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Das Erziehungsanliegen Don Boscos vor dem Hintergrund seiner Zeit und die Möglichkeit einer praktischen Verwirklichung heute

AutorBerta Wieländer
VerlagGRIN Verlag
Erscheinungsjahr2005
Seitenanzahl86 Seiten
ISBN9783638381796
FormatPDF/ePUB
Kopierschutzkein Kopierschutz/DRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis27,99 EUR
Diplomarbeit aus dem Jahr 2005 im Fachbereich Pädagogik - Allgemein, Note: Gut, Private Pädagogische Hochschule der Diözese Linz, 36 Quellen im Literaturverzeichnis, Sprache: Deutsch, Abstract: Erziehungsmethoden unterliegen einem ständigen Wandel der Zeit. Eines ist aber ziemlich sicher: jene Grundsätze, die Bon Bosco, wenn auch in einer ganz anderen Zeit lebend, aufgestellt hat, behalten auch heute noch ihre Gültigkeit. Die Grundgüte der Liebe und das Vertrauen in ein Kind bzw. in einen Schüler ist das Wichtigste.

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Leseprobe

3. Situation im Italien des 19. Jahrhunderts


 

3.1. Wirtschaftliche Situation


 

Giovanni Bosco war sein gesamtes Leben lang (1815-1888, geb. in der Nähe von Turin) mit den verschiedensten wirtschaftlichen Strömungen konfrontiert, die sowohl sein Handeln als auch sein Betätigungsfeld mitbestimmt haben.

 

Seine Wirkungszeit fällt mit der industriellen Revolution zusammen, die von unvorhersehbaren Auswirkungen auf alle Bereiche des menschlichen Lebens, wie Gesellschaft, Kultur, Politik, Technik, Wirtschaft und Wissenschaft gekennzeichnet war.

 

Auf der Grundlage des Kapitalismus hatte die industrielle Revolution ihre Heimat im England der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts. In der Mitte des 19. Jahrhunderts kam sie in unterschiedlicher Ausprägung auch in Belgien, Deutschland, Frankreich, der Schweiz und in den Vereinigten Staaten von Amerika zur Geltung.

 

Die gewerbliche Massenproduktion, getragen von privaten Unternehmern (Kapitalbesitzer) und Lohnarbeitern, löste weitgehend traditionelle Produktionsmethoden wie Handwerk, Manufaktur und Verlagssystem ab. Die Veränderungen in der Wirtschaftsweise bewirkten einen grundlegenden Strukturwandel der Gesellschaft, der sich durch eine beschleunigte Modernisierung dieser zeigte.

 

Für Italien muss man den Beginn der Industrialisierung erst mit den letzen 20 Jahren des 19. Jahrhunderts ansetzen, weil das Land größtenteils agrarisch strukturiert war. Für die vorhergehenden Jahrzehnte kann man bestenfalls, zum Beispiel von Turin (Wirkungskreis von Giovanni Bosco), von Anzeichen einer Vorindustrialisierung mit lokaler Bedeutung sprechen. Immer problematischer wurde der Unterschied zwischen dem bereits industrialisierten Norden und dem agrarischen Süden. Nach der nationalen Einigung Italiens 1861 änderte sich an der alten Gesellschafts- und Wirtschaftsordnung wenig, denn die von der Landbevölkerung erhoffte Reform der Landwirtschaft wurde nicht verwirklicht. Kleine Bauern und Landarbeiter litten weiterhin an der Ausbeutung ihres Bodens und ihrer Arbeitskraft, weil sie sich noch immer in Abhängigkeitsverhältnissen befanden. Zusätzlich wurden sie mit neuen Steuern belastet, die zur Erhaltung von Verwaltung und Militär verwendet wurden. Einen Weg aus dieser eher aussichtslosen Situation schien es nicht zu geben, denn fähige junge Männer wurden zum Militärdienst eingezogen und konnten somit keinen wirtschaftlichen Beitrag im Süden des noch unvereinten Italiens leisten.

 

Die eingeführte Handels- und Gewerbefreiheit zerstörte bald die Gewerbestruktur des Südens, der zu einem reinen Absatzmarkt für Produkte aus dem schon teilweise industrialisierten Norden wurde. Manche Kritiker sprachen daher von einer Art „Kolonie im eigenen Lande“. (vgl. Scheucher, Wald, Lain, Staudinger; 1999, 38)

 

Mit dem Aufstieg der stärkeren Nationen (England, Frankreich, Deutschland, Österreich und Russland) baute Europa in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts seine politische Vormachtstellung aus. In den letzten 30 Jahren des 19. Jahrhunderts machten die Verfestigung des Kapitalismus und die Fortschreitung der industriellen Revolution den wirtschaftlichen Wettkampf härter und den Rüstungswettlauf immer schneller. Gleichzeitig wuchs das Bedürfnis nach wirtschaftlicher, politischer und kultureller Expansion auf Weltebene. Sie fand ihren deutlichsten Ausdruck im Kolonialismus und in weiterer Folge in den totalen Umwälzungen in den außereuropäischen Gebieten. Es darf hier das Phänomen der massenhaften Auswanderung nicht vergessen werden, das von 1840 bis 1914 etwa 30 – 35 Millionen Europäer dazu brachte, den eigenen Kontinent zu verlassen und sich über die ganze Welt zu zerstreuen.

 

Durch die wachsende Verflechtung des wirtschaftlichen, sozialen und politischen Lebens und mit der, wenn auch langsamen, Verbreitung der Grundfreiheiten, die bereits in der Französischen Revolution gefordert wurden (Freiheit, Gleichheit, …), entwickelte sich ein deutlicher Pluralismus der Weltanschauungen, der politischen Ideologien und der ethischen und religiösen Vorstellungen. Es entstanden große theoretische und praktische Orientierungsrichtlinien, die sich in der Konzeption und Organisation des privaten, wie auch in den Formen des gesellschaftlichen Lebens unterscheiden. Neben den fortbestehenden, manchmal auch rückschrittlichen konservativen Kräften schreiten neue Weltanschauungen voran:

 

liberale, in Fortsetzung der bürgerlichen Ideen der französischen Revolution;

 

demokratische und radikale, die dem jakobinischen Gedankengut nahe stehen;

 

nationale und auch nationalistische - romantischer Prägung

 

sozialistische

 

christlich-soziale

 

(vgl. Scheucher, Wald, Lain, Staudinger; 1999, 37)

 

Um die spezielle Situation Italiens, die pastoralen Ansätze und den Charakter der katechetischen Bemühungen zu verstehen, kann ein historischer Blick auf Piemont, die führende Region Italiens, sehr nützlich sein.

 

Mein Augenmerk richtete sich hierbei auf einschneidende Ereignisse und tief greifende Veränderungen in verschiedenen Bereichen, wie Politik, Religion, Gesellschaft, Wirtschaft, Erziehung und Schule.

 

3.2. Politische Situation


 

Die Geburt Giovanni Boscos fand im Spannungsfeld der Beendigung der Herrschaft Napoleons und der Neuordnung Europas beim Wiener Kongress 1815 statt. Sein Leben fiel in ein sehr bewegtes und kontrastreiches Jahrhundert über das ich kurz einen Abriss geben möchte.

 

Die umwälzenden politischen, wirtschaftlichen und sozialen Geschehnisse, die sich in der Zeitspanne vom Sturz Napoleons bis zur Thronbesteigung Willhelms II in Europa vollzogen haben, konnten in ihrer Bedeutung erst im Nachhinein einigermaßen abgeschätzt werden. So formierte sich das heutige Europa nach unzähligen Wirren zu einer Pentarchie[2]. Die Wende konnte durch die Beschlüsse des Wiener Kongresses (1814/15), welche der politischen Geografie Europas eine vorläufige Neuordnung gaben sowie durch die heilige Allianz[3] verlangsamt werden.

 

Mit der Zeit gewannen diese tiefgreifenden geschichtlichen Prozesse die Oberhand, sodass sich zum Ende des Jahrhunderts das Gesicht Europas, und in vielerlei Hinsicht auch das der ganzen Welt, verändert hatte.

 

Die Zeit von 1815 – 1848 war in Italien beherrscht von einem Klima der „Restauration“, das teilweise auch ein Klima der „Reaktion“ war. Zugleich aber nahmen liberale Ideen zu und es verbreiteten sich oft geheime Bewegungen und Gesellschaften, die auf radikalere Umwälzungen politischer und sozialer Art ausgerichtet waren. Immer wieder kamen revolutionäre Bewegungen zum Ausbruch (1820/21, 1830/31, 1834, 1843, 1844, 1845). Es war dies das Vorspiel zum großen politischen, sozialen und nationalen Aufstand, der sich von Paris ausgehend von Februar bis Juni 1848 über die wichtigsten Städte und Hauptstädte Europas, wie Wien, Budapest, Prag, Berlin, Mailand, Venedig und Palermo ausbreitet hat. (Vgl. Braido P., 1999, 19)

 

In den regionalen italienischen Aufständen des Jahres 1848, die zwar scheiterten, wurde die Idee zur Einigung Italiens weiter aufrechterhalten.

 

Im Vergleich zur vorhergehenden Ordnung sah sich ein großer Teil der Katholiken, ausgehend vom Königreich Piemont- Sardinien, plötzlich geradezu traumatischen Situationen gegenübergestellt:

 

 Pressefreiheit und gleichzeitig damit auch die religiöse Propaganda

 

 Auseinandersetzung mit den laikalen und manchmal auch antiklerikalen Kräften

 

 Aufhebung der Privilegien

 

 Vertreibung der Jesuiten, der Sacré-Coeur-Schwestern und des Erzbischofs von Turin Luigi Fransoni, aus dem Königreich

 

 Unterdrückung der Ordensgemeinschaften und Einzug ihres Besitzes

 

Das Königreich Piemont wurde zum Zentrum der Einigungsbewegung, an deren Spitze sich König Viktor Emmanuel II. von Piemont – Sardinien und sein Ministerpräsident Camillo Benso di Cavour stellten. Dieser konnte sich die Unterstützung Frankreichs unter Napoleon III. gegen die Abgabe von Nizza und Savoyen sichern und somit gestärkt gegen Österreich, das Ober- und Mittelitalien beherrschte, vorgehen.

 

Im Italienischen Einigungskrieg (1859) musste Österreich zwei schwere Niederlagen hinnehmen aus denen der Verlust der Lombardei an Piemont – Sardinien resultierte. Der Druck der nationalen Bewegung gewann an Stärke und führte dazu, dass sich Mittelitalien mit Piemont – Sardinien vereinigte. Mit unzähligen Freiwilligen landete Giuseppe Garibaldi in Sizilien. Sein „Zug der Tausend“ (Scheucher, Wald, Lein, Staudinger, 1999, 38) durch Sizilien und Unteritalien führte zum Sturz der bourbonischen Monarchie. Bereits ein Jahr später wurden der Norden und der Süden zum Königreich Italien vereinigt und schrittweise folgte die Eingliederung noch fehlender Territorien.

 

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