InhaltsverzeichnisDie Digitalisierung ist schuld, sagt der Mann aus der Printbranche
Im Büro von
Christoph Amend
Die Redaktion des ZEITMagazins riecht nach gutem Kaffee, an den Wänden hängen schöne Fotografien, auf den Gängen begegne ich Menschen, die in Eile und gut angezogen sind. Alle wirken hier so, als wären sie diese Woche mindestens schon auf einer spannenden Kunstausstellung oder einer hippen Party mit exklusiver Gästeliste gewesen. Ich treffe heute den Chefredakteur Christoph Amend, der hat diese Woche bestimmt beides schon geschafft.
Menschen lesen das ZEITMagazin aus einem bestimmten Grund: Sie wollen zu der Gruppe Menschen gehören, die das ZEITMagazin lesen. Es gibt überfordernd hochkulturelle Fotostrecken, liebevolle Interviews und Geschichten, die abwechselnd fast albern hedonistisch und dann wieder so tief und schön und welterklärend sind, dass man den Macher*innen sofort die Verantwortung für dieses Land anvertrauen möchte. Das ZEITMagazin war es auch, das die #metoo-Debatte endgültig von Hollywood nach Deutschland holte, indem es die Ergebnisse der aufwendigen Dieter-Wedel-Recherchen in mehreren Interviews und Reportagen veröffentlichte. In der Woche nach der großen, ersten Enthüllungsstory dazu war Amend – natürlich – bei hart aber fair zu Gast und hat mit schier unendlicher Besonnenheit über die Recherche und die wirklich immer gleich anstrengenden »Wieso-melden-die-Frauen-sich-denn-erst-jetzt-Vorwürfe« gesprochen. Als seine Zusage kam, mit mir sprechen zu wollen, wusste ich, dass mein Buch damit automatisch klüger werden würde.
Amends Büro besteht aus Büchern, Briefen und einem guten Ausblick über Berlin. Neben der schwarzen Ledercouch stapeln sich Bildbände von Fotograf*innen, Biografien von Schauspielerinnen und Bücher über Design-Hotels. Er bietet mir den einzigen Stuhl an, der frei von Druckerzeugnissen ist. Christoph Amend sitzt mir gegenüber auf dem Sofa, über ihm an der Wand eine gerahmte Fotografie von Willy Brandt. Freundlich und ruhig schaut er mich an, als wäre dieses Gespräch der wichtigste Termin seines Tages, als hätte er nicht noch die Entstehung eines wöchentlichen Magazins zu überblicken. Ich kann nur mutmaßen, woher diese Gelassenheit kommt, vielleicht Routine, vielleicht hat Christoph Amend genug Ferienhäuser irgendwo in der Sonne, an die er denkt, wenn es ihm zu blöd wird, vielleicht aber ist er auch einfach nur einer dieser wenigen aufrichtig freundlichen und beruhigten Menschen, die gar keine Pose, gar keinen Plan B brauchen, weil ihr Plan A für die Welt schon völlig ausreichend ist.
So oder so, ich werde Amend kaum aus der Fassung bringen, wenn ich ihn frage, ob er ein alter weißer Mann ist. Ein amüsiertes Grinsen in seinem Gesicht. »Ich bin wahrscheinlich ein mittelalter weißer Mann. Was alt bedeutet, kommt immer auch auf die Perspektive des Betrachters oder der Betrachterin an. Als ich in deinem Alter, mit vierundzwanzig, auf über Vierzigjährige geblickt habe, wirkten die in meinen Augen oft richtig alt. Andererseits bin ich heute für einen Sechzigährigen immer noch ein halbwegs junger Mensch. Wenn man über Alterswahrnehmung redet, finde ich das immer so interessant, wie viele auf die Welt schauen und ganz selbstverständlich denken: Mein Blick ist objektiv. Was natürlich nicht stimmt.«
Es gibt ältere Menschen, die nutzen das Konzept der relativen Alterswahrnehmung dazu, leicht triumphierend, als hätten sie die Grundregeln der Physik ausgehebelt, von sich zu behaupten, jung geblieben zu sein, was sich bei ihnen im Alltag dann meistens nur durch das Trinken von bunten Cocktails und der übertriebenen Pflege des eigenen Facebook-Profils äußert. Diese Art von zur Schau gestellter falscher Jugend führt bei den echten Jungen dann meistens zu einer Emotion irgendwo zwischen großem Spaß und peinlicher Berührung. »Nein, ich fühle mich genau wie 44 Jahre«, sagt Amend, er sagt das entschlossen und ohne eine Sekunde zu überlegen. Da spricht einer, der weiß, wie unschick Midlife-Crisis ist, da ruht jemand bis auf den Tag genau im eigenen Alter.
Es gibt Männer, die können das nicht, dieses Ruhen, die haben im Gespräch mit jungen Menschen dann den Drang, kokett vorzurechnen, wie alt ich war, als sie Abitur gemacht haben oder wie lange sie schon ihren Führerschein hatten, als ich Auto fahren gelernt habe. Die Rechnung ist rein mathematisch sehr banal und der Überraschungseffekt auch eher überschaubar, ich war nämlich ausnahmslos sehr jung, als sie Abitur gemacht haben und Auto fahren kann ich bis heute nicht. Trotzdem erwarten diese Männer als Reaktion auf ihre Einfallslosigkeit meist eine Art Lachanfall oder zumindest staunende Sprachlosigkeit, die ich allein schon aufgrund meiner unbeeindruckten Grundhaltung der Welt gegenüber nicht leisten kann. Ich bin froh, dass Amend uns beiden diese ganze Chose durch seine Coolness erspart.
Fairerweise muss man aber auch sagen, dass es vermutlich für kaum einen anderen Mann in seinem Alter leichter ist, nicht mit seinem Alter zu hadern. Denn Amend bewegt sich ja in der Medien- und Kulturbranche, beides Gebiete, in denen Männer nicht alt werden, sondern höchstens trinkfester, und graue Schläfen nicht zu Kontrollverlust, sondern zum Kauf eines Kaschmir-Rollkragenpullovers führen. Wäre das Wort nicht so klebrig-popkulturell, würde es nicht so sehr nach Oktoberfest und ABBA! klingen, könnte man fast sagen, dass Christoph Amend ein bisschen Kult ist in seiner zurückhaltenden Omnipräsenz im Kulturbetrieb. Sein Gesicht, samt runder Hornbrille und rotblondem Haar, ist mittlerweile das stilisierte Logo seines eigenen Newsletters, den er jeden Abend um Punkt 17 Uhr verschickt. Christoph Amends Gesicht ist das Logo für Christoph Amends Newsletter, diesem Mann kann also selbst im hohen Alter nichts mehr passieren. Vielleicht müsste Christoph Niemann, der das Logo entworfen hat, in ein paar Jahren die Schläfen grau einfärben, aber diese Art von Midlife-Crisis ist ja recht ressourcenschonend, im Vergleich zum Kauf eines Porsches, zum Beispiel.[5]
Er lehnt sich entspannt zurück, trinkt abwechselnd Espresso und stilles Wasser und gibt mir alles, was er weiß:
»Mit dem Label alter weißer Mann ist in den meisten Fällen etablierter weißer Mann gemeint. Das Feindbild, das Klischee-Bild, meint das Establishment, und zwar das männliche Establishment. Da kann man 35 Jahre alt sein oder auch 65. Aber alter weißer Mann ist natürlich eingängiger.«
Es ist ein bisschen ironisch, wenn der Chefredakteur des ZEITMagazins über das Establishment sinniert und sich gleichzeitig davon abzugrenzen scheint. Wir sitzen im sechsten Stock des Verlagsgebäudes der ZEIT in Berlin, aus dem Fenster der Blick auf die sauber polierte Dorotheenstadt, ein Stück Berlin, in dem es keine Armut, dafür aber neobarocke Stuckfassaden gibt. Das Regierungsviertel ist nur einen großen Schluck Champagner entfernt. Er nickt wissend.
»Man kann nicht gerade sagen, dass die ZEIT underground ist. Gerade deshalb ist es für uns so wichtig, immer wieder neu nachzudenken und zu recherchieren: Wie ist die Wirklichkeit heute, wie verändert sich die Gesellschaft, warum beispielsweise profitieren so viele nicht vom Wirtschaftsboom der vergangenen Jahre, und was kann da getan werden? Wie verändert sich der Blick aufs eigene Handeln? Interessant ist ja: Alle Geschlechterdebatten der vergangenen Jahre spiegeln sich auch im alten weißen Mann.«
Er macht eine kurze Pause und beugt sich nach vorne, als wolle er ein wichtiges Beispiel anführen.
»Wir haben die erste Geschichte über Dieter Wedel gemacht, meine Kolleginnen Jana Simon und Annabel Wahba haben sie monatelang recherchiert. Bei den Recherchen sind wir auf ein Cover vom Stern gestoßen, von 1998, da wurde Dieter Wedel wie ein wilder Macho inszeniert, zwei halbnackte Frauen umgarnen ihn, er mit Sonnenbrille. Das gab damals überhaupt keinen Skandal. Wenn du aber heute, zwanzig Jahre später, auf das Cover schaust, erschrickst du total. Da merkt man, wie sich der Blick auf Männer gewandelt hat. Gott sei Dank.«
Ich nicke sicherheitshalber sehr wissend und notiere mir, später unbedingt »Stern Dieter Wedel Cover« zu googeln. Tatsächlich ist der Titel bildsprachlich eindeutig und wirkt wie ein einziges DIN-A4-großes Phallussymbol. Es gibt diese Art von Macho selbst im Jahr 2018 immer noch, aber ausschließlich als (absichtliche oder auch, in tragischen Fällen, unabsichtliche) Karikatur einer veralteten Idee von Männlichkeit. Auch wenn der Stern heute wohl keinen Regisseur mehr mit weit offenem Hemd und Pascha-Pose auf dem Titel platzieren würde, lässt er es sich doch weiterhin nicht nehmen, jedes noch so absurde Thema mit nackter Frau auf dem Cover zu illustrieren, denn Gleichberechtigung ist ja sicher wichtig, aber Frauen sind auch weiterhin einfach geile Deko für fast jede Titelgeschichte.[6]
»Die MeToo-Debatte und alles, was daran hängt, ist wahrscheinlich die grundlegendste Debatte unserer Gesellschaft, weil sie das Verhalten eines jeden Menschen betrifft. Das ist eben keine abstrakte Debatte, an der ich mich beteilige oder auch nicht, es betrifft mein Verhalten, morgens im Café, im Büro, beruflich wie privat. Dass da eine Verunsicherung eintritt, ist doch klar.«
Amend hat die Beine übergeschlagen und beide Hände auf seinen Knien gefaltet. Er strahlt so ein sanftes Verständnis für alles und jeden in der Welt aus, das weit über journalistische Pflichterfüllung...