Coming-out
Die Selbstentfaltung
Heraus damit!
Fangen wir damit an, was Sie machen können, wenn Sie nicht auf die »langsamere Hälfte der Menschheit« warten wollen. Meine Grund- und Eingangsthese lautet: Würde auch nur die Hälfte der Menschheit ihr Coming-out zelebrieren, hätten alle doppelt soviel Spaß an der Liebe.
Wollust heißt der Schatz, den jeder besitzt. Wer ihn nicht hebt, wird Reichtum, also sexuelle Befriedigung, nur zufällig erlangen – und ohne die keine Lebensharmonie, nie und nimmer.
Das indische ›Kamasutra‹ wird im Westen stets als eine Gebrauchsanleitung der Stellungen missinterpretiert. Doch die sind nur Mittel zu einem höheren Zweck. Das ›Kamasutra‹ ist eine Anleitung zum Glücklichsein, zum Gewinn körperlicher und seelischer Harmonie. Sie haben hoffentlich nicht wirklich geglaubt, dass Körperharmonie nur Sportstudio, dass Körperlichkeit nur die Summe von Torso, Armen und Beinen ist und damit abzutun wäre. Dann hätten Sie die Rechnung ohne den Wirt gemacht, denn auch Gefühle sind zutiefst körperlich, was sonst?
Als harmonisch gilt dem ›Kamasutra‹ und der ihm zugrunde liegenden Philosophie die Abwesenheit von Frustration (zu wenig Sex) und Sucht (zu viel Sex). Wer eine harmonische Sexualität lebt, kann sich entspannt um all die anderen Dinge des Lebens kümmern. Erotisches Geschick ist eine Fertigkeit, die man lernen und vervollkommnen kann. Aber die richtige Handhabung kann nur dem helfen, der sich seiner eigenen Lust bewusst wird. Darum: Heraus damit! Für ein Coming-out ist es selten zu früh und nie zu spät. Wieweit Sie dabei mit Eigenarten männlicher Erotik und männlicher Sexualität rechnen müssen, soll Ihnen dieses Buch verdeutlichen. Wie ein solches Coming-out aussehen kann, soll meine eigene Pubertät beispielhaft und plastisch vermitteln.
Geburt eines Frauenhelden
Als die Jungs aus meiner Clique begannen, den Mädchen hinterherzuschauen, brach meine bis dato heile Welt entzwei. Ihnen dagegen tat sich eine neue auf. Thomas, Christian, Felix und Wulf, sie alle wussten genau, wohin sie wollten: zu den jungen Frauen. Nur ich wusste erst einmal gar nichts mehr, außer vielleicht, dass ich gerne weiter mit den Jungs um die Wette »Hand an mich gelegt« hätte. Vielleicht hatte sich meine Lust auf Frauen verspätet?
Etwas anderes nagte an mir. Ich fühlte mich hässlich. Kassenbrille und Pickel aller Größen zierten mein Gesicht, und ich war so dünn, dass das Zählen meiner Rippen im Umkleideraum zum festen Freizeitvergnügen der Mitschüler gehörte. Die Damenwahl bei der Tanzstunde bescherte mir den bis dahin demütigendsten Moment meines jungen Lebens – kurz: Frauen pflegten mich nicht zu beachten.
Die Wende kam mit sechzehn Jahren. Was mich plötzlich zu einem Frauenliebling machte, war mein Coming-out als Schwuler. Meine Mitschüler bekamen zunächst lediglich mit, dass ich eines Morgens mit einer lustigen dreieckigen, rosafarbenen Brosche am Revers zum Unterricht erschien. Der modebewussten Claudia fiel das gute Stück natürlich sofort auf, und sie wollte wissen, wo ich es herhatte.
»Das ist ein Rosa Winkel, den mussten die Homosexuellen im KZ tragen«, gab ich zur Antwort.
Nach einer kurzen Pause fragte Claudia: »Bist du etwa andersrum?«
»Ja, ich bin schwul.« Ich sagte das voll neu gewonnenem Stolz, wenn auch mit brüchiger Stimme.
»Das finde ich aber mutig von dir!«
Es lag kein Mut in diesem Moment. Jeder Eisverkäuferin hätte ich ungefragt erzählt, dass ich schwul bin, so froh war ich, endlich zu wissen, wer ich bin. Es war mein Coming-out, ich war »herausgekommen«!
Zwar hatte ich noch immer Pickel, eine Kassenbrille und die Figur des klassischen »Hungerhakens«, aber plötzlich rissen sich im Schulbus die begehrtesten Mädchen um den Platz neben mir. Sie steckten mir Zettel zu, in denen sie meine Meinung zu ihrem derzeitigen Schwarm erfragten, ich wusste ihre geheimen Träume, und mit den schönsten Jungen der Schule wurde ich zu Mädchengeburtstagen eingeladen. Ich stand im Mittelpunkt – der Frauen! An die Jungs kam ich leider noch immer nicht ran. Wie ich das doch noch geschafft habe, ist ein anderes Thema …
Männliche Triebe – weibliche Lust
… unser Thema ist, was Sie tun können und vielleicht noch nicht ausprobiert haben, um an diese mittlerweile erwachsenen und interessanten Männer heranzukommen, beziehungsweise das wahrhaft Attraktive an Ihrem Exemplar zu finden. Eines ist klar: Ihr erster Schritt muss sein (entschuldigen Sie den rüden Ton, aber es ist doch wahr), Ihre Leidensfähigkeit und Bereitschaft, mit selbstverliebten Gockeln schlechte Bettgeschichten zu erleben, sofern noch vorhanden, schnellstens zu vertreiben. Auch und gerade wenn die Aussicht, dass Sie sich dieselben Freiheiten nehmen wollen und können, die Ihr männlicher Partner selbstverständlich für sich in Anspruch nimmt oder in Gedanken zelebriert, ihm die Schweißperlen ins Gesicht treibt. Schwitzen ist gesund und nur ein Grund mehr für den Untergang einer Welt, in der die Heterosexuellen, Männer wie Frauen gleichermaßen, so manches Mal neiderfüllt auf die Schwulen schauen, die dreimal miteinander im Bett gewesen sein müssen, um einmal zusammen ins Kino zu gehen, während bei Ihnen das Objekt der Begierde erst dreimal ins Kino geführt werden muss, um einmal mit ihm im Bett zu landen. Alleine die Kosten!
Wie Männer sind, darüber haben Frauen und Männer viele Abhandlungen geschrieben. Auf der einen Seite behaupten Menschen wie die kalifornische Psychologin Daphne Rose Kingma, in der männlichen Seele gäbe es nichts zu entdecken als emotionale Wüsten. Das ist eines dieser bezeichnenden Bilder: Wir alle wissen, die Wüste lebt! Oder der amerikanische Schriftsteller Edmund White: »Bei einer Umfrage klagten alle befragten Frauen, ihre Ehemänner seien außerstande, Gefühle zu zeigen, und dann stellte sich nach unzähligen Therapiestunden heraus, dass sie gar keine hatten.« Stellt sich die Frage: Gefühle oder Ehemänner?
Biologen betonen die Verbindung von männlicher Sexualität und Aggression, die beide in der gleichen Hirnpartie vom Testosteron gesteuert werden. Anthropologen stellen die These auf, dass Männer ihr Leben lang dem Sex hinterherjagen, weil es wesentlich weniger Eizellen als männliche Spermien gibt; allenfalls zur Kinderaufzucht ließen sie sich für ein paar Jahre auf monogame Verhältnisse ein. Ich weiß nicht, welche Erfahrungen Sie gemacht haben und was Sie glauben. Die Statistik behauptet etwas anderes: Mindestens ebenso viele Frauen verlassen ihre Männer wie umgekehrt. Sei es, wie es sei, mir ist der schlichte Gedanke am sympathischsten, dass es sie gibt: die Kleinen und die Großen, die Hippen und die Weniger-Hippen, die Aus- und Einsteiger, die, die alles versuchen, und die, die alles auf sich zukommen lassen, die Konservativen und die Progressiven, die Lauten und die Leisen, Männer eben. Diejenigen, die im besten Sinn »normal« sind, nicht kalt oder hochnäsig, nicht gebeugt vom Leben und leidend an ihrem Sex, sondern neugierig und offen. Vor allem neugierig. Gierig auf Bewegung und Veränderung, auf Entwicklungen, auf Beziehungen, auf das Leben, wie auch immer es gestrickt ist. Und häufig genug findet sich in den härtesten »Fällen« und Kerlen wenigstens eine Spur von allem. Jede von Ihnen kennt mindestens einen dieser Männer oder eine der Spuren in Ihrem Mann. Verfolgen Sie sie, lassen Sie nicht locker!
So weit die Männer-Klischees. Nun ein paar über Frauen, von denen Sie wissen sollten, dass Männer sie liebevoll pflegen – die Klischees. Frauen sind in Männeraugen einfach anders. Und das ist das erste und größte Klischee: ob empfangend, duldend, treu bis zur Selbstaufgabe oder leistungs-, durchsetzungs- und leidensfähiger. Das Problem, das es zu meistern gilt, ist nicht das der Liebeskrise der modernen Gesellschaft. Das Rätsel liegt im Bewusstsein, im verbreiteten Glauben einer grundsätzlichen Unvereinbarkeit von Mann und Frau, in der Empfindung von Aussichtslosigkeit. Das aber halte ich für bequem, für eine Entschuldigung. Glauben Sie grundsätzlich bis zum Beweis des Gegenteils an Ihre Kraft und Ihre Fähigkeit, jede Situation meistern zu können.
Coming-out heißt auch, die Rollen neu zu denken, sich nicht mit ihnen abzufinden, zu den Konsequenzen der eigenen Lust zu stehen, die Angst vor möglichen Folgen zu überwinden, Probleme für lösbar zu halten. Denn erst das macht es möglich, sie auch anzugehen. Wenn Sie das zur Grundlage Ihres Handelns machen, fällt es Ihnen leichter, im Zweifelsfall die nötigen Konsequenzen zu ziehen, statt nur von ihnen zu träumen. Erleben Sie Ihr sexuelles Coming-out, kommen Sie »heraus« mit Ihrer Identität als Frau, als sexuelles weibliches Wesen!
Die Initiation
Formen des Coming-outs finden sich in jeder Kultur. Sexualität zelebrierende Kulturen kannten eine Vielzahl unterschiedlicher Rituale, die dabei halfen, Mädchen oder Jungen an diese heranzuführen. Die Suche nach der persönlichen Vision seiner selbst, unumgänglicher Bestandteil des Erwachsenwerdens, war auch die Suche nach der eigenen Sexualität, die fortan gelebt und in spirituellen Festen gefeiert werden konnte, beispielsweise dem Sonnentanz der Lakota-Indianer. Der Stamm, aus dem der berühmte Häuptling Crazy Horse stammt, kannte nicht zwei, sondern vier Geschlechter: Männer, Frauen, Männerfrauen und Frauenmänner, je nach geschlechtlicher Ausrichtung. Sie alle waren gleichberechtigt.
Die monotheistischen Religionen des Abend- und Morgenlandes versuchten die menschliche Sexualität für Jahrtausende auf die Fortpflanzung zu beschränken. Heterosexuelle Monogamie sollte die Norm sein....