Oft bezeichnet man das Übersetzen als eine der ältesten Tätigkeiten der Menschheit, und dennoch beschäftigt man sich noch nicht so lange mit der Geschichte der Übersetzung als Forschungsrichtung. Erst relativ spät hat sich dazu ein systematischer Erforschungsansatz entwickelt. Fakt ist, dass Übersetzer zu allen Zeiten wesentlich an der Entfaltung des Geisteslebens beteiligt waren. So konnten z.B. Hochkulturen dank der Übersetzung das kulturelle Erbe anderer Kulturen antreten, und der Wissenstransfer zwischen Zivilisationen geschah großteils mit Hilfe von Übersetzern.
Im 20. Jahrhundert hat das Übersetzen allgemein einen großen Aufschwung erlebt. Neue wissenschaftliche Erkenntnisse und Kommunikationstechnologien trugen dazu bei, dass der Bedarf an qualifizierten Übersetzern in jedem Bereich stieg. Dieses Jahrhundert war auch von einer Verstärkung der internationalen Beziehungen sowie von zunehmender theoretischer Reflexion in der Wissenschaft geprägt. Dadurch entwickelte sich die Translation zu einer hochspezialisierten Tätigkeit, zu einem gut organisierten Berufsstand und international zu einer eigenständigen Wissenschaftsdisziplin. (vgl. Woodsworth 21999:39ff)
Was die Bibel betrifft, so gehen die ersten Übersetzungen nicht auf die christliche Kirche zurück. Es gab schon Jahrhunderte vor Christus Bemühungen, die hebräischen Schriften zu übersetzen. Wie in Punkt 2.3. erwähnt, findet sich im biblischen Buch Nehemia ein Bericht darüber, dass die Torah – das Gesetz Mose – bereits im 5. Jahrhundert vor Christus mündlich übersetzt wurde.
Auch erste schriftliche Übersetzungen ins Griechische und Aramäische entstanden schon lange vor Christi Geburt. So wurde das hebräische Alte Testament im 3. Jahrhundert v. Chr. auf der Insel Pharos in Ägypten ins Griechische übersetzt. Dort existierte zu dieser Zeit eine große jüdische Gemeinde, die nur noch griechisch sprach und deshalb auf eine griechische Übersetzung ihrer heiligen Schriften angewiesen war. Eine Legende besagt, dass eine Gruppe von 72 Männern aus den 12 Stämmen Israels jeweils in Zweierteams in kompletter Isolation das gesamte Alte Testament mit solch göttlicher Inspiration übersetzte, dass die daraus resultierenden 36 Entwürfe in jeder Hinsicht völlig ident waren. Wissenschaftliche Untersuchung ergaben allerdings, dass die Übersetzungen der einzelnen Bücher des Alten Testaments in Stil und Genauigkeit stark voneinander abweichen und man deshalb annehmen muss, dass die einzelnen Teile unabhängig voneinander entstanden. Vermutlich wurde jeweils ein Buch von einem Übersetzer bearbeitet. Diese erste griechische Übersetzung wird als Septuaginta oder auch LXX bezeichnet. (vgl. Nida 1964:26)
Das Übersetzen hatte zu jener Zeit in der griechisch-römisch geprägten Welt schon eine längere Tradition und man beschäftigte sich bereits mit verschiedenen Übersetzungsmethoden. Cicero etwa vertrat als erster die Ansicht, dass ein Übersetzer dafür sorgen müsse, dass das fremde Werk in der eigenen Literatur heimisch und somit dem lateinischen Sprachgebrauch angepasst wird. Er wehrte sich gegen rein wörtliches Übersetzen, doch leider muss gesagt werden, dass sich dies in der Bibelübersetzung noch nicht niederschlug. Aus heutiger Sicht wurde in diesem Bereich noch viel mehr "dem Buchstaben als dem Geist" Beachtung geschenkt, und dementsprechend sahen die Ergebnisse oft aus. (vgl. Hohn 21999:91; Nida 1964:12)
Bei der Entstehung der christlichen Gemeinde am ersten Pfingsttag war klar, dass die christliche Botschaft "allen Völkern unter dem Himmel" (Apg 2,5) galt und deshalb verbreitet gehörte. Anders als etwa im Islam (vgl. Koran: Sure 12,2) hatte es anfangs im jüdisch-christlichen Glauben nie ein Übersetzungsverbot gegeben. Im Gegenteil: die heiligen Schriften – sogar die Worte Gottes und Jesu Christi – durften und sollten sogar übersetzt werden, und zwar nicht nur für eine Elite von Akademikern, sondern für das größtmögliche Publikum. Innerhalb von wenigen Jahrzehnten wurden Berichte über das Leben und Wirken Jesu in Form der Evangelien auf Griechisch, der Lingua Franca des Mittelmeerraums, übersetzt und verbreitet. Die christliche Gemeinde rechnete und rechnet fest damit, dass eines Tages "eine große Schar, die niemand zählen [kann], aus allen Nationen und Stämmen und Völkern und Sprachen" (Offb 7,9) gemeinsam in Gottes Reich leben wird, und die Übersetzung der heiligen Schriften wurde und wird als ein Weg gesehen, um dieses Ziel zu erreichen. Vom 2.-4. Jahrhundert n. Chr. wurde das Neue Testament in andere wichtige Sprachen übersetzt. So gab es bald lateinische, syrische, armenische und verschiedene koptische Übersetzungen, die aufgrund der raschen Ausbreitung des Christentums weite Verbreitung fanden. Seit dieser Zeit ließen die Übersetzungsbemühungen der Christen nie nach. (vgl. Kirk 2002:1[2])
Hieronymus lebte von ca. 347 bis 420 n. Chr. und war eine der herausragenden Persönlichkeiten des Altertums. Er wurde in Stridon im heutigen Kroatien geboren, studierte zunächst in Rom, wo er Kenntnisse in klassischer Literatur, orientalischer Philosophie und Recht erlangte, und beschäftigte sich nach Abbruch seiner Beamtenkarriere später in Antiochia und Syrien mit dem Studium der griechischen und hebräischen Sprache. Er wurde Priester und erhielt in Rom eine Anstellung als Sekretär, Dolmetscher und theologischer Berater für Papst Damasus I. Aufgrund seines guten Rufs als dreisprachiger Gelehrter mit ausgezeichneten Hebräisch-, Griechisch und Lateinkenntnissen wurde er im Jahr 384 vom Papst mit der Übersetzung und Überarbeitung der Bibel beauftragt. Er begann mit der Übersetzung des Neuen Testaments auf Grundlage von anerkannten griechischen Texten. Als nächstes übersetzte er das Alte Testament aus dem Griechischen, nur um es dann nochmals neu aus dem Hebräischen zu übersetzen. Damit war er der erste, der das Alte Testament nicht mit der Septuaginta als Ausgangsmaterial, sondern direkt aus dem Hebräischen übersetzte. Diese Übersetzung, die lateinische Vulgata, ist die als authentisch anerkannte lateinische Bibel und wurde jahrhundertelang von der römisch-katholischen Kirche verwendet. (vgl. Woodsworth 21999: 39f)
Hieronymus' Übersetzungsansatz war wahrscheinlich einer der systematischsten und diszipliniertesten aller Übersetzer der Antike. In seiner Arbeit befolgte er ganz genaue Prinzipien, denen er treu blieb, auch wenn es ihm Kritik einbrachte und er auf Unverständnis stieß. Schon ganz am Anfang schrieb er, und sollte damit Recht behalten:
Who is there, whether learned or unlearned, who, when he takes up the volume in his hands and discovers that what he reads therein does not agree with what he is accustomed to, will not break out at once in a loud voice and call me a sacrilegious forger, for daring to add something to the ancient books, to make changes and corrections in them? (zit. n. Grant 1961:36)
Da er bei der Bibelübersetzung solch radikal neue Prinzipien anwandte, erreichte jedoch vor allem seine Übersetzung des Alten Testaments eine viel größere Wirkung als vorhergehende Übersetzungen.
Schon in frühchristlicher Zeit war man langsam zu der Erkenntnis gekommen, dass eine gute Bibelübersetzung keine wörtliche Übersetzung sein konnte. Hieronymus war allerdings der erste, der einen Mittelweg zwischen Wörtlichkeit und unkontrollierter Freiheit einschlug. Er bestand darauf, dass der Sinn wichtiger sei als die Form. In seinem Brief an Pammachius beschreibt er eines seiner wichtigsten Prinzipien: "Ich gebe es nicht nur zu, sondern bekenne es frei heraus, dass ich bei der Übersetzung griechischer Texte [...] nicht ein Wort durch das andere, sondern einen Sinn durch den anderen ausdrücke" (Störig 1963:1), "non verbum e verbo, sed sensum exprimere de sensu". (vgl. Kirk 2002:2; Hohn 21999:91f)
Nach Hieronymus und während des gesamten Mittelalters wurde die Bibelübersetzung nicht besonders intensiv vorangetrieben. Um 1500 existierten erst in etwa 35 verschiedenen Sprachen Teile der Bibel. Stattdessen wurden große Pergament-Kodizes geschrieben (z.B. Codex Vaticanus, Sinaiticus) und viele prunkvolle Bibelhandschriften mit Miniaturmalereien angefertigt. Es war auch eine Zeit, in der man sich mehr auf Überarbeitungen und Revisionen bestehender Übersetzungen konzentrierte. Vom 7.-10. Jahrhundert etwa arbeiteten die Masoreten in Tiberias und Babylonien am hebräischen Text des Alten Testaments, und um 800 wurde die lateinische Bibel auf Veranlassung Karls des Großen durch Alkuin revidiert. (vgl. Kirk 2002:1; Die Bibel 1985:Anhang 57)
Der erste bekannte Bibelteil, der in die deutsche Sprache übersetzt wurde, stammt aus der Zeit um 800. Im Benediktinerkloster Mondsee in Oberösterreich wurde das Matthäus-Evangelium aus dem Lateinischen ins Deutsche bzw. genauer gesagt ins Altbairische...