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Senioren-Hausgemeinschaften: Genussvolles Altern dank Biografiearbeit

AutorJohanna Kiessig
VerlagDiplomica Verlag GmbH
Erscheinungsjahr2013
Seitenanzahl100 Seiten
ISBN9783842834019
FormatPDF
Kopierschutzkein Kopierschutz/DRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis29,99 EUR
Der Pflegeskandal 2012 verdeutlich die aktuelle Problemlage: Um Geld und Personal einzusparen werden unzählige Demenzkranke mit Medikamenten ruhig gestellt. Experten sprechen in diesem Zusammenhang sogar von 'chemischer Gewalt'. Die Krankheit Demenz ist ein gesellschaftliches Phänomen, welches auf Grund des demografischen Wandels immer präsenter wird. Bereits der Gedanke an einen Lebensabend im Altersheim ist für viele Menschen und deren Angehörige ein Alptraum. Dennoch ist der Umzug in eine stationäre Einrichtung oft unumgänglich. Zurzeit werden mehr als zwei Drittel der Pflegebedürftigen in Deutschland zu Hause versorgt, doch sind die Angehörigen mit der Pflege häufig überfordert. Auf dem Weg zur Seniorengesellschaft sind daher neue Lösungen gefragt - Alternativen zu Altersheimen und neue Umgangsformen mit Demenz. Das Ziel dieses Buches ist es, eine alternative Wohnform zum Altersheim für Menschen mit Demenz, die sogenannten Hausgemeinschaften, vorzustellen. Eine spezielle Problematik ist auch die Situation der Senioren: Die Zahl der mangelernährten Senioren hat in den letzten zwei Jahren um 52% zugenommen. Um der Mangelernährung entgegenzuwirken gibt es unterschiedliche Methoden. Die vorliegende Studie untersucht, ob Biografiearbeit auf die Speisenversorgung übertragen und so Mangelernährung verhindert und die Nahrungsaufnahme demenzkranker Personen in Hausgemeinschaften sichergestellt bzw. verbessert werden kann. Im Rahmen der vorliegenden Analyse wurden kulturelle Unterschiede bei der Umsetzung biografieorientierter Speisenversorgung in französischen und deutschen Hausgemeinschaften untersucht.

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Leseprobe
Textprobe: Kapitel 3.2, Begriffe: Cantou und Hausgemeinschaft: Der Begriff Cantou stammt aus dem Provenzalischen und bedeutet Feuerstelle. Damit ist die Ess-Ecke bzw. der Kamin gemeint, an welchem die Familienmitglieder im Südwesten Frankreichs in ihren Häusern zusammenkamen. Der Großteil des Familienlebens spielte sich vor dieser Feuerstelle ab und war damit ein Ort der Kommunikation und Begegnung. Neben diesem Wortursprung existiert auch die vor allem durch die Association Belge des Cantous weit verbreitete Definition 'Centre d'Activités Naturelles Tirées d'Occupation Utiles' ('Wohnbereich mit Animationen, die sich am natürlichen, Biographie gestützten Tagesablauf des Bewohners orientieren'). Diese Definition kommt dem noch häufiger verwendeten Ausdruck Unité de vie oder Unité Alzheimer etwas näher. Bei diesen Begriffsverwendungen für die französischen Hausgemeinschaften stehen vor allem die 'Einheit' und der Zusammenhalt im Vordergrund und sind, im Gegensatz zu 'Cantou', für jeden sofort verständlich und daher weiter verbreitet. Unter diesen Begriffen ist demzufolge eine Wohngemeinschaft zu verstehen, welche vor allem für demente Bewohner und Bewohnerinnen geschaffen wurde, um für diese Personengruppe eine familienähnliche Lebenssituation und sichere Umgebung zu schaffen. Als 'Feuerstelle' ist hierbei die '[...] an der Biografie der Bewohner orientierte, [....], für die Bewältigung des gesamten Haushaltsführung voll funktionsfähige Wohnküche' zu verstehen, welche als zentraler Aufenthalts- und Kommunikationsort für jeden Bewohner fungiert. Der deutsche Begriff 'Hausgemeinschaft' inkludiert, wie auch die Unités de vie, die im Vordergrund stehende Gemeinschaft. Anders als in einer Wohngemeinschaft hat in einer Hausgemeinschaft jeder seinen eigenen privaten Bereich sowie meist auch ein eigenes Badezimmer. Man teilt sich demnach ein Haus oder eine Wohnung und hat - daher auch das Wort 'Gemeinschaft' - untereinander Kontakt. Dadurch gibt sie den Menschen zum einen die soziale Sicherheit des Kollektivs und damit Geborgenheit, zum anderen schafft sie auch die vor allem für ältere Menschen wichtige Privatsphäre und Distanzmöglichkeiten. 3.3, Prinzipien: Das Konzept der Cantous stützt sich auf die Grundprinzipien Subsidiarität und Gemeinschaft. Durch Ersteres soll im Besonderen die Autonomie der Bewohner gewahrt werden. Eigenständigkeit und vor allem der Erhalt bzw. die Reaktivierung der Fähigkeiten sind Ziele dieses Grundsatzes. Gleichzeitig soll den Bewohnern Sicherheit durch feste Bezugspersonen und Mitbewohner sowie einer konstanten Umgebung gegeben werden. Unter dem Subsidiaritätsprinzip versteht man in diesem Kontext die Hilfe zur Selbsthilfe - jeder Bewohner erhält so viel Unterstützung wie nötig um die individuellen Fähigkeiten aufrecht zu erhalten und sich zu versorgen. Der Grundsatz der Gemeinschaft beinhaltet zum einem den familiären Zusammenhalt und zum anderen die Zusammenarbeit in der Gruppe. Das Miteinander zwischen allen im Cantou mitwirkenden Parteien - den dementen Personen, ihren Angehörigen und den Mitarbeitern - ist dabei von elementarer Bedeutung und soll ebenfalls die Selbstständigkeit unterstützen. Dabei wird jeder Bewohner in die Gruppe und damit in alle anfallenden täglichen Aufgaben integriert und zur Teilhabe aktiviert., Dem Menschenbild der Cantou-Philosophie liegt damit nicht ein kranker, 'unbrauchbarer' Mensch, sondern die Wertschätzung jedes Einzelnen und die Nutzung seiner Potenziale zu Grunde. Es wird versucht, den dementen Personen ein Leben zu bieten, welches sich an den normalen Abläufen ihres vorherigen Lebensinhalts orientiert. 'Künstliche' Beschäftigungen werden möglichst vermieden, denn den Bewohnern soll das Gefühl vermittelt werden, dass sie gebraucht werden, weshalb sie nützliche, ihnen bekannte Tätigkeiten ausführen sollten. Auch bei der Kommunikation stützt man sich nicht auf Gedächtnisleistungen, sondern auf Erfahrbares. Besonders im Vordergrund stehen dabei Tätigkeiten im Haushalt. Die gemeinsame Mahlzeitenzubereitung oder das Aufhängen von Wäsche sind Beschäftigungen, welche die Bewohner häufig durch eigene Erfahrungen problemlos ausführen können. Die hauswirtschaftlichen Tätigkeiten sollen nicht wie Beschäftigungsangebote zu bestimmten Zeitpunkten stattfinden, sondern in den Alltag integriert werden. Dieser partizipative Ansatz setzt damit die Schwerpunkte auf Teilhabe, Selbstständigkeit und hauswirtschaftliche Betreuung. Bei all diesen Tätigkeiten ist jedoch grundsätzlich die individuelle Pflegebedürftigkeit der einzelnen Personen zu berücksichtigen. Jeder soll gefordert, aber nicht überfordert werden, um eine Selbstwertsteigerung zu erfahren. Dem Prinzip des ersten Cantou Frankreichs Foyer Emilie de Rodat zufolge spielen auch Krankheiten eine eher untergeordnete Rolle. Diese schränken nur ein, weshalb auch für die Aufnahme in das Cantou keine ärztlichen Diagnosen notwendig sind. Es reiche die Aussage der Angehörigen, welche Überforderung und Unmöglichkeit weiterer Betreuung der betroffenen Person ausdrücke. Auch in Deutschland seien nicht die ärztliche Diagnose, sondern Beobachtungen durch die Betreuung und Einrichtungsleitung ausschlaggebend. 3.4, Struktur: Eine deutsche Hausgemeinschaft setzt sich aus 6-12 Bewohnern zusammen. Das Optimum liegt dem Kuratorium deutscher Altershilfe (KDA) zufolge bei 6-8 Personen für Hausgemeinschaften, in französischen Cantous leben hingegen bis zu 18 Personen zusammen. Jeder Bewohner hat sein eigenes Zimmer inklusive Nasszelle, zusätzlich existiert ein Gemeinschaftsraum bzw. eine offene Küche, welcher als Hauptaufenthaltsort der Bewohner dient. Hausgemeinschaften sind meist eigenständig und unabhängig organisiert, können aber mitunter an ein Altenheim angegliedert oder als Verbundsystem mit mehreren Hausgemeinschaften existieren. Heimstrukturen werden weitestgehend abgeschafft, d.h. es wird versucht, die Trennung hauswirtschaftlicher Tätigkeiten vom Alltagsleben zu überwinden und dadurch eine größere Normalität zu schaffen. Dabei soll nicht der Alltag an die Pflege und Betreuung angepasst werden, sondern die Pflege soll sich nach dem Alltag richten. 'In der Hausgemeinschaft dominiert die individuelle Wohn- und Lebensgestaltung. Das Leben [...] ist ressourcenorientiert, also darauf ausgerichtet, die Fähigkeiten der Bewohner zu erhalten und zu stärken und Selbstständigkeit zu fördern.' Im Fokus stehen nach diesem Konzept die demente Person und ihr Zustand. Es wird nicht im Voraus vom Heim entschieden, welche Leistungen geboten werden, sondern erst nach Prüfung der Notwendigkeit. Je nach Cantou oder Hausgemeinschaft werden für die pflegerischen Dienstleistungen auch externe Kooperationspartner wie ambulante Dienste hinzugezogen. Hausgemeinschaften können nach Arend in Anlehnung an Winter in drei verschiedene Formen untergliedert werden: solitäre Hausgemeinschaften, Hausgemeinschaften als Teil von vollstationären Pflegeeinrichtungen sowie Hausgemeinschaftskomplexe. Wie bereits beschrieben, ist davon auch die Struktur abhängig: Eine völlig autarke Organisation findet nur bei den eigenständigen, solitären Einrichtungen statt. Bei Hausgemeinschaftskomplexen, wo also mehrere Hausgemeinschaften gemeinsam organisiert werden, können Synergieeffekte genutzt werden - es braucht nachts z.B. weniger Personal und der Einkauf kann gemeinsam ausgeführt werden.
Blick ins Buch
Inhaltsverzeichnis
Senioren-Hausgemeinschaften: Genussvolles Altern dank Biografiearbeit1
I. Inhaltsverzeichnis3
II. Verzeichnis der Abbildungen und Tabellen5
III. Abkürzungsverzeichnis6
IV. Zusammenfassung7
1. Einleitung11
2. Demografischer Wandel12
3. Cantous und Hausgemeinschaften14
3.1 Der Entwicklungsprozess von Versorgungseinrichtungen15
3.2 Begriffe: Cantou und Hausgemeinschaft17
3.3 Prinzipien18
3.4 Struktur19
3.5 Zielgruppen20
3.6 Personal21
3.6.1 Präsenzkräfte: Die Alltagsmanager21
3.6.2 Pflegekräfte22
3.6.3 Angehörige23
3.7 Abgrenzung der Hausgemeinschaften zu anderen Wohnformen23
3.8 Chancen und Risiken von Hausgemeinschaften25
3.9 Fazit: Hausgemeinschaften und Cantous26
4. Umgang mit Demenz und Ernährung28
4.1 Demenz und Alzheimer28
4.1.1 Symptome und psychosoziale Auswirkung auf die Ernährung29
4.1.2 Behandlung von Demenz32
4.2 Ernährung älterer Menschen mit Demenz36
4.2.1 Veränderte Bedürfnisse und Empfehlungen für die Ernährung Demenzkranker37
4.2.2 Unterschiedliche kulturelle Essgewohnheiten und ihre Auswirkung auf die Ernährung im Alter43
4.3 Fazit: Demenz und Ernährung51
5. Biografiearbeit bei der Ernährung von Menschen mit Demenz53
5.1 Erinnerungsarbeit als Aufarbeitung53
5.2 Inhalt und Formen der Biografiearbeit55
5.3 Herausforderung Biografiearbeit56
5.4 Essbiografie57
5.5 Fazit: Biografiearbeit bei der Ernährung von Menschen mit Demenz59
6. Ein kultureller Vergleich der biografieorientierten Speisenversorgung von Menschen mit Demenz in Cantous und Hausgemeinschaften61
6.1 Praxiserfahrungen: Biografiearbeit in der Pflege61
6.2 Theoretische Unterschiede bei der biografieorientierten Speisenversorgung in Hausgemeinschaften und Cantous63
7. Methodisches Vorgehen64
7.1 Festlegung der Stichprobe64
7.2 Leitfaden65
7.3 Durchführung65
7.4 Gültigkeit der Befragung65
8. Ergebnisse der Untersuchung66
8.1 Struktur der untersuchten Einrichtungen66
8.2 Ernährung und Speisenversorgung in der Hausgemeinschaft / im Cantou69
8.2.1 Essen69
8.2.2 Kultur, Religion, Regionalität...70
8.2.3 Dauer des Essens70
8.3 Fortbildungen74
8.3.1, Qualitätsstandards76
8.4 Mitarbeit der Angehörigen76
8.5 Auswertung und Interpretation der Ergebnisse77
8.6 Diskussion der Ergebnisse82
9. Fazit84
V. Literaturverzeichnis87
VI. Anhang94

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