Einleitung
Bei einer Aufstellung wird das Anliegen eines Menschen mithilfe einer Gruppe räumlich inszeniert. Der Aufstellende bittet Teilnehmer der Gruppe, als Stellvertreter bestimmte Rollen zu übernehmen und auf der Bühne für Familienmitglieder, für Mitglieder des Teams, mit dem er zusammenarbeitet, für innere Anteile oder für verschiedene Aspekte dieses Themas zu stehen. Die Wahrnehmungen, Rückmeldungen und Interaktionen dieser Stellvertreter werden zum Spiegel der Dynamik, die dem Anliegen des Klienten zugrunde liegt, und die Aufstellungsbühne wird zum Labor, in dem diese Dynamik erkundet und bearbeitet werden kann.
Die Wurzeln dieser Arbeitsweise liegen im Psychodrama und in der humanistischen Familientherapie. Jacob L. Moreno ließ Klienten ihre Themen mithilfe von Rollenspielern auf der psychodramatischen Bühne inszenieren und bot ihnen die Möglichkeit, in diesem sicheren Rahmen neue Verhaltensweisen zu erproben. Virginia Satir stellte »Familienskulpturen« auf, in denen Familiendynamik nonverbal dargestellt und erfahrbar wurde. Bekannt wurde die Aufstellungsarbeit während der Achtziger- und Neunzigerjahre durch die Familienaufstellungen Bert Hellingers (Hellinger 1994). Hellinger gewann eine große Anhängerschaft, zunächst auch in Teilen der systemischen Familientherapie (Weber 1997). Zugleich wurde er für seinen autoritären Umgang mit Klienten, seinen selbstgewissen Umgang mit Deutungen und sein patriarchalisches Weltbild scharf kritisiert. Da Aufstellungsarbeit lange Jahre geradezu synonym mit dem Namen Hellinger verbunden wurde, geriet mit ihm zugleich auch diese in Verruf.
Inzwischen hat sich die Aufstellungsarbeit von dieser Verengung auf Hellinger wieder gelöst. Die systemische Familientherapie grenzt sich inzwischen von ihm ab und setzt sich zugleich kritisch und engagiert mit ihm auseinander (Weber, Schmidt, Simon 2013). Zugleich ist eine große Vielfalt an Aufstellungsformen aufgeblüht. In Wiesloch ist eine eigene Tradition systemisch-integrativer Aufstellungsarbeit entstanden (Drexler 2015), Matthias Varga von Kibéd und Insa Sparrer haben mit der Systemischen Strukturaufstellung eine einflussreiche Form der systemischen Aufstellungsarbeit entwickelt, die sich in Haltung und Arbeitsweise grundlegend von Hellingers Ansatz unterscheidet (Daimler 2008, Varga von Kibéd & Sparrer 2014). Und auch Hellingers eigener Ansatz findet nicht nur orthodoxe Schüler, sondern ebenso Nachfolger, welche seine Arbeitsweise mit einem humanistischen und partnerschaftlichen Beziehungsangebot verbinden.
Zugleich wird das therapeutische Potenzial von Aufstellungsarbeit zunehmend ernst genommen und erforscht. Das groß angelegte DFG-Forschungsprojekt von Weinholdt und Kollegen weist bei erfahrenen und seriösen Therapeuten eine therapeutische Wirksamkeit von Aufstellungen nach (Weinhold et al. 2013 und 2014). Aufstellungen ersetzen keine längerfristige Therapie, und sie wirken wie jede therapeutische Intervention nicht bei allen Menschen gleichermaßen. Aber gemessen daran, wie kurz diese Art der Intervention ist, ist die therapeutische Wirksamkeit bemerkenswert ausgeprägt und bemerkenswert stabil. Die Zeiten, in denen Aufstellungen den einen als Weg zum Heil und den anderen als Scharlatanerie erschienen, scheinen sich also dem Ende zuzuneigen, die Diskussion über Aufstellungsarbeit hat sich versachlicht.
Ich selber habe die Aufstellungsarbeit Ende der 90er-Jahre zu Beginn meines therapeutischen Ausbildungsweges kennengelernt, und zwar in der Hellinger’schen Variante des Familienstellens. Ich war gleichermaßen fasziniert und empört. Einerseits hat mich die Potenz des ›Feldes‹ tief beeindruckt. Die Stellvertreter auf der Bühne wussten Dinge über die aufgestellten Familien, die nie benannt worden waren, und die Intensität, mit der sich die Dynamik des Systems in den Wahrnehmungen der Stellvertreter spiegelte, hat mich als Stellvertreterin wie als Aufstellende fasziniert. Auf der Aufstellungsbühne habe ich verstanden, in welchem Ausmaß und welcher Tiefe wir Menschen unserer Familie verbunden sind, wie stark die Bande von Loyalität und Bindung in Familiensystemen sind und wie zerstörerisch diese sein können, wie prägend unsere Position in der Familie ist und was es Menschen kostet, mit Familienmitgliedern zu brechen.
Zugleich war mir vieles zutiefst fremd. Die Arbeit auf der Bühne spiegelte nicht die Art, wie ich Wachstumsprozesse bei mir und bei anderen kennengelernt hatte. Umwege, Wut und die Erfahrung, dass Annäherungen trotz aller Bemühungen scheitern können, schien es nicht zu geben – ebenso wenig wie die Erfahrung, dass Versöhnung oft ein schmerzhafter und schwer errungener Prozess ist, der Zeit braucht. Neben der Anerkennung dessen, was Kinder ihren Eltern unabweisbar verdanken (nämlich ihre Existenz und ihr Überleben), fehlte mir die Anerkennung dessen, was Eltern ihren Kindern aber auch antun können – durch Vernachlässigung und Gewalt, Manipulation, Grenzüberschreitungen und Missbrauch, Verächtlichkeit und Sadismus. Die Selbstverständlichkeit, mit der die Therapeuten zu wissen glaubten, was für ihre Klienten richtig ist, entsprach weder dem, was ich als Klientin selber suchte, noch den Werten und Überzeugungen, an die ich als Therapeutin glaubte. Und so wandte ich mich von der Aufstellungsarbeit ab und legte das Handwerkszeug als für mich ungeeignet zur Seite.
Fast zeitgleich lernte ich bei Friedemann Schulz von Thun die Arbeit mit dem Inneren Team (Schulz von Thun 1998) und dabei auch eine Arbeitsweise kennen, in der das Innere Team mithilfe einer Gruppe auf die Bühne gebracht wird (Schulz von Thun 1996, S. 123 ff.). Schulz von Thun nennt diese Arbeitsweise »Protagonist im Spiegel«: Der Protagonist sieht seine eigene innere Dynamik im Spiegel der Gruppe. Diese Arbeitsweise unterschied sich so sehr von der Aufstellungsarbeit, wie ich sie kennengelernt hatte, dass ich beides zunächst nicht in Verbindung brachte. Es wurden keine Familienmitglieder aufgestellt, sondern innere Anteile. Die Stellvertreter wurden nicht nur wortlos hingestellt, sondern eingedoppelt: Der Klient gab ihnen seine eigenen Worte, Gefühle und Bilder mit. Überhaupt behielt der Klient die Regie über das Geschehen. Er gab das Ziel vor, und häufig war dieses Ziel sehr konkret: zum Beispiel eine Entscheidung oder die Frage, wie er einer bestimmten Situation begegnen solle. Und er hörte zwar die Rückmeldungen der Stellvertreter und die Überlegungen des Leiters, aber er selber entschied, was für ihn passte und was auch nicht. Rolle des Leiters und der Stellvertreter war es, dem Klienten dabei zu helfen, seine innere Wahrheit zu erkunden und eine ihm gemäße Aufstellung seines Inneren Teams zu finden.
Ich begann diese Arbeitsweise zu lieben, arbeitete in meinen Seminaren und Workshops immer häufiger damit und war beeindruckt davon, was sich in 90 Minuten auf der Bühne bewegen ließ. Erst durch Rückmeldungen von Teilnehmern wurde mir bewusst, dass ich die Schulz von Thun’sche Arbeitsweise dabei grundlegend verändert und nicht nur meine frühen Erfahrungen mit Aufstellungsarbeit, sondern auch meine Erfahrungen als psychodynamische Psychotherapeutin integriert hatte. Ich hatte begonnen, mit den Mitteln der Aufstellungsbühne die unbewusste innere Dynamik hinter der expliziten Fragestellung zu suchen. Ich begab mich mit meinen Klienten auf die Suche nach den unbewussten Lebensthemen, die sie in ihre Schwierigkeiten geführt hatten und sie darin festhielten, und nutzte dabei das ›Feld‹, das in der Aufstellungsarbeit auf der Bühne entsteht.
Seither habe ich meine Methode der Aufstellungsarbeit ausgearbeitet und weiterentwickelt. Ich habe meine Arbeitsweise unabhängig von neueren systemischen Ansätzen entwickelt und kenne diese daher nicht sehr gut – aber meine Herangehensweise scheint sich trotz vieler Ähnlichkeiten deutlich vom Spektrum der systemischen Aufstellungsarbeit zu unterscheiden. Das musste ich schmerzhaft lernen, als ich auf einer systemischen Tagung eingeladen war, um meine Arbeitsweise vorzustellen. Ich wurde sehr freundlich und interessiert empfangen – und musste feststellen, dass meine Arbeitsweise nicht funktionierte. Das Aufstellungsfeld schien mir geradezu davonzugaloppieren, und ich verstand nicht mehr, was auf der Bühne passierte. Verwirrt und frustriert fuhr ich nach Hause – und merkte später, dass dieses Phänomen immer dann auftrat, wenn viele der Stellvertreter auf der Bühne sehr vertraut mit Ansätzen systemischer Aufstellungsarbeit waren. Seit ich die Gruppe vorher ›eiche‹, indem ich mein Bild von Aufstellungsarbeit vorstelle und den Teilnehmern erkläre, wie ich arbeite und welche Rolle ich den Stellvertretern zudenke,...