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Die Entstehung der periphrastischen Futurformen und ihre Darstellung in den älteren Grammatiken des Deutschen

AutorRamona Ewertz
VerlagGRIN Verlag
Erscheinungsjahr2010
Seitenanzahl71 Seiten
ISBN9783640527342
FormatPDF/ePUB
Kopierschutzkein Kopierschutz
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis17,99 EUR
Examensarbeit aus dem Jahr 2009 im Fachbereich Germanistik - Linguistik, Note: 1,3, Universität Trier, Sprache: Deutsch, Abstract: Die Entwicklung des periphrastischen werden - Futurs ist eines der jüngsten und interessantesten Sprachwandelphänomene des Deutschen. Sie beginnt in mittelhochdeutscher Zeit und setzt sich im Frühneuhochdeutschen kontinuierlich fort. Wie die Konstruktion aus werden und dem Infinitiv jedoch entstanden ist, und warum sich das Verb werden letztlich gegenüber den Modalverbkonstruktionen mit wollen und sollen durchsetzten konnte, ist bis heute nicht geklärt. Zieht man einen Vergleich zu den Futurformen anderer germanischer Sprachen, so ist dies umso verwunderlicher, da sowohl das Englische als auch das Niederländische, das Dänische und das Schwedische sollen als Mittel zur Futurbildung nutzen . Im Französischen, einer romanischen Sprache, wird das periphrastische Futur mit aller gebildet, sodass ein Einfluss von dieser Seite von vorneherein ausgeschlossen werden kann. Eine weitere in der Forschung diskutierte Frage ist die nach der Temporalität bzw. der Modalität der Konstruktion werden + Inf., die Saltveit 1960 auslöste . Genau mit dieser Frage befasst sich die Arbeit nach einer kurzen Einleitung, einem Überblick über die Quellen und einer Formulierung der Zielsetzung der Arbeit, um dann auf die Entstehung von werden + Inf. einzugehen. Zahlreiche Theorien wurden dazu aufgestellt, kritisiert oder wieder verworfen. In dieser Arbeit sollen die wichtigsten Gedanken zu diesem Thema zunächst zusammengestellt und durch eigene Ansichten ergänzt werden. Im Anschluss daran stellt sich die Frage, wieso sich die weniger genutzte Konstruktion werden + Inf. gegenüber den bis dahin bestehenden Möglichkeiten zur Futurumschreibung durchsetzen konnte. Bevor ein Zwischenfazit zum ersten Teil der Arbeit gezogen werden soll, möchte ich noch kurz untersuchen, inwiefern werden + Inf. den Grammatikalisierungsprozess durchlaufen hat und die entsprechenden Gründe dafür finden. Der zweite Teil der Arbeit beginnt mit einem kleinen Überblick über die Geschichte der frühen deutschen Grammatikschreibung und geht dann dazu über, die Darstellung des Futurs in den einzelnen Grammatiken zu untersuchen. Die Ergebnisse dieser Untersuchungen werden in einem Zwischenfazit zusammengefasst werden. Im letzten Kapitel soll abschließend versucht werden, die Ergebnisse der beiden Arbeitsteile miteinander abzugleichen. Dabei steht die Frage, ob und inwiefern die Untersuchung der grammatischen Darstellungen auf die Theorien zur Entstehung des werden - Futurs Einfluss nehmen kann, im Mittelpunkt.

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Leseprobe

IV.  Die Durchsetzung des werden-Futurs


 

1.  Volker Harm


 


a.  Harms Theorie


 


Volker Harm beschäftigt sich in seinem Aufsatz Zur Herausbildung der deutschen Futurumschreibung mit werden + Infinitiv vor allem mit der Frage, warum sich werden + Inf. gegenüber den anderen, gebräuchlicheren Formen, werden + Part. Präs. und den Modalverbkonstruktionen, durchsetzen konnte.

 

Zunächst einmal befasst Harm sich mit den bereits vorhandenen Theorien zur Entstehung und der Ausbreitung des werden – Futurs, worauf hier nicht näher eingegangen werden soll.

 

Die Erscheinung, dass sich die werden – Konstruktion durchsetzen konnte, hält Harm für „um so erstaunlicher, als alle anderen germanischen Sprachen Futurumschreibungen mit Modalverb + Inf. entwickelt haben, und dies, obwohl sie sämtliche etymologische Entsprechungen von dt. werden aufweisen[114].“

 

a.a.  werden + Inf. vs. werden + Part. Präs.


 


Harm geht davon aus, dass die Grundlagen zur Durchsetzung des werden – Futurs gegenüber der Konstruktion mit dem Partizip Präsens durch den „anhaltenden analogischen Druck der Modalverb + Inf.-Verbindungen“ geschaffen wurden[115].

 

Als dann neben den Modalverbkonstruktionen auch noch werden + Inf., angelehnt an die Modalverbkonstruktionen, entstand, konnte sich das Part. Präs. in der Konstruktion mit werden nicht länger halten. Zur Durchsetzung der Infinitive gegenüber den Partizipialformen hat laut Harm auch beigetragen, dass das Partizip Präsens in Verbperiphrasen sowieso keine besonders ausgeprägte Stellung im Sprachsystem innehatte und daher auch nach und nach verschwunden ist[116].

 

a.b.  werden + Inf. vs. Modalverbkonstruktionen


 


Dass die Konstruktion werden + Inf. sich gegenüber den Konstruktionen mit sollen/wollen + Inf. langfristig durchsetzen konnte, liegt, so Harm, daran, dass werden + Inf. frei von modalen Nuancen einen eindeutigen Zukunftsbezug herstellen kann[117].

 

Trotz fast einhelliger Forschungsmeinung bemerkt Harm dazu, dass das Futur in den germanischen Sprachen nicht frei von Modalität ist, sondern verschiedene sprachliche Handlungsmuster wie Voraussage, Handlungsankündigung oder Befehl, in sich vereinigt[118]. Als prototypisches Zentrum sieht er dabei den Handlungstyp der Voraussage.

 

Darüber hinaus führt er die Tatsache an, dass in allen germanischen Sprachen das angeblich benachteiligte Modalverb ein Futur bilden und zumeist auch erhalten konnte[119]. Auch in anderen Sprachen ist die Modalverbkonstruktion, anders als das werden - Futur, häufig Mittel zur Futurumschreibung[120].

 

Werden konnte in mittelhochdeutscher Zeit als Vollverb, als Kopulaverb in mehrgliedrigen Prädikatsausdrücken, häufig zur Bezeichnung eines Handlungs- oder Zustandsbeginns, als Bestandteil von Funktionsverbgefügen sowie in Verbindung mit dem Partizip Präsens auftreten[121].

 

Es fungierte also als zentrales Mittel zur Bezeichnung des Ingressivums und teilweise auch schon des Futurs. Damit ist die Unterlegenheit des werden – Futurs gegenüber den Modalverbkonstruktionen nur eine scheinbare[122].

 

Im Mittelhochdeutschen existierte bereits ein eingespielter Gebrauch von werden zur Herstellung eines Zukunftsbezugs, so dass werden + Inf.  nicht „aus dem Nichts“ entsteht: Werden hat gegenüber den Modalverbumschreibungen den Vorteil, dass es als Hilfsverb in zusammengesetzten Verbalkonstruktionen, vor allem in solchen mit einer zukunftsbezogenen Lesart, im Mittelhochdeutschen bereits geläufig ist[123].

 

Soln und wellen hingegen haben keinen solch hilfreichen Hintergrund; sie sind vielmehr in ihrem Grammatikalisierungsprozess auf dem Weg vom Lexem zum Futurgrammem stehen geblieben[124].

 

Nach Kellers Theorie des Sprachwandels als Kosten – Nutzen – Kalkulation heißt dies, dass der Umbau von werden zum zentralen Futurauxiliar bequemer und nicht so ´kostenintensiv´ ist wie der Umbau von soln und wellen; eben deshalb, weil werden im Ansatz bereits Futurfunktion besitzt[125].

 

Die Modalverben hingegen hätten sich erst zu reinen Grammemen entwickeln und ihre deontische bzw. desiderative Bedeutung verlieren müssen; die Herstellung eines verhältnismäßig eindeutigen Zukunftsbezugs wäre demnach ´kostspieliger´[126].

 

Harm betont jedoch, dass die Modalverben an sich keine schlechten Futurmarker sind, sondern für das Mittel- und Frühneuhochdeutsche einfach nur dem stärkeren Konkurrenten werden unterlegen waren[127].

 

Um die Richtigkeit seiner These zu beweisen, vergleicht Harm das Deutsche mit den anderen germanischen Sprachen. Er vermutet, dass, würden in einer der anderen Sprachen ähnliche Bedingungen wie im Hochdeutschen herrschen, die Entwicklung der Futurperiphrase vergleichbar sein müsste[128].

 

Die dem Hochdeutschen am nächsten verwandte Sprache ist das Niederdeutsche, welches das Futur ausschließlich mithilfe von Modalverben bildet. Werdan hat auch im Altsächsischen die Funktion, eine ingressive Aktionsart zu bezeichnen[129]. Während im Altsächsischen werdan + Inf. nicht überliefert ist, ist diese Konstruktion im Mittelniederdeutschen belegt[130].

 

Dies zeigt, dass werden auch hier die zentrale Bezeichnung für den Eintritt in einen veränderten Zustand  und [hat] im Präsens häufig futuristische Bedeutung[131]“ hatte.

 

Dass die heutigen niederdeutschen Dialekte nur noch selten Spuren des werden – Futurs aufweisen, liegt, so Harm, vermutlich am „Untergang des Niederdeutschen als Schriftsprache im Laufe des 16. Jahrhunderts[132].“ Durch den Wegfall der Schriftsprache konnte das werden – Futur sich nicht weiter ausbreiten[133].

 

Im Niederländischen besteht keine Konkurrenz zwischen werden- und Modalverbkonstruktionen, da sich das werden – Futur überhaupt nicht entwickelte, auch wenn werden ansonsten ein ähnliches Verwendungsspektrum aufweist wie im Hochdeutschen[134].

 

Neben diesen Sprachen zieht Harm Vergleiche zum Friesischen, zum Alt- und Mittelenglischen und zum Skandinavischen. Dabei kommt er zu dem Ergebnis, dass nur im Mittelniederdeutschen dem Mittelhochdeutschen und Frühneuhochdeutschen vergleichbare  Verhältnisse herrschen[135]. Da die Entwicklungen im Hoch- und Niederdeutschen zunächst gleich verliefen, kann davon ausgegangen werden, dass werden sich aufgrund seiner breiten Verankerung im grammatischen System des Mittel- und Frühneuhochdeutschen gegenüber den Bildungen mit Modalverben durchsetzen konnte[136].

 

b. Kritik


 


Die Aspekte, die Volker Harm bezüglich der Durchsetzung des werden – Futurs gegenüber der Futurbildung mithilfe von Modalverben anspricht, sind alle sehr gut durchdacht.

 

Er nennt die wesentlichen systeminternen Faktoren zur Durchsetzung von werden + Inf. gegenüber den Modalverbkonstruktionen und legt sie überaus verständlich und strukturiert dar. Meines Erachtens können aber nicht ausschließlich systeminterne Faktoren für dieses Phänomen verantwortlich gemacht werden.

 

Vielmehr sollten verschiedene Ansatzpunkte zur Erklärung herangezogen werden, so, wie dies im Aufsatz von Diewald und Habermann (Diewald/Haberman S.241) der Fall ist, indem sie auf den Einfluss des Lateinischen besonderes Augenmerk legen.

 

2.  Gabriele Diewald/Mechthild Habermann: Die Rolle des Lateinischen


 


a.  Theorie


 


Anhand einer Korpusuntersuchung, bestehend aus Quellen der Zeit um 1350  bis 1520, nämlich den Predigten Meister Eckharts, Zisterzienser-Predigten in der Übersetzung von Heinrich Haller und Luther-Traktaten, wollen Diewald und Habermann[137] den Einfluss des Lateinischen auf den Futurgebrauch des Deutschen nachzuweisen.

 

Anzumerken ist, dass diese Quellen sich im Kontext theologischen Schrifttums befinden.

 

Als eines der Ergebnisse kann festgehalten werden, dass das lateinische Futur nur selten unübersetzt bleibt. Anstelle einer Futurform steht in diesen Fällen das Präsens; die periphrastischen Futurformen steigen in ihrer Anzahl jedoch stetig an. Bevorzugte Form zur Futurmarkierung im Mittelhochdeutschen ist sollen +Inf.; darüber hinaus exstieren die Formen...

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