1 In eigener Sache
Sehr geehrte Privatanleger!
So beginne ich seit mehr als zehn Jahren meine Briefe an Börsen- und Aktieninteressierte. Hier habe ich die besten und lehrreichsten Kolumnen aus dieser Zeit für Sie zusammengestellt.
Es war immer mein Ziel, Ihnen eine unabhängige Alternative zu bieten, sich über die Finanzmärkte zu informieren und Ihre Finanzen in die eigenen Hände zu nehmen. Ich will Ihnen helfen, die Börsenturbulenzen zu überstehen, Ihr Vermögen zu sichern und zu vermehren.
Im Dezember 1998 bekam ich als Assistant Professor an der Boston University eine gut geschriebene Analyse des Finanzinformationsdienstes Motley Fool in die Hände. Das Internet-Unternehmen amazon.com wurde dort analysiert – sachlich fundiert, mit hohem Wert für Anleger und in einem witzigen, zeitgemäßen Stil. Sofort war mir klar, dass Deutschland auch so etwas brauchte. Der gerade gegründete Neue Markt lief heiß. Börsenjünglinge mit Milchgesichtern und Unternehmen, die nur Verlust machten, scheffelten Millionen. Die Gier ging um – und Unvernunft. Orientierung war dringend nötig.
Zwar wurden einige steinreich, aber mir war klar, dass viele andere Menschen viel Geld verlieren würden. Ich wollte helfen, dass sich Privatanleger besser im Börsendschungel zurechtfinden. Ja, Sie können an der Börse Geld verdienen – aber nicht so, wie die meisten sich das vorstellen. Mit »heißen« Aktien oder Neuemissionen geht es zum Beispiel eher nicht. Wie oft bin ich zwischen 2005 und 2008 auf die Aktie der SolarWorld AG angesprochen worden. Von unter 30 Cent im Jahr 2003 schoss der Titel auf 50 Euro im Jahr 2007 – nahezu 18.000 % Plus. Und heute, im Juli 2013, ist die Aktie wieder bei 50 Cent angelangt. Meine Meinung zu Solarwerten war damals immer: Finger weg! Stattdessen können auch ganz einfache Aktienstrategien erfolgreich sein (siehe 1.5 Meine Tante, das Aktiengenie!).
Also kündigte ich meine sichere Stellung an der Boston University und machte einen Kopfsprung in das kalte oder eher »heiße« Wasser der New Economy. Nach gescheiterten Gesprächen mit dem Motley Fool und kurzlebigen Joint Ventures mit der wallstreet:online AG, der freenet AG und der OnVista AG hatte ich mich freigeschwommen und konnte 2003 mein eigenes Unternehmen gründen, das IFVE Institut für Vermögensentwicklung in Köln. Hier produzieren wir nun seit zehn Jahren unsere Analysen.
Die Zeit zwischen der Kündigung meiner Professur und der Gründung des Instituts war sehr turbulent. Ich musste eine Insolvenz überstehen, Klagen starker Gegner wie der freenet AG und der OnVista AG abwehren und sogar einen großen Teil meiner Gitarrensammlung verkaufen, um liquide zu bleiben. Meine Tochter Sophie Elisabeth wurde im November 2003 geboren und im Dezember 2004 mein Sohn Carl Jonathan. Hätte ich nicht im Sommer 2001 einen Ruf als Professor an die Fachhochschule Worms angenommen, hätte ich aufgeben müssen. So war ich zwar beruflich doppelt belastet, aber IFVE überlebte. Dazu hat auch die Mutter meiner Kinder, Dipl.-Kffr. Katja Zacharias, als Finanzanalystin beigetragen. Auch sie hat harte Jahre hinter sich. Darauf, auf unsere Kinder und auf das, was aus unserer Arbeit geworden ist, können wir beide stolz sein, obwohl wir seit 2007 getrennt leben.
Man könnte noch viel mehr über die Gründungszeit des IFVE schreiben. Es ist ein Lehrstück der New Economy und der menschlichen Natur. Loyalität, Verrat, Gier, Fleiß, Dummheit und Klugheit – alles kommt vor. Aber das ist einem anderen Buch vorbehalten. Vielleicht gibt es diese Zwischenbilanz zu meinem fünfzigsten Geburtstag.
In diesem Buch geht es um Inhalte, um das Ergebnis unserer Arbeit, nicht um unsere Geschichte. Ich habe Ihnen die besten Kolumnen der letzten zehn Jahre zusammengestellt. An einigen Stellen habe ich Kürzungen vorgenommen, die ich durch (…) gekennzeichnet habe. Ansonsten wurde an den Texten bis auf kleinere sprachliche Korrekturen nichts verändert. Viele davon sind treffsichere Prognosen und Analysen. Ich bin schon etwas stolz darauf, dass wir Ihnen meistens das Richtige geraten haben. Manchmal lag ich auch kolossal daneben (siehe 7.7 Praktiker muss Insolvenz anmelden vom 12.07.2013). Auch davon können Sie lernen.
Das Buch ist in acht Kapitel unterteilt. Die Kapitel, die sich mit der Wirtschaftsentwicklung und der Politik befassen wie auch die Kapitel zu Aktien und einzelnen Anlageklassen, sind chronologisch geordnet. Bei den Kapiteln 4.1 und 4.2 bin ich von der zeitlichen Gliederung abgewichen und habe der Sachlogik den Vorrang gegeben.
In diesem ersten Kapitel lesen Sie einige Kolumnen, die schlaglichtartig unsere Arbeit beleuchten. Im zweiten Kapitel können Sie ein Börsenjahrzehnt im Rückblick verfolgen. Im dritten Kapitel stelle ich Ihnen schädliche Produkte und negative Praktiken der Finanzbranche vor. Im vierten Kapitel geht es um Börsenstrategien und Anlegerfallen. Vor allem das erste Unterkapitel ist etwas Hardcore. Überspringen Sie es, wenn es Ihnen zu schwer scheint, und kommen Sie später darauf zurück. In den Kapiteln 5 und 6 geht es um einzelne Anlagen und Anlageklassen. In Kapitel 7 finden Sie Anlagebeispiele aus unseren Online-Portfolios. In Kapitel 8 geht es schließlich um die Politik. Überschrieben habe ich es mit Armes Deutschland.
Wenn man sich den Verlauf des DAX seit der Technologieblase anschaut, dann zeigt sich ein regelmäßiges Muster aus Gier und Furcht. Nach der Euphorie des Jahres 2000 folgte Anfang 2003 zeitgleich mit dem zweiten Irakkrieg der Totalausverkauf. Gerade, als die Anleger wieder Interesse zeigten, kündigte sich 2007 die Finanzkrise an, die dann 2008 mit voller Wucht über uns hereinbrach. Nach der Erholung im Jahr 2009 kam dann 2010 die nächste Krise, die sogenannte Eurokrise.
Im Jahr 2006 wurde ich noch von einer politischen Stiftung wieder ausgeladen, nachdem man dort mein Buch Der Crash kommt gelesen hatte (siehe 1.4 Ausgeladen! vom 14.07.2006). Das war unschön. Ähnliches sollte mir noch einige Male passieren. Und dann kam die Krise – just mit der Wucht, die ich im Buch vorausgesagt hatte. In den nächsten Jahren hielt die Finanzkrise nicht nur die Märkte, sondern auch mich in Atem. Ich wurde zum Dauergast in den Medien. Aber ich würde mich nicht verbiegen, um in die Medien zu kommen. Ich bin Ihnen, den Privatanlegern, verpflichtet.
Nach drei Krisen ist die Verunsicherung der deutschen Anleger so stark wie eh und je. Obwohl ich mittlerweile mit meinen Büchern und mehr als 300 Vorträgen sowie unzähligen Medienterminen Millionen von Menschen erreicht habe, mangelt es oftmals selbst am Basiswissen der Finanzanlage. Dabei finden sich in Deutschland, aber vor allem in den europäischen Ländern rings um uns herum genug attraktive Aktien. Erstaunlich ist zum Beispiel, dass die gigantische amerikanische Fondsgesellschaft BlackRock drei, vier oder mehr Prozent an den meisten DAX-Konzernen hält, während deutsche Versicherer brav Staatsanleihen halten. Da kann doch etwas nicht stimmen! (Siehe 4.2.15 Was weiß BlackRock, was die Deutschen nicht wissen? vom 21.1.2011.)
Warum der DAX auch 2013 nicht überbewertet ist und warum es in Europa noch viele Chancen gibt, können Sie in der Kolumne 2.3.24 Fünf Komma vier Prozent vom 21.06.2013 nachlesen.
Auf gute Investments!
Max Otte
Blankenheimerdorf, im Juli 2013
1.1 Lassen Sie uns gemeinsam den Index schlagen!
Ausgabe 41/2003 vom 10.10.2003
Es gibt eine ganz einfache Frage, mit der Sie sofort erkennen können, ob ein Portfoliomanager oder Analyst etwas taugt: Schlägt er mit seinem Portfolio den Vergleichsindex?
Gelingt ihm dies, können Sie sich näher mit seinen Empfehlungen beschäftigen. Gelingt ihm dies nicht, vergessen Sie besser seine Empfehlungen. Es ist dann sehr wahrscheinlich, dass er sein Geld mit dem Füllen von Papierseiten verdient, nicht mit dem Herausfinden erfolgreicher Investments.
Alle meine Musterportfolios haben den DAX geschlagen (…), und zwar ohne häufiges Kaufen und Verkaufen.
Wenn Sie mein erstes Aktienbuch Investieren statt Sparen (Econ, 2000) gelesen haben, kennen Sie das Wunder des Zinseszinses.
Hätten Sie 1949 zur Gründung der Bundesrepublik in beliebige DAX-Werte investiert, hätten Sie bis heute durchschnittlich 10,1 % p. a. Rendite erzielt. Aus 1000 DM wären 180.000 DM geworden. Mit meinem Kaufleute- und meinem Königsportfolio habe ich den DAX in den letzten vier Jahren um 1,9 und 1,7 % pro Jahr geschlagen. Aus 1000 DM im Jahre 1949 wären 412.000 DM (Königsportfolio) und 454.000 DM (Kaufleuteportfolio) geworden.
In wenigen Wochen wird die Idee der IFVE Institut für Vermögensentwicklung GmbH fünf Jahre alt. Trotz aller Turbulenzen der letzten Zeit ist es meine Verpflichtung, langfristig für Sie da zu sein.
Am 18.10.2003 fand in Köln der fünfte Investorentag statt. Im Dezember 1998 wurde mir klar, dass Deutschland dringend einen unabhängigen Aktieninformationsdienst braucht. Viele Anleger waren im Neue-Markt-Fieber. Die »Hausfrauen-Hausse« bahnte sich an. Die Finanzmedien und die Analysten der Banken empfahlen unkritisch einen NEMAX-Wert nach dem anderen. Und ich warnte vor Neuemissionen und empfahl stattdessen, in solide Werte zu investieren (aber eben NICHT ganz normale DAX-Werte, denn die hielt ich auch für unsolide). In meinem Regal steht noch die Kopie eines Bloomberg-Interviews aus dem Jahre 2000, in dem ich zum Beispiel vor EM.TV und Intershop warnte.
Dabei bin ich kein Crash-Prophet, sondern...