Auch wenn Spiele manchmal als „Randphänomene und nutzlose Überflüssigkeiten“ bezeichnet werden, „mit denen man Langeweile verscheucht“, so sind sie an anderer Stelle „erregende, faszinierende, Leidenschaften aufstachelnde Ereignisse“, wie sie Scheuerl (1975, S. 9) treffend bezeichnet. Dieses widersprüchliche Phänomen gilt es zu beleuchten.
Johann Huizingas Buch „Homo Ludens“ spielt eine bedeutende Rolle bei der Entwicklung von Spieltheorien und der Spielforschung allgemein. Übersetzt heißt der Titel „Der spielende Mensch“. Er stellt das Spiel als wichtigen Baustein der Kultur dar, der fast alle Bereiche des Lebens untermauert. Das Spiel ist mehr „als eine rein physiologische Erscheinung oder eine rein physiologisch bestimmte psychische Reaktion“ (Huizinga, 1938, S. 143). Es hat Sinn und bedeutet etwas. Deshalb stelle ich im Folgenden einige Merkmale vor, die für Huizinga das Spiel charakterisieren. Ich orientiere mich dabei an der Zusammenstellung von Nestle (2005) und Huizingas Aufsatz in Scheuerl (1975).
Für Huizinga ist Spielen zunächst freies und freiwilliges Handeln, weil es keine physische Notwendigkeit besitzt, noch eine sittliche Pflicht ist. Der Mensch kann sich selbst entscheiden, ob er spielen möchte oder nicht. Spielt ein Kind, so tritt es aus dem normalen Alltag für eine begrenzte Zeit heraus. Das heißt, es gibt einen Anfang und ein Ende. Das Spiel findet meistes in einem abgeschlossenen Raum statt und hat sein Ziel in sich selbst. Diese Darlegung meint aber nicht, dass das Spiel überflüssig sei. Im Gegenteil, es „schmückt“ und ergänzt das Leben und ist insofern unbedingt nötig.
Ein weiteres Merkmal nach Huizinga ist, dass das Spiel wiederholbar ist. Viele Spiele charakterisiert geradezu das immer Wiederkehrende. Das kann im Kinderspiel das Aufbauen eines Turmes sein, das regelmäßige Würfeln oder das Üben einer bestimmten Szene im Rollenspiel. Es gelten Regeln und feste Ordnungen, an die sich der halten muss, der mitspielen möchte. Das schafft die „zeitweilige begrenzte Vollkommenheit“ (Huizinga, 1938, S. 146) im verworrenen Leben. Die kleinste Abweichung kann das Spiel verderben und es wertlos machen.
Zuletzt sei noch genannt, dass das Spiel voller Freude und Spannung ist. Das heißt, dass es lustvoll geschieht, aber ungewiss ist, ob einer die Chance zum Glück und Gewinn hat. Die Spannung ist unter anderem daran messbar, ob es einem während des Spiels langweilig wird oder nicht. Ist ein Kind in sein Spiel sehr vertieft, vergisst es die Zeit. Die Realität im Jetzt und Hier zählt, wie es auch Scheuerl schreibt. Mehr dazu im folgenden Abschnitt.
Scheuerl hat eine allgemeinere Sicht des Spiels als Huizinga. Scheuerl (1975) nennt Merkmale des Spiels, die für die unterschiedlichsten Spiele gelten. Dazu gehören die Kinderspiele, Automatenspiele, Kreis- und Puppenspiele, aber auch das Spiel des Mondlichts auf den Wellen des Wassers. Bei dieser Darstellung beziehe ich mich auf den Seminarreader von Nestle (2005) und den Aufsatz von Scheuerl (1975).
Auch hier ist die erste Priorität die Freiheit. Gespielt wird nur um seiner selbst willen und ohne „Verzweckung“. Das Spiel ist im Mensch fest verankert und besitzt eine innere Unendlichkeit. Dadurch werden der Raum- und Zeitbegriff relativ. Im vertieften Spiel werden Ort und Stunde vergessen, selbst wenn Spielfeld und Spielzeit äußerlich begrenzen. Die Zeit im Jetzt und Hier dominiert, denn jeder Augenblick birgt eine neue Überraschung. Spiele tendieren zur Ausdehnung, Variation und Wiederholung, auch wenn sie durch Regeln, vereinbarte oder stillschweigende Vorschriften beschränkt sind (vgl. Scheuerl, 1975, S. 204). Scheuerl gibt zu bedenken, dass es eine unerlässliche Ambivalenz im Spiel gibt. So kann eine Kampfszene im echten Kampf enden, sich aber auch zu völliger Entspannung entwickeln. Es muss eine Balance gefunden werden, um das Spiel in Gang zu halten. Löst sich die Ambivalenz in Eindeutigkeit auf, wird das Spiel uninteressant. Es sei nicht immer mühelos und leicht zu meistern, sondern müsse eventuell unter Anstrengung, Konzentration und körperlichem und geistigem Einsatz fortgeführt werden. Ein förderndes „Hindernis“ sind zum Beispiel die Spielregeln und Spielinhalte, an die man sich zu halten hat. „Es gehört zur Kunst des Arrangierens von Spielen, die Entgegensetzung der beteiligten Kräfte so zu regeln und Übergewichte nach der einen oder anderen Seite so zu begrenzen, dass der Ausgang so lange wie möglich offen bleibt“ (Scheuerl, 1975, S. 205).
Diese Grundgedanken sollen in drei Theorien näher beleuchtet werden. Sie decken nicht das ganze Spektrum der Theorielandschaft ab, geben aber einen Einblick in die für die psychomotorische Entwicklungsförderung bedeutsamen Aspekte des Spiels.
In der Literatur werden verschiedene Ansichten benannt, die jeweils besondere Aspekte des Spiels betonen. Die klassischen Spieltheorien wie die von Groos oder Piaget betonen, das Kind lerne oder übe das Leben im Spiel ein. Das allerdings ist eine beschränkte Sicht, denn das Lernen oder Üben steht nur sehr bedingt im Zusammenhang mit dem, was das Kind später tun wird. Das Kind wird im Puppenspielen weder die Mutterschaft einüben, noch wird es später zwangsläufig ein Feuerwehrmann oder eine Verkäuferin werden, nur weil es diese Rollen im Spiel übernimmt. Die Berufe kann das Kind in der Realität noch nicht ausüben, sie entsprechen aber möglicherweise den Wunschvorstellungen der Kinder. Außer Frage steht meiner Meinung nach, dass das Kind Rollen und Möglichkeiten übernimmt, die seiner psychischen Lage und Lebenswirklichkeit entsprechen. Diese Rollenübernahme hilft dem Kind, seine gegenwärtige Situation zu verarbeiten.
Eine grundlegende Vorstellung des Spiels geht auf Friedrich Schiller zurück. In diesem Abschnitt beziehe ich mich auf Schillers Aufsatz (1793/94) in Scheuerl und die Bewertungen von Nestle (2005). Die kulturanthropologische Perspektive Schillers betont die Notwendigkeit für den Menschen zu spielen. Seine These lautet: „Der Mensch spielt nur, wo er in voller Bedeutung des Wortes Mensch ist, und er ist nur da ganz Mensch, wo er spielt“ (Schiller, 1793/94, S. 37). Er steht in der Gefahr, unmenschlich zu werden. Nur das Spiel kann einen Menschen vollständig machen. Schiller kritisiert, dass sich viele Menschen nicht mehr darauf einlassen, einfach nur zu spielen, ohne einen Zweck oder einen offensichtlichen Sinn. Die Gefahr liege vor allem in der modernen Entwicklung, in der Arbeitsteilung, der Kultur der materiellen Nützlichkeit und der Zweckhaftigkeit in Wissenschaft und Ökonomie. Alle sähen nur auf Kräfte und Talente. Er aber fordert die spielerische und künstlerische Zwecklosigkeit. Diese gibt es im Spiel, das seinen Sinn und Zweck in sich selbst hat. In der Abkehr zur gesellschaftlichen Entwicklung sollen die zersplitterten Kräfte gesammelt werden und eine neue Totalität des eigenen Lebens geschaffen werden, auch wenn diese Totalität zeitlich und räumlich begrenzt ist. Zwischen all den Kräften und Gesetzen baut sich der Mensch ein Reich auf, das Spiel heißt. Dort ist er entfesselt von allen Verhältnissen und frei von allem physischen und moralischen Zwang (vgl. Schiller, 1793/94, S. 40).
Schillers Forderung nach einem Spiel, das zweckfreie Aktivität ist und die Zerrissenheit zweckrational handelnder Menschen überwinden kann, kann für heute genauso formuliert werden. Glücksspiele, Computerspiele, Verhaltenstraining im Beruf, Lernspiele in der Schule und viele andere Gebiete sind Beispiele für die in Schillers Augen falsch verstandene Sicht von Spielen. Er dachte an die kunstorientierte und genussvolle Auseinandersetzung mit dem Schönen (vgl. Nestle, 2005, S. 4). In solch einem Raum wie von Schiller gefordert, sollte das Kinderspiel und das Spiel in der Psychomotorik heute Platz finden. Einem Raum, in dem kein Zwang herrscht, wo sich die Kinder frei entfalten können, um ganz Mensch zu sein. Passend zur menschlichen Entwicklung machte sich Fröbel Gedanken über Spielzeug, das beim Kinderspiel eingesetzt werden kann.
Friedrich Fröbel entwickelte eine Theorie über das Spielen, die Nusplinger/ Diel (1989) und Nestle (2005) beschreiben. Auf diese Ausführungen beziehe ich mich im nächsten Abschnitt. Fröbel betont im Gegensatz zu...