In diesem Kapitel werden die Regelungen zur Bilanzierung latenter Steuern im Einzel- sowie im Konzernabschluss nach dem bisher geltenden HGB erläutert.
Durch eine pauschale Überleitungsrechnung aus der HB wird eine StB aufgestellt.[13] Dass es durch teilweise unterschiedlichen Ansatz- bzw. Bewertungsvorschriften, sowie durch permanente Durchbrechung des Maßgeblichkeitsprinzips[14] zu zahlreichen Differenzen zwischen den beiden Bilanzen führt, ist eine Tatsache (vgl. Kap. 4.2). Diese Differenzen werden als latente Steuern erfasst (vgl. Schildbach 2000: 291) und sind bisher in § 274 und 306 HGB geregelt. Im Folgenden werden die einzelnen Aspekte der Bilanzierung latenter Steuern im Einzelabschluss dargestellt.
5.1.1. Timing-Konzept und Liability-Methode
Grundsätzlich sind die Regelungen zur Abgrenzung der Steuerlatenzen im HGB auf dem GuV-orientierten Timing-Konzept basiert, was sich aus dem Wortlaut des § 274 HGB ergibt. Danach dürfen nur solche Bilanzierungs- und Bewertungsdifferenzen zwischen HB und StB berücksichtigt werden, die sich sowohl bei der Entstehung als auch bei der Auflösung in der GuV innerhalb eines absehbaren Zeitraums voraussichtlich erfolgswirksam umkehren. Dies entspricht der Erfassung von ausschließlich zeitlich begrenzten Differenzen, was nach dem Timing-Konzept antizipiert wird (vgl. Kap. 4.2.1; Baetge at al. 2007: 555; Coenenberg et al. 2005: 446-447; Schildbach 2000: 291; Klein 2001: 1451).
Die Methode zur Bewertung latenter Steuern wird durch das § 274 HGB nicht eindeutig geregelt. Zum einen deutet die Bestrebung nach einem periodengerechten Erfolgsausweis, was durch eine korrekte Steueraufwandsabgrenzung erreicht wird, auf den dynamischen Charakter der Deferred-Methode hin. Bemerkenswert ist, dass die exakte Abgrenzung des Periodenergebnisses, wie es die Deferred-Methode verlangt, im HGB-Abschluss in den Hintergrund gerät (vgl. App 2003: 212; Schildbach 2000: 298; Thieme 2004: 24). Zum anderen ist ein statischer Ansatz zu beobachten, indem den aktiven latenten Steuern keine Eigenschaft des Vermögensgegenstandes zugewiesen und sie auf künftige Steueransprüche bzw. -zahlungen abgestellt werden. Somit führt diese Überlegung des HGB zu einer impliziten Anwendung der Liability-Methode zur Bewertung latenter Steuern und zu deren Verknüpfung mit dem Timing-Konzept[15].
5.1.2. Ansatz aktiver und passiver latenten Steuern nach HGB
In der folgenden Tabelle 1 werden die wichtigsten Punkte zur Abgrenzung von aktiven und passiven latenten Steuern zusammengefasst.
Tabelle 1: Abgrenzung passiver bzw. aktiver latenten Steuern nach HGB
Quelle: Eigene Darstellung in Anlehnung an § 274 HGB; Baetge at al. (2007: 555-558); Coenenberg et al. (2005: 447-449); Thieme (2004: 22-23).
In dem Anhang 10 werden rechnerische Beispiele für aktive bzw. passive latente Steuern dargestellt. Unter dem Strich lässt es sich feststellen, dass nach der Ansatz aktiver bzw. passiver latenter Steuern in der HB der Ausweis des Steueraufwands zeitlich so erfolgt, wie er aus handelsbilanzieller Sicht verursacht wurde (vgl. Thieme 2004: 23).
5.1.3. Ermittlung, Bewertung und Ausweis latenter Steuern
Des Weiteren werden die grundsätzlichen Regelungen zu Ermittlung, Ausweis und Bewertung latenter Steuern nach geltendem Bilanzrecht kurz vorgestellt.
a) Einzel- bzw. Gesamtdifferenzenbetrachtung und Saldierung
Nach dem Wortlaut des § 274 HGB lassen sich grundsätzlich drei verschiedene Methoden zur Ermittlung latenter Steuern unterscheiden, nämlich Einzeldifferenzenbetrachtung (EDB) mit unsaldiertem Ausweis, Gesamtdifferenzenbetrachtung (GDB) mit saldiertem Ausweis aktiver und passiver latenter Steuern, sowie Gesamtdifferenzenbetrachtung (GDB) mit saldiertem Ausweis ggf. einer passiven, aber nicht einer aktiven Steuerlatenzen (vgl. Baetge at al. 2007: 561, 567; Coenenberg et al. 2005: 449 f; Küting at al. 2003: 443).
Bei der EDB wird für jeden einzelnen Geschäftsvorfall, bei dem eine zeitliche Ergebnisdifferenz entstanden ist, über die Betrachtungsperiode errechnet und aufsummiert. Dieses Verfahren lässt eine getrennte Ermittlung des aktiven bzw. passiven Steuerabgrenzungsbedarfs der Periode durch Summierung einzelner berechneter aktiven bzw. passiven Einstellungen bzw. Auflösungen der Betrachtungsperiode erreichen. Dabei wird der Verlauf der zeitlichen Ergebnisdifferenz über den Betrachtungszeitraum bis zum vollständigen Ausgleich in einer Nebenbuchhaltung festgehalten und fortgeführt (vgl. Baetge at al. 2007: 561; Coenenberg et al. 2005: 450). Im Gegensatz zur EDB wird bei der GDB das steuerrechtliche Ergebnis gegenüber dem handelsrechtlichen Ergebnis gestellt, was auch nach § 274 HGB aus dem Wortlaut („der zu niedrige“ bzw. „zu hohe Steueraufwand“) gefordert wird. Der berechnete Ergebnisunterschied wird um die permanenten und quasi-permanenten Differenzen bereinigt. Es bleibt lediglich eine Restdifferenz, die allein auf den zeitlichen Differenzen basiert und entweder einen passiven oder einen aktivischen Überhang ergibt[16]. Somit ist es bei der Ermittlung latenter Steuern von einer erlaubten GDB auszugehen, was umgekehrt nicht auf ein zwingendes Saldierungsgebot gem. § 274 HGB deutet (vgl. Baetge at al. 2007: 565-566; Coenenberg et al. 2005: 449; Gröner at al. 1997: 479, 483). Die beiden o. g. Verfahren zur Ermittlung latenter Steuern weisen einige Vor- und Nachteile auf, die in der folgenden Tabelle 2 zusammengefasst sind.
Auf Grund der dargestellten Vor- und Nachteile lässt sich festhalten, dass die EDB der GDB vorzuziehen ist, da die Erstere eine bessere Transparenz sowie den Überblick über die Vermögens- und Ertragslage des Unternehmens bietet. Der Wirtschaftlichkeitsvorteil der GDB ist relativ und unterliegt einer subjektiven Beurteilung der Geschäftsführung. Jedoch hängt die Anwendung einer von den o. g. Methoden zur Ermittlung latenter Steuern von den grundsätzlichen Aspekten, wie der Komplexität der Geschäftsvorfälle bzw. der Saldierung aktiver und passiver latenter Steuern, ab.
Tabelle 2: Vor- und Nachteile von Einzeldifferenzenbetrachtung bzw. Gesamtdifferenzenbetrachtung
Quelle: Eigene Darstellung in Anlehnung an Baetge at al. (2007: 561, 565-567); Coenenberg et al. (2005: 449-451); Klein (2001: 1455); Schildbach (2000: 299); Thieme (2004: 26).
b) Steuersatz zur Bewertung latenter Steuern und Abzinsung
Es wurde bereits festgehalten, dass die Bewertung latenter Steuern im Handelsrecht überwiegend nach der Liability-Methode erfolgt (siehe Kap. 5.1.1.). Somit wird die Bemessung der Steuerlatenzen auf künftige Steuersätze, die in den Perioden des Ausgleichs der zeitlichen Ergebnisdifferenzen gelten, abgestellt (vgl. Kap. 4.3.1, sowie Baetge at al. 2007: 563; Coenenberg et al. 2005: 454). In der Bilanzierungspraxis wird es aber öfter zu Schwierigkeiten bei der Schätzung solcher künftiger Steuersätze kommen. Demzufolge wird grundsätzlich von der Anwendung der aktuellen Steuersätze ausgegangen, außer wenn Steuersatzänderungen bereits vom Gesetzgeber verabschiedet bzw. publiziert worden sind. Bei Veränderung der Steuersätze sollte allerdings eine entsprechende Anpassung des Bestandes latenter Steuern vorgenommen werden. Dies folgt aus dem Wortlaut des § 274 HGB, in dem die voraussichtliche Steuerbe- und Steuerentlastung als Bewertungsmaßstab genannt wird. Außerdem führt diese Anpassung an die aktuellen Steuersätze zu einer nachvollziehbaren und besser erklärbaren Relation zwischen dem handelsrechtlichen Jahresergebnis und Steueraufwand einer Periode. Des Weiteren führen die Einzelbewertung und die beiden Verfahren der Gesamtbewertung zu einem identischen Ausweis latenter Steuern (vgl. Arians 2000: 295; Coenenberg et al. 2005: 454). Bei der Ermittlung des Steuersatzes zur Verrechnung latenter Steuern sind in Deutschland bei KG die Körperschaftsteuer, die Gewerbesteuer und der Solidaritätszuschlag zu berücksichtigen[17]. Eine Abzinsung der aktiven bzw. passiven Steuerlatenzen wird grundsätzlich vom überwiegenden Schrifttum abgelehnt (vgl. Baetge at al. 2007: 565; Coenenberg et al. 2005: 455; Rabeneck und Reichert 2002 a: 1366).
c) Bewertung latenter Steuern bei Verlustvortrag
Grundsätzlich ist die Voraussetzung für den Ansatz latenter Steuern bei den vorhandenen steuerpflichtigen Gewinnen innerhalb des Zeitraums, indem zeitliche Differenzen entstehen bzw. wieder umkehren, gegeben. Demzufolge müssen die bereits angesetzten latenten Steuerpositionen außerplanmäßig aufgelöst werden, wenn trotz des Erwartens mit keinen steuerpflichtigen Gewinnen in der Periode zu rechnen ist...