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Zwischen Inszenierung und Botschaft

VerlagFrank & Timme
Erscheinungsjahr2006
Seitenanzahl250 Seiten
ISBN9783865960740
FormatPDF
KopierschutzWasserzeichen/DRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis24,99 EUR
Dieser Band versammelt Einzelbeiträge, welche in ihrer Gesamtheit einen Überblick über die Literatur der jüngeren deutschsprachigen Autorinnen ab Ende des 20. Jahrhunderts vermitteln. Im Kontext des 1999 ausgerufenen „literarischen Fräuleinwunders" und bis weit darüber hinaus werden so verschiedene Autorinnen wie Judith Hermann, Alexa Hennig von Lange, Tanja Dückers, Jana Hensel, Terézia Mora und Kathrin Röggla behandelt – und neben dem Schwerpunkt Prosa auch die oft vernachlässigte Dramatik.

Zwischen Inszenierung und Botschaft versteht sich in der Nachfolge der Bände Zwischen Distanz und Nähe. Eine Autorinnengeneration in den 80er Jahren (1998) und Zwischen Trivialität und Postmoderne. Literatur von Frauen in den 90er Jahren (2002).

Die Herausgeberinnen

Ilse Nagelschmidt, außerordentliche Professorin an der Universität Leipzig und Direktorin des Zentrums für Frauen- und Geschlechterforschung.

Lea Müller-Dannhausen, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Germanistik der Universität Leipzig.

Sandy Feldbacher, Absolventin des Instituts für Germanistik der Universität Leipzig. 

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Leseprobe
Heidelinde MÜLLER
Das 'literarische Fräuleinwunder' – Inszenierungen eines Medienphänomens
(S. 39-40)

Die deutsche Literatur galt mit ihren politisch-philosophisch geprägten Betrachtungen und essayistisch ausgebreiteten Selbstfindungsromanen lange als schwierig und ernst. Dieses Bild änderte sich in den 90er Jahren: Junge deutsche Autorinnen und Autoren wurden en vogue und unter dem Schlagwort der 'neuen Lesbarkeit' schien eine neue deutsche Literatur ihren Siegeszug anzutreten. In diesem Kontext wurde dem so genannten 'literarischen Fräuleinwunder' eine Vorreiterrolle zugewiesen. Diese Bezeichnung, die 1999 von Volker Hage in dem Spiegel-Artikel Ganz schön abgedreht geprägt wurde, umfasste eine Gruppe junger Autorinnen, denen eine frische Sprache und eine unverkrampfte Schreibweise bescheinigt wurden. Hage subsumierte so unterschiedliche Autorinnen wie Judith Hermann, Zoë Jenny und Karen Duve unter einem Begriff, indem er ihnen Lust am Erzählen und den Mut, großen Gefühlen Raum zu geben, attestierte. Außerdem betonte Hage, dass diese neuen Autorinnen jung und attraktiv seien. Er ergänzte seinen Artikel mit einer Auswahl von Fotografien, welche die Autorinnen in erotisch-geheimnisvollen bis lasziven Posen zeigen. Diese Aufnahmen, die über das Format des neutral gehaltenen Autorinnenporträts hinausgingen, unterstrichen das Lustvolle, das ihrer Literatur bescheinigt wurde.

Schon eine flüchtige Auseinandersetzung mit dem 'literarischen Fräuleinwunder', das in der Folge im Feuilleton Karriere machte und von vielen Seiten, auch kritisch, aufgegriffen wurde, zeigt, dass hier nicht in erster Linie eine neue Form von Literatur, sondern vielmehr der Typus der schreibenden Frau in Szene gesetzt wurde. Schon bei der flüchtigen Beschäftigung mit den Werken der genannten Autorinnen wird deutlich, dass hier unter einem Begriff eine Vielzahl unterschiedlicher Schreibweisen in den "gleichen weiblichen Eintopf" geworfen wurden. Tatsächlich liegt also der Verdacht nahe, dass diese Gruppenbildung eine Inszenierung ist und zwar die Inszenierung eines an bestimmten Vorstellungen ausgerichteten Autorinnenbildes.

Inszenierungsprozesse spielen im öffentlichen Medienkontext eine immer größere Rolle und auch im Literaturbetrieb bekommen sie ein zunehmend größeres Gewicht. Zwar ist diese Entwicklung nicht neu, auffällig ist dennoch, dass sich Tendenzen der Kommerzialisierung und Medialisierung im Literaturbetrieb verstärkt haben. Die Bedeutung von Inszenierung steigt, weil es im sich ständig schneller drehenden Buch- und Vermarktungskreislauf schwieriger wird, neue Gesichter, Namen und Bücher auf dem Markt zu lancieren. Auch das Schreiben über Literatur wird öffentlichkeitswirksamer, weil ein Buch dann am stärksten in den Fokus des allgemeinen Interesses rückt, wenn es als neu und sensationell dargestellt wird. Im Zuge der Personalisierungstendenzen im Literaturbetrieb hat sich auch die Rolle der Kritikerinnen und Kritiker gewandelt. Sie werden, wie Marcel Reich-Ranicki oder Elke Heidenreich, selbst zu Stars und sind von Vermittlern längst zu Machern von Trends und Stars geworden. Und schließlich hat sich in dem Maße, in dem Literatur sich als Event etabliert, auch das Bild des Schriftstellers verändert: Autoren verkörpern ein Lebensgefühl und ein Image, sie geraten als Mitglieder einer Szene, über Provokationen oder indem sie Klischees bedienen, in den Blickpunkt eines möglichst großen Publikums. Insbesondere jüngere Autoren wissen offensive Formen der Selbstinszenierung zu nutzen, um sich in Szene zu setzen. Auch die Inszenierung von Autorinnen
Inhaltsverzeichnis
Inhalt6
Was kommt nach dem Feminismus?8
Das Fräuleinwunder ist tot – es lebe das Fräuleinwunder14
Literaturgeschichtliche Zusammenhänge17
Traditionslinien22
Themen und Stilmittel24
Kurskorrektur der Literaturkritik33
Schluss und Ausblick37
Das 'literarische Fräuleinwunder' – Inszenierungen eines Medienphänomens40
Karen Duve – 'Emanze mit spitzer Feder' oder 'neue Wilde der Erzählkunst'?43
Alexa Hennig von Lange – jung, frech, Szenefrau?50
Resümee57
Eine 'Generation, die lustvoll erzählt'?60
Rückkehr des Epischen60
Das literarische Ich62
Hier und Jetzt64
Ein neuer Realismus?65
Die Bedeutung des Autobiographischen und Authentischen71
Vom 'Fräuleinwunder' zur neuen Schriftstellerinnengeneration74
Die gender-orientierte Erzähltextanalyse90
Einleitung90
Von der feministischen Literaturwissenschaft zur gender-orientierten91
Erzähltextanalyse – Voraussetzungen91
Die gender-orientierte Erzähltextanalyse94
Beispielanalysen95
Gender-orientierte Erzähltextanalyse zwischen Anspruch und Wirklichkeit105
Vom Stiften und Hinterfragen einer Gedächtnisgemeinschaft in Ostdeutschland108
Einleitung108
Kurze Übersicht zur Literatur der Wendezeit110
Auftakt – Jana Hensels111
'Generation Trabant' versus 'Generation Golf'113
Hensels Bestseller115
Aufgewachsen im oppositionellen Familienkreis117
Das Land, das uns 'gefangen' hält119
Höhepunkt im (ostdeutschen) Leben – die Jugendweihefeier120
Schizophrenie im täglichen Leben122
Zusammenfassung123
Ostdeutsche Literatur126
Über Produktion und Verwaltung der Vergangenheit – die 90er Jahre126
Bewegungen und Gegenbewegungen im Leseland Ost – Willkommen im 21. Jahrhundert131
Erinnerungs- und Gedächtnismuster: Angela Krauß – Jana Hensel134
Versuch über einen Verlust – Schwierigkeiten mit der Identität140
Das Wörterbuch142
Worte sprechen aus ihr heraus145
Diktaturen149
'Was bleibt?'151
"Niemand, den ich kenne, hat Träume wie ich"154
'In-der-Fremde-Sein' – Fremdsein – Anderssein154
Rahmung und Spiegelung: Kompositionsprinzipien in157
Selbst- und Fremdbilder – Gewalt und Lakonik161
Das Sprachengenie Abel Nema in Moras Roman Alle Tage168
Alle Tage und Seltsame Materie als komplementäre Entwürfe174
Die literarische Ethik Terézia Moras177
Liebe als Utopie?180
Pathos der Distanz183
Sex als Platzhalter186
Leiden, Ablehnung, Tod188
Öffentliche Einsamkeit189
'So-ein-Leben-leben'191
Liebe als Utopie194
"... scheiß neue Lust am Erzählen!"198
Terézia Moras 'Labyrinth'198
Antje Rávic Strubels 'Schacht'207
Deutschsprachige Gegenwartsdramatik: Ohne Fräulein? Ohne Wunder?216
Deutschsprachige Gegenwartsdramatik von Autorinnen: ein 'Waisenkind' in der literaturwissenschaftlichen Forschung218
Thematische Schwerpunkte und formalästhetische Konzepte in zeitgenössischen Dramen von 'jungen' Autorinnen219
Jelineks Tochter und das Medienspiel230
Ein Roman in indirekter Rede231
Das Theaterstück einer "Sprachverschieberin"240
Substanz und Stimme – zu Hörbuch und Hörspiel243
Der mediale Echo-Raum245
Die Autorinnen dieses Bandes248

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