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Afrika ist das neue Asien

Ein Kontinent im Aufschwung

AutorChristian Hiller von Gaertringen
VerlagHoffmann und Campe Verlag
Erscheinungsjahr2014
Seitenanzahl320 Seiten
ISBN9783455851250
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis17,99 EUR
Deutschlands Perspektive auf den afrikanischen Kontinent ist verzerrt: Im Vordergrund stehen Kriege und Krisen, Katastrophen und Krankheiten. Doch unbemerkt von der breiten Öffentlichkeit erleben viele afrikanische Staaten einen beispiellosen Wirtschaftsboom und Innovationsschub. Auf seinen Reisen in viele afrikanische Länder hat Christian Hiller von Gaertringen das Entstehen einer neuen, selbstbewussten Mittelschicht beobachtet: Zahllose Start-up-Unternehmen arbeiten erfolgreich, Ausbildungsverhältnisse haben sich teils massiv gebessert, und es gibt völlig neue Aufstiegschancen. Die deutsche Wirtschaft läuft Gefahr, diesen Aufschwung mit all seinen Chancen auf neue Handelsbeziehungen zu verpassen. - Ein Plädoyer für echte wirtschaftliche Zusammenarbeit statt Entwicklungshilfe.

Christian Hiller von Gaertringen geboren 1964 in Stuttgart, ist Redakteur der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. Nach seinem Studium der Wirtschaftswissenschaften in Lyon und Wien arbeitete er als Wirtschaftsjournalist und Korrespondent für zahlreiche deutsche und französische Medien, darunter Die Welt, Frankfurter Rundschau, Le Monde und Wirtschaftswoche.

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Leseprobe

Ein überholtes Bild


Im deutschen Fernsehen lebt die Kolonialzeit weiter, als wäre diese ein Idyll gewesen und als wäre diese alte Welt nie untergegangen. Die Savanne, wilde Tiere und verwegene Abenteurer mit weichem Kern dienen da gerne als Kulisse für rührende Gefühlsdramen. Sie heißen Kein Himmel über Afrika, Mein Traum von Afrika, Das Traumhotel Afrika, Buschpiloten küsst man nicht oder Afrika, mon amour. Die Geschichten werden nach einem fast immer gleichen Schema erzählt: Eine weiße Frau landet in Afrika, um den armen, aber glücklichen Menschen dort zu helfen und sich dabei nach einer großen Enttäuschung selbst zu finden. Am Anfang ist es schwer, zum Verzweifeln schwer, sich in diese Wildnis einzufinden. Doch dann verliebt sich die weiße Frau – nein, selbstverständlich nicht in einen Afrikaner, sondern meist in den weißen Abenteurer oder den Chefarzt der Buschklinik.

In der ZDF-Produktion Wohin mein Herz mich trägt lebt eine 80 Jahre alte Deutsche glücklich auf ihrer Farm in Namibia, als wäre das Kolonialregime des Deutschen Kaiserreichs nie zu Ende gegangen. Umringt von freundlichen, stets dienstbereiten Schwarzen und einer Vielzahl von Kindern, die fröhlich in dieser Kolonialidylle leben, sorgt sie sich um ihre Farm. Da reist ihre längst erwachsene Enkelin zu ihr, um den Ort ihrer glücklichen Kindheit zu besuchen – und trifft ihre große Liebe wieder. Hans heißt der Mann, der in der Zwischenzeit geheiratet hat, und seine Frau ist durch einen tragischen Unfall an den Rollstuhl gefesselt. »Mit jedem Tag, den Antonia länger auf der Farm bleibt, gewinnt die Liebe zu Hans neue Kraft – doch beide wissen, dass ihre Liebe nicht wieder auflodern darf«, heißt es in der offiziellen Filmbeschreibung. Erst nach vielen Verwicklungen finden die beiden doch wieder zueinander.

Keine deutsche Schauspielerin von Rang scheint das Genre Afrika-Schnulze in ihrer Laufbahn auszulassen: Veronica Ferres, Iris Berben, Alexandra Neldel, Jutta Speidel oder Christine Neubauer – sie alle haben ihre Rolle in diesem Repertoire.

Das deutsche Afrika-Bild hat sich trotz der Verwicklungen seit dem Ende der deutschen Kolonialzeit nach dem Ersten Weltkrieg erstaunlich gut gehalten. Viele der alten Klischees leben bis heute fort, immer wieder neu belebt von Afrika-Romanen und Fernsehromanzen, von Spendenorganisationen und Tierfilmern. Das deutsche Afrika setzt sich zusammen aus Strohhütten, dem Staub der Savanne, der schwülen Hitze von Tropenwäldern, Wasserfällen, wilden Tieren und armen Kindern, von Hunger, tropischen Krankheiten, Epidemien, Kindersoldaten und brutalen Mördern.

Es ist ein sehr einseitiges Bild, das den Deutschen den Blick auf den Aufschwung verstellt, der den Kontinent erfasst hat. Auf unserem Nachbarkontinent im Süden, der von Europa nur durch die schmale Straße von Gibraltar getrennt ist, gehen seit mehr als zehn Jahren Veränderungen vor sich, wie sie die 54 offiziell anerkannten Staaten dieses Kontinents seit ihrer Unabhängigkeit nicht erlebt haben. Mit einer wirtschaftlichen Dynamik, die noch vor 20 Jahren wohl niemand für möglich gehalten hätte, ist der Kontinent dabei, wirtschaftlich zu jenen Ländern aufzuschließen, die wir gerne als entwickelte bezeichnen. In Afrika entstehen gerade die Schwellenmärkte der nahen Zukunft. Begleitet von einem spürbaren Rückgang der bewaffneten Konflikte, einer Verbesserung der politischen Regime und höherer Rechtssicherheit wächst Jahr für Jahr der Wohlstand auf diesem Kontinent.

Afrika ist dabei, die unglaubliche Wachstumsgeschichte, die Asien in den vergangenen 20 Jahren erlebt hat, zu wiederholen. Seit mehr als einem Jahrzehnt liegt das durchschnittliche Wirtschaftswachstum aller afrikanischen Länder Jahr für Jahr bei mehr als 5 Prozent – ungeachtet aller Wirtschafts-, Finanz- und Schuldenkrisen, die in dieser Zeit Europa, Nordamerika, Asien oder Lateinamerika durchstehen mussten.

Deutschland und die deutsche Wirtschaft nehmen an diesem Aufschwung – gemessen an anderen Ländern – so gut wie nicht teil. Deutsche Unternehmen zeigen sich zufrieden mit ihren Erfolgen in China und ignorieren bisher weitgehend, was in Afrika vor sich geht. Das neue Afrika, das gerade entsteht, ist in Deutschland weitgehend unbekannt.

Den Luxus, diese Entwicklung zu ignorieren, kann sich die deutsche Wirtschaft nicht länger leisten. Deutschland braucht Afrika, wenn es seinen Wohlstand auf Dauer erhalten will. Diese Aussage mag überraschen oder gar Entrüstung provozieren. Und in der Tat könnte der Kontrast zwischen Afrika und Deutschland kaum größer sein. Im kalten Norden sitzt eine alternde Mittelschicht in wohltemperierten Reihenhäusern und lebt der Rente entgegen. Unten im Süden streben viele Millionen junger Menschen danach, eine gute Ausbildung zu bekommen und voranzukommen. Sie wollen Familien gründen, ihren Kindern eine gesicherte Zukunft bieten und eines Tages zu den Erfolgreichen auf diesem Erdball zählen.

Afrika ist noch immer der unbekannte Kontinent. Allein schon die in Deutschland gebräuchlichen Weltkarten zeigen ein verzerrtes Bild. Dort ist Afrika auf einen Fleck kaum größer als Grönland zusammengestaucht. Dabei ist die Strecke von Frankfurt am Main nach Osten über Warschau, Minsk, Moskau, Kasan, Ufa, Omsk, Nowosibirsk, Krasnojarsk, Ulan Bator bis nach Peking in etwa so lang wie die Nord-Süd-Entfernung von Algier nach Kapstadt.

12000 Kilometer sind es mit dem Auto von der Nordspitze Afrikas bis ans Kap der Guten Hoffnung. 165 Autostunden müssen laut den gängigen Routenplanern für diese Strecke eingeplant werden. Die Tour führt durch die Sahara in den Norden Nigerias, durch die Zentralafrikanische Republik nach Ruanda, Burundi, den Osten der Demokratischen Republik Kongo nach Sambia, Simbabwe und dann hinein nach Südafrika. Allein die letzte Strecke von Johannesburg nach Kapstadt misst noch einmal rund 1400 Kilometer. Während die Europäische Union auf eine Fläche von etwa 4,4 Millionen Quadratkilometer kommt, bedeckt die afrikanische Landmasse gut 30 Millionen Quadratkilometer der Erde. Während die Europäische Union etwas mehr als 500 Millionen Einwohner zählt, kommt Afrika heute schon auf gut 1,1 Milliarden Menschen. Ihre Zahl wird sich in wenigen Jahrzehnten noch einmal verdoppeln auf dann mehr als das Vierfache der Bevölkerung in der EU.

Auf einer Fahrt von Algier nach Kapstadt begegnet dem Reisenden ein Kontinent mit einer enormen Vielfalt an unterschiedlicher Natur und Klimazonen und einem unerschöpflichen kulturellen Reichtum. Afrika wird in Deutschland oft als eine homogene Landmasse mit einer homogenen Bevölkerung wahrgenommen – das jedoch ist falsch. Ein Xhosa aus Südafrika hat mit einem Ghanaer aus der Ashanti-Region, mit einem Igbo aus Nigeria oder einem Kikuyu aus Kenia kaum etwas gemeinsam. Sie vereint weder eine gemeinsame Sprache noch eine geteilte Geschichte oder dieselben Bräuche.

Manche glauben Afrika fest in der Hand chinesischer Investoren. Sie sind der Ansicht, China habe den Kontinent schon längst erobert und sich ihn einverleibt. Doch beides ist nicht richtig. China kontrolliert weder den Kontinent noch einzelne Regierungen. Und der Kontinent ist auch nicht aufgeteilt. Im Gegenteil: Mehr und mehr Länder sind dabei, ihr Schicksal in die eigenen Hände zu nehmen und sich eben gerade von ausländischem Einfluss, Hilfsgeldern, Spenden und Almosen unabhängiger zu machen. Das chinesische Engagement ist, wie wir sehen werden, vielschichtig und hat sich im Laufe der Jahre stark verändert. Für die chinesische Regierung ist das Engagement in Afrika Teil der Lösung der demographischen Probleme, auf die China zusteuert.

Es ist nicht so, dass China durch unlauteren Wettbewerb andere Unternehmen oder andere Länder aus Investitionen in Afrika gedrängt hätte. Chinesische Manager und Unternehmer zeigen dort Präsenz, wo deutsche Wirtschaftsvertreter mit Abwesenheit und Desinteresse glänzen. Chinesische Unternehmen bauen dort Straßen und setzen die verrotteten Eisenbahnlinien der früheren Kolonialherren instand, wo kein deutscher Konkurrent bereit war, zu investieren.

Ein Engagement in Afrika halten viele deutsche Unternehmer und Manager für einen Luxus, den die allermeisten von ihnen sich nicht leisten wollen. Die Frage, die sich der deutschen Wirtschaft stellt, wird in wenigen Jahren nicht mehr sein: Muss sich ein Manager wirklich Afrika antun, mit all den Unbequemlichkeiten, die Reisen und Investitionen auf diesem Kontinent mit sich bringen mögen? Die Frage wird sein: Kann ein Unternehmen es sich erlauben, Afrika auszusparen?

Das größte Handicap für Afrika ist nicht mehr die Armut. Es sind auch nicht die drei großen »K«: Korruption, Kriege, Krankheiten. Das größte Hindernis, das Afrika zu überwinden hat, ist die Vergangenheit. Sie sorgt dafür, dass die meisten Betrachter aus Europa oder Nordamerika bei Afrika immer noch an all die Katastrophen der vergangenen Jahrzehnte denken, an korrupte Machthaber, die in obszöner Weise ihren Reichtum zur Schau stellen, an abgemagerte Mütter, die ihre Kinder nicht mehr ernähren können, an Kindersoldaten, die ihre Machete oder Kalaschnikow präsentieren.

Diese Bilder sind nicht erfunden. Sie spiegeln eine Realität, die den Kontinent nach wie vor zerreißt. Afrika ist auf Katastrophenhilfe aus dem Norden angewiesen und wird es noch auf viele Jahre bleiben. Auch wird der wirtschaftliche Aufschwung...

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