Gewiß, die Autorität, die der Dominikanerbruder in Florenz besaß, war eine höchst außerordentliche, aber Herr und Meister der Stadt war er keineswegs. Auch konnte er es nicht sein, denn dazu hätte gehört, daß sich die Gesamtheit der Bürger den der Macht des Papsttums entgegengesetzten Tendenzen, zu denen er sich offen bekannte, angeschlossen hätte, was wohl das Ziel war, das er verfolgte, – ein Ziel jedoch, das sich nicht ohne die schwersten Kämpfe, vielleicht gar nicht erreichen ließ.
Vielleicht darf man überhaupt bezweifeln, ob ein vollkommen unabhängiges Staatswesen, sei es monarchisch oder republikanisch, sich mit der Verfassung der katholischen Kirche und der Allgewalt des Papsttums vereinigen läßt, denn diese schließt unzweifelhaft doch auch politische Berechtigungen in sich ein; die Bürger jeder Stadt, jedes Staates werden großenteils von ihr betroffen und geleitet. Wieviel mehr aber muß das der Fall sein, wenn in einem wesentlich katholischen Staate eine Tendenz aufkommt, die sich dem Papsttum, wie es eben besteht, entgegensetzt. Savonarola hätte Papst Alexander VI. mit Hilfe von Frankreich zu stürzen gewünscht, aber der König selbst war von diesem Unternehmen zurückgeschreckt; und man darf sich nicht wundern, wenn nun der römische Stuhl seine Disziplinargewalt auch über seine Gegner in Florenz wieder zur Geltung zu bringen unternahm. Anfangs ward das mit vieler Mäßigung versucht. Im Juli 1495 forderte der Papst den Frate auf, nach Rom zu kommen; denn er wolle sich mit ihm besprechen, wie es sein Amt eines Oberhirten erfordere; er deutete an, daß er die Erneuerung der Kirche selbst in die Hand zu nehmen gedenke. Savonarola, der in dem Breve keine Zitation, sondern nur eine Einladung zu einem religiösen Zwiegespräch erblickte, antwortete ablehnend, denn er könne in diesem Augenblicke Florenz nicht verlassen, und überdies auf der Reise würde er vor seinen Feinden seines Lebens nicht sicher sein. Der Papst wiederholte nicht allein seine Zitation, sondern er gab davon auch dem Franziskanerkonvent von Santa Croce Kunde, indem er zugleich Savonarola der Verbreitung falscher Lehren beschuldigte.
Ohne Wirkung nun auf die katholischgläubigen Einwohner der Stadt konnte dies nicht bleiben; die Weltgeistlichkeit zwar verhielt sich sehr ruhig, sie wurde dazu durch den Erzbischof von Florenz und dessen Vikar, welche sich dem Dominikanerbruder eher geneigt erwiesen, bestimmt. Aber daß eine andere religiöse Brüderschaft gegen die Brüder von San Marco Partei nahm, brachte doch in der Stadt eine starke Gärung der Gemüter hervor. Denn wenn, wie gesagt, es die Behauptung Savonarolas war, daß die von ihm eingeführte neue Verfassung ein Werk Gottes sei, so nahm er für diese Behauptung eine Art von Glauben in Anspruch, nicht viel anders, als wie man die Heilige Schrift erst für Gottes Wort halten müsse, ehe man sie verstehen wolle. So verlangte er auch eine Anerkennung seiner geistlichen Autorität, weniger noch ein inneres und bewußtes Einverständnis, als eine unbedingte Hingebung an seine Aussprüche. Noch nahm das Volk auch in dieser Beziehung für ihn Partei; die Signoria wurde aufgefordert, dem Papste zu erklären, das florentinische Volk, welches in dem Bruder Hieronimo seinen Beschützer sehe, würde ihn nicht ziehen lassen. Die Signoria war nicht so eifrig, wie man wünschte, für denselben; die Umstände lagen so, daß sie sich mit dem Papste nicht entzweien mochte. Sie gab dem Frate selbst zu bedenken, daß dazu keine Zeit sei, und bat ihn, seinen Eifer zu mäßigen. Es fehlte nicht an Leuten, welche die Entfernung desselben nicht ungern gesehen hätten; allein um so entschiedener zeigten sich seine Anhänger, weil das Volk von Florenz der alten Herrschaft verfallen würde, sobald er die Stadt verlasse. Die Frati von San Marco äußerten einmal den verzweifelten Gedanken, wenn man ihren Meister und sie selbst verjage, so würden sie das Kruzifix nehmen und in die Wälder gehen oder ihr Glück bei den Ungläubigen versuchen. Von Tag zu Tag gerieten die Parteien mehr in Aufregung und das Mißtrauen war allgemein. Noch kam es aber zu keinem offenen Bruche, da der Papst, der auch seinerseits aus politischen Gründen eine Entzweiung mit der Republik vermeiden wollte, die Sache zunächst nicht mit dem gewohnten Glaubenseifer der Kurie verfolgte; in der Stadt behauptete man, er habe seinen Frieden mit Savonarola gemacht und die kirchlichen Maßregeln aufgeschoben.
Nicht unmittelbar gefährdet, war Savonarola doch keineswegs ohne Besorgnis, wie eine Eröffnung zeigt, die er dem Herzog von Ferrara machte. Mit diesem Fürsten stand er allezeit in einem besonders nahen Verhältnis; er schickte ihm wohl seine Schriften, auf gutem Papier gedruckt, zu, ohne etwa eine Entschädigung dafür annehmen zu wollen; der Gesandte bemerkt, daß ihr Inhalt zum Heile der Seele diene. Der Herzog spricht dann die Billigung des Inhaltes aus und wünscht dem Dominikanerbruder Glück zu der Ehre, die er sich erwerbe, was auch zur Ehre seiner Vaterstadt gereiche; die von demselben gegebenen Anweisungen werde er möglichst befolgen. Auch in Ferrara wurde eine ähnliche kirchlich-moralische Reform, wie sie in Florenz vorging, begünstigt. Da das Gebiet des Herzogs von dem römischen Stuhl immer bedroht wurde, so bestand eine natürliche Bundesgenossenschaft zwischen Ferrara und Florenz. Mit dem Gesandten des Herzogs, der diese Verbindung vermittelte, stand Savonarola, der auch seinerseits immer eine gewisse Vorliebe für seine Vaterstadt und ihren Herzog an den Tag legte, in vertraulichem Verkehr. Gegen Ende Oktober 1495 setzte er diesem auseinander, daß er den Papst nicht ernstlich zu fürchten brauche; wenn man das Gerücht verbreitete, das Interdikt sei über ihn ausgesprochen, so sei das unbegründet; er werde vielmehr durch seine Freunde in Rom unterrichtet, daß der Papst auf die von ihm vorgelegte Rechtfertigung Rücksicht genommen habe; alle Tage erwarte er ein Breve der Suspension der gegen ihn in Gang gesetzten Prozeduren. Aber vollkommen sicher fühlte er sich doch nicht; er fügte hinzu, wenn der Papst weiter gehe und auf seine Rechtfertigung keine Rücksicht nehme, so sei er entschlossen, den Herzog um seine Unterstützung zu bitten, die ihm dieser, namentlich in einer so gerechten Sache, nicht versagen werde.
Ungefähr wie sich später Luther an Friedrich den Weisen von Sachsen gehalten. Aber an sich würde ein italienischer Fürst einer Abweichung vom Papsttum keineswegs einen ähnlichen Vorschub haben leisten können, wie ein deutscher Kurfürst. Und überdies, Savonarola war zunächst auf Florenz angewiesen, wo zwei Parteien, von denen die eine für, die andere gegen ihn war, um die öffentliche Gewalt buhlten. Daher erklären sich jene Schwankungen der Stimmungen, die wir eben hervorhoben. Um die folgenden Ereignisse zu verstehen, wird es gut sein, die Namen der Häupter der beiden Parteien hier zu verzeichnen. Gegen ihn waren Piero Capponi, Lorenzo di Pier Francesko de Medici, Messer Guidantonio Vespucci, Bernardo Rucellai mit einem nicht geringen Schweif von gleichgesinnten Anhängern, unter denen wir die Namen Canacci und Popoleschi finden; sie hielten sich mehr an die Franziskaner, also auch an den Papst. Es waren vornehmlich die Männer der alten aristokratischen Interessen und Sympathien. Ihnen gegenüber standen damals Francesko Valori, Paol Antonio Soderini, Giovan Batista Ridolfi; sowie in zweiter Reihe Jacopo Salviati, Lanfredino Lanfredini, Amerigo Corsini. Man rechnete zu ihnen auch Pier Filippo Pandolfini und Piero Guicciardini, aber Pieros Sohn, der Geschichtschreiber, versichert, daß diese beiden in einer neutralen Haltung verharrt und in allen Kontroversen zwischen beiden Parteien Mäßigung zu beobachten beflissen gewesen seien. Das Verhältnis der beiden Fraktionen war nun maßgebend für Savonarola; solange die zweite sich behauptete, konnte er bestehen; sobald aber die erste die Oberhand erlangte, war er verloren und mußte wenigstens die Stadt verlassen. Die Häupter der einen und der andern waren hochgebildete, energische, ehrgeizige Männer; sie liebten ihr Vaterland, aber wollten es zugleich beherrschen.
Wenn es aber doch zwischen ihnen noch nicht zu einem offenen Bruche kam, so rührte dies daher, daß sie beide einen gemeinsamen Feind zu bekämpfen hatten, der zuweilen sehr gefährlich wurde. Im Oktober 1495 war Piero Medici im Bunde mit den Orsini so weit gekommen, eine stattliche Mannschaft ins Feld zu stellen, um sich des Gebietes und womöglich der Stadt selbst zu bemächtigen. Man wußte nicht recht, wohin die bewaffnete Macht der Florentiner, die noch vor Pisa stand, sich wenden solle; die Armee, die sie im Felde hatten, war überhaupt ungenügend, aber sie nahmen ihre festen Plätze wahr. Den wichtigen Paß von Valiano an den Grenzen des sienesischen Gebietes versäumten sie nicht zu besetzen; in Arezzo und Kortona sorgten sie für gute Besatzungen und hinreichendes Geschütz; gerade auf den Abfall dieser Städte hatte Piero gerechnet. Da war nun Frate Hieronimo für den Widerstand, den beide Teile zu leisten beabsichtigten, unentbehrlich; durch seine Predigten hielt er den Widerwillen gegen Piero Medici, auf dessen Entfernung seine populären Reformen gegründet waren, aufrecht. Er versicherte mit der größten Zuversicht, ein jeder werde zugrunde gehen, der dazu herbeikomme, um diesen Staat zu verderben. "Ich habe gesagt und wiederhole es jetzt, daß ein solcher vernichtet werden wird mit allen denen, die sich ihm anschließen, und ihren Familien; sollte die Regierung der Stadt jemals sich entzweien, so wird Florenz zugrunde gehen, aber dieser Tag...