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Helge Schneider: ein beklopptes Genie

AutorJan Hosmann, Martin Riebel, Sarah Cosfeld, Tim-Andre Elstner
VerlagScience Factory
Erscheinungsjahr2013
Seitenanzahl106 Seiten
ISBN9783656459910
FormatePUB/PDF
Kopierschutzkein Kopierschutz/DRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis24,99 EUR
Helge Schneider polarisiert wie kaum ein anderer Künstler. Viele halten ihn für einen albernen, vielleicht gar verwirrten Entertainer, aber die manchmal gut verborgene Genialität seiner Werke und der Kunstfigur Helge Schneider erkennen nur wenige. Dieses Buch blickt auf die Hintergründe der Komik des Autors, Musikers und Filmemachers und gibt Antworten auf die Frage, ob Helge Schneider ein Dada-Avantgardist ist oder nicht. Richtig, richtig, popichtig! Aus dem Inhalt: Die Komik in den Kommissar-Schneider-Romanen; Reflexive Inszenierungen in Helge Schneiders Filmen; Die Komik in den spontanen Bühnenerzählungen; Einordnung der Kunstfigur Helge Schneider in eine dada-avantgardistische Geisteshaltung

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Leseprobe

Einleitung


„[…] Helge Schneider ist allerdings etwas für sehr bescheidene Köpfe. Diese Form von Kabarett ist mir zu simpel. Da gehört meiner Vorstellung nach mehr Geist und Hintergrund rein.“[1] Diese Bemerkung Reinhold Messners steht wohl exemplarisch für eine Rezeptionslinie der Kunst Helge Schneiders, die bis heute anhält. Jörg Seidel dagegen, der das umfangreiche Werk[2] Helge Schneiders – Bühnenauftritte, Musik- und Hörspielaufnahmen, Filme und Bücher – 1999 zum ersten und bis anhin einzigen Mal in größerem Maße kulturwissenschaftlich analysierte, erkennt in Helge Schneider einen legitimen Nachfahren von Diogenes von Sinipe, des „hervorragendsten Vertreter[s]“ des Kynismus, eine Figur der Philosophie also.[3] Und mittlerweile entstanden einige Essays, die sich mit dem Phänomen Helge Schneider ernsthaft auseinandersetzten, um sein Werk von den „Comedy“-Vertretern der „Spassgesellschaft“ abzugrenzen.[4] Erstaunlicherweise jedoch haben beide Seiten, Gegner und Befürworter, das, was Helge Schneider berühmt machte und für das sein Name steht, nicht wesentlich thematisiert: Die Komik.

Offenkundig wird als gegeben betrachtet, dass Helge Schneiders Auftritt in all seinen Sparten nicht immer, aber meistens komisch ist, und die Untersuchung richtet sich mehr auf die tiefere Bedeutung seiner Philosophie, seiner Kunst anstatt auf die Art seiner Komik. Gerade das aber halte ich für interessant und sogar essentiell, um seiner Kunst auf den Grund zu kommen. Auch Schneiders Bücher wurden nicht explizit auf dieses Thema hin behandelt. Ohnehin gilt das Interesse an Schneider – wohl nicht nur zu Unrecht – mehr seinem Gesamtwerk als den einzelnen Disziplinen an sich.[5] Dennoch ist es möglich, dieses Gesamtwerk in seinen Einzelteilen zu analysieren, und sogar notwendig, um dieses Werk überhaupt in seinen Facetten, die eben diese Einzelteile, die Mikroebene, ausmachen, darzustellen und entschlüsseln zu können. Ich werde mich daher auf den literarischen Teil dieses Werkes konzentrieren, genauer gesagt auf einen Teil dieser Disziplin: die „Kommissar Schneider“-Kriminalromane „Zieh dich aus du alte Hippe“ und „Das scharlachrote Kampfhuhn“.[6] Dabei werde ich sowohl die Kunstfigur Schneider als auch den Rest seines Werkes ausblenden, um unbefangen Konstanten herausarbeiten zu können, die nur der Text generiert. Mich interessiert, eine Lesart ausfindig zu machen, wie Komik produziert wird. Die Leitfrage wird sein, ob ein übergeordnetes System erkennbar wird, wie komische Effekte angelegt sind. Sind Muster zu erkennen, in die sich die komischen Aspekte der Erzählungen einordnen lassen? Dass ich mich an zwei Kriminalromane halte, rechtfertige ich damit, dass sie zusammen mit zwei weiteren Romanen[7] Seriencharakter haben und man nur bedingt von einzelnen in sich geschlossenen Geschichten sprechen kann. Vielmehr kann man von „ununterbrochene[n] Aneinanderreihung[en] von […] Handlungssequenzen, die nie zu einem großen Ganzen finden“[8], sprechen. Auch der Autor selbst gibt im Nachwort des ersten Romans einen Hinweis in diese Richtung: „Die Morde, die sonst noch so beschrieben sind […] haben nichts mit dem Fall ‚Zieh dich aus, du alte Hippe‘ zu tun.“[9] Diese ‚sonst noch so beschriebenen Morde‘ sowie die anderen Episoden, denen ich bis in ihre Mikrostruktur auf den Grund gehen möchte, sind eigentlich, diese These möchte ich vorausschicken, Zitat- und Klischeesammlungen, bei der beispielsweise selbst Anfang und Schluss nur das Klischee Kriminalroman bedienen und die grundlegend mit der Produktion der Komik verbunden sind. Das gilt es nachzuweisen.

Als Stützpfeiler dieser Arbeit werde ich daher zunächst einige Theoriekonzepte der Komik zusammentragen, anhand derer ich dann die ausgewählten Literaturbeispiele analysieren möchte. Als weiteren Stützpfeiler werde ich danach wesentliche Merkmale und Eigenschaften des idealtypischen Kriminalromans skizzieren, die bei Helge Schneiders Erzählungen relevant sind.

Im Zentrum der Textbeispiele wird die Figur des Protagonisten – Kommissar Schneider – stehen. Sie sollen mit dem Ziel erörtert werden, die komischen Elemente ausfindig und Gemeinsamkeiten sichtbar zu machen, nach denen die Leitfrage geklärt werden kann, ob eine übergeordnete Strategie zur Produktion von Komik gezeigt werden kann.

Konzepte der Komik


Der Betrachter des komischen Gegenstandes


„Die Komik, die Gewalt des Gelächters liegt in dem Lachenden und keineswegs in dem, worüber er lacht.“[10] Dieser Satz Baudelaires ist so banal wie wichtig für ein Grundverständnis für die Produktion von Komik. Keine Situation, kein Gespräch, kein Objekt an sich ist komisch. Komik entsteht erst, aber nie zwangsläufig, in einem Betrachter oder Zuhörer. Der Einfachheit halber werde ich das, was Komik hervorruft, also eine Reaktion des Lachens bewirkt, im weiteren als (komischen) Gegenstand bezeichnen. Die reagierende Person werde ich Betrachter nennen.

In diesem Zusammenhang beschreibt Dirk Baecker in einem Essay[11] den Ernst als Gegenstück des Unernsten als einen Ernst verschiedener Ordnungen: „Der Ernst erster Ordnung meint, was er sagt […]. Sein Ernst ist der Ernst […] der Welt.“[12] Der Ernst zweiter Ordnung dann bezieht sich rein auf die Ebene der Kommunikation. Dabei stellte er die These auf, dass der „Ernst der Welt“[13] nur in institutionalisierten Situationen ernsthaft angesprochen werden sollte, um ernst genommen zu werden. Außerhalb dieser sei es angebracht, seine ernste Meinung ironisch oder albern vorzubringen, um ernst genommen zu werden, weil dadurch Distanz aufgebaut wird, und es dem Gegenüber ermöglicht, sich nicht gleich vollumfänglich auf „Motive, Absichten, Kontextualisierungen und Sanktionstechniken“[14] einlassen zu müssen.[15] Außerdem wird dadurch dem Anderen freigestellt, ob er diese Form der Kommunikation selbst ernst nimmt, also auch den Witz oder die Albernheit. Baecker bescheinigt Helge Schneider, „wie kein zweiter den Ernst des Albernen auf den Punkt und den Begriff zu bringen“[16].

Auf dieses Konzept spielt auch der von Wolfgang Iser entwickelte Begriff des Kipp-Phänomens an. Er geht davon aus, dass die Erwartung des Betrachters und der Gegenstand der Komik zunächst kollidieren müssen. Zeigt sich die Reaktion dann tatsächlich im Lachen, und nicht etwa in der einfachen Annahme oder Ablehnung des neu entstandenen Sachverhalts, liegt das daran, dass die beiden oppositionellen Positionen ihr Verhältnis aufheben. Sobald der Betrachter die Komik gewähren lässt, kippt seine Position, wodurch die Position des komischen Gegenstandes allein, ohne Opposition dasteht. Der erste Effekt ist dann Verblüffung, die die entstandene Orientierungslosigkeit anzeigt. Je unerwarteter, je überfallartiger die Positionen zum Kippen gebracht werden, desto weniger hat der Betrachter die Möglichkeit, die neue Situation rational zu verarbeiten. Das Lachen ist die körperliche Reaktion auf diese Art von verstrickter Situation, die somit zum Unernst erklärt wird. Das Lachen ist eine Verarbeitungsmethode.[17]

Komik ist demnach immer nur die Reaktion eines Betrachters, der den Darsteller des komischen Gegenstandes in seiner Komik ernst nimmt, so dass beide Positionen kippen. Das erklärt fürs erste auch die unterschiedliche Aufnahme der – audio-visuellen oder schriftlichen – Darbietungen Schneiders: „Mit seinem Hit Katzeklo […] führte Helge Schneider 1993 den deutschen Schlager auf einen neuen geistigen Tiefpunkt. Auf „Katzeklo“-Niveau stehen sowohl das durchgängig in grundschülerhaftem Präsens geschriebene Zieh dich aus, du alte Hippe als auch die primitiven Kohlezeichnungen des Autors, […].“[18] Diese Person fand die Darbietungen wohl nicht sehr komisch. Anders äußert sich die nächste: „Da stand ich also […] und wohnte einem Wunder bei. Endlich sah ich mal einen, der nichts ‚durch den Kakao zieht‘, ‚aufs Korn nimmt‘ und, das ist wirklich eine Sensation, kein Lachen erzeugt, das ‚einem im Halse steckenbleibt‘, sondern ein ganz normales, herzliches Lachen.“[19] Obwohl sich beide Äußerungen nicht auf denselben Gegenstand beziehen, kann man annehmen, dass ihre Vorstellungen von Komik doch weit auseinander gehen. Das zweite Zitat von Max Goldt gibt einen Hinweis auf zwei verschiedene Spielarten von Humor, auf die ich aufbauen möchte. Er unterscheidet zwischen dem Lachen, dass „einem im Halse stecken bleibt“, und dem „normalen, herzlichen Lachen“.

Zwei unterschiedliche Spielarten von Komik


In dieselbe Kerbe schlägt Dieter Wellershoff in einem kurzen Essay, in dem er „beipflichtendes und befreiendes Lachen“[20] gegenüberstellt. „Beipflichtendes Lachen“ versteht er als Reaktion teilweise „simple[r] Ja-Nein-Entscheidungen“, deren positives...

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