraucht wurde. Wegen dieses Punktes gab es Ärger seit der Ernennung Bergoglios zum Erzbischof von Buenos Aires, also seit 1998. Bergoglio persönlich ging mit den Priestern in die Slums, jahrzehntelang, selbst dahin, wohin sich nicht einmal die Polizei traute. Bergoglio lehnte immer alle Eskorten ab, er nahm seine Priester mit und stellte sie den armen Leuten vor. Nie war Bergoglio ein Haar gekrümmt worden. Er hatte mit den Ärmsten Mate getrunken, den typischen Aufguss aus den Blättern des Matestrauchs, über viele Jahre hinweg. Die Ärmsten wussten, dass Bergoglio ihr Bischof war, und deswegen schützten sie seine Priester und nahmen sie auf. Selbst dort, wo sich Drogenbanden Feuergefechte lieferten, wo es um viel Geld ging, konnten Bergoglio und seine Priester nach Belieben kommen und gehen. Sie waren Männer Gottes, und selbst die schlimmsten Verbrecher akzeptierten das.

Aber die Kurie sieht das anders. Weil Bergoglio sich um die Armen kümmert, gilt er als Versager, als Mann, der keine Ahnung hat, wie man eine Diözese lenkt. Balestrero lässt durchblicken, dass Bergoglios Tage gezählt sind. Angesichts seiner Haltung werde sein Rücktritt vom Amt des Erzbischofs von Buenos Aires, der kurz bevorstehe, auf jeden Fall angenommen werden. Jorge Mario Bergoglio wurde am 17. Dezember 1936 geboren, mit Vollendung des 75. Lebensjahres im Dezember 2011 muss er also, wie jeder andere Kardinal oder Bischof auch, seinen Rücktritt anbieten. In der Regel geschieht dies erst mit einigen Monaten Verzögerung. Balestrero lässt wissen, dass Bergoglios Amtszeit auf keinen Fall verlängert wird, wie das bei anderen Bischöfen oft der Fall ist. So ist etwa der Kölner Erzbischof Joachim Kardinal Meisner drei Jahre älter als Bergoglio, aber immer noch im Amt. Für Bergoglio aber sei noch vor Beginn des Sommers 2013 Schluss. Er habe nur noch ein paar Monate Amtszeit vor sich, das immerhin garantiert Balestrero im Namen von Tarcisio Bertone.

Der Hass auf Bergoglio hängt nicht nur mit seinem Kampf für die Armen zusammen. Es gibt einen zweiten Grund, der noch schwerer wiegt, auch wenn das lächerlich erscheint. Jorge Mario Bergoglio ist die lebende Anklage gegen die Kurie und gegen fast alle Kardinäle und 5000 Bischöfe der Welt. Im Vatikan weiß jeder, was Bergoglio darüber denkt, dass die Kurienkardinäle im Besonderen, aber auch fast alle anderen Kardinäle und Bischöfe sich von Ordensfrauen bedienen lassen, von einer mehr als 10000 Frauen umfassenden Armee von Haushälterinnen, die fast alle Nonnen sind. Papst Benedikt konnte sich über die Dienste von gleich vier Ordensfrauen von Comunione e Liberazione (CL) freuen. Bergoglio hat keine einzige Nonne als Haushälterin. Das allein wäre nicht so schlimm, wenn er wenigstens die Klappe halten würde, aber das tut er nicht. Er sagt bei Treffen im Vatikan ganz offen, dass die Ordensfrauen, die in den Küchen der Kardinäle kochen, Wäsche waschen, Betten beziehen, Geschirr abwaschen und Kaffee für den Fahrer des Bischofs aufbrühen, das tun sollten, wofür sie eigentlich Nonnen geworden sind: das Evangelium verkünden, Kinder beschützen, Alten beistehen, Gottes Liebe zeigen. Diese Kritik, so simpel sie auch erscheinen mag, sorgt für blankes Entsetzen im Staat des Papstes. Kein Kardinal braucht echten Ärger zu fürchten, wenn er seine Geldgeschäfte über die wegen mutmaßlicher Geldwäsche in Verruf geratene Vatikanbank IOR abwickelt, aber über die Abschaffung der Gratis-Dienstboten aus den Frauenorden zu räsonnieren ist eine unverzeihliche Todsünde – und Bergoglio begeht sie immer wieder.

Balestrero lässt keinen Zweifel daran: Bergoglios Kirchenkarriere ist aus und vorbei. Die Kurie steht also kurz davor, Bergoglio endlich loszuwerden – und jetzt das: Im dritten Wahlgang hat er über 50 Stimmen auf sich versammelt. Ausgerechnet der Mann, der schon abgeschoben ist, kann jetzt doch nicht etwa der nächste Papst werden! Lächerlich, wiegelt Kardinalstaatssekretär Tarcisio Bertone ab. Die Wahl Bergoglios ist ausgeschlossen. Alles hatten Bertone und sein Freund Angelo Kardinal Amato, Chef der päpstlichen Kongregation für Selig- und Heiligsprechungen, in den vergangenen Jahren getan, um Bergoglio zu verhindern. Bertone und Amato lernten sich in der Glaubenskongregation kennen, sie sind beide Salesianerpater. Sie haben mit sanftem Druck auf den Papst ein Kardinalskollegium zusammengestellt, das eine Wahl Bergoglios unmöglich machen soll. Sie haben sehr gut und sehr gründlich gearbeitet. Zumindest glauben sie das. Sind nicht alle erklärten Gegner Bergoglios Kardinal geworden, wie der Kanadier Marc Ouellet, der Chef der Kongregation für die Bischöfe, der angesehene Fachmann der von Joseph Ratzinger gegründeten Zeitschrift Communio? War es nicht Ouellet, der Bergoglios Ansichten, seine aktive Umsetzung einiger Ideen der Theologie der Befreiung mit aller Macht bekämpft hat? War es nicht ein Hauptanliegen Joseph Ratzingers gewesen, die Protagonisten der Theologie der Befreiung, wie den Franziskaner Leonardo Boff, zu bekämpfen? So hatte im Jahr 1985 Ratzinger den Theologen Boff dazu gezwungen, wegen seines Buches Kirche – Charisma und Macht ein Jahr lang zu schweigen. Was der Kurie Kopfschmerzen bereitet, ist der Umstand, dass Ratzinger zwar die Theologie der Befreiung hart bekämpft, aber ein Bewunderer Bergoglios ist. Er versäumte es nie, über Bergoglio zu sagen, dass er ihn für einen Heiligen hält.

Aber Joseph Ratzinger ist nicht im Konklave, und da ist nicht nur Ouellet, der helfen kann, ein Bollwerk gegen Bergoglio zu errichten, da sind vor allem die 28 Kardinäle aus Italien. Das war Bertones Meisterstück: Männer, die gemessen an einem Genie wie dem Philosophieprofessor Bergoglio kaum bis drei zählen können, zum Kardinal machen zu lassen. Es sind Bischöfe, die nur deshalb Kardinäle wurden, weil der Vatikan eben in Italien liegt und die Macht der Kurie zahlreiche italienische Kardinäle durchsetzen kann. Es ist in ihrem Interesse, dass kein Papst aus Lateinamerika gewählt wird, sondern ein Mann der Kurie, sodass alles beim Alten bleibt, vor allem die Italiener im Staatssekretariat wollen die Macht behalten. Hilfe gegen die Lateinamerikaner erwarten die Kurienkardinäle auch von dem ergebenen Ratzinger-Anhänger, dem US-Amerikaner William Levada, den Ratzinger als Nachfolger auf dem Chefsessel der Glaubenskongregation wollte. Levada soll die ganze US-amerikanische Gruppe von immerhin elf Kardinälen gegen Bergoglio in Stellung bringen.

Tarcisio Bertone lässt kurz vor dem vierten Wahlgang seinen Blick noch einmal durch die Sixtinische Kapelle wandern, um den Kardinälen eindringlich in die Augen zu schauen und sie an eine simple Tatsache zu erinnern: Die Hälfte von ihnen sitzt nur deswegen hier, weil Bertone es so wollte. Jetzt ist die Stunde gekommen, in der die Rechnung präsentiert wird. Sie müssen ihm einfach den Rücken stärken und Bergoglio verhindern. Seit Beginn seiner Amtszeit vor sieben Jahren hat Tarcisio Bertone maßgeblich entschieden, wer Kardinal werden darf und wer nicht. Er will ein Kardinalskollegium, das dasteht wie eine Burg, um Jorge Mario Bergoglio zu verhindern.

In der Kurie kennen alle Bergoglios Spitznamen, sie nennen ihn den »alten Jesuiten«. Das tun sie, weil er im Unterschied zu...

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