Die Balanced Scorecard ist seit geraumer Zeit in aller Munde. Nicht nur als neuartiges Kennzahlensystem, sondern auch als Managementsystem zur Umsetzung von Strategien macht die Scorecard Furore.
Neben den traditionellen Kennzahlen (Kapitel 2.3.4.1) hat sich- vor allem auch durch die Veränderungen des Unternehmensumfelds auf die bereits in Kapitel 2.2.1 näher eingegangen wurde- eine neue Art der Kennzahlenaufbereitung entwickelt, das sogenannte „Performance Measurement“. Unter Performance Measurement versteht man integrierte Kennzahlensysteme, die meist mehrere quantifizierbare Messgrößen unterschiedlicher Dimensionen (z.B. Qualität, Kosten, Zeit, usw.) zur Beurteilung von Leistungen und Leistungspotenzialen im Unternehmen beinhalten. Dabei stellt die Balanced Scorecard ein Instrument des Performance Measurement dar, was frei übersetzt soviel wie „ausgewogener bzw. multikriterieller Berichtsbogen“ bedeutet. Die „Ausgewogenheit“ bezieht sich dabei auf das gesamte Unternehmen, da die Balanced Scorecard nicht nur finanzwirtschaftliche Kennzahlen, sondern auch die Perspektiven von Anspruchsgruppen wie Kapitalgeber, Kunden und Mitarbeiter berücksichtigt.[70]
Die Balanced Scorecard ist anders als die Anderen ein Management-Instrument, das den ganzen Planungs-, Steuerungs- und Kontrollprozess des Unternehmens gestalten hilft und mit Hilfe von unternehmensspezifischen Anpassungen der Ausformulierung bzw. Qualifizierung von Strategien dient. Die Balanced Scorecard umgeht dabei die Nachteile traditioneller Kennzahlensysteme wie Vergangenheitsorientierung, zu hohe Komplexität und daraus entstehende mangelnde Verständlichkeit. Sie betrachtet das Unternehmen aus vier Perspektiven.[71]
Das Balanced-Scorecard-Konzept wurde Anfang der neunziger Jahre von den US-Amerikanern Robert S. Kaplan und David P. Norton entwickelt. Harvard-Business-School-Professor der erste und Unternehmensberater der zweite, beschäftigten sich mit Steuerungskonzepten in Unternehmen und veröffentlichten erstmals 1992 in der Zeitschrift Harvard Business Review einen Artikel über den Aufbau einer Balanced Scorecard mit dem Titel „The Balanced Scorecard- Measures That Drive Performance“. Dieser Artikel brachte dem Konzept eine hohe Bekanntheit und zahlreiche intensive fachliche Diskussionen und das nicht nur in den USA.[72] Auslöser war die Kritik an den bestehenden Performance-Measurement-Ansätzen, die vorwiegend auf finanziellen Kennzahlen basierten. Man war sich einig „dass der alleinige Zugriff auf monetäre Kennzahlen Organisationen an zukünftigen wertschöpfenden Tätigkeiten hinderte“.[73] Diese einseitige Orientierung sollte durch ein „ausgewogenes“ System von monetären und nicht monetären Kennzahlen ersetzt werden, um so die gesamte Wertschaffung eines Unternehmens beurteilen zu können.[74]
Im selben Jahr noch gründete David P. Norton die Unternehmensberatung Renaissance Solutions Inc., die sich auf die Umsetzung der Balanced Scorecard in Unternehmen konzentrierte. Nach und nach veröffentlichten die Begründer Erfahrungsberichte aus den von ihnen beratenen Unternehmen. Zu den ersten Anwendern gehören z.B. Mobil Oil, Hilton Hotels, Duke Children`s Hospital, Wells Fargo Bank, Store 24, City of Charlette.
Eine Zusammenfassung der gemachten Erfahrungen und umfangreiche Beschreibungen des Konzeptes erfolgte im Jahre 1996 mit dem Buch „Balanced Scorecard- Translating Strategy into Action“ geschrieben von Kaplan und Norton. In diesem Buch werden die vier Perspektiven Finanzen, Kunden, interne
Prozesse sowie Lernen- und Entwicklung erklärt und gezeigt, wie Strategien durch Kennzahlen operationalisiert werden. 1997 erschien das Buch erstmals in deutscher Sprache.[75]
Die Balanced Scorecard soll im Laufe der neunziger Jahre in die Mehrzahl der größten US-Unternehmen Einzug gehalten haben. [76] In Deutschland liegt die Entwicklung des neuen Instruments- wie so oft- einige Jahre hinter den USA zurück. Für Europa gibt es Schätzungen, die heute von der Hälfte der Unternehmen ausgehen. Zu diesen Unternehmen gehören z.B. DaimlerChrysler AG, Deutsche Bahn AG, EuroShell, Lufthansa AG und Siemens AG. Jedoch wächst das Interesse an dem Instrument permanent: Hochschullehrer, Seminaranbieter und Unternehmensberater sind in diesem Bereich aktiv.[77]
Bei einer Studie im Jahr 2000 haben Vertreter des Fachbereichs Betriebswirtschaftslehre der Fachhochschule Augsburg in Zusammenarbeit mit einer Stuttgarter Unternehmensberatung fünfzig deutsche und schweizerische Unternehmen befragt, die das Instrument der Balanced Scorecard einsetzen. Dabei wurde festgestellt, dass sich die Balanced Scorecard uneingeschränkt als komplettes Managementsystem bewährt hat und sämtliche Befragte von der Wirksamkeit des Instruments überzeugt waren.[78]
Zur guten Beurteilung haben u.a. Effekte wie:[79]
Erhöhung der Kundenzufriedenheit
Reduzierung der Rüstzeiten
Steigerung der Mitarbeiterzufriedenheit
Reduzierung von Lagerbeständen
beigetragen. Zudem hatte die Balanced Scorecard zu einem höheren Anteil von neuen Produkten am Umsatz beigetragen.[80]
Als Gründe für die Einführung des Konzeptes der Balanced Scorecard wurden dabei folgende Gründe genannt:
Abb. 7: Gründe für die Einführung einer Balanced Scorecard[81]
Die obige Grafik soll verdeutlichen, dass die meisten (75%) der befragten Unternehmen erkannt haben, wie wichtig die effektive Umsetzung von Strategien in Unternehmen ist. Nicht weniger bedeutsam ist die Einrichtung von Erfolgskontrollen hinsichtlich der Zielerreichung. Als weitere Gründe wurden eine unternehmensweite verständliche Sprache, persönliche Zielvereinbarungen mit Mitarbeitern effizienter zu treffen und zu überprüfen sowie ein unternehmensweites einheitliches Kennzahlensystem zu schaffen, genannt.
Ein ausführlicher Einblick in das Konzept und den Aufbau der Balanced Scorecard soll im Folgenden gegeben werden.
Die Grundidee der Balanced Scorecard beruht auf der Feststellung, dass die Steuerung von Unternehmen mit Hilfe von traditionellen Kennzahlensystemen, in denen finanzielle und vergangenheitsbezogene Kennzahlen im Vordergrund stehen, heutzutage der Realität und ihrem raschen Wandel nicht mehr gerecht werden. Der Grund dafür ist, dass die traditionellen Kennzahlensysteme der Unternehmensführung aufgrund dessen, dass sie meist nur die finanzielle Dimension berücksichtigen, nur einen sehr eingeschränkten Blick auf die gesamte Leistung des Unternehmens geben.[82]
Dabei haben traditionelle Kennzahlensysteme folgende Mängel aufzuweisen:[83]
Sie sind vergangenheitsbezogen und operativ
Sie sind nicht mit der Strategie des Unternehmens verbunden
Finanzielle Kennzahlen stehen im Vordergrund, nicht finanzielle Kennzahlen bleiben außer Betracht
Die Systeme bilden nur Symptome des geschäftlichen Wirkens ab, sagen aber kaum etwas über die wesentlichen Treiber des Erfolgs aus
Sie sind häufig zu komplex, sodass eine große Interpretationsbedürftigkeit besteht, weshalb auch die Aussagekraft der Kennzahlen begrenzt ist
Sie stehen meist erst zu spät zur Verfügung
Die Kennzahlen werden nicht mit dem Managementsystem verbunden
Bei Unternehmen, die nur mit traditionellen Kennzahlensystemen arbeiten, besteht das Risiko, dass sie durch den einseitigen Blick auf kurzfristige finanzwirtschaftliche Daten Investitionen vornehmen, die sich kurzfristig zwar positiv als Ertrag in der Gewinn- und Verlustrechung niederschlagen, sie aber auf der anderen Seite langfristige Wertschöpfungsinvestitionen (z.B. in Informationssysteme, neue Technologien, u.ä.) vergessen, die als eigentliche Treiber des zukünftigen Unternehmenserfolgs anzusehen sind.[84]
Für Unternehmen, die auch in Zukunft insbesondere bei den rasanten Veränderungen der Unternehmensumwelt wettbewerbsfähig und erfolgreich sein wollen, reicht daher der einseitige Blick auf finanzwirtschaftliche, vergangenheitsorientierte...