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Der Tod eines Kindes als kritisches Lebensereignis

Auswirkungen auf das Familiensystem

AutorBärbel Backhaus
VerlagGRIN Verlag
Erscheinungsjahr2005
Seitenanzahl152 Seiten
ISBN9783638399104
FormatePUB/PDF
Kopierschutzkein Kopierschutz/DRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis27,99 EUR
Diplomarbeit aus dem Jahr 2002 im Fachbereich Sozialpädagogik / Sozialarbeit, Note: gut, Hochschule Niederrhein in Mönchengladbach , 81 Quellen im Literaturverzeichnis, Sprache: Deutsch, Abstract: Todesfälle lösen im Allgemeinen Betroffenheit und Trauer aus. Beim Tod eines Familienmitgliedes, insbesondere eines Kindes, herrscht in der Familie eine besondere Trauer, da auch die Beziehungen untereinander von besonderem Charakter sind bzw. waren. In der Bundesrepublik Deutschland sterben jährlich ca. 16000 Kinder an verschiedenen Ursachen: Schwangerschaftsabbruch, Tot- oder Fehlgeburt, Krankheit, plötzlicher Kindstod, Unfall, Suizid oder an einem Gewaltverbrechen. Die 'verwaisten' Eltern, die Geschwister, aber auch andere hinterbliebene Familienmitglieder können in eine tiefe Krise geraten. Da Beziehungen für einen Menschen einen wesentlichen Aspekt seines Selbst- und Welterlebens ausmachen, kann der Tod eines geliebten Menschen dieses erheblich erschüttern. Der Verlust eines Kindes zerstört das systemische Gleichgewicht der zurückgelassenen Familien. Eltern und Geschwister werden durch Emotionen wie ohnmächtige Wut, Nichtwahrhaben - wollen, Schuldgefühle und Angst, Verzweiflung am Leben und Zweifel an der Gerechtigkeit überwältigt. Fragen nach dem Sinn des weiteren Lebens tauchen auf und Suizidgedanken bedrohen die Existenz. Doch Trauer in der Familie ist auch etwas Notwendiges, um den Schmerz des Verlustes verarbeiten zu können. Verwaiste Eltern stellen wegen der Intensität der Beziehung zur verlorenen Person, eine besondere Gruppe unter Trauernden dar.In dieser Ausarbeitung werden sowohl typische Faktoren der Trauer verwaister Eltern dargestellt als auch mögliche Hilfestellungen diskutiert.

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Leseprobe

In Ainsworth Forschungen gab es zwei hauptsächliche Aspekte. Zum ei- galt ihr Interesse der normativen und allgemeingültigen Bindung bei Säuglingen bis zum ersten Lebensjahr, in Form der Verhaltensbeobachtung in den Familien. Weiterhin wollte sie die Unterschiede in der Qualität der Bindung zwischen dem Säugling und der primären Bezugsperson herausfinden. Zur Erfassung dieser Unterschiede entwickelte sie das Beobachtungsverfahren „Fremde Situation“ („strange situation“). Dabei handelt es sich um acht aufeinanderfolgende Episoden von dreiminütiger Dauer in einem speziell für diese Untersuchung eingerichtetem Spielzimmer, in denen das Kind (zwischen dem 12. und 18. Lebensmonat) zweimal von seinem Elternteil getrennt wird. 25 Für das Kind entsteht eine Stresssituation, es kommt zu einer Aktivierung des Bindungsverhaltenssystems, so


24 Vgl. Brisch, K. (1999), S.25

dass Ainsworth Rückschlüsse auf die Bindungsorganisation ziehen konnte, d.h. es konnten erstmals Prognosen über das spätere Kontakt- und Auf verschiedene Bindungsmuster bei den Kindern. 26 Gleichzeitig möchte ich auf die von Main (Kollegin von Ainsworth und Professorin für Psychologie an der Long Island University) und Goldwyn im Jahre 1985 27 durchgeführten Bindungserwachseneninterviews (Adult Attachment Interview) hinweisen, in denen auch bei Erwachsenen eine Bindungsrepräsentation festgestellt werden konnte:

Die sogenannten sicher gebundenen Kinder (Gruppe B) zeigen Be- bei der Trennung von der Mutter. Wenn die Mutter zurückkommt, nehmen sie wieder Kontakt auf, können sich mit ihrer Hilfe relativ schnell wieder stabilisieren und sich dem Spiel zuwenden. Sicher gebundene Erwachsene haben einen guten Zugang zu ihren Gefühlen und räumen Bindungen in ihrem Leben einen hohen Stellenwert ein. In belastenden Situationen können sie durch realistische Einschätzung der Situation adäquate individuelle oder soziale Strategien zur Bewältigung anwenden.

Kinder mit unsicher vermeidender Bindungsbeziehung (Gruppe A) zeigen während der Trennung nur geringe emotionale Reaktionen und ignorieren die Bezugsperson bei der Wiedervereinigung bzw. vermeiden körperliche Berührungen. Unsicher vermeidende Erwachsene sind Bindungsthemen gegenüber sehr distanziert und können sich kaum noch an Ereignisse und Gefühle in ihrer Kindheit erinnern. Sie neigen zu unrealistischen Idealisierungen oder zur Abwertung der eigenen Person, der Bindungsperson oder der Umweltbedingungen.

Bei unsicher ambivalent gebundenen Kindern (Gruppe C) können während der Trennung starke emotionale Reaktionen beobachtet werden. Sie suchen zwar bei der Wiedervereinigung mit der Bezugsperson Körperkontakt, zeigen aber gleichzeitig Ärger und Widerstand. Zudem lassen sie sich nur schwer beruhigen und sind ohne die Hilfe der Bezugsperson nicht in der Lage, sich relativ bald wieder zu stabilisieren. Unsicher ambivalent gebundene Erwachsene zeigen bzgl. früherer Beziehungen Ärger, Verwirrung oder Widersprüchlichkeit. Sie können unterschiedliche Gefühle nur schwer integrieren.

Main führte außerdem 1986 die Bindungsdesorganisation bei Kindern als ein viertes Bindungsmuster (Gruppe D) an. Diese Kinder zeigen unterbrochene oder ungeordnete Bewegungen, sich widersprechende Verhaltensweisen oder auch Furcht vor der Bezugsperson. 28 Erwachsene mit Bindungsdesorganisation als Bindungsmuster fallen durch verbale und gedankliche Inkohärenzen 29 und Irrationalitäten auf, besonders wenn über belastende Erfahrungen wie Tod oder Trennung gesprochen wird.

Nach Ainsworth steht eine sichere Bindung im Kindesalter in Relation mit der Feinfühligkeit, mit der die Mutter auf die Bedürfnisse des Säuglings eingeht. Kinder können demnach nur dann psychische Stabilität und Sicherheit erfahren, wenn die Eltern neben der nötigen Erziehung und Förderung verlässlich sind und die Autonomie des Kindes anstreben, bei Gefahr aber immer zur Stelle sind und verantwortungsvoll handeln. 30 Aus dieser Erkenntnis kann man die Entstehung des Bindungsverhaltens Erwachsener ableiten, denn der Erziehungsstil unserer Eltern prägt uns und beeinflusst damit auch das unser eigenes Bindungsverhalten. Dieser Zusammenhang wurde in einigen Studien 31 eindeutig nachgewiesen. Je nach Gruppenzugehörigkeit der Eltern („sicher“, „unsicher vermeidend“, „unsicher ambivalent“ oder „desorganisiert“) zeigten auch die Kin-

der die entsprechende Bindungsrepräsentation. 32 Trotz dieser Beobachtun- wäre es jedoch zu einfach, den Eltern die Hauptschuld an etwaigen späteren psychischen Störungen des Kindes zuzuschreiben. Stattdessen muss vielmehr auch immer die jeweilige Lebenssituation sowie persönliche Einstellungen und Verhaltenserwartungen anderer Personen beachtet werden.

Innerhalb einer Familie können verschiedene Arten von Bindungen beste- 34

- Funktionale Familie: ist durch praktische Anforderungen des täglichen Zusammenlebens, wie z.B. Haushaltsführung, gekennzeichnet.

- Rechtliche Familie: ist durch die Normen des Rechtssystems definiert, z.B. aufgrund von Unterhalts- und Erziehungsverpflichtungen oder auch Sorgerechtsregelungen.

- Familie, so wie die Mitglieder sie sehen: die subjektive Wahrnehmung der einzelnen Mitglieder bestimmt, wer zur Familie gehört und wer nicht, z.B. das „schwarze Schaf“ oder der „verlorene Sohn“.


- Familie mit langfristigen Verpflichtungen: ist durch ein hohes Maß an Erwatungen bzgl. der Dauer und Stabilität der wechselseitigen Bindungen gekennzeichnet. Die langfristigen Bindungen haben gerade wegen der gemeinsam durchlebten Belastungen des Lebens bestand und können daran wachsen.

- Biologische Familie: aufgrund der Blutsverwandtschaft ist sie ein wichtiger und teilweise schwieriger Bestandteil der Identitätsbestimmung des Einzelnen.

Je nach Art der Familienform, also der jeweiligen Bedeutungs- und Bin- ist es für den Einzelnen schwer, seine Mitgliedschaft zu verändern oder einfach aufzugeben. Dies gilt z.B. in der Familie mit subjektiver Zugehörigkeitswahrnehmung oder der Familie mit langfristigen Verpflichtungen. Bis ein Zugehörigkeitserleben erlischt oder andere Qualität zugeschrieben bekommt, ist meist viel Zeit notwendig. Ein Vater, der z.B. nie Zeit mit seinen kleinen Kindern verbrachte, kann Schwierigkeiten haben, im Rentenalter auf einmal Nähe und Kontakt zu diesen herzustellen. 35 Im Falle eines Kindesverlustes (bzw. Personenverlustes generell) gilt dies ebenfalls. Aufgrund der erwarteten dauerhaften Beziehungen als „Lebensbeziehungen“ innerhalb der Familie, ist die Auflösung einer Beziehung durch den Tod eines Kindes besonders schwer zu verstehen und zu akzeptieren. Die häufig nie endende Trauerarbeit der Eltern und anderer Angehörigen verdeutlicht den Beziehungsverlust. 36

Hier möchte ich noch einmal auf Bowlby verweisen, demzufolge es ein menschliches Grundbedürfnis ist, starke emotionale Bindungen einzugehen. Unser Leben können wir nur dann wirklich leben, wenn wir auch bereit sind, uns zu binden und auch angesichts eines möglichen Verlusts nicht vor einer Bindung zurückschrecken. Liebe und Verlust bzw. Trauer sind deshalb eng miteinander verbunden.

In intimen Beziehungssystemen, zu denen das Eltern-Kind-Verhältnis gehört, kommt es zu vielfältigen Interaktionen und wechselseitiger Kommunikation. Dies fördert eine intensive affektive Verbundenheit und ein posi-


34 Vgl. M.A.; Strauss, E.S. (1983), In: Schneewind, K.A. (1999), S. 20f

tives Beziehungsklima, auf das in schwierigen Lebenslagen zurückgegrif- werden kann. 37

Tritt dann eine Gefährdung des Bindungssystems ein, kommt es natürlicherweise zu Trennungsängsten und zu unterschiedlichen Aktionen der Familienmitglieder, welche die Bindung erhalten sollen. Je größer die Gefahr des Verlusts, desto ausgeprägter die Formen des Bindungsverhaltens, z.B. Weinen, Anklammern oder auch Wutausbrüche. Jedes Mitglied kann demnach durch Einsatz der vorhandenen Ressourcen seinen Beitrag zur Problemlösung leisten, was wiederum die Verbundenheit zwischen den Mitgliedern vertiefen kann. Der Tod eines Kindes in der Familie kann demzufolge auch Beziehungsprozesse anregen und die Krise wird zur Chance der Familie und jedes Einzelnen (siehe dazu auch 3.2). 38

Die Aktivitäten und Bemühungen zur Wiederherstellung der Bindung (wie sie auch bei der Trennungsangst auftreten) hören im Falle eines tatsächlichen Verlustes in der...

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