KAPITEL 2
Technologische Trends –
Segen oder Schwarze
Hightech-Schwäne?
»Jene, die sich dem Wandel nicht anpassen können, werden
von ihm weggefegt. Jene, die den Wandel erkennen und
dementsprechend reagieren, werden davon profitieren.«
JIM ROGERS
Im folgenden Abschnitt möchten wir Ihnen einen kurzen Überblick über die wichtigsten Technologien der kommenden zehn Jahre geben. Anhand von einigen Beispielen soll aufgezeigt werden, wie diese disruptiven Trends sowohl die Gesellschaft als auch die Wirtschaft nachhaltig und fundamental verändern werden. Die letzten 15 Jahre wurden vor allem durch die flächendeckende Verbreitung des Internets geprägt. Die Schaffung zahlreicher eCommerce-Plattformen wie Amazon und Alibaba oder der Siegeszug der sozialen Netzwerke wie Facebook und Tencent haben unser Verhalten komplett verändert. Google und Facebook können einen jeden von uns als Mensch anhand unseres Suchverhaltens besser beschreiben als unser Partner oder unsere engsten Freunde. Dies führte auf der einen Seite zu einer Erleichterung des Lebens, auf der anderen jedoch führt es auch zu einer höheren Komplexität des Alltags.
Bevor wir in ein Unternehmen investieren, stellen wir uns vorher die Frage, ob die betreffende Firma »amazonisiert« werden kann. Konkret heißt das: Kann Amazon (oder ein anderer Tech-Gigant) sich dieses Geschäftsmodell mühelos einverleiben und sogleich das Ende des etablierten Unternehmens einläuten? Dies gilt auch für Großkonzerne und aktuelle Marktführer. Im Jahr 1965 befand sich ein durchschnittliches S&P-500-Unternehmen noch stolze 33 Jahre im Index, bevor es hinausgeschmissen und verdrängt wurde. 1990 waren es bereits weniger als 20 Jahre. Die logische Konsequenz hiervon ist, dass etwa 50 Prozent im S&P 500 der gelisteten Unternehmen in den nächsten zehn Jahren abgelöst werden dürften. Sie werden dann durch die sogenannten Unicorns ersetzt – also Startups, die nach mehreren Finanzierungsrunden bereits heute eine Bewertung von mindestens 1 Milliarde US-Dollar aufweisen. Einige bekannte Abgänge der letzten zehn Jahre sind Eastman Kodak, National Semiconductor, Sprint, US Steel, Dell und die New York Times. Dafür wurden Jungfirmen wie Facebook, PayPal, Level 3 Communications, Tesla, Under Armour, Seagate Technology und Netflix in den Index aufgenommen. Traditionelle Unternehmen wie Siemens oder Bosch, welche seit über 100 Jahren zu den Weltmarktführern gehören, werden in Zukunft die absolute Ausnahme sein.
1996 wurde der zur damaligen Zeit beste Schachspieler der Welt Garri Kasparow erstmals von einem Schachcomputer namens »Deep Blue« in einer regulären Partie besiegt, in der das Regelwerk in vollem Umfang gültig war. Wieso machte uns das damals keine Angst? Liegt es daran, dass Schach, ein Spiel ohne Emotionen, nach festen Regeln abläuft und nur auf einem kleinen Brett mit 64 Feldern und 32 Spielfiguren stattfindet? Das ist verwunderlich, wird es doch als königliches Spiel bezeichnet. Im asiatischen Strategiespiel »Go« hat das Programm AlphaGo der Google-Tochter DeepMind im Jahr 2016 den stärksten menschlichen Profispieler aller Zeiten besiegt. Doch damit nicht genug. Eine neue Version hat das Spiel jetzt ohne menschliches Vorwissen weiterentwickelt. In über 100 Partien blieb diese Weiterentwicklung unbesiegt, weder die Vorgängerversion noch menschliche Spieler konnten sie bezwingen. Während die neuronalen Netze der ersten drei Versionen von Googles Spielerei mit Millionen von Stellungen aus Partien zwischen starken menschlichen Spielern trainiert wurden, hat die nun enthüllte Version AlphaGo Zero das Spiel von Grund auf selbst erlernt. Statt zweier neuronaler Netze (Policy Network für Vorschläge guter Züge und Value Network für die Stellungsbewertung) hat Alpha-Go Zero nur noch eines. Dieses besitzt allerdings zwei Ausgangspfade (»Heads«), die gleichzeitig Zugvorschläge und Stellungsbewertungen liefern. Am Eingang des neuronalen Netzes steht nur noch die reine Stellung, lediglich angereichert um die Historie der letzten acht Züge und die Information, welcher Spieler am Zug ist. Die Go-spezifische Vorverarbeitung, mit der die Entwickler den neuronalen Netzen früherer AlphaGo-Versionen noch in gewissem Umfang auf die Sprünge geholfen hatten, gehört der Vergangenheit an. Erstaunlich ist für den Go-Kundigen auch zu beobachten, wie AlphaGo Zero in kürzester Zeit das jahrhundertealte Go-Wissen der Menschheit abdeckt und in Form bestimmter etablierter Zugfolgen wieder zugunsten anscheinend noch besserer Strategien verwirft.
Nachdem einige der schlauesten Menschen des Planeten von einem kleinen rechteckigen Gerät besiegt wurden, bleibt – wenig überraschend! – nichts zurück als Verwunderung, Kopfschütteln und Staunen. Menschen schließen aus Angst vor dem Ungewissen oftmals die Augen vor der Zukunft, sie leben in ihrer eigenen Welt und scheuen sich davor, Entscheidungen zu treffen. Oder irritiert uns die Überlegenheit solcher Rechner nicht, weil wir selbst die Möglichkeiten, aber auch die Auswirkungen und Folgen der künstlichen Intelligenz (KI) nicht einschätzen können? In der Vergangenheit sorgte der Einsatz des Taschenrechners dafür, dass Menschen nicht mehr Kopfrechnen können. Die Einführung von GPS und Navigationsgeräten führte dazu, dass Menschen die Fähigkeit verloren, zu navigieren. Die Einführung der künstlichen Intelligenz könnte in Zukunft bewirken, dass der Mensch, ähnlich wie bei den bereits erwähnten Beispielen, den Weg des geringsten Widerstandes wählt und seine Entscheidungsgewalt und Risikofreude an die ihm überlegene künstliche Intelligenz abtritt.
Seit Jahrtausenden führt ein Alleinstellungsmerkmal zum Erfolg – dieser liegt darin, etwas zu tun, was kaum ein anderer macht. Ein System, welches uns also vorgibt, welche Entscheidung die richtige ist, führt womöglich dazu, die Masse weiter zu homogenisieren und noch abhängiger von solchen Mechanismen zu machen: »Warte, ich google es lieber noch einmal«, ist heute schon eine der häufigsten Phrasen. Die Unsicherheit, eigenes Wissen einzubringen und Entscheidungen zu treffen, wächst fortlaufend. Wir schauen zu erfolgreichen Menschen auf und möchten das erreichen, was uns medial als Erfolg vorgelebt wird. Oftmals scheint dies im Nachhinein gar nicht so schwer, doch zögern wir und vergeben so die besten Möglichkeiten. Wir trauen uns nicht – was nicht daran liegt, dass wir uns nicht überwinden könnten, sondern darin, dass wir ausgesprochen risikoavers sind.
Wir haben Angst vor dem Fall ins Bodenlose. Wir fragen uns: Was denkt mein Partner, was denkt meine Familie, was denkt mein Umfeld, wenn meine getroffene Entscheidung doch falsch war? Stellen Sie sich vor, eine Stimme nimmt Ihnen notwendige Entscheidungen ab, indem sie Dinge, welche Sie zu denken beginnen, zu Ende denkt: Ein Gedankengang ohne irrationale Hirngespinste und ohne die Angst, zu versagen. Wie schön wäre es, eine Entscheidung zu treffen, in der das erfolgreiche Ende schon feststeht, bevor wir gestartet haben! Wenn es eine Rohversion künstlicher Intelligenz bereits vor 20 Jahren geschafft hat, einen Schachspieler zu schlagen, der zur damaligen Zeit als bester Spieler aller Zeiten galt, wird es doch auch möglich sein, dass eine künstlich erschaffene Intelligenz, welche sich stetig weiterentwickelt, einfache und mit fortlaufender Zeit auch schwierige Entscheidungen für uns treffen kann.
Was 1996 möglich war, scheint 20 Jahre später vollkommen neue Dimensionen erreicht zu haben. Auch Kasparow hielt seine Niederlage gegen die von IBM entwickelte Maschine damals für ausgeschlossen und verließ sich auf sein Ego, er strotzte nur so vor Selbstbewusstsein. Eine solche Maschine könnte dann wohl auch Weltmeister der Künste und Wissenschaften werden, witzelte er damals. Einfache Aufgaben können schon längst schnell und genau erledigt werden. Unternehmen können große Datenmengen verarbeiten. Doch inzwischen geht die Kompetenz der Rechner weiter. Sie können damit beginnen, die vorhandenen Daten nach nützlichen Erkenntnissen und Informationen zu analysieren – und hier kommt die künstliche Intelligenz ins Spiel.
Auch heute noch entwickeln Unternehmen wie IBM Algorithmen, mit denen in multidimensionalen Räumen mit 50 oder gar 100 Parametern eine sehr komplexe Matrix entwickelt wird, um über Korrelationen und Wahrscheinlichkeiten Prognosen zu erstellen. Mit entsprechenden Supercomputern werden solch komplexe Analysen blitzschnell durchgeführt. Laut IBM könnte die Frage an eine künstliche Intelligenz lauten, welches Präparat sich bei Brustkrebs mit einem bestimmten Befund und in einem bestimmten Stadium am besten eignet. Entwickelte Programme wie das allseits bekannte Watson würden dann anhand von Vergleichsfällen gegebenenfalls antworten, dass zu 80 Prozent das Präparat der Firma XY mit dem Wirkstoff YZ am besten anschlage.
Robotik und künstliche Intelligenz werden umgangssprachlich oft als Synonym verwendet, gewissermaßen als austauschbare Begriffe, das sind sie jedoch keinesfalls. Kurz gesagt nutzt die Robotik IT für die Automatisierung. Es geht darum, einen regelbasierten Prozess zu erstellen, den eine Maschine dann schnell und konsistent ausführen kann. Die Maschine lernt nicht, wie man den Job macht, sondern erledigt Aufgaben auf eine vorbestimmte Art und Weise. Entgegen aller Verschwörungstheorien und Sorgen lässt sich ausschließen, dass sich intelligente Maschinen, wie sie derzeit existieren, plötzlich gegen Menschen wenden. In Zukunft ist es jedoch durchaus denkbar, dass sich künstliche Intelligenz durch die Vernetzung mit anderen Systemen fortlaufend weiterentwickelt und Prozesse, welche im Hintergrund ablaufen, für den menschlichen Programmierer nicht...