1. Was ist Klärungshilfe?
«Das Gespräch ist aus, wir brauchen den dritten Mann dazu» – Resignation und Hoffnung zugleich liegen in diesem Satz eines Ehemannes, der damit das Thema des Buches formuliert: Wie verhält sich ein kundiger und neutraler Gesprächshelfer1, wenn zwei oder mehrere Personen erklärtermaßen in einer Sackgasse der Kommunikation und ihrer zwischenmenschlichen Beziehungen gelandet sind und aus eigenen Kräften nicht mehr herauskommen; die «eigenen Kräfte» häufig gar alles zu verschlimmern drohen?
Sowohl im privaten als auch im beruflichen Bereich tritt der «Klärungshelfer» in Aktion, wenn das «Miteinander» von Menschen gestört ist, die im täglichen Leben miteinander zu schaffen haben (und einander ebenso zu schaffen machen!). Was dabei die Störung ausmacht und wodurch sie bedingt ist, ist in jedem Fall sehr verschieden und bereits Teil der Klärungsarbeit. Fast immer spielen undurchschaute und unausgedrückte Gefühle und Werthaltungen eine Rolle, oft aber auch eine komplizierte oder verworrene sachstrukturelle Lage, besonders bei Arbeitsgruppen im beruflichen Bereich. Beziehungs- und Kooperationsgruppen durch Klärungshilfe – dies scheint in vielen Bereichen des gesellschaftlichen Zusammenlebens mehr und mehr geboten und auch zunehmend akzeptiert.
Dabei vermeidet das Wort «Klärungshilfe» den Begriff der «Therapie», um Beziehungs- und Sachprobleme aller Art mit einzuschließen. Die Praxis, die wir mit diesem Handbuch anvisieren, betrifft nicht nur den fast klassischen Bereich der Ehe und Familie, sondern ebenso Wohngruppen, Gremien und Kollegien, Arbeitsgruppen und teilweise politische Fraktionen.
Nicht immer ist das Kind schon halb in den Brunnen gefallen. Besonders in größeren Unternehmen wird es zunehmend üblich, bei gewichtigen Zusammenkünften aller Art, wo die zielführende Bewältigung organisatorischer, sachlicher, menschlicher und zwischenmenschlicher Angelegenheiten nötig ist, einen «Externen» hinzuzuziehen, also jemanden, der außerhalb des Systems steht und nicht selbst in das Netzwerk von Interessen und Meinungen, Gefühlen und Beziehungen verstrickt ist. Die hier zu leistende Prozesssteuerung ist die Aufgabe von Moderatoren oder Organisationsentwicklungshelfern – wenn sie ihre Sache gut machen, so kann es für die Sache und für die Menschen ein wahrer Segen sein. Denn wer hat nicht schon erlebt, dass solche Sitzungen unerquicklich verlaufen sind: zäh und langatmig, turbulent und durcheinander, endlos und ineffektiv –, sodass auch diejenigen immer wieder Recht zu bekommen scheinen, die jegliche Mitbestimmung und Mitbeteiligung als «endloses Gequassel, bei dem sowieso nichts herauskommt» abtun. Tatsächlich scheint uns, dass «Basisdemokratie» ohne professionelle Moderation wenig Überlebenschancen besitzt.
Die Gesprächshelfer und Moderatoren, Organisationsberater und Vermittler (wie immer sie sich angesichts des jeweiligen sozialen Kontextes nennen mögen) kommen bei ihrer Arbeit notwendigerweise in die Situation, dass Menschen aneinander geraten oder den klärenden Kontakt vermeiden.
Zuweilen mag sich der Gesprächshelfer dabei fühlen wie ein hypnotisiertes Kaninchen, das zwischen zwei sich anzischenden Giftschlangen sitzt. Ein Teil der Lähmung, die das Kaninchen spürt, mag aus der Kinderzeit herrühren, wenn Vater und Mutter sich gestritten haben.
Der erwachsene Klärungshelfer kann lernen, nun nicht gleich den Kopf einzuziehen oder sich als Schiedsrichter zu versuchen, sondern mit Menschenkenntnis, Einfühlung und gut sortiertem Pannenwerkzeug den Kontrahenten zu helfen, miteinander «klar»zukommen. Diese Rolle stellt hohe Anforderungen an seine menschliche Integrität und seine professionelle Kompetenz. Ein Handbuch wie dieses ersetzt keine umfassende berufsbegleitende Weiterbildung, die nach ganzheitlichen Prinzipien auszurichten wäre – das heißt zum einen «Kopf, Herz und Hand» gleichermaßen anzusprechen hätte und zum anderen sehr viel Gewicht darauf legen müsste, das geeignete Vorgehen und das angemessene Kommunikationsideal aus dem Charakter einer jeweiligen Gesamtsituation abzuleiten: Die Moderation einer Vorstandsbesprechung ist keine Familientherapie, die Begegnung von Stadträten und gewählten Politikern im Kommunalbereich erfordert anderes als die Teamentwicklung in einem Krankenhaus mit ärztlichem, psychologischem und pflegerischem Personal.
Seit Erscheinen dieses Buches hat einer von uns, Christoph Thomann, viele Konfliktmoderationen speziell im beruflichen Bereich durchgeführt und erforscht. Diese Erfahrungen und Konzeptionen wurden 1998 von ihm in einem zweiten Band, «Klärungshilfe: Konflikte im Beruf» (rororo sachbuch 60462) veröffentlicht.
Wie gliedert sich das Gesamtwerk «Klärungshilfe» in diesen beiden Bänden? Im vorliegenden Band 1 demonstrieren wir die wichtigsten Prinzipien und Methoden an der «klassischen» Grundsituation: ein Paar, eine Frau und ein Mann, beim Klärungshelfer. Dies ist ein didaktisch überschaubarer Rahmen, um das kleine und große Einmaleins der Klärungshilfe darzulegen. Der Folgeband 2 von Christoph Thomann basiert auf Konfliktmoderationen in beruflichen Teams. Er stellt somit eine konzeptuelle und methodische Erweiterung in doppelter Hinsicht dar, nämlich Berufskontext (statt privat) und mehrere Konfliktbeteiligte (anstatt nur zwei).
Seit dem Erscheinen dieses Buches 1988 hat sich auf dem Gebiet der Gesprächshilfe bei Konflikten viel und Erfreuliches getan. In Deutschland hat die Mediationsbewegung an Boden gewonnen und Publikationen und Ausbildungsgänge hervorgebracht, die von der vorliegenden «Klärungshilfe» profitiert haben (s. z. B. Besemer, 1995).
Alexander Redlich veröffentlichte 1996 seine «Konfliktmoderation» (Redlich, 1996) mit besonderer Berücksichtigung der Gruppe (des Teams) bei der Bearbeitung von Konflikten.
Klärungshilfe, Mediation, Konfliktmoderation: all diese Ansätze kreisen um ein gemeinsames Anliegen und weisen in Bezug auf ihre Entwicklungsgeschichte und ihre Eigenarten durchaus relevante Unterschiede auf. Einen systematischen Vergleich finden Sie in dem ausgezeichneten Aufsatz von Redlich und Mironov (2003). Unsere «Klärungshilfe» geht zweifellos am weitesten, was die Bearbeitung innerseelischer und zwischenmenschlicher Hintergründe des Konfliktgeschehens angeht: (Innere) Wahrheit geht vor Schönheit (im Gesprächsverhalten). Was richtiger und «besser» ist, entscheidet sich nicht zuletzt an den Umständen (dem Setting), den Eigenarten des Klienten und des Gesprächshelfers. Gut, wenn er/sie nicht (allzu) festgelegt ist.
Und für den Leser gilt hier wie auch sonst: Prüfet die Geister und behaltet das Beste!
2. Zum Hintergrund unserer Erkenntnisse
Wie sind wir zu den Erkenntnissen gelangt, die wir in diesem Handbuch zusammengetragen haben?
Beide waren wir jahrelang als Kommunikationshelfer unterwegs gewesen, in Schulkollegien und wirtschaftlichen Arbeitsgruppen, im Kommunalbereich, Krankenhaus und in der Erwachsenenbildung. Einer von uns, Christoph Thomann, hatte in seiner Praxis zusätzlich viel mit Paaren zu tun. Der andere, Friedemann Schulz von Thun, war als Professor an einer Universität zusätzlich theoretisch interessiert: Lässt sich eine «Theorie der Klärungshilfe» entwickeln, die das Handeln eines kompetenten Gesprächshelfers zu erklären in der Lage ist und zugleich einen Orientierungsrahmen für einen Ausbildungsgang bieten kann?
So haben wir uns für ein Forschungsprojekt zusammengetan. Thomann kam für mehrere Monate von Bern nach Hamburg, um dort am Psychologischen Institut Gespräche mit Paaren, Familien und Wohngemeinschaften zu führen, die aufgrund eines Hinweises in der «Bild-Zeitung» dieses Sonderangebot der Universität wahrnahmen:
«Wer hat Ärger in der Familie oder im Arbeitsteam? – Uni-Psychologen wollen im Rahmen ihrer Forschung Hilfe bieten. Wer Gespräche über gestörte Beziehungen sucht, kann sich … anmelden.»
Wir haben die «Bild-Zeitung» um diese redaktionelle Notiz gebeten, da wir an einer Klientel interessiert waren, die möglichst wenig mit Universität und «Psychoszene» zu tun haben sollte. Tatsächlich meldeten sich überwiegend Paare und Familien, die in sehr einfachen Verhältnissen lebten.
Unsere Rollenaufteilung war meist derart, dass Christoph Thomann die Gespräche führte und Friedemann Schulz von Thun im selben Raum am Schreibtisch saß, sich Notizen machte und nach Ende des Gesprächs eine gemeinsame Auswertung leitete: Wie haben die Klienten, wie der Gesprächshelfer selbst das Gespräch erlebt, was schien dabei besonders günstig oder auch ungünstig, was ist den anderen anwesenden Forschern während des Gesprächs in den Sinn gekommen?
Auf diese Weise wurden nahezu 50 Sitzungen auf Tonband und (überwiegend auch) auf Video gespeichert, zusätzlich wurden Protokolle angefertigt und später Nachbefragungen durchgeführt (Koliha, 1983). All diese Aufzeichnungen dienten als Grundlage für die weitere Auswertungsarbeit, die Herr Thomann im Rahmen seiner Dissertation in den nächsten beiden Jahren, zusammen mit vielen Studenten und Praktikanten1, vorgenommen hat. Der wissenschaftlich interessierte Leser möge die Originalarbeit einsehen (Thomann,...