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Mit aller Härte. Wie Polizei und Staatsschutz Linksradikale jagen

AutorFrank Brunner
VerlagVerlagsgruppe Lübbe GmbH & Co. KG
Erscheinungsjahr2017
Seitenanzahl252 Seiten
ISBN9783732549368
Altersgruppe16 – 
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis11,99 EUR

MIT aller Härte bietet einen spannenden Einblick in zwei auf den ersten Blick verschiedene Welten: einerseits Polizei und Geheimdienste auf der Jagd nach Staatsfeinden, anderseits ein Biotop aus Kommunisten und Anarchisten, die von der Revolution träumen. Dabei sind beide Gruppen sich ähnlicher, als sie denken: Ermittler und Linksradikale schotten sich ab, pflegen eine eigene Sprache; beide verfolgen ihre Ziele mit einem Furor, der ständig zwischen gnadenlosem Ernst und unfreiwilliger Komik mäandert.

Frank Brunner lässt beide Welten wie in einem Krimi aufeinander prallen. Er beschönigt nichts und stellt trotzdem die richtigen Fragen: Rechtfertigt der Zweck die Mittel oder muss das Ziel auch bei der Wahl der Mittel immer erkennbar bleiben?

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Leseprobe

Kapitel 1: Verhaftung


Die drei Männer hätten wissen müssen, dass sie in jener Nacht in eine Falle tappen. An Hinweisen hatte es nicht gefehlt. Einen hätten sie übersehen können. Oder zwei. Aber nicht so viele. Ihre Unachtsamkeit werden sie in den kommenden Jahren teuer bezahlen. Zunächst jedoch läuft alles nach Plan.

Dreieinhalb Stunden vor dem Ende seines bisherigen Lebens läutet es an der Tür von Oliver Rast. Es ist 22.41 Uhr an diesem letzten Julitag des Jahres 2007, und der 35-Jährige ist zufrieden. »Fast pünktlich«, denkt er und geht Richtung Flur. Seit ein paar Monaten wohnt er hier in der Tegeler Straße im Berliner Bezirk Wedding. Das Revier zwischen Sprengelpark und Sparrplatz ist kein Szeneviertel. Dönerbuden und Internetcafés ducken sich zwischen ergrauten Altbauten. Feierwütige Erstsemester, schwäbische Partytouristen und andere Hauptstadtplagen verirren sich selten in diese Gegend. Oliver Rast mag dieses Kleine-Leute-Milieu. Sorgfältig kultiviert er sein Image als Proletarier. Dafür besucht er Woche für Woche Heimspiele viertklassiger Fußballvereine oder vollgequalmte Absturzkneipen, wo allein das Wort Rauchverbot einen Aufstand auslösen würde. Mit seinem breiten Kreuz, dem starken Nacken und den raspelkurzen Haaren könnte Oliver Rast auch als englischer Hooligan durchgehen. Dass sich hinter der Fassade ein Bücherwurm versteckt, der druckreif über Politik parlieren kann und sardische Weißweine liebt, wissen nur jene, die ihn länger kennen. »Komm rein«, sagt Rast, als er die Tür öffnet. Schnell huscht der Besucher in die spärlich eingerichtete Wohnung. Was vor dem Haus vor sich geht, ahnen sie nicht.

Vor dem Haus wartet Carsten Großmann. Der vierzigjährige Kriminalhauptkommissar hat sich gegenüber dem Hauseingang von Oliver Rasts Wohnung postiert. Neben sich zwei Kollegen. Wie Großmann gehören sie zum Mobilen Einsatzkommando (MEK) des Landeskriminalamts Berlin. Insgesamt neun Beamte hat das MEK zur Observation abgestellt.2 MEK-Einheiten sind darauf trainiert, Schwerkriminelle zu observieren und festzunehmen. Heute wurden sie vom Bundeskriminalamt (BKA) angefordert. Seit Wochen überwachen sie Handys und Festnetzanschlüsse von drei Männern, die auf den ersten Blick ein völlig normales Leben führen. Oliver Rast ist Antiquar, sein Freund, den alle nur »den Langen« nennen, ein Sozialpädagoge, und der Dritte im Bunde – er soll in dieser Geschichte »der Schwede« heißen – arbeitet als Altenpfleger. Keiner ist jemals mit dem Gesetz in Konflikt geraten. Dennoch glaubt man beim BKA, drei große Fische an der Angel zu haben. Vor zwei Tagen schien sich der Verdacht zu bestätigen.

29. Juli 2007, kurz vor halb fünf Uhr nachmittags. Oliver Rast sitzt an diesem Tag an seinem Schreibtisch im Roten Antiquariat und stellte die Verkaufsliste zusammen, die er einmal im Monat an Stammkunden verschickt. Das Geschäft in der Rungestraße ist ein Sehnsuchtsort für Menschen, die noch immer nach Wegen zum Sozialismus, Kommunismus oder Anarchismus suchen oder einst gesucht haben. Und die nun, mit Wehmut und Pensionsanspruch, die zu Buchstaben geronnenen Überbleibsel ihrer rebellischen Jugend kultivieren. Oliver Rast liebt die Arbeit im Roten Antiquariat. Wo sonst wäre er umgeben von Büchern, deren Autoren jede noch so verborgene Schattierung linker Bewegungen ausleuchten. Gebrauchsanweisungen für den Graswurzelwiderstand lagern neben Pulverdampf-Prosa von Mao bis Malatesta. In meterhohen Regalen ruhen jene Utopien, die 1990 für eine schöne neue Welt beerdigt wurden. Zwischen Hardcover gepresste Träume, allmählich verblassend, wie Druckerschwärze auf vergilbtem Papier, aufgetürmt zu Bücherbarrikaden gegen den Kapitalismus draußen vor der Ladentür. Drinnen läutet ein Telefon.

»Ja?«, fragt Rast.

»Der Opel Astra ist im Eimer. Wagenschrott, Elektronik im Arsch«, sagt der Anrufer. Es ist der Lange.

»Was?« Oliver Rast will nicht glauben, was er gerade hört.

»Der Wagen musste abgeschleppt werden.«

»Dann besorg einen anderen, für morgen oder übermorgen.«

Das hat noch gefehlt, denkt Oliver Rast und legt auf. Zwanzig Minuten später greift er wieder zum Hörer und wählt eine Nummer.

»Hi, Schwede, haste was, um dich festzuhalten?«

»Was ist denn los?«

»Einspritzpumpe ist hin, hat der Lange kaputt gemacht, ich krieg das Kotzen«, poltert Oliver Rast. »Ich hab ihn aufgefordert, Ersatz zu besorgen.«

»Ick kann gerade nicht, bin auf Arbeit.«

»Ja, aber du hast verstanden, was Sache ist?«

»Also ich hol das Ding nicht ab, ja?«

»Richtig. Und komm einfach kurz nach der Arbeit zu mir.«

»Mach ick.«

»Jut, bye, bis nachher«, beendet Oliver Rast das Gespräch und widmet sich wieder seinen Preislisten.3

Dass gut sechshundert Kilometer von Berlin entfernt, in Meckenheim, BKA-Beamte in der Leitung mitgehört haben4, weiß er nicht. Seit sechs Jahren leiten Kriminalhauptkommissarin Ute Andernach und ihr Kollege Schubert die Ermittlungen gegen eine mysteriöse Truppe von Linksradikalen, die sich »militante gruppe« nennt und die dutzende Brandanschläge auf Gebäude und Fahrzeuge von Polizei, Justiz und Wirtschaftsverbänden verübt hat. Die Fahnder fürchten, dass irgendwann auch Personen ins Visier geraten könnten. Sie glauben auch, dass sich die »militante gruppe« als Nachfolgeorganisation der Roten Armee Fraktion (RAF) versteht und einen Umsturz plant. Die Fahnder vermuten zudem, dass zur »militanten gruppe« auch Wissenschaftler gehören. Die sprachlich sehr komplex formulierten Bekennerschreiben ließen keinen anderen Schluss zu.

Niemand kann den Staatsschützern vorwerfen, dass sie die Staatsfeinde unterschätzt hätten. 2001, nach Beginn der Anschlagsserie, starteten Andernach, Schubert und ihre Kollegen die Ermittlungen mit großem Eifer. Seitdem überwachten sie E-Mail-Konten und Telefone, erstellten Bewegungsprofile, installierten GPS-Sender in Autos, zielten mit versteckten Kameras auf Hauseingänge, protokollierten Banküberweisungen und observierten tagelang Verdächtige. Doch obwohl die Beamten Vollgas gaben, kamen sie nur im Schritttempo voran. Schuld daran war ein Nebel aus steilen Thesen, der ihnen die Sicht versperrte. Kein Wunder also, dass sie jahrelang von Panne zu Panne schlitterten. Bis zu diesem Tag. Bis zu diesem Telefonat.

Das Gespräch lässt die Ermittler hellhörig werden. Warum reagiert Oliver Rast wegen eines altersschwachen Opel Astra so aufbrausend? Zumal es nicht einmal sein eigener Wagen ist? Hier geht es um mehr als einen Fahrzeugschaden. Davon sind die Polizisten überzeugt. Möglicherweise brauchen die Männer das Auto, um Anschlagsziele auszukundschaften. Vielleicht wollen sie zu einem Treffen mit Gesinnungsgenossen fahren. Dass die Staatsschützer überhaupt auf das Trio gestoßen sind, war purer Zufall. Doch wen interessiert das jetzt noch? Andernach und Schubert brauchen einen Erfolg. Mittlerweile spotten schon Medien über die Ordnungshüter. »Polizei ist ziemlich ausgebrannt«5, titelte die Tageszeitung taz vor wenigen Wochen, nachdem die »militante gruppe« zwei Einsatzfahrzeuge in Flammen hatte aufgehen lassen.

Das Telefonat ändert alles. Deshalb überwachen die Ermittler zwei Tage lang jeden Anruf von Oliver Rast. Deshalb erfahren sie, dass der Lange bei einer Mietwagenfirma am Berliner Hauptbahnhof ein Fahrzeug reserviert hat und damit gegen 23 Uhr in der Tegeler Straße 15 auftauchen will. Deshalb müssen sich Kriminalhauptkommissar Großmann und seine Kollegen Falk Schauer und Polizeihauptmeister Jan Kraulmann die Nacht vor einem Weddinger Mietshaus um die Ohren schlagen. Genau 22.41 Uhr zeigt die Uhr, als der Schwede das Haus von Rast betritt. Eine Stunde später taucht der Lange auf. Zwanzig Minuten sind seitdem vergangen. Doch ein Fehlalarm? Gegen 23 Uhr verlöscht das Licht in der zweiten Etage. Kurz darauf öffnet sich die Haustür, und Großmann, Kraulmann und Schauer sehen, wie Oliver Rast, der Schwede und der Lange auf die schwach beleuchtete Straße treten. Langsam schlendern sie den Gehweg hinunter, biegen in die Kiautschoustraße und bummeln Richtung Pekinger Platz. »Die irren ziemlich ziellos umher«6, denkt Kraulmann, während er ihnen heimlich folgt. Nach einigen Minuten haben die drei ihren Gang ums Karree beendet. Der Lange verschwindet in der Lynarstraße, Rast und der Schwede gehen zurück ins Haus. Kurz darauf stehen sie mit zwei Rucksäcken und einer Plastiktüte7 wieder auf der Straße. Oliver Rast mustert die Umgebung und bemerkt auf der anderen Straßenseite, direkt vor dem türkischen Imbiss, einen Taxifahrer, der vor der geöffneten Haube seines Wagens steht und scheinbar ratlos in den Motorraum starrt. Der Mann wirkt sehr athletisch. »Ein Taxi hier um diese Zeit? Habe ich noch nie gesehen«, wundert sich Oliver Rast. Er glaubt für einen Moment, dass der Fahrer aus den Augenwinkeln zu ihnen herüberschaut. »Alles nur Einbildung«, beruhigt er sich und spaziert mit dem Schweden zum Langen, der bereits im Auto wartet.8

Zwei Stunden vor dem Ende seines bisherigen Lebens steigt Oliver Rast in einen Renault Clio mit Münchner Kennzeichen.9 Am Steuer des Mietwagens sitzt der Lange; der Schwede hat es sich auf der Rückbank bequem gemacht. Kurz nach Mitternacht lassen sie die Tegeler Straße hinter...

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