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Arbeitswelt und psychische Störungen

Manuale für die Praxis

AutorChristoph Kröger, Friederike Maurer, Katharina Bode
VerlagHogrefe Verlag GmbH & Co. KG
Erscheinungsjahr2017
Seitenanzahl112 Seiten
ISBN9783840927584
FormatPDF/ePUB
KopierschutzWasserzeichen/DRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis16,99 EUR
Die meisten Menschen verbringen einen erheblichen Teil der Lebenszeit am Arbeitsplatz. Der Arbeitsplatz und die sozialen Beziehungen in der Arbeitswelt können wichtige Ressourcen darstellen, die in eine psychotherapeutische Behandlung einbezogen werden sollten. Allerdings können Konflikte und Ängste am Arbeitsplatz, Arbeitsunfähigkeit, Arbeitsplatzunsicherheit sowie Arbeitslosigkeit auch das psychische Befinden beeinträchtigen und somit zur Entstehung, Aufrechterhaltung oder auch Verschlechterung einer psychischen Störung beitragen. Arbeitsplatzfokussierenden Interventionen sollte somit im Rahmen einer psychotherapeutischen Behandlung von Patienten eine besondere Bedeutung zukommen. Ziel des Bandes ist es, aktuelle Informationen zur psychotherapeutischen Behandlung von erwerbstätigen Patienten mit psychischen Störungen zu bieten. Der Band erläutert, wie arbeitsplatzbezogene Faktoren bei der Anamnese sowie bei der Therapieplanung angemessen berücksichtigt werden können. Geeignete diagnostische Instrumente sowie rechtliche Rahmenbedingungen und mögliche Kooperationspartner werden beschrieben. Zudem werden konkrete Anregungen für die psychotherapeutische Behandlung von Patienten, deren psychische Störung im Zusammenhang mit dem Arbeitsplatz steht, gegeben. Praxisorientiert werden darüber hinaus Therapiebausteine für die stufenweise Wiedereingliederung von arbeitsunfähigen Patienten an den Arbeitsplatz dargestellt.

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Kapitelübersicht
  1. Inhaltsverzeichnis und Einleitung
  2. 1Psychische Störungen in der Arbeitswelt
  3. 2Störungstheorien und Erklärungsansätze
  4. 3Diagnostik und Indikation
  5. 4 Arbeitsplatzorientierte Interventionen: 4.1 Rechtliche Rahmenbedingungen
  6. 4 Arbeitsplatzorientierte Interventionen: 4.2 Kooperationspartner und andere Leistungsträger
  7. 4 Arbeitsplatzorientierte Interventionen: 4.3 Therapiebausteine für eine stufenweise Wiedereingliederung
  8. 4 Arbeitsplatzorientierte Interventionen: 4.4 Kognitiv-verhaltenstherapeutische Techniken mit Arbeitsplatzfokus
  9. 4 Arbeitsplatzorientierte Interventionen: 4.5 Umgang mit Hürden im therapeutischen Prozess
  10. 5Evaluation und Effektivität
  11. 6Fallbeispiel
  12. 7Weiterführende Literatur
  13. 8Literatur
  14. 9Anhang
  15. Karte
Leseprobe

|3|1 Psychische Störungen in der Arbeitswelt


1.1 Epidemiologie psychischer Störungen in der Arbeitswelt


Psychische Störungen sind in der deutschen Allgemeinbevölkerung weit verbreitet: Laut der Studie zur Gesundheit Erwachsener in Deutschland (DEGS) erfüllt jede dritte Frau und jeder vierte bis fünfte Mann innerhalb eines 12-Monats-Zeitraums die Kriterien für mindestens eine psychische Störung (Mack et al., 2014). Mehr als 50 % der Betroffenen sind Arbeitnehmer.

Da Arbeitnehmer einen erheblichen Teil ihrer Lebenszeit an ihrem Arbeitsplatz verbringen, kommt auch dem Erwerbsleben eine große Bedeutung für das Wohlbefinden und die psychische Gesundheit zu. Der Arbeitsplatz und die sozialen Beziehungen in der Arbeitswelt stellen einerseits wichtige Ressourcen dar: Der Arbeitsplatz sichert das Einkommen sowie den sozialen Status von Arbeitnehmern und kann als Quelle der Selbstwirksamkeit dienen. Andererseits unterliegt die Struktur des Arbeitsmarktes einem stetigen Wandel, der in den letzten Jahren zu einer Zunahme der psychischen Beanspruchung am Arbeitsplatz geführt hat.

Dieser Wandel weist unter anderem die folgenden Merkmale auf:

  1. Seit den 1980er-Jahren ist ein Wandel der Erwerbsformen zu verzeichnen. Die Anzahl der Beschäftigten, die in einem sogenannten Normalarbeitsverhältnis angestellt sind, nahm in der Vergangenheit sukzessive ab. Gleichzeitig stieg die Anzahl von Beschäftigten in atypischen (oder auch „prekären“) Beschäftigungsverhältnissen.

  2. Bei der Betrachtung der Wirtschaftssektoren wird der Prozess der Tertiarisierung deutlich. Dieser wird definiert als eine Reduktion von Beschäftigten im produzierenden Gewerbe bei gleichzeitiger Zunahme von Beschäftigten im Dienstleistungssektor, wobei eine Beschäftigung in letzterem mit spezifischen psychologischen Anforderungen einhergeht (z. B. einem hohen Maß an Emotionsarbeit, das physische und psychische Erschöpfung begünstigen kann).

  3. Aufgrund der Globalisierung kommt es zu einer deutlichen Zunahme des Leistungs- und Wettbewerbsdrucks. Ein globalisierter Arbeitsmarkt führt beispielsweise zu erhöhten Mobilitätsanforderungen an die Beschäftigten. Außerdem wird die Vergütung zunehmend an die Erfüllung individueller Zielvereinbarungen geknüpft; die Bezahlung erfolgt somit verstärkt erfolgsabhängig, aber zu einem Teil außerhalb der Kontrolle des Beschäftigten.

|4|Die genannten Aspekte des Wandels der modernen Arbeitswelt wirken sich negativ auf das Wohlbefinden und die psychische Gesundheit von Arbeitnehmern aus und stellen somit Risikofaktoren für die Entwicklung psychischer Störungen dar, da sie zu mehr Stress am Arbeitsplatz führen. Mit der Veränderung der Erwerbsformen hin zu mehr atypischen Beschäftigungsverhältnissen geht beispielsweise eine vermehrte „Fragmentierung der Erwerbsbiographie“ einher (Siegrist, 2013): Durch Zeitverträge, Perioden der Arbeitsplatzunsicherheit oder Arbeitslosigkeit erhöht sich die psychische Belastung für Beschäftigte. Außerdem resultiert aus der Verschiebung des Belastungsspektrums eine Zunahme psychisch fordernder Dienstleistungen. Während im produzierenden Gewerbe Lärm, Schadstoffe oder der notwendige physische Einsatz die größten Belastungsfaktoren darstellen, zählen im Dienstleistungssektor die Flexibilisierung der Beschäftigung und die Arbeitsverdichtung zu den wichtigsten Belastungsfaktoren.

Beschäftigte im Dienstleistungssektor sind mit erhöhten Anforderungen an Mobilität und Anpassungsfähigkeit konfrontiert, was das Stresserleben der Mitarbeiter ebenso erhöht. Weitere Anforderungen für die Beschäftigten resultieren aus dem engen Kontakt zu Kunden: Dienstleistungsunternehmen fordern, dass ihre Beschäftigten „Emotionsarbeit“ leisten. Wird die Emotionsarbeit noch durch schnell wechselnde und unterschiedliche Interaktionspartner herausgefordert (z. B. Call-Center-Mitarbeiter), scheint die subjektiv erlebte Belastung zu steigen. Ausgehend von der Dienstleistungsbranche wächst zudem der Anspruch an Mitarbeiter aller Branchen, sich kundenorientiert zu verhalten (z. B. Ärzte und Lehrer).

Emotionsarbeit

Hochschild (1990) definiert Emotionsarbeit als das Management des Fühlens mit der Absicht, die Einstellungen, Gefühle oder Verhaltensweisen eines Interaktionspartners zu beeinflussen. Sie subsummiert unter diesem Begriff alle inneren und äußeren Bemühungen (Mimik, Gestik, Stimme), eigene Emotionen darzustellen sowie Emotionen anderer zu steuern bzw. zu beeinflussen. Vor allem in Dienstleistungsunternehmen finden sich implizit oder explizit formulierte Darstellungsregeln, die vorschreiben, welchen Emotionsausdruck die Mitarbeiter im Kontakt zu den Dienstleistungsnehmern zeigen sollen. Dazu kann gehören, positive Emotionen zu erzeugen (z. B. Freundlichkeit im Bereich Flugbegleitung), negative Emotionen zu unterdrücken (z. B. im Hotelgewerbe), Neutralität zu zeigen (z. B. im Rahmen von Begutachtungen) oder den Grad der emotionalen Anteilnahme zu steuern (z. B. in der Psychotherapie). Hochschild unterscheidet bei der Erzeugung des |5|gewünschten Gefühlsausdrucks zwischen Oberflächen- und Tiefenhandeln. Beim Oberflächenhandeln versuchen die Dienstleister, unabhängig von den eigenen erlebten Gefühlen ausschließlich äußerlich die im Kontakt geforderte Emotion darzustellen (z. B. aufgesetztes Lächeln). In diesem Fall wird die Emotion nicht innerlich übernommen; sie kann gekünstelt wirken. Beim Tiefenhandeln hingegen bemühen sich die Dienstleister, die im Kontakt geforderte Emotion in sich hervorzurufen und somit nicht nur äußerlich, sondern auch innerlich zu fühlen. Wissenschaftliche Befunde bringen vor allem Oberflächenhandeln mit dem sogenannten „Burnout-Syndrom“ in Verbindung, da es eine emotionale Dissonanz hervorruft, während das Tiefenhandeln nicht bedeutsam mit einem Anstieg psychischer Belastung zusammen zu hängen scheint.

Verschiedene Anforderungen der heutigen Arbeitswelt werden auch von den Arbeitnehmern als subjektiv wahrgenommene Belastungen berichtet. Von den im Rahmen des Stress-Reports 2012 (Lohmann-Haislah, 2012) repräsentativ Befragten gab ein Viertel an, dass sie Pausen ausfallen lassen, wobei ein Drittel dieser Personen den Pausenausfall mit dem zu hohen Arbeitspensum begründete. Ein Fünftel der Befragten empfand sich als „mengenmäßig überfordert“ und fast die Hälfte äußerte, dass „Pausen nicht in den Arbeitsablauf passen“. Vor allem eine hohe Arbeitsintensität (besonders Termin- und Leistungsdruck), ungünstige Arbeitszeiten (z. B. lange Arbeitszeiten, Schichtarbeit, Pausenausfall), fehlender Handlungsspielraum und fehlende soziale Unterstützung von Kollegen oder Vorgesetzten wurden von Beschäftigten als belastend angegeben. Durch ein Zusammenwirken verschiedener Belastungsfaktoren können diese das Entstehen einer psychischen Störung begünstigen.

1.2 Folgen psychischer Störungen in der Arbeitswelt


1.2.1 Definition arbeitspsychologisch und sozialrechtlich relevanter Begriffe

Die Bedeutung psychischer Störungen bei Erwerbstätigen ist deutlich gestiegen. Diese Bedeutung erwächst zum einen aus dem Leiden, das mit der Störung selbst einhergeht. Zum anderen wirken sich psychische Störungen negativ auf die Leistungsfähigkeit und Fehlerquote der Betroffenen am Arbeitsplatz aus. Psychische Störungen haben direkte sozialrechtlich relevante Auswirkungen, die in Tabelle 1 definiert werden.

|6|Tabelle 1: Definition arbeitspsychologisch und sozialrechtlich relevanter Begriffe

Arbeitsunfähigkeit (AU)

Nach § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 7 Sozialgesetzbuch V (SGB V) liegt eine AU dann vor,

  1. wenn ein Arbeitnehmer aufgrund einer Krankheit seine zuletzt ausgeübte Tätigkeit nicht mehr oder nur unter der Gefahr der Verschlimmerung der Erkrankung ausführen kann

  2. ...
Inhaltsverzeichnis
Inhaltsverzeichnis und Einleitung7
1Psychische Störungen in der Arbeitswelt13
1.1Epidemiologie psychischer Störungen in der Arbeitswelt13
1.2Folgen psychischer Störungen in der Arbeitswelt15
2Störungstheorien und Erklärungsansätze23
2.1Risiko- und Schutzfaktoren in der Arbeitswelt23
2.2Zusammenhänge zwischen Arbeitssituation und arbeitender Person25
3Diagnostik und Indikation30
3.1Ziele und Indikation einer arbeitsplatz­fokussierenden Psychotherapie30
3.2Diagnostische Verfahren31
3.3Selbst- und Fremdbeurteilungsinstrumente33
4 Arbeitsplatzorientierte Interventionen: 4.1 Rechtliche Rahmenbedingungen36
4 Arbeitsplatzorientierte Interventionen: 4.2 Kooperationspartner und andere Leistungsträger48
4 Arbeitsplatzorientierte Interventionen: 4.3 Therapiebausteine für eine stufenweise Wiedereingliederung53
4 Arbeitsplatzorientierte Interventionen: 4.4 Kognitiv-verhaltenstherapeutische Techniken mit Arbeitsplatzfokus68
4 Arbeitsplatzorientierte Interventionen: 4.5 Umgang mit Hürden im therapeutischen Prozess84
5Evaluation und Effektivität90
6Fallbeispiel93
7Weiterführende Literatur98
8Literatur98
9Anhang102
Arbeitsanamnese102
Arbeitsanalyse105
Wiedereingliederungsplan107
Checkliste fu?r die Exploration von Ressourcen im Beruf109
Karte111

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