3. E.T.A. Hoffmann: Die Abgründe des Doppelgängermotivs – menschliche Doppelgänger und unheimliche Automaten
Bei E.T.A. Hoffmann stoßen wir auf eine wahre Fundgrube der Doppelgänger und Automaten. Mit Sicherheit hat Hoffmann, neben Jean Paul, am häufigsten diese Motive verwandt. Dabei greift er auf viele, ja fast alle bekannten Formen und Variationen zurück. Das Motiv bei ihm wird aber sehr ernst und zum Teil auch erschreckend und unheimlich gestaltet, und zwar auf eine wirklich spürbare Art und Weise. Die Doppelgänger wie auch die Automaten üben einen psychischen Einfluss auf den Menschen aus. Die Ich-Problematik tritt bei Hoffmann am deutlichsten und am häufigsten auf. Das liegt auch an seinen Kenntnissen und persönlichem Interesse an der menschlichen Psyche und den Methoden, die auf jene Einfluss nehmen können. Doppelgänger bedrohen die Existenz des Menschen, sind zumeist Feinde oder Konkurrenten. Vor allem in der Liebe. Die Individualität wird in Frage gestellt, sie erscheint nicht als selbstverständlich.
Das Motiv wird genutzt um psychologische Prozesse in Gang zu setzten. Das Ich wird zur Reflexion gedrängt. Bei Hoffmann ist alles möglich, so entlockt er dem Motiv seine abgründige, schauerliche Seite. Er gestaltet seine realen Doppelgänger aber niemals mittels künstlicher Menschen, so wie das bei Arnim der Fall war. Seine Doppelgänger sind Menschen wie Du und ich. Hinter ihnen stecken immer bestimmte, besondere Geschichten oder Geheimnisse, welche es zu erfahren gilt.
Die Automaten haben ebenso immer etwas Unheimliches an sich. Sie können auf den Menschen und seinen Verstand wirken, doch sie sind keine selbständig handelnden Geschöpfe. Sie werden gelenkt, sind also nur Werkzeug einer sich dahinter versteckenden Macht. Auch hier beweist Hoffmann ein enormes Wissen und Interesse, welches sich in der Anzahl und Art der Automaten in seiner Dichtung auswirkt. Sehen wir uns zunächst das Doppelgängermotiv und seine Gestaltung an einem der bekanntesten Beispiele Hoffmannscher Dichtung an.
3.1. „DIE ELIXIERE DES TEUFELS“[50]
3.1.1 Allgemein
Zum Doppelgängermotiv und zugleich zur Ich-Problematik findet sich in E.T.A. Hoffmanns Roman „Die Elixiere des Teufels“ so viel, wie selten an anderer Stelle. Der Held und Mittelpunkt der Autobiographie ist der Kapuzinermönch Medardus. Im Verlaufe der Handlung, und dadurch auch seines Lebens, wird er zum Objekt von zahlreichen Verstrickungen, Spiegelungen, Verdopplungen und zum Bezugspunkt einer versteckten aber durchgängigen Zeichenhaftigkeit, die den Roman durchzieht und ihm seinen besonderen Reiz verleiht. Nicht umsonst ist es laut Detlef Kremer „der einzige Schauerroman der deutschen Romantik mit weltliterarischer Wirkung.“[51]
Das Doppelgängermotiv ist ein sehr wichtiges und weit ausgearbeitetes Motiv des Romans. Es bestimmt z.T. den Aufbau und die Handlung. Neben den äußerlichen Verwechslungen löst der Doppelgänger hier auch innere, psychische Prozesse aus, die den Helden ständig plagen. Natürlich trägt er nur dazu bei, die bei Medardus ohnehin schon vorhandene psychische Störung zu verschlimmern. Für die Ich-Spaltung ist das Motiv aber bestimmend. Der Vorteil liegt auf der Hand und besteht aus der großen Funktionalität und Kompatibilität des Doppelgängermotivs, was auch der Grund ist, weshalb dieses Motiv in der Romantik so oft verwendet worden ist. Das Motiv kann also nicht nur zu bloßen Verwechslungszwecken benutzt werden, um z.B. einen kurzzeitigen Schrecken auszulösen, sondern auch dazu, um richtige Bewusstseinsstörungen hervorzurufen. Ob scherzhaft oder ernst, das Motiv verträgt sich – nicht nur wegen seiner antiken Vorläufer – mit beidem.
Dies soll kein Versuch einer Gesamtinterpretation dieses Werkes werden, dazu ist der Umfang der Arbeit viel zu klein. Doch an manchen Stellen muss verständnishalber etwas weiter ausgeholt werden. Dabei können wir uns auch etwas außerhalb der Ich-Problematik und des Doppelgängermotivs bewegen.
3.1.2 Einflüsse
Der erste Teil des Romans entsteht in nur vier Wochen. Vom 4. März bis zum 30. April 1814 ist er schon druckfertig[52]. Wichtig für den Roman scheint das Hintergrundwissen Hoffmanns zu sein, das ihm die nötigen Kenntnisse, Impulse und Anreize gab, die in dieses Werk mit eingeflossen sind. Eine ganz wichtige Lektüre war wohl Matthew Gregory Lewis´ „The Monk“ (1796) gewesen zu sein[53]. Aus ihm stammt die Sexualitäts-Thematik, und die fatalistische Familiengeschichte scheint auch aus ihm entlehnt. Zusätzlich spielt Hoffmann ganz eindeutig im Werk darauf an, als er Aurelie aus der deutschen Übersetzung lesen lässt und dadurch ihre Phantasie angeregt wird. „In meines Bruders Zimmer sah ich ein fremdes Buch auf dem Tische liegen; ich schlug es auf, es war ein aus dem Englischen übersetzter Roman: „Der Mönch!“ – [...]“ (S. 220)
Auch Karl Grosses „Genius. Aus den Papieren des Marquis C* von G*.“ (1791-95) hat auf Hoffmann gewirkt[54]. Allein schon der Titel weist eine große Ähnlichkeit auf.
Den Kern für seine psychologische Seite des Romans hat er durch die Schriften G. H. Schuberts, wie den „Ansichten von der Nachtseite der Naturwissenschaften“ (1808) und der „Symbolik des Traums“ (1814)[55], aber auch durch persönliche Gespräche und Beobachtungen von psychisch gestörten Patienten. In seiner Bamberger Zeit, hatte er Umgang mit Dr. Marcus; er war einer seiner engeren Freunde. Marcus war Leiter der Anstalt „St. Getreu“, wo Hoffmann die persönlichen Einblicke gewinnen konnte, die mit den Phänomenen des Wahnsinns zu tun hatten[56]. Er las auch Carl August Ferdinand Kluges „Versuch einer Darstellung des animalischen Magnetismus als Heilmethode“ (1811) und Johann Christian Reils „Rhapsodien über die Anwendung der psychischen Curmethode auf Geisteszerrüttungen“ (1803), in denen er viel über Psychiatrie, Magnetismus und Somnambulismus erfahren hat[57]. Vor allem der tierische Magnetismus und der Somnambulismus hatten seine Phantasie stark beansprucht. Die Lehren, die auf Franz Anton Mesmer und seine Fluidenlehre zurückgehen, übten, nicht nur auf ihn, sehr starken Einfluss in der damaligen Zeit aus. Der Niederschlag davon ist in vielen seiner Erzählungen nachzulesen. Mit diesen Phänomenen hat er sich privat auseinandergesetzt, genau wie mit dem Automatenmotiv, welches er etwa zur selben Zeit in Angriff nahm.
3.1.3 Die Liebeskonzeption
Die Liebeskonzeption des Romans ist ein ganz wichtiger Faktor, weil sie im gesamten Erzählwerk Hoffmanns ähnlich aufgebaut ist. Sie ist insofern für den Roman wichtig, weil sie, bzw. die Sexualität insgemein, die Triebfeder der Handlung ist. Daneben trägt sie zu einer psychologischen Lesart der Ereignisse bei. Das Ideal der Liebe (für Hoffmann) ist als eine „geistig – seelische Liebe“[58] zu verstehen. Diese Liebe ist an ein Ideal geknüpft und zunächst nicht an eine reale Person gebunden. Sobald sie es aber wird, entsteht eine Diskrepanz, die schließlich Medardus’ Inneres zerreißt. Zunächst ist es ein „Bild“ das geschaut werden muss, das eine innere Kraft auslöst[59]. In unserem Falle ist es das Altarbild der heiligen Rosalie. Die Imagination wird geweckt, es entsteht die „Künstlerliebe“, die noch ohne Sexualität auskommt, da sie keine konkrete Materialisation (Verkörperung in der Realität) besitzt. Sobald diese aber zustande kommt, treten Probleme auf. Eine unüberbrückbare Kluft zwischen innerem und äußerem „Bild“ entsteht.
Bei Hoffmann bekommt die Sexualität eine starke Macht, die es schafft, den Mönch zum Mörder zu machen. Der Trieb ist so stark und gewaltig, dass er seine Persönlichkeit spaltet, bis zu dem Moment, an dem die Versuchung in Form des fleischgewordenen Ideals stirbt. Mit ihr stirbt die Versuchung und die Sexualität besänftigt sich, das „wahre Ich“ kann wieder an seine Stelle treten.
Die Tragik dieses Prozesses wurzelt in seiner Jugend. Medardus’ Eintritt in den Orden erfolgt nach seinem ersten erotischen Erlebnis, quasi als Abwehr- oder Schutzreaktion. Durch die Erregung seines Körpers gerät er in einen bisher nicht gekannten Zustand. Als ihn die Frau dann zurückstößt, überträgt er seinen Zorn, seine Unsicherheit, auf sie, das Bild der Frau. Schließlich verdrängt er die hässliche Erfahrung, doch das macht sie nicht ungeschehen. Eingesperrt in die Klostermauern vergeht einige Zeit, bis die Sexualität wieder hervortritt. Um es erneut zu diesem Durchbruch kommen zu lassen, bedarf es zweier Dinge: eines „Bildes“, also der Motivation, und zweitens der willentlichen Hingabe, die Medardus durch den Konsum des Elixiers bestätigt.
Medardus führt auch schon vorher Ersatzhandlungen aus, wie das Predigen, das ihm sehr viel bedeutet. Dadurch wirkt er insbesondere auf die Frauen; zwar nicht körperlich, aber durch sein Wort nimmt er Einfluss auf sie. „Medardus kompensiert mit seinen rauschhaften Predigten die Verdrängung seiner sinnlichen Begierden […]“[60]. Als seine Liebe zu...