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E-Book

Amazing Grace und John Newton

Sklavenhändler, Pastor, Liederdichter

AutorJonathan Aitken
VerlagSCM Hänssler im SCM-Verlag
Erscheinungsjahr2014
Seitenanzahl552 Seiten
ISBN9783775172264
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis7,99 EUR
Amazing Grace - das weltweit meist gesungene Kirchenlied. Dahinter: ein Leben wie ein Abenteuerroman. John Newton (1725-1807), zuerst zwangsrekrutiert zur Marine, wird später Sklavenhändler in Westafrika. Als er bei einer Stammesprinzessin in Ungnade fällt, wird er versklavt. 1747 gerät er auf der Überfahrt nach England in einen heftigen Sturm und wendet sich in seiner Verzweiflung an Gott. Die Crew überlebt und Newton beschließt, sein Leben zu ändern. Er wird Kapitän auf einem Sklavenschiff und heiratet seine Jugendliebe Mary Catlet. Später wird er anglikanischer Priester und kämpft gemeinsam mit William Wilberforce für die Abschaffung der Sklaverei. Neben 'Amazing Grace' - der Hymne der Sklavenbefreiung - schrieb er viele weitere Lieder, die auch heute noch gesungen werden. Inklusive 8-seitigem Bildteil.

Jonathan Aitken war Sekretär des britischen Schatzamtes und Staatssekretär für Verteidigung. In einer Lebenskrise wandte er sich dem christlichen Glauben zu und studierte Theologie. Er übt leitende Funktionen in gemeinnützigen Einrichtungen aus (u. a. Prison Fellowship) und ist Autor mehrerer Biografien (u. a. Richard Nixon, Charles W. Colson, Margaret Thatcher).

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Leseprobe

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1. Kapitel


Geistliche Kinderstube

Das alte Sprichwort »Das Kind ist der Vater des Mannes« trifft auf das Leben John Newtons zu. Er erlebte eine unsichere und unglückliche Kindheit. Seine Mutter starb, als er erst sechs Jahre alt war. Seine Beziehung zu seinem meist abwesenden Vater war zu distanziert und von Furcht geprägt, als dass sie sich hätten nahestehen können. Doch trotz all dieser Schwierigkeiten erbte der Junge von jedem Elternteil gewisse starke Charaktermerkmale, Wertvorstellungen und Überzeugungen. Auch wenn er in der Frühzeit seines Lebens von diesem Erbe auf andere Wege abwanderte, »durch viele Gefahren, Mühsal und Fallstricke«, wie er es in seinem berühmtesten Choral schilderte, gehörten die Eigenschaften, die er von seiner Mutter und seinem Vater mitbekam, zu den stärksten Einflüssen auf John Newton während der zweiundachtzig Jahre, die auf seine Geburt in London am 24. Juli 1725 folgten.

Zwei Tage nach seiner Geburt, am 26. Juli 1725, wurde Newton in einer Dissenterkapelle3, dem Old Gravel Lane Independent Meeting House in Wapping am Nordufer der Themse, getauft. Den Vornamen John bekam er nach seinem Vater, einem angesehenen Seekapitän, der verschiedene im Mittelmeer verkehrende Handelsschiffe befehligt hatte. Johns Frau Elizabeth war eine treue Besucherin der Versammlungen in der Old Gravel Lane Chapel. Deren Pastor Dr. David Jennings wohnte zwei Häuser weit entfernt in derselben Straße wie die Newtons – der Red Lyon Street in Wapping. Der Umstand, dass die Jennings und die Newtons so nah beieinander wohnten, erklärt vielleicht, warum die Kapelle eine so wichtige Rolle in Johns Kindheit spielen sollte.

Kapitän John Newton spielte bei der Früherziehung seines Sohnes wegen seiner häufigen Abwesenheit auf See keine sonderlich wichtige Rolle. Reisen ins Mittelmeer waren im achtzehnten Jahrhundert langwierige Seefahrten, sodass Kapitän Newton monatelang unterwegs war. Kam er dann nach Hause, so war er ein strenger Vater. Von seinem Sohn erwartete er, dass er schwieg, bis er angesprochen wurde, dass er seinen Vater »Sir« nannte und ihm jederzeit mit Ehrfurcht, Gehorsam und Respekt begegnete. Ein solches Verhaltensmuster war für Vater-Sohn-Beziehungen jener Zeit nicht ungewöhnlich. Wenn Kapitän Newtons Haltung gegenüber dem kleinen John übertrieben formell erschien, so hatte das vielleicht mehr mit den Manieren zu tun, die er sich während seiner Erziehung in Spanien angeeignet hatte, als mit seinen wahren Empfindungen. Denn wie sich später zeigen sollte, war der Kapitän ein beharrlich liebevoller und vergebungsbereiter Vater, wann immer John sich hitzköpfig verhielt oder Fehler beging.

Über den familiären Hintergrund und die Vorfahren des älteren John Newton ist nichts überliefert. Die wenigen Fakten, die über sein Leben bekannt sind, deuten jedoch darauf hin, dass er ein distanzierter, starrköpfiger und faszinierender Mensch war. »Er wahrte stets eine Haltung der Distanz und Strenge in seinem Betragen«, sagte sein Sohn, »was mich seelisch einschüchterte und entmutigte. Ich lebte stets in Furcht vor ihm.« Diese Unzugänglichkeit wurde der Erziehung zugeschrieben, die er von den spanischen Jesuiten erhalten hatte, dem berühmten Lehrorden der katholischen Reformation, dessen Gründer Ignatius von Loyola gesagt haben soll: »Gebt mir ein Kind, ehe es sieben ist, und ich gebe euch den Mann.« Ob die Bemerkung ihm zu Recht zugeschrieben wird oder nicht, die darin erkennbare Philosophie war viele Jahrhunderte lang der Eckstein der jesuitischen Lehre. Insofern verschafft es uns einen interessanten Einblick in den Charakter des älteren John Newton, dass er sich weigerte, Katholik zu werden, obwohl er von den führenden katholischen Erziehern seiner Zeit aufgezogen wurde und mehrere Jahre auf einem jesuitischen Kolleg in Sevilla verbrachte. Er war sein ganzes Leben lang in religiösen Fragen zurückhaltend, aber er lebte einen protestantischen Glauben mit hohen moralischen Prinzipien, in der Praxis an der Low Church4 orientiert.

Aus diesem und anderen Einblicken in seine Persönlichkeit können wir mutmaßen, dass Kapitän John Newton ein viel gereister, gebildeter Mann von Welt war, der sich seiner Meinung gewiss war und mit einiger Starrköpfigkeit darauf beharren konnte. Das mag es nicht leicht gemacht haben, ihn als Vater zu lieben, zumal er seine innersten Gedanken und Gefühle hinter einem Panzer der Kälte abzuschirmen pflegte. Dennoch machten seine Charakterstärke und die Autorität, die er sich in seinen Jahren als Befehlshaber auf See erworben hatte, es seinem Sohn leicht, den Kapitän zu respektieren, auch wenn dieser Respekt mit Furcht versetzt war.

Als Junge stand John Newton seiner Mutter Elizabeth erheblich näher. Sie war eine gebildete junge Frau, die Tochter Simon Scatliffs, eines Ostlondoner Herstellers von mathematischen Instrumenten. Elizabeth widmete sich der christlichen Erziehung und Bildung ihres einzigen Sohnes. Jeden Tag verbrachte sie viele Stunden mit ihm über seinen Büchern. Möglicherweise rührte die Inbrunst, mit der sie dies tat, aus der Erkenntnis, dass ihr eigenes Leben wahrscheinlich nicht lange währen würde. Elizabeth erkannte an ihrem Husten und ihren Auswürfen, dass sie an Schwindsucht litt – so die alte Bezeichnung der Tuberkulose, einer tödlichen Krankheit, die zur damaligen Zeit noch viel gefürchteter war als der Krebs heute.

Elizabeth war eine gute Lehrerin, und sie formte den kleinen John zu einem fähigen Schüler. Er verfügte über eine wache Intelligenz und ein außergewöhnlich gutes Gedächtnis. »Schon mit vier Jahren konnte ich ebenso gut lesen (mit Ausnahme schwieriger Namen) wie heute«, erinnerte sich Newton später und zollte seiner Mutter Tribut dafür, dass sie seinen Verstand »mit vielen wertvollen Stücken, Kapiteln und Abschnitten der Bibel, Katechismen, Chorälen und Gedichten« gefüttert habe. Zu seinen Gedächtnisleistungen gehörte, dass er viele der Antworten auf die Fragen im Westminster Shorter Catechism von 1647 auswendig kannte, ebenso wie die Antworten auf Dr. Isaac Watts’ A Short View of the Whole of Scripture History, das 1732 in katechetischer Form erschien und sich an »Personen jüngeren Alters und die gewöhnlichen Schichten der Menschheit« richtete.

All dieses mühselige, mechanische Lernen mag John zu einem Stubenhocker gemacht haben. Nach seiner eigenen Schilderung war er »von behäbiger Gestalt, nicht aktiv und verspielt«. Vielleicht hatte er vor lauter Lektionen keine Zeit, sich den anderen fünfjährigen Nachbarjungen der Newtons in Wapping bei ihren lärmenden Spielen mit Trommeln, Reifen und Stöcken am Ufer der Themse anzuschließen. Das Auswendiglernen langer Abschnitte aus Watts und dem Westminster-Katechismus wäre selbst für einen Erwachsenen eine mühselige Aufgabe gewesen, von einem Jungen von nicht einmal sechs Jahren ganz zu schweigen. Dass Newton damit in so jungen Jahren fertigwurde, deutet entweder auf eine frühe Gabe, alles wiederholen zu können, oder auf einen aufgeweckten Verstand und ein gutes Gedächtnis hin.

Es gab drei entscheidende Gestalten, die den jungen John Newton geistlich beeinflussten. Die erste war seine Mutter Elizabeth. So zart sie von Gestalt war, so gewaltig war sie in ihrer Frömmigkeit. Als treues Mitglied der Dissentergemeinschaft in der Old Gravel Lane kannte sie sich in der Bibel und in der reformierten Theologie bestens aus. Ihr Ehrgeiz war es, dass ihr Sohn einst über seine Herkunft als Seemannssohn hinauswachsen und Geistlicher werden sollte. »Mir wurde gesagt, dass sie mich von Geburt an in Gedanken schon für den geistlichen Dienst geweiht hatte«, erinnerte sich Newton. »Hätte sie lange genug gelebt, bis ich im richtigen Alter war, so wäre ich zur Ausbildung nach St. Andrew’s in Schottland geschickt worden.«

Es ist interessant, darüber zu spekulieren, wie John Newtons Leben wohl verlaufen wäre, wenn sich dieser mütterliche Wunsch erfüllt hätte. Wahrscheinlich wäre ein schottisch-calvinistischer Geistlicher aus ihm geworden, denn das war die Tradition, in der die Universität St. Andrew’s im achtzehnten Jahrhundert ihre Theologiestudenten schulte. Stattdessen brachte sich Newton die Theologie selbst bei und gelangte so zu einer toleranteren, überkonfessionellen Sichtweise. Dadurch war er in späteren Jahren in der Lage, als Prediger, Choraldichter und erfolgreicher Schriftsteller ein viel größeres Publikum anzusprechen, als er es aus den engeren geistlichen Grenzen eines strengen schottischen Calvinismus heraus je hätte erreichen können.

Mrs Elizabeth Newton und ihr Sohn wurden geistlich von ihrem Nachbarn betreut, Dr. David Jennings, dem Pastor der Old Gravel Lane Chapel. Wie die meisten Leiter nonkonformistischer Versammlungen predigte er jeden Sonntagmorgen mindestens eine Stunde lang eine detaillierte Auslegung »des Wortes« – eines ausgewählten Bibelabschnitts. Jennings’ Predigten berührten Newton sehr. Besonderen Eindruck machte vielleicht eine, die an einem Sonntagmorgen im Jahr 1730 gehalten wurde, denn in Anwesenheit des kleinen John Newton gründete Jennings seine Botschaft (die später in seinem Buch Sermons for Young People veröffentlicht wurde) auf den Brief des Paulus an Philemon, in dem der Apostel sich für einen entlaufenen Sklaven namens Onesimus einsetzt: »Wir finden in dieser Epistel ein denkwürdiges Beispiel für den Reichtum und die Freiheit der Gnade Gottes, die auch die gemeinsten und übelsten Sünder ermutigt, sich zu ihm zu flüchten und Barmherzigkeit zu suchen«, verkündete Jennings. Vielleicht klingt ein Widerhall dieser Worte in den Anfangszeilen von...

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