In der Folge stelle ich die Grundlagen dar, aus denen sich die Integrative Traumatherapie IBP entwickelt hat. Dazu gehören Bausteine der Integrativen Körperpsychotherapie IBP, die in den späten 60iger Jahren von Jack Lee Rosenberg in Kaliforniern begründet und zusammen mit Marjorie L. Rand, Beverly Kitaen Morse, Andrea Juhan und Markus Fischer weiterentwickelt wurde.[116] Implizit sind in die Integrative Körperpsychotherapie IBP (in der Folge IBP genannt) wesentliche Elemente der Gestalttherapie von Frederick S. Perls eingeflossen. Es haben auch einige Elemente der Traumatherapie „Somatic experiencing“ von Peter A. Levine durch M. Fischer Eingang in die IBP gefunden: Das Modell der unvollständigen Stressreaktion als Ausgangspunkt für „unfinished business“ als Kern der Traumareaktionen, das Modell des Pendelns und des Titrierens als Kern der Traumaverarbeitung. Darauf gehe ich unten (Kap. 6.1.2.3) ein.[117]
IBP ist eine umfassende integrative körperpsychotherapeutische Konzeption mit einem ebenso umfassenden integrativen metatheoretischen Hintergrund. Ich werde diejenigen metatheoretischen Grundlagen und Elemente aus Therapietheorie, Praxistheorie und neurobiologischem Hintergrund – letzteres ergänzend und im Rückgriff auf Kap. 5 – die auch für die Entwicklung der Integrativen Traumatherapie IBP von Bedeutung sind, hier skizzieren.
IBP als Methode, die insbesondere die somatische Dimension einbezieht, integriert Wissen aus den Geistes-, Sozial- und Naturwissenschaften. Auf dem Hintergrund des Spannungsfeldes der monokausal-mechanistischen, dualistischen Wissenschaftsparadigmen aus dem 17. Jahrhundert (Newton, Descartes)[118] und des zirkulär-kausalen, systemisch-komplexen, holistischen Wissenschaftsparadigmas des späten 20. Jahrhunderts ist für IBP die auf die Paradigmen der Physiker Einstein und Heisenberg zurückgehende Erkenntnis wegweisend, dass Forscherin und Forschungsgegenstand resp. das Beforschte oder der zu untersuchende Mensch nicht zu trennen sind, sondern dass immer das Zusammenspiel zwischen der Natur – dem beforschten Individuum – und uns als Forscherin zu beachten ist.[119] Eine Wissenschaftstheorie für eine Wissenschaft, die den Mensch ins Zentrum stellt, muss der zentralen Bedeutung von Beziehung, Dialog und Zirkularität Rechnung tragen. Systemische, prozessorientierte Wissenschaftsmodelle, wie sie zum Teil von Mussmann[120] als Selbstorganisationsmodelle zusammengefasst werden, kommen dem Menschen in seinem bio-psychosozialen Eingebundensein sehr nahe. Jedes dieser selbstorganisierenden Systeme besteht aus Subsystemen (aufgenommen im übergeordneten System – aber mit eigenständigen Merkmalen): Zelle – Organ – Organismus / Mensch – Familie – Nachbarschaft – Stadt – Land – Planet Erde – Kosmos. Die Subsysteme sind eigenständig, hängen aber dennoch alle voneinander ab; beispielsweise werden im IBP somatische – emotionale – kognitive – behaviorale und soziale Subsysteme oder Stufen unterschieden, die alle nach eigenständigen „Gesetzen“ funktionieren (für die somatische Ebene: Zellen, Autonomes Nervensystem, Blutkreislauf...), aber alle voneinander abhängig sind.
Die Theorie der autopoietischen Systeme, von den Neurobiologen Maturana und Varela begründet und von Roth[121] u.a. weiterentwickelt, die auf der Überzeugung beruht, dass das Nervensystem keine absolute Wirklichkeit vermitteln kann, beschreibt den Menschen als selbstorganisiertes System, das gemäss seiner inneren Logik auf die Umwelt reagiert[122]; zwar reizbezogen, aber individuell strukturdeterminiert. Maturana führt dazu aus, dass wir die Welt, in der wir leben, buchstäblich selber erzeugen.[123] Für die – erfolgreiche – Traumatherapie sind diese Ansätze entscheidend.
Der „Bootstrap“-Ansatz von Chew, der ursprünglich aus der Quantenphysik entwickelt wurde, trägt dem komplexen, multidimensionalen Forschungsfeld, mit dem wir es zu tun haben, wenn wir uns dem „Forschungsgegenstand“ Mensch widmen, Rechnung, indem alle Phänomene, physikalische, biologische, psychische, gesellschaftliche und kulturelle als grundsätzlich miteinander verbunden und voneinander abhängig betrachtet werden.[124]
Erkenntnistheoretisch wird von der Zirkularität der Erkenntnisprozesse[125] ausgegangen, indem Ausgangs- und Zielpunkt ein Problem eines Patienten (z.B. ein Symptom) ist und – ausgehend von der oben aufgeführten Körper-Seele-Geist-Umwelt – Vernetzung des Menschen und der Autopoiese – folgende nebeneinander stehende und gleichwertige forschungsleitende Erkenntnisinteressen formuliert werden: Das phänomenale (was passiert?), das kausal-finale (warum? wozu?) und das aktionale (was ist zu tun?) Erkenntnisinteresse, das – ganzheitlich über das „Bug-Modell“ (vgl. Kap. 6.1.2.3) erarbeitet – mit dem Patienten zu einer Verbesserung der Symptomatik führen sollte, ist als Spiralprozess zu verstehen im phänomenologisch-hermeneutischen Erkenntnisweg, der auch für IBP und die Integrative Traumatherapie IBP Gültigkeit hat[126]:
„Erkenntnis gewinnt man im hermeneutischen Prozess über Wahrnehmen, Erfassen, Verstehen und Erklären. Das Ergebnis eines solchen Weges ist eine vorläufige Erkenntnis, die eine neue, dann leicht veränderte Sicht auf die Phänomene erlaubt: Damit kann eine neue Phase von Wahrnehmen, Erfassen, Verstehen und Erklären beginnen. Hermeneutische Erkenntnis ist also als Spiralprozess zu verstehen.“[127]
Ebenso wegweisend für IBP ist der Erkenntnisweg des Pragmatismus, der auf Charles S. Peirce zurückgeht und von William James weiterentwickelt wurde. Er betonte, dass als einzig annehmbare Wahrheit gilt, was für jeden Teil des Lebens am geeignetsten ist[128] ; eine Philosophie, die Rosenberg[129] stark beeinflusst hat und die für Markus Fischers Weiterentwicklung des IBP-Therapiemodells und der Entwicklung der Integrativen Traumatherapie IBP grundlegend ist.
Erkenntnisse müssen in der Psychotherapie und Traumapsychotherapie gewonnen werden, um therapeutisch im Sinne der Patientin möglichst effizient handeln zu können. In diesem Sinne wird täglich Aktionsforschung betrieben; die übliche Trennung zwischen Forschung und Praxis wird dabei praktisch aufgehoben. Die Integrative Körperpsychotherapie IBP ist eine – abgesehen von der pragmatischen Aktionsforschung – noch wenig beforschte Therapierichtung. Es existiert jedoch die 2006 abgeschlossene Studie EWAK (Evaluation der Wirksamkeit von ambulanten Körperpsychotherapien), eine Multizenterstudie in Deutschland und der Schweiz, auf die ich in Kap. 8.1 eingehen werde, die die Wirksamkeit von IBP sowie von weiteren körperpsychotherapeutischen Methoden belegt.[130]
Es gibt auch erste Zwischenergebnisse der PAP-S-Studie (Psychotherapiestudie Ambulante Psychotherapie – Schweiz, vgl. Kap. 8.1).[131]
IBP – Begründer der ersten und zweiten Generation pflegen in der pragmatischen Aktionsforschung einen kritischen Eklektizismus, der es erlaubt und auch erfordert, Handeln, Erklärungsversuche, Theorien und Theoriemodifikationen ständig zu überprüfen und auch wieder in Frage zu stellen, sich nicht vorschnell auf Standpunkte festzulegen, offen zu bleiben und auch divergierende Erklärungsansätze nebeneinander stehen zu lassen. Auf dem Hintergrund der Haltung des Pragmatismus und der Frage, was effizient ist, ist mit diesem Ansatz der Gesundung und Entwicklung der Patientinnen am besten gedient.[132]
6.1.1.1 Menschenbild und Therapieverständnis
Das Menschenbild von IBP und Integrativen Traumatherapie IBP baut im Wesentlichen auf dem Menschenbild der Humanistischen Psychotherapie auf mit den folgenden fünf Prinzipien, die James F.T. Bugental 1964 unter dem Titel „Basic Postulates and Orientation of Humanistic Psychology“ vorgestellt hat:
„1. Der Mensch in seiner Eigenschaft als menschliches Wesen ist mehr als die Summe seiner Bestandteile.
2. Das menschliche Existieren vollzieht sich in menschlichen Zusammenhängen.
3. Der Mensch lebt bewusst.
4. Der Mensch ist in der Lage zu wählen und zu entscheiden.
5. Der Mensch ist zielgerichtet.“[133]
In jedem dieser fünf Prinzipien finden wir die Integration, für IBP auf jeder Ebene basaler Begriff und Werkzeug, wieder. Für das erste Prinzip bedeutet das zum Beispiel, dass der Mensch aufgrund des (mehr oder weniger) gelungenen Ineinandergreifens, der integrativen Tätigkeit der verschiedenen Subsysteme lebt, die sein Dasein ausmachen (vgl. Kap. 6.1.1).
Dass der Mensch – wie in Prinzip 4 postuliert wird – in der Lage sei zu wählen und zu entscheiden, möchte ich[134] nur eingeschränkt gelten lassen. Historisches, kulturelles, soziales, familiäres Eingebundensein schränken diese...