"Den Frauen soll man keine Schuhe verkaufen, sondern schöne Beine"
Ernest Dichter (1907-1991)
Was der "Grand Seigneur" der Werbebotschaften und Anhänger Sigmund Freuds vor mehr als einem halben Jahrhundert schon wusste[1], erscheint heute richtiger denn je und erstrahlt dank der Erkenntnisse des Neuromarketings in einem völlig neuen Licht. Das bisher abgetane „Bauchgefühl“, die Intuition des Konsumenten, rückt immer mehr in den Fokus der Aufmerksamkeit, aus der neusten Erkenntnis heraus, dass dieser höchst komplex und emotional ablaufende Prozess nahezu allein über die Entscheidung für oder gegen ein Produkt bestimmt. Moderne bildgebende Verfahren sollen jetzt in der Lage sein die Emotionen im Umgang mit Werbebotschaften sichtbar zu machen und damit dem "Mysterium Konsument" seine Unberechenbarkeit zu nehmen. Werber setzen teilweise große Hoffnungen in die Entwicklung moderner effektiver Werkzeuge um im „Kampf um den Kunden die Nase vorn zu haben“.
Die bisherige Grundlage zur Erklärung des menschlichen Konsumentenverhaltens beruht vorwiegend auf logischen Ansätzen, die überwiegend auf der Bewusstseinsebene argumentieren und dabei nahezu ausschließlich die kognitive Wahrnehmung berücksichtigen. Der teilweise mäßige Erfolg und der Druck in der Werbewirtschaft zwingen immer wieder zum Umdenken und zum Beschreiten neuer Wege. Bisher hatte es noch keine Wissenschaft geschafft unbewusste und bewusste Ansätze sinnvoll miteinander zu verknüpfen.[2] Das lag vor allem an der Schwierigkeit, das Unbewusste mit validen Messwerten zu beschreiben, aus denen Marketingkonzepte generiert werden könnten. Mit Hilfe neuster bildgebender Verfahren versprechen sich die Neuromarketingexperten jetzt einen tieferen Einblick in das Konsumentendenken bzw. das Gefühl. Die Möglichkeit der Visualisierung von Gehirnfunktionen in kostenaufwändigen Untersuchungen werden sorgfältigst interpretiert - dem Konsumenten quasi beim Denken zugeschaut. Es besteht die Hoffnung nun endlich gezielt zu untersuchen, welche Sinnesreize gegeben werden müssen, um einen Kaufakt auszulösen. Die moderne Marketingforschung möchte mit den Erkenntnissen über den „Autopiloten“ im Konsumentenhirn einen Trend in der Entwicklung neuer Konzepte setzen. Konzepte, die effektiv, zielgruppenspezifisch und möglichst „unwiderstehlich“ sind. So setzen Neuromarketingstrategien auf die Messung tiefliegender Bedürfnisse des Konsumenten um im nächsten Schritt erfolgreiche Emotionswelten um ein Produkt zu schaffen, die der Kunde (hauptsächlich unbewusst) wünscht und ihn damit langfristig zu binden.
Der Media Analyzer-Chef Dirk Scheier bringt es mit seiner Meinung auf den Punkt: „Indem wir die Bedürfnisse des Kunden erkennen, geben wir ihm das, was er tatsächlich will. Marketing ist nun einmal Verführung!“[3]
Wenn man sich aber auf die Ebene des unbewussten Emotionalen begibt, befindet man sich sehr schnell in einer ebenso emotional wie heiß geführten Diskussion über Manipulationsvorwürfe durch eine undurchschaubare Wissenschaft, welche sowohl in Deutschland als auch in den USA die Verbraucherschutzorganisationen schon zu heftigem Widerstand angeregt hat. Die Verbraucherschutzorganisation „Commercial Alert“ drang mit diesem Thema bereits bis zum amerikanischen Kongress vor.[4]
Steuert oder manipuliert nun die Werbewirtschaft gar das Kaufverhalten des Konsumenten und lässt sich dieser wirklich durch das Neuromarketing zur willigen „Zahlungsmaschine“ formen? Oder ist die Marketingwelt nicht einfach reif für ein Umdenken und Neuromarketing lediglich eine große Chance zur Sensibilisierung der Werber, auf die wirklichen Bedürfnisse des Konsumenten einzugehen? Wie potent ist diese neue Wissenschaft? Ist sie vielleicht sogar zu wirkungsvoll, so dass es einer politischen Reglementierung bedarf?
Das Problem der Informationsüberlastung („Information Overload“) lässt sich durch die Tatsache, dass der Konsument alleine an einem Tag mit über 3000 Werbekontakten, wie z.B. Mailings, Werbespots, Printanzeigen, Events, etc. in Berührung kommt, nicht mehr wegdiskutieren. Auch die im Supermarkt im Durchschnitt über 10.000 verschiedenen Artikel und ca. 500 Millionen zu besurfende Websites legen dieses Problem eindrucksvoll dar.[5] Sowohl die Marketingexperten als auch das Vertriebspersonal hatten bisher die scheinbar unlösbare Aufgabe, neben all den existierenden qualitativ gleichwertigen Konkurrenzprodukten[6] und einer Überzahl von Produktvariationen den Konsumenten von dem eigenen zu überzeugen. Dabei wurde meist versucht, mit der eigenen Kampagne die Wettbewerber durch so viel Aufmerksamkeit wie möglich auszustechen. Es wurden seit dem Jahre 2000 ca. 80 Milliarden Euro in Werbung investiert und dennoch ist die Markenerinnerung bei den Konsumenten mit den Jahren um 80 Prozent gesunken – Tendenz steigend.[7] Das Marktwachstum stagniert[8] und die Wirkung der klassischen Werbekonzepte scheint rückläufig zu sein.
Genau an dieser offensichtlichen Schwachstelle setzt die Wissenschaft des Neuromarketings an: Durch sie wurde bspw. ermittelt, dass der rationale Kunde offenbar nicht mehr als ein Mythos ist und zwischen 70-80% des Unterbewusstseins über einen Kaufakt entscheiden.[9] Mit dieser Erkenntnis ist es durchaus verständlich, warum so viele Kampagnen, die immer lauter und besser sein wollen, mit genau diesen Maßnahmen scheitern. Neuromarketing, versucht das Problem von einer ganz anderen Seite anzugehen. Es findet Schritt für Schritt, mit der Unterstützung von bildgebenden Verfahren an Probanden und dem Rat aus den verschiedensten Wissenschaften heraus, warum Konsumenten welche Kaufentscheidung treffen und welche Faktoren bei der Wahl für oder gegen einen Kauf von Bedeutung sind. Die entscheidende Rolle spielt hier die Erkenntnis über Emotionen. So können die neuesten Ergebnisse auf die Werbekommunikation übertragen werden und evtl. die Konsumentenzufriedenheit unterstützen – im Idealfall.
Die Popularität dieses vollkommen neuen Ansatzes ist offensichtlich, wenn man allein die Einträge zum Thema Neuromarketing (eng. „Consumer Neuroscience“) in der Suchmaschine „Google“ betrachtet. Während bspw. im Jahre 2001 nahezu noch keine Einträge verzeichnet waren, fanden sich im Jahre 2007 bereits über 400.000 Treffer [10] Zum heutigen Zeitpunkt ist die Millionengrenze fast durchbrochen.[11]
Auch einige Unternehmen, wie Daimler oder Coca Cola, haben bereits das mögliche Potenzial der neuen Wissenschaft erkannt und verfolgen diese mit großem Interesse. Andere Unternehmen, wie z.B. Thinius/Partner[12] oder Retailbranding[13], sehen in dieser neuen Form des Kundenverständnisses darüberhinaus ein so gewinnträchtiges Feld, dass sie bereits Coaching-Kurse zum Thema Neuromarketing anbieten. Und sogar die Bundesregierung will die Hirnforschung, welche durch die Möglichkeit der bildgebenden Verfahren die Grundlage für das Neuromarketing bietet, bis zum Jahre 2010 mit 34 Millionen Euro fördern.[14]
Auf Grund der Schwierigkeiten, die komplexen Zusammenhänge der neuen interdisziplinären Wissenschaft zu verstehen, nimmt ein Großteil der Konsumenten wegen zahlreicher Fehlinformationen der Presse eine eher kritische Haltung zu diesem Thema ein, welche zum Einen das Neuromarketing auf die bildgebenden Verfahren reduziert und zum Anderen durch Unterstellung der Manipulation des Konsumenten[15] das Thema immer wieder mit einer provakanten Färbung in die Schlagzeilen bringt. Dass diese neue Disziplin besonders für das Marketing eine große Chance bedeutet, geht dabei häufig unter. Die vielen Studien an unterschiedlichen Stellen und die dazugewonnenen Erkenntnisse sind für Laien bisher noch sehr ungeordnet und vermitteln leicht den Eindruck eines „Wissenschaftschaos“. Dass die junge Disziplin des Neuromarketings durch die Unterstützung der neuen bildgebenden Verfahren und die daraus folgenden marketingrelevanten Ergebnisse bereits prägende, valide Anwendungsmöglichkeiten und praxisbezogene Ergänzungen für die Marketingkonzeption mit sich bringt und so für ein Umdenken in der Marketinglandschaft spricht, geht bei der Betrachtung dieses Forschungszweiges häufig verloren. Es bedarf daher einer Offenlegung dieser vielversprechend innovativen und interdisziplinären Wissenschaft.
Ziel dieser Arbeit ist es, einen Überblick von der jungen Forschungsdisziplin des Neuromarketings zu geben sowie die neusten Erkenntnisse aufzuführen und zu durchleuchten. Dabei steht zum Einen im Vordergrund, diese interdisziplinäre Wissenschaft weitgehend zu entmystifizieren und zum Anderen, die Wichtigkeit der Emotionen und Bedürfnisse der Konsumenten für das Kaufverhalten aufzuzeigen. Es wird aufgeführt, inwieweit die Anwendung der Neuromarketingansätze schon praxisrelevant und auf werbewirtschaftliche Konzepte zu übertragen sind und welche bisherigen Marketingmodelle und...