Wie schon in der Einleitung erwähnt, bleiben auch schulische Institutionen vor Krisen und Katastrophen aller Art nicht verschont. Für Vorfälle, die Krisen auslösen können, wie beispielsweise die Ereignisse in St. Pölten zeigen, aber auch für Lebenskrisen und Notfälle, die sich im Bereich Schule ereignen, bis hin zu Ereignissen von schwerer zielgerichteter Gewalt müssen Möglichkeiten zur Bewältigung und Steuerungsmöglichkeiten gefunden werden (vgl. Berger, Granzer, Waack, 2010, S.16). Es kostet Überwindung, aber auch das Unsägliche will als Teil menschlicher Empirie untersucht, der Umgang damit gelernt, weitergegeben und festgehalten werden. Wer wünscht sich die Institution Schule nicht als förderlichen Lernort und Insel ohne jede Bedrohung? Es geht hier jedoch in erster Linie darum, so professionell wie möglich mit dem Unmöglichen zurechtzukommen (vgl. ebd.). Schon Caplan (1964) und Erikson (1998) kamen zur Überzeugung, dass ein Scheitern in Krisen zu Krankheit führen kann, während das Bewältigen bzw. Überwinden von Krisen zur Reifung beiträgt (vgl. Caplan, 1964, Erikson, 1998, zit. n. Lindner, 2009, S.32). Die Alternative wäre wohl nur eine Tabuisierung des Unerträglichen, was mit großen Verdrängungsanstrengungen verbunden wäre.
Ob sich eine Krise von außen oder von innen entwickelt, ob sie technischer, ökonomischer, psychologischer oder sozialer Natur ist, Krisen entstehen aus Risiken, da jede menschliche Aktivität mit dem Risiko des Misslingens verbunden ist. Für ein Unternehmen bzw. eine Organisation bedeuten Krisen aus organisatorischer Sicht eine Existenzgefährdung, charakterisiert durch starke Steuerungsprobleme und hohen Entscheidungsdruck (vgl. Berger, Granzer, Waack, 2010, S.17). Menschliches Agieren ist zwangsläufig mit Risiken verbunden. Auch die täglich geleistete Arbeit in der Schule wird zum riskanten Unternehmen, denn die schulische „Hardware“ ist fehleranfällig, denkt man nur an mögliche Unfälle bei diversen Veranstaltungen (vgl. ebd.). Mit der Thematik „Gewalt“ trat in den letzten zwanzig Jahren ein neues, unbekanntes und emotional wie weltanschaulich markantes Problem zutage. Damit entstand aus organisatorischer Sicht ein neuer Risikofaktor für das System Schule, der erst nach einer Reihe veritabler Krisen ins Kalkül gelangt (vgl. ebd.). Organisationen durchlaufen gewissermaßen eine Lernkurve, bevor der neue Risikofaktor in die antizipatorische Wahrnehmung gelangt und präventive Überlegungen im Bereich der organisatorischen Steuerungsarbeit zum Einsatz kommen (vgl. ebd.).
Krisen führen, gleichgültig woher sie stammen, aus organisatorischer Sicht zu einer unstabilen Situation der Organisation Schule. Persönliche Betroffenheit, hoher Entscheidungsdruck und oftmals auch Orientierungslosigkeit erschweren die Sachlage. Direkt Beteiligte benötigen infolgedessen zur Stabilisierung der Situation kompetente Unterstützung, da sie durch schockierende Erlebnisse in ihrer Handlungsfähigkeit oft eingeschränkt sind. Auch im Hinblick auf zu erwartende straf- und disziplinarrechtliche Untersuchungen, die solche Ereignisse nach sich ziehen können, gilt es, so gut wie möglich mit dem Unmöglichen zurechtzukommen (vgl. Berger, Granzer, Waack, 2010, S.16f).
Schulen sind Institutionen, die dazu beitragen, Kindern Wissen und Bildung zu vermitteln und sie zu erziehen. Sie sind Orte, an denen ständig viele Menschen zusammenkommen und viel Zeit gemeinsam verbringen. Neben erfreulichen, fördernden, positiven Erfahrungen, Kontakten und Erlebnissen kommt es aber auch immer wieder zu unangenehmen Ereignissen im pädagogischen Alltag. Gerade diese „kleinen Krisen“ werden von allen Beteiligten, im Besonderen von Lehrer/innen, Schüler/innen und Eltern, täglich mit pädagogischem Geschick bewältigt (vgl. Berger, Granzer, Waack, 2010, S.11). Ein gutes Schulklima mit persönlichen Beziehungen von Schüler/innen zu Lehrer/innen und zwischen Schülerinnen und Schülern, eine Optimierung der Kommunikationskultur sowie Leistungsrückmeldungen, die der individuellen Entwicklung der Lernenden gerecht werden, ermöglichen erfolgreiches Lernen und tragen dazu bei, dass sich alle Beteiligten wohlfühlen und Leistungsbereitschaft sowie soziale und emotionale Kompetenzen gefördert werden (vgl. ebd.).Trotz dieser Präventionsarbeit an Schulen im Hinblick auf Schulprobleme jeder Art können Institutionen mit Ereignissen konfrontiert werden, die ein professionelles Krisenmanagement erfordern.
Solche Ereignisse bzw. Bedrohungen werden, wie in einigen deutschen Bundesländern, z.B. in Berlin und Nordrhein-Westfalen, bereits üblich, in drei Kategorien von Gefährdungsgraden eingeteilt. In dieser schematischen Kategorisierung von Notfällen werden dieselben nicht anhand des Notfalltyps, sondern in Anlehnung an die Ampelfarben nach dem Ausmaß der von ihnen ausgehenden Gefährdung eingeteilt (vgl. Karutz, 2010, S.28):
Abb.8: Notfälle nach Gefährdungsgrad (vgl. Bründel, 2009, S.117)
Manche Geschehnisse können in der Organisation selbst, andere nur im Team bewältigt werden. Die Kategorisierung der Notfälle unterstützt die Arbeit an Notfallplänen und Kriseninterventionskonzepten, die im außerordentlichen Fall die richtigen Informationsund Führungswege strukturell vorgeben (vgl. Randegger, 2011, S.6).
Das Eintreten einer Krise kündigt sich in der Regel ohne große Vorlaufzeit an, sodass meist nur sehr kurze Zeit verbleibt, um Maßnahmen zur Krisenabwehr zu treffen. Bricht eine Krise über eine Schule herein, bei der noch keine Lernkurve durchlaufen wurde, führt das praktisch immer zu einer instabilen Situation (vgl. Berger, Granzer, Waack, 2010, S.18). Meist verfügen weder die Schulleitung noch das Kollegium über geeignete Handlungsroutinen (vgl. Bründel, 2009, S.89). Unter dem Schock der Ereignisse stehen Zuständigkeiten, Regeln, eingespielte Verhaltensmuster, definierte Verfahrensweisen und eingeübte Interaktionen - schlicht die Orientierung stiftenden Funktionen einer Organisation - nicht mehr zur Verfügung (vgl. Berger, Granzer, Waack, 2010, S.18). Zur Bewältigung solcher Extremstressereignisse ist es nützlich, wenn auf ein Mindestmaß an Ausweichmustern in Form von Krisen- bzw. Handlungsplänen zurückgegriffen werden kann (vgl. ebd.).
Bei schwerwiegenden Krisen hat das den Vorteil, dass
Handlungsfelder für einzelne Personen klar umrissen sind,
Gefühle von Macht- und Hilflosigkeit reduziert werden,
Fehler vermieden werden, die eine weitere Eskalation bedeuten können,
man Orientierungslosigkeit durch neue Strukturen ausgleichen kann,
die Schulgemeinschaft unterstützt wird,
eine schnellere emotionale Regulierung beginnen kann und
eine rasche Rückführung in die Normalität erfolgt.
(vgl. Deseniß, Schulte-Nikoleyczik, 2010, S.8).
Um eine Krise professionell zu bewältigen, bedarf es somit grundlegender Vorbereitungen: zum einen der Bildung eines Krisenteams, das im gegebenen Fall das Management übernimmt und die notwendigen Aufgaben und Handlungsschritte an die einzelnen Teammitglieder verteilt (vgl. Bründel, 2009, S.90), zum anderen ist es notwendig, dass jede Schule ein zusätzliches individuelles Kriseninterventionskonzept vorbereitet, das im Notfall die richtigen Informations- und Führungswege strukturell vorgibt. Den Rahmen dafür bilden die örtlichen Gegebenheiten im Bereich der Infrastruktur, interner personeller Ressourcen und externer Hilfsangebote (vgl. Randegger, 2011, S.6).
Krisen unterscheiden sich grundsätzlich in zwei unterschiedlichen Verläufen:
als Krise, die sich entwickelt und aufbaut, oder
als Überraschungskrise, die plötzlich und unerwartet eintritt.
Betrachtet man eine sich entwickelnde Krise, das sind Problemsituationen, bei denen noch keine Lernkurve durchlaufen wurde, wie sie etwa Mobbingvorfälle darstellen, nimmt die Intensität mit der Zeit bis zu einem Kulminationspunkt zu und flacht dann in der Regel langsamer ab (vgl. Berger, Granzer, Waack, 2010, S.18).
Plötzlich auftauchende Krisensituationen, wie Brände, Erdbeben und Gewalterscheinungen, wie sie etwa Amokläufe o.Ä. darstellen, haben keine Ambivalenzphasen und treten sofort in Erscheinung. Sie fordern sofortiges Handeln und ziehen meist den Zusammenbruch des Ist-Zustandes einer Organisation nach sich, da sich die Realität schlagartig verändert hat. Zuständigkeiten, Regeln, eingespielte Verhaltensmuster, definierte Verfahrensweisen sowie eingeübte Interaktionen und Strukturen sind wesentliche Teile dessen, was eine Organisation ausmacht. In extremen und existenzgefährdenden Bedrohungslagen sind sie nicht mehr verfügbar (vgl. ebd.). Schefold (2008) spricht von einer Erschütterung der Ordnung, die zu Anomie führt und von den...