01 | Philosophie der Technischen Analyse |
EINLEITUNG
Bevor wir mit dem Studium aktueller Techniken und Hilfsmittel, die in der Technischen Analyse gebraucht werden, beginnen, müssen wir definieren, was Technische Analyse ist, ihre philosophischen Prämissen diskutieren, einige klare Unterscheidungen zwischen technischer und fundamentaler Analyse treffen, und schließlich einige Kritikpunkte ansprechen, die gegen den technischen Ansatz vorgebracht werden.
Ich glaube stark daran, dass eine volle Würdigung des technischen Ansatzes mit einem klaren Verständnis dessen, wozu technische Analyse in der Lage sein will, beginnen muss – oder, vielleicht noch wichtiger, mit dem Verständnis der Grundlagen, auf denen dieser Anspruch beruht.
Lassen Sie uns zunächst den Gegenstand definieren. Technische Analyse ist das Studium von Marktbewegungen, in erster Linie durch den Einsatz von Charts, um zukünftige Kurstrends vorherzusagen. Der Begriff „Marktbewegung“ beinhaltet die drei wesentlichen Informationsquellen, die dem Techniker zur Verfügung stehen – Kurs, Umsatz und Open Interest. (Open Interest wird nur bei Futures und Optionen benutzt.) Der häufig benutzte Begriff „Kursbewegung“ scheint mir zu eng gefasst, weil die meisten Techniker Umsatz und Open Interest als integralen Teil ihrer Marktanalyse betrachten. Unter Beachtung dieser Unterscheidungen werden die Begriffe „Kursbewegung“ und „Marktbewegung“ im weiteren Verlauf der Diskussion austauschbar benutzt.
PHILOSOPHIE ODER RATIONALITÄT
Es gibt drei Grundannahmen, auf denen der technische Ansatz basiert:
- Die Marktbewegung diskontiert alles.
- Kurse bewegen sich in Trends.
- Die Geschichte wiederholt sich selbst.
Die Marktbewegung diskontiert alles
Die Behauptung „Die Marktbewegung diskontiert alles“ umschreibt das, was wahrscheinlich der Grundstein der Technischen Analyse ist. Solange die volle Bedeutung dieser ersten Prämisse nicht voll verstanden und akzeptiert ist, machen weiterführende Dinge keinen großen Sinn. Der Techniker glaubt, dass alles, was möglicherweise die Kurse beeinflussen kann – fundamental, politisch, psychologisch oder sonst wie – durch den Marktpreis aktuell widergespiegelt wird. Daraus folgt, dass nur die Untersuchung der Kursbewegung verlangt wird, sonst nichts. Obwohl dieser Anspruch vermessen erscheint, ist schwer etwas dagegen einzuwenden, wenn man sich die Zeit nimmt, seine wahre Bedeutung zu erfassen.
Alles, worauf sich der Techniker beruft, ist die Widerspiegelung von Angebot und Nachfrage in der Kursbewegung. Wenn die Nachfrage das Angebot übertrifft, sollten die Kurse steigen. Ist das Angebot höher als die Nachfrage, sollten sie fallen. Dieser Zusammenhang ist die Basis aller ökonomischer und fundamentaler Vorhersage. Der Techniker dreht diese Behauptung um und gelangt zu dem Schluss, dass, wenn die Kurse steigen – aus welchem Grund auch immer –, die Nachfrage das Angebot übertreffen muss und die Fundamentals bullish sein müssen. Wenn die Kurse fallen, müssen die Fundamentals bearish sein. Dieser letzte Kommentar über Fundamentals scheint im Zusammenhang einer Diskussion der Technischen Analyse zu überraschen, sollte es aber nicht. Schließlich studiert der Techniker indirekt fundamentale Hintergründe. Die meisten Techniker werden wahrscheinlich zustimmen, dass es die ökonomischen Fundamentals eines Marktes als zugrunde liegende Kräfte von Angebot und Nachfrage sind, die Bullen- und Bärenmärkte verursachen. Es sind nicht die Charts selbst, die Märkte zum Steigen oder Fallen veranlassen. Sie reflektieren einfach die bullishe oder bearishe Psychologie der Börse.
Die Chartisten kümmern sich generell nicht um die Gründe, warum Kurse steigen oder fallen. In den frühen Stadien eines Kurstrends oder an kritischen Umkehrpunkten scheint sehr oft niemand genau zu wissen, warum sich der Markt in einer bestimmten Weise entwickelt. Obwohl der technische Ansatz in seinem Anspruch manchmal zu vereinfacht erscheint, wird die Logik hinter der ersten Prämisse – dass die Märkte alles diskontieren – immer zwingender, je mehr man an Markterfahrung gewinnt.
Wenn alles, was Marktpreise beeinflusst, letzten Endes durch den Marktpreis wieder gespielt wird, ist folgerichtig nur das Studium des Marktpreises nötig. Durch die Untersuchung von Kurscharts und einer Masse von unterstützenden technischen Indikatoren lässt sich der Chartist vom Markt erzählen, wohin dieser wahrscheinlich gehen wird. Der Charttechniker versucht nicht unnötigerweise, den Markt zu überlisten. Alle technischen Hilfsmittel, die später diskutiert werden, sind einfache Techniken, die den Chartisten bei dem Prozess des Marktstudiums unterstützen. Der Technische Analyst weiß, dass es Gründe dafür gibt, warum Märkte hoch oder runter gehen. Er oder sie glaubt nur nicht, dass das Wissen um diese Gründe bei der Prognose nötig ist.
Kurse bewegen sich in Trends
Das Trendkonzept ist für den technischen Ansatz absolut unentbehrlich. Noch einmal: Wer nicht die Prämisse akzeptiert, dass sich Kurse in Trends bewegen, braucht nicht weiter zu lesen. Die ganze Aufgabe der chartmäßigen Darstellung eines Marktes ist es, Trends in den frühen Phasen ihrer Entwicklung zu identifizieren, um dann in Richtung dieser Trends zu traden. In der Tat sind die meisten Techniken, die diesen Ansatz benutzen, ihrer Natur nach trendfolgend, was bedeutet, dass sie beabsichtigen, existierende Trends zu bestimmen und ihnen zu folgen (siehe Abb. 1.1).
Abbildung 1.1 Beispiel eines Aufwärtstrends. Technische Analyse basiert auf der Prämisse, dass Märkte Trends aufweisen und diese dazu tendieren, bestehen zu bleiben
Ein Folgesatz der Prämisse, dass sich Kurse in Trends bewegen, besagt: Ein Trend in Bewegung setzt sich mit größerer Wahrscheinlichkeit fort, als dass er sich umkehrt. Dieses Ergebnis ist natürlich eine Anpassung an Newtons Erstes Gesetz der Bewegung. Es lässt sich auch auf andere Weise ausdrücken: Ein Trend in Bewegung verläuft solange in derselben Richtung, bis er sich umkehrt. Dies ist ein weiterer jener technischen Ansprüche, die sich scheinbar im Kreise drehen. Doch der gesamte Trendfolgeansatz ist daran geknüpft, einem existierenden Trend zu folgen, bis er Anzeichen der Umkehr zeigt.
Die Geschichte wiederholt sich selbst
Vieles bei der Technischen Analyse und dem Studium von Marktbewegungen hat mit dem Studium der menschlichen Psychologie zu tun. Kursformationen zum Beispiel, die in den letzten hundert Jahren identifiziert und kategorisiert wurden, reflektieren bestimmte Bilder, die auf den Kurscharts auftauchen. Diese Bilder offenbaren die bullishe oder bearishe Psychologie des Marktes. Weil diese Muster in der Vergangenheit funktioniert hatten, wird angenommen, dass sie in der Zukunft weiterhin funktionieren werden. Sie basieren auf dem Studium der menschlichen Psyche, die nicht dazu tendiert, sich zu verändern. Anders ausgedrückt: Der Schlüssel zum Verständnis der Zukunft liegt im Studium der Vergangenheit, oder die Zukunft ist nur eine Wiederholung der Vergangenheit.
TECHNISCHE VERSUS FUNDAMENTALE PROGNOSE
Während sich die Technische Analyse auf das Studium von Marktbewegungen konzentriert, ist die fundamentale Analyse auf die ökonomischen Kräfte von Angebot und Nachfrage konzentriert, die zu steigenden, fallenden oder gleich bleibenden Preisen führen. Der fundamentale Ansatz untersucht alle relevanten marktbeeinflussenden Faktoren, um den inneren Wert dieses Marktes zu bestimmen. Der innere Wert ist das, was ein Gut nach fundamentalen Kriterien aktuell wert ist, gegründet auf dem Gesetz von Angebot und Nachfrage. Liegt dieser innere Wert unter dem aktuellen Marktpreis, dann ist der Markt überteuert und sollte verkauft werden. Liegt der Marktpreis unter dem inneren Wert, ist der Markt unterbewertet und sollte gekauft werden.
Beide Ansätze zur Marktprognose versuchen, dasselbe Problem zu lösen, nämlich die Richtung zu bestimmen, in die sich die Preise wahrscheinlich bewegen werden. Sie nähern sich dem Problem nur von verschiedenen Seiten. Der Fundamentalist studiert die Ursachen von Marktbewegungen, während der Techniker die Auswirkungen untersucht. Der Techniker glaubt natürlich, dass nur das Resultat zählt, während alle Gründe oder Ursachen uninteressant sind. Der Fundamentalist hingegen muss immer wissen, warum etwas geschieht.
Die meisten Trader klassifizieren sich selbst entweder als Techniker oder Fundamentalisten. In der Realität gibt es eine Menge an Überlappung. Viele Fundamentalisten kennen die grundlegenden Ziele der Chartanalyse. Gleichzeitig sind den meisten Technikern die Fundamentals zumindest passiv bewusst. Das Problem liegt darin, dass die Charts und die Fundamentals oft miteinander in Konflikt liegen. Am Anfang bedeutender Marktbewegungen erklären oder unterstützen die Fundamentals üblicherweise nicht, was der Markt zu tun scheint. Gerade zu diesen kritischen Zeiten des Trends scheinen die beiden Ansätze am meisten zu differieren. Ab irgendeinem Punkt laufen sie wieder synchron, für einen Trader jedoch oft zu spät zum Handeln.
Eine Erklärung dieser scheinbaren Diskrepanzen liegt darin, dass die Marktbewegung dazu tendiert, den bekannten Fundamentals vorauszulaufen. Anders ausgedrückt, die Marktbewegung verhält sich als Frühindikator der Fundamentals bzw....