PUNKT 1 DER BEDIENUNGSANLEITUNG
Der wissenschaftliche Skeptizismus
Teilbereich: Kernkonzepte
Siehe auch: kritisches Denken
Wissenschaftlicher Skeptizismus, ein von Carl Sagan geprägter Begriff, bezeichnet eine allgemeine Herangehensweise an Wissen, bei der vorrangig verlässliche, stichhaltige Überzeugungen und Schlussfolgerungen zum Tragen kommen – anstelle verharmlosender oder bequemer. Wissenschaftliche Skeptiker setzen sich aus diesem Grund für die kompromisslose, aufgeschlossene Anwendung wissenschaftlicher und logischer Methoden ein, um empirische Thesen – insbesondere ihre eigenen – zu hinterfragen. Ein wissenschaftlicher Skeptiker akzeptiert eine These nur vorläufig und insoweit, als sie durch triftige logische Zusammenhänge nachgewiesen werden kann und alle vorhandenen Indizien gründlich und unvoreingenommen gewürdigt wurden. Ein Skeptiker befasst sich zudem intensiv mit den Fallstricken menschlicher Logik und den Mechanismen der Irreführung, um sich nicht von anderen oder gar von sich selbst täuschen zu lassen. Skeptikern geht die Methodik in aller Regel vor eine bestimmte Schlussfolgerung.
Wir ignorieren »verständliche Wissenschaft« auf eigene Gefahr.
EUGENIE SCOTT
Wer dieses Buch liest, weiß, dass wir für eine Weltanschauung plädieren, die gemeinhin als wissenschaftlicher Skeptizismus bekannt ist. Doch darüber, was das bedeutet, sind die Meinungen geteilt. Was also tun wir eigentlich, und woran glauben wir?
Grundsätzlich gilt: Ein Skeptiker zweifelt. Ein philosophischer Skeptiker ist jedoch etwas ganz anderes als wissenschaftliche Skeptiker wie wir. Philosophischer Skeptizismus ist im Grunde nichts anderes als permanentes Zweifeln: Können wir wirklich etwas wissen? Was macht Wissen denn aus? Bevor die Wissenschaft unser Denken revolutionierte, war der philosophische Skeptizismus eine vernünftige Einstellung. Schließlich beruhte ein Großteil des Wissens auf Autorität und Tradition, weshalb es vermutlich ein Schritt in die richtige Richtung war, erst einmal wieder bei null anzufangen. René Descartes’ berühmten Spruch, dass wir nur eines sicher wissen – »Ich denke, also bin ich« –, dürfte wohl jeder kennen. Er wollte alles verwerfen, was bis zu einem bestimmten Zeitpunkt als gesichertes Wissen galt, ganz von vorne beginnen und sehen, was sich aus den Grundwahrheiten ableiten ließ (als offenkundige Ausgangspunkte).
Zu unserem Glück leben wir nicht mehr in einem vorwissenschaftlichen Zeitalter. Wir verfügen über in Hunderten von Jahren angesammeltes Wissen, das uns dorthin gebracht hat, wo wir heute stehen. Philosophen setzen ihren Schwerpunkt auf eine eindeutige, präzise, unzweifelhafte und in sich stimmige Denkweise. Die Wissenschaft funktioniert innerhalb der Philosophie des methodologischen Naturalismus (soll heißen, alle Auswirkungen sind auf natürliche Ursachen zurückzuführen) und bedient sich ausgeklügelter Methoden, um Theorien einem Realitätstest zu unterziehen.
Dennoch können wir nicht alles mit hundertprozentiger metaphysischer Sicherheit wissen, aber wir können bestimmte Dinge verstehen. Wissensbausteine, die in sich schlüssig, logisch und stichhaltig sein und nicht nur zu unseren Beobachtungen der Realität passen müssen und uns tatsächlich dabei helfen zu prognostizieren, wie sich das Universum verhalten wird, lassen sich methodisch aufeinander aufbauen.
Das ist der Punkt, an dem sich der wissenschaftliche Skeptiker vom philosophischen unterscheidet. Für Letzteren steht fest, dass Wissen nicht möglich ist. Wir sind aber auch keine Zyniker, deren Zweifel auf einer gesellschaftlichen Haltung beruhen oder die der Menschheit an sich eher negativ gegenüberstehen. Und erst recht sind wir keine Nonkonformisten, die reflexartig der Meinung der breiten Masse widersprechen. Der Begriff »Skeptiker« wird auch von Leugnern (fälschlicherweise) verwendet, die als die einzig wahren Skeptiker angesehen werden wollen (weil sie krasse und unbequeme Fragen stellen), doch in Wahrheit ihrem Leugnungsprogramm aus rein ideologischen Gründen folgen.
Wir sind wissenschaftliche Skeptiker, weil bei uns am Anfang immer der Zweifel steht, doch dann bemühen wir uns gewissenhaft, das, was wir können und wissen, von dem zu trennen, was unter Fantasie, Wunschdenken, Vorurteil und Tradition fällt. Ich bin überzeugt, dass moderner wissenschaftlicher Skeptizismus viele Facetten hat und mehr ist als nur eine Weltanschauung. Untrennbar damit verbunden ist jede Menge Wissen und Erfahrung.
Im Folgenden möchte ich die Werkzeuge und Methoden vorstellen, die wissenschaftliche Skeptiker anwenden, um die Realität zu analysieren:
Respekt vor Wissen und Wahrheit – Skeptiker legen Wert auf Realität und Wahrheit. Deshalb bemühen wir uns nach besten Kräften um Überzeugungen und Meinungen, die so realitätsnah wie möglich sind. Das bedeutet, dass wir alle Thesen einem fundierten Evaluierungsprozess unterziehen.
Skeptiker glauben, dass sich die Welt erklären und verstehen lässt, weil sie bestimmten Regeln oder Naturgesetzen folgt. Die einzig legitime Methode, empirisch etwas über das Universum herauszufinden, folgt dieser naturalistischen Annahme. Anders ausgedrückt: Innerhalb der Empirie (dem auf Beweisen basierenden Faktenwissen) gibt es keinen Grund, als Erklärung auf Magisches oder Übernatürliches zurückzugreifen.
Die Förderung der Wissenschaft – Wissenschaft ist die einzig legitime Methodik, um die Natur zu erforschen und zu verstehen. Allein aus diesem Grund ist die Wissenschaft ein machtvolles Werkzeug – und eine der besten Entwicklungen der menschlichen Zivilisation. Die aktivistischen Mitglieder unseres Klubs setzen sich für die Wissenschaft und ihre Aufgaben innerhalb unserer Gesellschaft ein, möchten wissenschaftliche Ergebnisse und Methoden einem breiten Publikum zugänglich machen und nehmen auch den Bildungsauftrag sehr ernst. Im Klartext heißt das, die Integrität der Wissenschaft und die wissenschaftliche Bildung müssen vor ideologischer Einmischung oder antiwissenschaftlichen Angriffen geschützt werden. Dazu zählt auch die Unterstützung hochwertiger wissenschaftlicher Arbeit, was es erforderlich macht, Prozesse, Kultur und Institutionen der Wissenschaft auf Mängel, Verzerrungen, Schwächen und Betrug hin zu prüfen.
Förderung des logischen und kritischen Denkens – Wissenschaft ist untrennbar mit Logik und Philosophie verknüpft, weshalb sich Skeptiker für ein breites Verständnis dieser Fachgebiete einsetzen und gezielt zum kritischen Denken anregen.
Wissenschaft versus Pseudowissenschaft – Skeptiker sind die erste und häufig auch die letzte Verteidigungslinie im Kampf gegen pseudowissenschaftliche Übergriffe. In dieser Funktion versuchen wir, die Grenzen zwischen legitimer Wissenschaft und Pseudowissenschaft aufzuspüren und deutlich zu machen, die Pseudowissenschaft zu entlarven und darüber aufzuklären, wie sich beides voneinander unterscheiden lässt. Sollte ich unsere Kernkompetenz als Skeptiker in einem Wort zusammenfassen müssen, wäre es die Pseudowissenschaft. Tauchen weitverbreitete, aber nichtsdestoweniger falsche Überzeugungen auf, reicht es nicht aus, über den entsprechenden wissenschaftlichen Hintergrund zu verfügen. Man muss in diesem Fall auch wissen, wo sich die Wissenschaft irren kann, wie wir Menschen überhaupt zu falschen Annahmen kommen und dann auch noch daran festhalten und wie sich diese verbreiten. Im akademischen Establishment hapert es daran allerdings, weshalb hier die Skeptiker ins Spiel kommen.
Ideologische Freiheit / freie Forschung – Wissenschaft und Logik können nur in einer freien Gesellschaft gedeihen, deren Mitglieder sich frei entfalten können, ohne dass ihnen oder dem wissenschaftlichen Prozess und der freien Forschung eine Ideologie (religiöser oder sonstiger Art) oktroyiert wird.
Neuropsychologische Demut – wer als Skeptiker etwas bewegen will, muss die vielen Möglichkeiten der Selbsttäuschung, die Grenzen und Tücken der menschlichen Wahrnehmung und des Gedächtnisses, die kognitiven Verzerrungen und Fehlschlüsse und die Methoden kennen, mit denen sich diese mindern oder gar aushebeln lassen.
Verbraucherschutz – Skeptiker wollen sich und andere vor Betrug und Täuschung schützen. Das gelingt uns, indem wir Betrügereien aufdecken, die Öffentlichkeit und die Politik aufklären und ihnen helfen, betrügerische oder irreführende Thesen oder Praktiken zu erkennen.
Zudem übernehmen Skeptiker gerne die Funktion eines institutionellen Gedächtnisses. Es kursieren immer wieder die gleichen Schwindeleien und falschen Annahmen. Anscheinend muss jede Generation dieselben Fehler machen. Da ist es schon nützlich, dass es Skeptiker gibt, die sich mit der Geschichte der Betrügereien, Fehler und Pseudowissenschaft befassen, um gleich Alarm schlagen zu können, wenn derselbe Unsinn wieder einmal gebetsmühlenartig wiederholt wird.
Aktivistische Skeptiker sind leidenschaftliche Wissenschaftsmittler – und noch viel mehr. Wir Skeptiker verfügen über bestimmte Fachkenntnisse und Nischenwissen über Pseudowissenschaft und Täuschungsmechanismen. Wir wissen, was wir Fehlinformationen entgegensetzen können. Noch vor einer Generation gingen Wissenschaftsmittler davon aus, im Kampf gegen Pseudowissenschaft und Mythen genüge es, Wissenschaft zu lehren. Jetzt können wir mit Sicherheit sagen, dass dem leider nicht so ist.
So bestätigte zum Beispiel eine 2017 von John Cook et al. durchgeführte Studie die wissenschaftlichen Forschungsergebnisse, dass Fehlinformationen über den wissenschaftlichen Konsens zur globalen Klimaerwärmung je nach politischer Ideologie des Probanden eine...