EINLEITUNG
Na klar, sagt der Verband, der für die deutschen Versicherungen spricht, na klar müssen Versicherungen für Ältere auch teurer sein. Die Alten seien doch auch ein größeres Risiko. Sonst müssten bei einem Einheitstarif die Jüngeren für die Älteren mitzahlen. Das wäre doch nicht gerecht.
Oh, Du willst doch nicht wirklich alt sein, sagt die Industrie. Wir haben da etwas für Dich. Du musst nur kaufen. Sonst siehst Du doch – alt aus.
Nein, sagen die Kreditinstitute, für Sie ist es sicherlich besser, keinen Kredit mehr aufzunehmen. Wir geben nichts. Wir trauen Ihnen nicht. Gut so, glauben Sie uns.
Herzlich willkommen, sagen die Banker. Wir wissen schon, liebe alte Kunden, wie wir mit Euren Spargroschen Geld machen. Ihr seid alt und wisst es nicht. Wir schon. Lasst uns nur machen!
Also, sagen die Altersforscher, es gibt doch immer mehr wache und gesunde Alte, die nicht verkümmern, sondern die aktiv ihr Leben gestalten. Bis ins hohe Alter. Ganz anders als früher und vor allem: viel besser als früher. Altern macht Spaß!
Na bitte, sagen die regierenden Politiker. Wir kümmern uns um Euch. Rente ab 63 – juhuu! Wir bieten bessere Ausstiegsmöglichkeiten aus der Arbeit. Wer lange genug gearbeitet hat, soll aufhören können. Macht Euch mal keine Sorgen um die Finanzierung. Und vor allem: Wenn Ihr dann in Rente seid, lasst uns schön in Ruhe. Und tschüss!
Alle gemeinsam wollen sie uns sagen, dass Altern in Deutschland doch gar kein Problem sei. Da sei halt dieser sogenannte demografische Wandel. Aber was soll’s?! Alle sind lieb zu uns. Alle wollen unser Bestes. Ist das wirklich so? Meine Recherchen und Erfahrungen zeigen ein anderes Bild. Ein Bild, das mich erschüttert.
Wenn ich das schon höre: demografischer Wandel! Ein Begriff, der inzwischen einfach so dahingesagt wird. Demografie! Das Wort fehlt auf kaum einem einschlägigen Kongress, in keiner Rede. So wie »Klimaerwärmung« oder »Stadtverschönerung«. Es ist ein inflationärer Begriff geworden: demografischer Wandel! Dieser Wandel ist schuld, wenn etwas nicht so läuft, wie es sollte. Wenn die Rentner mehr Rente fordern und die Jungen niedrigere Rentenbeiträge. Wenn Ärzte vor der Menge der zu erwartenden Alten warnen und Pflegedienste sich überfordert zeigen.
Ich sage es mal so (und unter Vermeidung von »demografischer Wandel«): Weil es von Jahr zu Jahr mehr Alte und weniger Junge geben wird, müssen wir uns auf eine andere Welt einstellen. Das kann man als positive Herausforderung sehen, wie die Trendforscher. Darüber kann man sich Sorgen machen (das tun die professionellen Sorgenmacher zur Genüge). Darüber kann man streiten (wie die Politiker untereinander). Darüber kann man forschen (wie die Wissenschaft). Dazu kann man Vorschläge machen, ganz praktische, wie mit den Veränderungen umzugehen sei.
Lassen Sie mich bitte die Ausgangslage beschreiben: Ich bin auf der Seite der Alten, persönlich ja auch schon alt, deswegen aber nicht parteiisch oder befangen. Wie viele sind wir eigentlich, die Alten von heute? Wie geht’s uns denn so? Was tut man mit uns, was tut man uns an und schließlich: Was tun wir uns selbst an?
Zwei Entwicklungen erleben wir mit großer Wucht:
Erstens die Folgen einer zunehmenden Zahl von Menschen im Rentenalter. Zweitens die Anteilsverschiebungen zwischen den Hauptaltersgruppen der Bevölkerung zugunsten der alten Menschen. Wir erleben, wie mehr als eine Million Menschen zu uns flüchtet. Deutschland als Ort der Hoffnung. Darunter sind viele junge Menschen. Die meisten von ihnen werden hier bleiben, hier künftig leben und arbeiten. Ändern sich dadurch die Vorhersagen der Demografen? »So einfach ist das nicht«, sagt Norbert Schneider, der Direktor des Bundesinstituts für Bevölkerungsforschung. »Natürlich wird unser Land weiterhin älter.« Denn unabhängig von der aktuellen Entwicklung: In 25 Jahren werde die Hälfte der männlichen Bevölkerung über 50 Jahre alt sein. Doch fügt er (anders als manche Untergangspropheten) hinzu, das müsse kein Problem sein, denn die Alten von morgen könne man nicht gleichsetzen mit den Alten von gestern. Deutschland werde älter, aber auch klüger, städtischer und multikultureller.
Besondere Herausforderungen entstehen für die sozialen Sicherungssysteme. Wenn es immer mehr Rentner gibt und weniger Beitragszahler, dann wird offensichtlich, wo das Problem entsteht. Und wenn dann wir Rentner auch noch länger leben, also länger als alle ihre Vorgängergenerationen ihre Rentenzahlung erwarten – dann wird es sehr schwer. Ohne Veränderung des Systems kann das nicht funktionieren. Aber niemand will das System verändern.
Die Angst vor der Republik der Rentner
Dieses Land wird alt. Wir Alten bilden eine wachsende Gruppe. Zusammengehalten durch das gemeinsame Alter. Der Expräsident des ifo-Instituts, Hans-Werner Sinn, warnte vor einer Machtübernahme. Vor »unserer« Machtübernahme. Er unkte: »Durch die Kombination besonders vieler Alter mit besonders wenigen Jungen entsteht ein fast unlösbarer, aber jetzt schon genauestens vorhersehbarer Generationenkonflikt.« Er ist nicht der Einzige, der diese These vertritt. Immer wieder kann man lesen, eine alte Mehrheit würde quasi im Durchmarsch die Renten erhöhen, das Land zur Rentnerrepublik umgestalten, sobald die alte Mehrheit installiert sei. Als würde es dann eine Alten-Regierung geben, die nur noch Alten-Politik macht und die Jungen zur ungeliebten Minderheit erklärt. Ein Alten-Putsch sozusagen. Das ist schon allein in sich nicht logisch, denn warum sollten Alte sich auf einen Konflikt mit den Jungen einlassen, wo doch die Jungen für das Geld sorgen sollen? Es wäre ziemlich unvernünftig. Die These verkennt auch die funktionierenden familiären Strukturen und den sozialen Zusammenhalt.
Die Arbeitswelt von heute führt zur Altersarmut von morgen
Zum Alter lässt sich manches Negative feststellen. Aktuell gehört die Altersarmut als Massenphänomen nicht dazu. Noch nicht. Ja, es gibt arme Alte. Ich kenne Menschen in den hohen Siebzigern, die aus der gesetzlichen Rente etwa 500 Euro beziehen und die kein Vermögen haben, um ihre Lage zu verbessern und den Lebensabend zu genießen. Darunter ist eine Frau, die zum Amt gehen könnte, um den Antrag auf Grundsicherung zu stellen. Sie tut es nicht. Sie will es nicht. Sie will noch nicht einmal, dass ich ihren Namen nenne. So ist das – aber das gilt für eine eher kleine Gruppe. In der Mehrheit kommen die Rentner ganz gut über die Runden – jedenfalls heute noch.
Aber morgen oder übermorgen? Wer sich in der gegenwärtigen Arbeitswelt umsieht, kann ohne Mühe vorhersagen, was morgen sein wird. Bei zunehmenden Werkverträgen, Niedriglöhnern und Soloselbstständigen kommt irgendwann nicht mehr genug in die Rentenkassen. Die Regierungen der vergangenen Jahre haben es den Unternehmen leicht gemacht, variable Beschäftigungsverhältnisse zu etablieren. Inzwischen sehen wir die Folgen: viele Jobs, weniger ordentlich bezahlte Dauerarbeitsverhältnisse. Jene lebenslang gut bezahlten Arbeitsplätze von früher sind zum Auslaufmodell geworden.
Zugleich wurde und wird immer wieder an der Altersversorgung herumgeschraubt. Bislang konnten Rentner mit »ihrer« Rente vom Staat einigermaßen auskommen. Das wird in Zukunft nicht mehr so sein. Die Leistung der gesetzlichen Rente sinkt kontinuierlich, steuerlich begünstigt wird die private Vorsorge. Es riestert und rürupt überall. Walter Riester ist mir vor Jahren begegnet, und eine seiner Feststellungen war, er sei stolz, dass sein Name bekannter sei als der von Bismarck – aber bei dem gehe es ja letztlich nur um einen Hering. Schön für Walter Riester.
Leider ersetzt die aus den privaten Vorsorgemodellen erzielbare Zusatzrente in Zukunft kaum die Verluste bei der gesetzlichen Rente. Zumal viele Menschen überhaupt keine Verträge abschließen. Sie wollen nicht oder sie können nicht. Es reicht dafür einfach nicht, wenn sie sogar in Vollzeitjobs gerade einmal genug verdienen, um im Hier und Jetzt über die Runden zu kommen.
Darüber hinaus leben wir seit Jahrzehnten mit einem Sockel hoher Langzeitarbeitslosigkeit. Es gilt in der öffentlichen Wahrnehmung als Erfolg, wenn die Zahl der Arbeitslosen unter die Dreimillionengrenze sinkt. Das wird politisch bejubelt. Nur: Bei einer Million meist älterer Frauen und Männer, die seit mehr als zwei Jahren arbeitslos sind, geht die Chance auf eine Rückkehr in die Arbeit gegen Null. Sie beziehen Hartz IV. Sie leben damit irgendwie. Aber was wird sein, wenn sie ins Rentenalter kommen? Langzeitarbeitslose zahlen keine Rentenbeiträge. Der Staat zahlt sie auch nicht, jedenfalls seit 2011 nicht mehr. Da ist nichts. Und da wird nichts sein, wenn sie 60 oder 65 oder 67 Jahre alt sein werden. Nichts, außer einer traurigen Grundsicherung. Da wird es viele arme Alte geben.
Musste es dazu kommen? War das unabwendbar? Nein, es ist das Ergebnis politischen Handelns. Es ginge auch anders. Beispiel Niederlande. Dort ist es, wie auch bei uns, angesagt, die staatliche Altersversorgung durch private Vorsorge zu ergänzen. Aber anders als bei uns ist es den Arbeitnehmern dort nicht freigestellt, privat vorzusorgen. Sie müssen an vorsorgenden Berufssystemen teilnehmen. Das niederländische Modell mag manchem hart erscheinen. Aber für die große Mehrzahl der Arbeitnehmer bestehen dort gute Aussichten, auch in Zukunft und gerade im Alter eine auskömmliche Altersversorgung zu erhalten. Anders als bei uns.
Keiner will hören, dass wir länger arbeiten müssen
Unsere Politik hat möglicherweise darauf gesetzt, dass die Lebensarbeitszeit weiterhin verlängert werden...