Geschichte der Ratingagenturen und ihre aktuelle Marktstellung
Die Geschichte der Kredit-Ratingagenturen ist
eine Geschichte des kolossalen Versagens.
Henry Waxman, US-Kongressabgeordneter
der Demokratischen Partei5
Vorbemerkungen
Ratingagenturen schätzen und beurteilen das Risiko eines Zahlungsausfalls von Unternehmen, Finanzprodukten sowie ganzen Staaten mithilfe von sogenannten Ratings, die man auch als Benotung anhand eines standardisierten Risiko- und Bonitätsbeurteilungsmaßstabs interpretieren kann. Die Internationale Organisation der Wertpapieraufsichtsbehörden (International Organisation of Securities Commissions, IOSCO) wählte folgende Definition für Kreditratings, die hier im Buch im Vordergrund stehen6:
»Ein Rating ist eine Meinung über die Bonität eines Unternehmens, einer Kreditzusage, einer Anleihe oder ähnlicher handelbarer Wertpapiere oder eines Emittenten von solchen Verpflichtungen, ausgedrückt mithilfe eines festgelegten und definierten Ranking-Systems.«7
Es geht dabei also nicht um Kauf- oder Verkaufsempfehlungen, sondern es wird lediglich – und das betonen Ratingagenturen immer wieder – eine Meinung zur Kreditnehmerbonität abgegeben. In der US-Kreditratingagenturreform 20068 werden unter anderem folgende Aspekte zur Beschreibung von Kredit-Ratingagenturen genannt:
- 1. Erstellen von Kreditratings mit oder ohne Gebühr, die über das Internet oder andere Vertriebswege angeboten werden.
- 2. Verwendung eines quantitativen oder qualitativen Modells oder beider Varianten, um das Kreditrating zu bestimmen.
- 3. Gebühren können von Emittenten, Investoren oder anderen Marktteilnehmern bzw. in Kombination daraus erhoben werden.
Dieser sehr weiten Auslegung wird hier gefolgt, wobei sich Marktusancen herausgebildet haben, wie zum Beispiel die Bezahlung durch Emittenten. Nach wie vor gelten die Ratings nur als Meinungsäußerungen und sind daher weitgehend vor zivilrechtlichen Haftungsansprüchen geschützt. Ratingagenturen verwenden in der Regel eine mehrstufige Skala von AAA (beste Einstufung) bis C (schlechteste Einstufung). Im Detail gibt es allerdings zum Teil Abweichungen der Ratingsymbole der einzelnen Agenturen.
Gesellschaft | Gründung | Historie |
Standard & Poor’s | 1868 | Henry Varnum Poor veröffentlichte 1868 das »Manual of the Railroads of the United States«, in dem Anlegerinformationen zu den Eisenbahngesellschaften gesammelt wurden. 1941 kam es zur Verschmelzung der Poor’s Publishing Company und der Standard Statistics Company zu Standard & Poor’s. Das Rating von Standard & Poor’s oder kurz S&P reicht von AAA (»Triple A«, exzellente Bonität, praktisch kein Ausfallrisiko) über BBB (befriedigend) bis D (in Zahlungsverzug, keine Bonität). |
Moody’s | 1909 | Moody’s wurde 1909 von John Moody gegründet. Zunächst lieferte die Agentur Ratings zu den stark schwankenden Eisenbahn-Anleihen gegen Bezahlung an Investoren. Anmerkung am Rande: Die Finanzkrise im gleichen Jahr löste zur Stabilisierung die Gründung der Federal Reserve aus, die 1914 ihre Tätigkeit aufnahm. 1914 entstand auch die Gesellschaft Moody’s Investor Services. Da während des Börsencrashs 1929 keines der von Moody’s als erstklassig eingestuften Unternehmen zusammenbrach, stiegen das Ansehen der Gesellschaft und die Zahlungsbereitschaft der Kunden. Die Bewertungen von Moody’s reichen von AAA über BAA1 bei einer durchschnittlich guten Anlage bis C (bei Zahlungsausfall). |
Fitch | 1924 | Fitch Ratings, der dritte im Bunde, entstand 1924 in New York aus der Fitch Publishing Company von John Fitch. Das Rating reicht von AAA bis CCC (bei Zahlungsausfall: D). |
Historie und Ratings der drei führenden Ratinggesellschaften
Jeder einzelnen Ratingstufe kann eine durchschnittliche historische Ausfallwahrscheinlichkeit zugeordnet werden. Wirtschaftlich bedeutend sind die Ratings für die Emittenten dadurch, dass höhere oder niedrigere Ratings niedrigere oder höhere Kapitalbeschaffungskosten nach sich ziehen. Eingebettet ist die Geschichte der Ratingagenturen in die wechselhafte und friktionsreiche Finanzierungshistorie, wie die Übersicht gegenüber zeigt.
Von der weltweiten Expansion der Finanzmärkte profitierten die Ratingagenturen also und konnten durch die Verankerung mit den staatlichen Regelwerken eine enorme Marktbedeutung entfalten, auf die später im Buch noch eingegangen wird. Für eine kurze Einführung mag dies genügen, zumal die Ratingagenturen, so wie wir sie heute kennen, ursprünglich noch nicht existierten. Als frühere »Familienbetriebe« boten sie »auf dem freien Markt« Dienstleistungen zur Einschätzung von Aktien- oder Rentenpapieren für interessierte Anleger an11. Nachdem sich mit der Finanzierung des US-Unabhängigkeitskrieges (1775–1783) durch Anleihen zunehmend ein professioneller Markt für Wertpapiere in den USA entwickelte, schufen 24 Broker im Jahr 1792 mit dem Buttonwood Agreement die Plattform für einen regelmäßigen Handel an der Wall Street.
Damit war die »Spielwiese« für die Beurteilung von Aktien und Anleihen eröffnet, das »Spielfeld« wurde dabei im Zuge der Industrialisierung immer größer. Ein früher Vorläufer der Ratingagenturen mit einer allerdings begrenzten Verwandtschaft zu den Gesellschaften, wie wir sie heute kennen, wurde von einem ehemaligen Sträfling in Frankreich gegründet. Eugène-François Vidocq selbst wurde ein Geheimagent, der unter der Befehlsgewalt der Polizeipräfektur stand. Er gründete 1833 das erste Büro, um unabhängig wirtschaftsfinanzielle Informationen zu sammeln. Seine Mission war das Erkennen unehrlicher Unternehmer und Firmen mit zweifelhafter Zahlungsfähigkeit.12 Informationen über die ausreichende Zahlungsfähigkeit von Unternehmen waren nur rudimentär vorhanden, es gab auch noch keine breit kommunizierte Klassifizierung des Ausfallrisikos. Trotz des angeschlagenen Rufs der großen drei Ratingagenturen waren und sind sie nicht dem kriminellen Milieu zuzuordnen wie Monsieur Vidocq.
Erster Weltkrieg/Staatsanleihenfinanzierung (1914–1918) | Anleihenfinanzierung des Krieges mit der Folge der Überschuldung der Krieg führenden Staaten. »Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts«. |
Weigerung, die Schulden aus der Zarenzeit zu zahlen (1918) | Die neue Sowjetregierung bediente die Schulden des russischen Reiches nicht mehr. |
Hyperinflation (1923) | Führte insbesondere in Deutschland zu einer Destabilisierung. |
Börsencrash (1927–1929) | Kurseinbrüche in Europa und ab 1929 in den USA nach einer spekulativen Überhitzung der Preise. |
Zweiter Weltkrieg (1939–1945) | Erneute Verschuldung der Krieg führenden Staaten, die wie nach dem Ersten Weltkrieg – unterstützt durch einen kräftigen wirtschaftlichen Aufschwung – wieder abgetragen werden konnte. |
Real Estate Investment Trusts (Reits), Investors Overseas Services (IOS) und das OPEC-Geld (Ende der 60er- bis 70er-Jahre) | Neuer Enthusiasmus an den Märkten durch die Einführung der Finanzinnovation REITs, IOS und die Rückschleusung des Geldes der OPEC-Staaten durch Großbanken, die Kredite an südamerikanische Schuldenstaaten und Polen weiterreichten9. |
Börsenkrach (1987) | Finanzinnovationen wie Junk Bonds und eine neue Generation von Spezialisten im LBO-Geschäft begünstigen schuldenfinanzierte Übernahmen10. |
LTCM-Pleite und russische Staatsanleihenkrise (1998) | Die Kapitalabflüsse aus Russland durch wirtschaftliche Probleme führten zur Spreadausweitung bei den Staatsanleihen, die zur Pleite des Hedgefonds LTCM beitrug, aus... |