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E-Book

Berlin - Hauptstadt des Verbrechens

Die dunkle Seite der Goldenen Zwanziger - Ein SPIEGEL-Buch

AutorNathalie Boegel
VerlagDeutsche Verlags-Anstalt
Erscheinungsjahr2018
Seitenanzahl288 Seiten
ISBN9783641232535
FormatePUB
KopierschutzDRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis9,99 EUR
Die spektakulärsten Kriminalfälle aus Berlins wildesten Jahren
Ein selbsternannter »Volksbeglücker« zieht Zehntausenden Berlinern ein Vermögen aus der Tasche. Ein schwerverletzter Forstaufseher liefert den entscheidenden Hinweis auf den ersten Massenmörder der Weimarer Republik. Und ein kuchensüchtiger Kommissar klärt durch seine genialen Ermittlungsmethoden fast 300 Mordfälle auf.

In den Jahren von 1918 bis 1933 tobt in Berlin nicht nur das verruchteste Nachtleben der Welt, hier wird auch der politische Kampf zwischen Nazis und Kommunisten auf der Straße ausgetragen, während die Polizei verzweifelt versucht, dem Sündenbabel Einhalt zu gebieten. In ihrem Buch erzählt Nathalie Boegel von gewissenlosen Mördern, cleveren Betrügern und von Kriminellen, die zu Lieblingen der Berliner werden. Und sie zeigt, wie mutige Ermittler die Polizeiarbeit revolutionieren.

Nathalie Boegel, geboren 1967, ist Fernsehjournalistin für SPIEGEL TV und hat für SPIEGEL GESCHICHTE eine zweiteilige Fernseh-Dokumentation mit dem Thema »Sündenbabel Berlin - Metropole des Verbrechens 1918 - 1933« veröffentlicht. Bereits in ihrem Volontariat hat sie als Polizeireporterin gearbeitet und als Filmautorin insgesamt 20 Dokumentationen über die Polizei in Deutschland gedreht, darunter die Serien »Deutschland, Deine Polizei« und »Tatort Deutschland«.

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Leseprobe

DER POLIZEIPRÄSIDENT WIRD AUS DEM AMT GEJAGT

Wie gross das Chaos in den Nachkriegswochen und -monaten in Berlin ist, zeigt eindrücklich ein Flugblatt des Innenministeriums vom 5. Januar 1919. Nach nur acht Wochen im Amt als neuer Polizeipräsident der Hauptstadt darf »etwaigen Anordnungen des Herrn Emil Eichhorn« ab sofort »nicht gefolgt werden«, so steht es auf der amtlichen Mitteilung an alle Beamten, Hilfskräfte und Sicherheitsmannschaften des Polizeipräsidiums zu lesen. Damit ordnet das Innenministerium die Befehlsverweigerung gegenüber dem eben noch amtierenden Polizeipräsidenten Eichhorn an.

Emil Eichhorn
© Emil Eichhorn; Journalist, Politiker (SPD / USPD / KPD)
Porträt um 1918, Archiv Gerstenberg / ullstein bild via Getty Images

Emil Eichhorn ist zu diesem Zeitpunkt 55 Jahre alt. Der gelernte Elektromonteur, Journalist und linkssozialistische USPD-Politiker denkt gar nicht daran, das Feld zu räumen. Denn der Chefsessel im Polizeipräsidium ist der letzte Machtposten, der der USPD noch geblieben ist, nachdem die Partei den Rat der Volksbeauftragten, das damals wichtigste Regierungsgremium, verlassen hat.

Die Weigerung Eichhorns, seinen Posten zu räumen, verspricht Ärger, und so heißt es in weiser Voraussicht auf dem offiziellen Flugblatt zu seiner Absetzung weiter: »Sollte das Polizeipräsidium in den nächsten Tagen für Dienstzwecke nicht verfügbar sein, so wird besondere Anordnung ergehen, in welchem Gebäude der Dienst aufzunehmen ist.« Offenbar geht das Innenministerium davon aus, dass Herr Eichhorn, bis gestern noch oberster Verantwortlicher für Recht und Ordnung in der Stadt, das Präsidium nicht freiwillig verlässt. Wie ernst es dem preußischen SPD-Innenminister ist, zeigt der nachfolgende Satz: »Das Telefon im Polizeipräsidium Berlin ist zu sperren, falls Eichhorn es nicht gutwillig räumt.«

Was sind das für Zustände damals, in denen man den Polizeipräsidenten aus dem Amt jagt und ihm das Telefon abklemmt? Und dieser wiederum sich weigert, seine Absetzung anzuerkennen, und stur weiter die Stellung in dem Gebäude hält, zusammen mit einigen Hundert verunsicherten Männern der Sicherheitswehr? Was ist der Hintergrund dafür, dass die Fronten damals so verhärten? Warum lässt der Innenminister zu, dass die Arbeit einer so wichtigen Institution wie der Polizei ins Wanken gerät? Und das Vertrauen in die Amtsführung implodiert? Dass wichtige polizeiliche Ermittlungen liegen bleiben, wie der im nächsten Kapitel beschriebene Mordfall im Hotel Adlon zeigt?

Nach dem Ende des Krieges herrscht das blanke Chaos in der Hauptstadt. Deutschland hat den Krieg verloren, der Kaiser ist geflohen, und gleich zwei Männer aus unterschiedlichen politischen Lagern rufen ebenso unterschiedliche Republiken in der Hauptstadt aus. Die Weimarer Republik beginnt in bürgerkriegsartigen Unruhen und in einem heillosen Durcheinander von Machtansprüchen zersplitterter politischer Parteien, die Zuständigkeiten erkämpfen und wieder verlieren.

Das Polizeipräsidium gerät dabei ins Zentrum der politischen Auseinandersetzungen: Jede Partei möchte die »Zitadelle der Macht« für sich beanspruchen.

Schon die Ausrufung der Republik wird zum Wettlauf zwischen gemäßigten und radikalen Kräften. Von einem Fenster des Reichstages aus proklamiert Philipp Scheidemann, SPD, am 9. November 1918 vor mehreren Hundert Arbeitern eine bürgerlich-demokratische Republik mit liberaler Verfassung. Es ist kurz nach 14 Uhr. Zwei Stunden später, um 16 Uhr, verkündet der Marxist Karl Liebknecht vom königlichen Schloss aus die sozialistische Räterepublik nach russischem Vorbild. Der Sozialdemokrat ist dem Linksradikalen gerade noch rechtzeitig zuvorgekommen.

Die SPD setzt auf Ruhe und Ordnung sowie Reformen statt Revolution. Um das Chaos zu beenden, die Bevölkerung zu versorgen und Friedensverhandlungen aufzunehmen, schließt die Parteiführung aus machttaktischen Gründen ein Bündnis mit der Militärführung und der alten Staatsbürokratie. Den SPD-Politikern gelingt es zunächst auch, die links von ihr stehende USPD zum Eintritt in eine gemeinsame Regierung zu bewegen. Doch schon wenige Wochen später, am 29. Dezember, nach den blutigen »Weihnachtskämpfen« zwischen der neu erschaffenen Wehrgruppe »Volksmarinedivision« und regulären Truppen um nicht ausbezahlte Löhne, bricht die Regierung auseinander. Die Mitglieder der USPD verlassen unter Protest den Rat der Volksbeauftragten.

Im Zuge dieses sich verschärfenden Konflikts zwischen den beiden Linksparteien wird auch Polizeipräsident Emil Eichhorn, Mitglied der USPD, geschasst. Der Innenminister schickt als seinen Nachfolger Eugen Ernst von der SPD ins Präsidium, er soll Eichhorn zum Amtsverzicht bewegen und dessen Posten übernehmen. Doch so leicht gibt der seinen Job nicht her. Als Ernst und ein Begleiter das Amtszimmer Eichhorns im Präsidium betreten, hält dieser demonstrativ einen Revolver in der Hand, den er dann gut sichtbar auf seinem Schreibtisch platziert.

Draußen vor dem monumentalen Gebäude steht zu Eichhorns Schutz eine besorgte Arbeiterdeputation bereit. Den beiden Herren drinnen wird mulmig zumute. Sie können den abgesetzten Hausherrn nicht zum Amtsverzicht bewegen, unverrichteter Dinge müssen sie wieder abziehen.

Radikale Linke begreifen die Entlassung Eichhorns als Provokation. Am 4. Januar 1919 beginnen sie den blutigen Spartakusauf­stand. Sie organisieren eine Massendemonstration mit 200 000 Teilnehmern, von denen sich viele vor dem Polizeipräsidium sammeln. Dort verkündet Eichhorn: »Ich habe mein Amt von der Revolution empfangen, und ich werde es nur der Revolution zurückgeben.«

Einige der Demonstranten tragen nicht nur friedlich Plakate in ihren Händen, sie haben Waffen dabei. Neben Arbeitern sind auch viele Soldaten darunter. Die bewaffneten Demonstranten ziehen ins Zeitungsviertel, wo sie die Druckerei des sozialdemokratischen »Vorwärts« sowie weitere Zeitungshäuser und Verlage besetzen. Mit der Einnahme des Zeitungsviertels wollen sich die Spartakisten die Informationshoheit sichern – damals gibt es weder Radio noch Fernsehen, die Menschen erfahren die Neuigkeiten auf bedrucktem Papier.

Die politische Linke plant jetzt, die Forderungen der Novemberrevolution durchzusetzen, und will die Regierung der Sozialdemokraten unter Friedrich Ebert und Philipp Scheidemann stürzen. Ein »Provisorischer Revolutionsausschuss« wird gegründet, doch während dort endlos debattiert wird, läuft draußen auf den Straßen der Protest völlig aus dem Ruder. Im Zeitungsviertel wird über Tage mit äußerster Brutalität gekämpft. Das berühmte Foto mit den schießenden, hinter riesigen Zeitungspapierrollen versteckten Spartakisten entsteht.

Im Berliner Zeitungsviertel verbarrikadieren sich Spartakisten hinter Zeitungsstapeln (Januar 1919).
© Spartakisten hinter Zeitungsrollen, 1919; Foto by Historica Graphica ­Collection / Heritage Images / Getty Images

Währenddessen hält Eichhorn das Polizeipräsidium besetzt. Er verschanzt sich mit seinen Sicherheitsleuten im monumentalen roten Ziegelsteingebäude. Die polizeiliche Arbeit kann hier nicht mehr geleistet werden, die wird unterdessen so gut es geht im dafür requirierten Hotel Kaiserhof erledigt.

Mit einem weiteren Flugblatt wendet sich der neue stellvertretende Polizeipräsident Wilhelm Richter eindringlich an die Besetzer am Alexanderplatz und appelliert an ihre Verantwortung:

»Arbeiter!

Könnt Ihr es mit Eurer Ehre und Eurem Gewissen noch vereinbaren, daß das Polizeipräsidium noch länger seiner Bestimmung entzogen wird?

Das Verbrechertum weiß, daß die Zentrale lahmgelegt ist, und verübt täglich neue Schandtaten, die nicht gesühnt werden können!

Wollt Ihr wirklich Berlin dem Verbrechertum ausliefern?

Wollt Ihr immer mit der Schande behaftet bleiben, die ­Schützer des Verbrechertums zu sein?

Darum räumt das Präsidium, ehe es zu spät ist.«

Doch es bleibt nicht bei moralischen Appellen, die Regierung greift auch zu anderen Mitteln. Am 10. Januar erhalten die Eichhorn gewogenen Sicherheitsleute, seine »Sicherheitswehr«, nicht wie vorgesehen ihren Lohn. Allerdings wird ihnen eine »Löhnung« für den nächsten Tag angeboten, wenn sie bereit sind, »sich von diesen Berufsverbrechern zu trennen und sich auf den Boden ihrer Kameraden stellen«. Etwa 2500 Eichhorn-Leute wechseln daraufhin die Seite. Dem geschassten Polizeipräsidenten fällt es immer schwerer, seine verbleibende Soldatenwehr auf sich einzuschwören.

Am 12. Januar, um halb zwei an diesem frühen Sonntagmorgen, greifen Regierungstruppen das Präsidium mit scharfer Munition an. Die etwa 300-köpfige Besatzung im Gebäude schießt zurück. Doch es gibt Saboteure in ihren Reihen, die zwei Maschinengewehre unbrauchbar machen. Der Kommandant der Präsidiumsbesetzer willigt schließlich in Verhandlungen ein. Doch zum Verhandeln gibt es offenbar keinen Spielraum mehr: Die Unterhändler aus dem Präsidium werden erschossen. Die Besetzer geben auf. Der mächtige Bau des Präsidiums ist von den Geschützen schwer getroffen, im Mauerwerk klaffen Löcher, kaum eine Fensterscheibe ist heil geblieben.

Eichhorn selbst aber kann aus dem Gebäude flüchten. Pikanterweise nimmt er dabei die Kasse aus dem Präsidium mit und kann untertauchen. Von nun an wird er steckbrieflich gesucht.

In der Folge des Aufstands geht es den revolutionären Führern von USPD und der neu gegründeten KPD an den Kragen. Noch im Januar werden die untergetauchten kommunistischen Aktivisten Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg von einer...

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