3. Die wissenschaftliche Forschung liefert keine Legitimation für die »Ehe für alle«
Wissenschaft im Korsett der Gleichheitsideologen
Ein großes Problem bei der Forderung nach einer »Ehe für alle« ist, dass nicht erforscht ist, wie sie sich langfristig auswirkt. Ein so massiver Eingriff in das Wertesystem unserer Nation, wie es die Abschaffung der traditionellen Ehe ist, bedarf jedoch der Legitimation. Eine solche Legitimation ließe sich beispielsweise dadurch erzielen, dass der Nachweis des universellen Nutzens für die Gemeinschaft erbracht wird, die eine solche Öffnung der Ehe bringen würde. Doch dieser Nutzen ist bloßes Desiderat. Wozu, diese Frage sei an dieser Stelle gestattet, wozu eigentlich Forschungen in der Medizin, in der Psychologie, wozu Geisteswissenschaften wie Geschichte und Philosophie, wozu Forschungen zu Religion und Anthropologie, wenn wir daraus nichts lernen? Lernen ließe sich etwa aus der Kulturgeschichte der Menschheit, was menschliche Gesellschaft konstituiert und was sie zersetzt. Warum sind die westlichen Gesellschaften nicht bereit, bei einem für sie alle so elementaren Thema die Quellen zu befragen, die zu unserer eigenen Geschichte vorliegen? Warum suchen die – zumindest im internationalen Vergleich – so gut bezahlten Forscher und Wissenschaftler an deutschen Universitäten nicht seit Jahren mit allergrößtem Eifer nach Belegen und Vorbildern in der Menschheitsgeschichte, die als Folie dafür dienen können, dass die Öffnung der Ehe für gleichgeschlechtliche Paare eine gute Sache ist? Könnte es sein, dass sich solche Belege gar nicht finden lassen? Schauen wir mal etwas genauer hinein in den deutschen Universitätsbetrieb.
Mir sind zahlreiche Lehrstühle, Forschungsrichtungen und -disziplinen bekannt, in denen Linkstheoreme (z.B. die Agenda des Feminismus) die Leitlinien vorgeben. Fast immer geht es dabei darum, die bereits vorher ideologisch festgelegten Lehrsätze durch Belege im Untersuchungsmaterial zu festigen; auch hier also herrscht das Prinzip der sich selbst erfüllenden Verheißungen: Ich postuliere Gender-Gerechtigkeit, dann stelle ich fest, dass es sie nicht gibt, und am Ende der pseudo-innovativen Betrachtungen steht dann ein so umstrittenes Produkt wie die Bibel in gerechter Sprache, die natürlich mit dem, was in den historischen Quellen steht, die ihr zugrunde liegen, nicht mehr viel zu tun hat und streng wissenschaftlich gesehen grober Unfug ist. Noch abstruser muten die Forschungen im so genannten Zentrum für transdisziplinäre Geschlechterstudien an der Berliner Humboldt-Universität an, deren Gender-Expertin, Professor Dr. Lann Hornscheidt, Anfang Mai 2014 ein beachtliches Medienecho auslöste mit ihrem Vorschlag – es klingt nach Satire, ist aber Wahrheit –, im Deutschen als neutrale Endung für Nomen, die ein Problem der Gendergerechtigkeit aufweisen, wie beim Comichelden Asterix ein X einzuführen, also Professx statt Professor/Professorin und Studierx statt Student/Studentin, dazu als Fragepronomen das neue Wort wex24. Dabei würde ein einziger Blick auf die aktuellen und zum Teil bereits erfolgsgekrönten Ambitionen um Gendergerechtigkeit in der Sprache genügen, um zu entlarven, wie wenig ernst es den selbsternannten Gerechtigkeitsfanatikern tatsächlich mit der totalen sprachlichen Ausgewogenheit bei allen in Frage kommenden Nomen ist: Niemals hat jemand nämlich ernstlich Anspruch darauf erhoben, dass doch bitte von Mördern und Mörderinnen, von Dieben und Diebinnen, von Betrügern und Betrügerinnen oder Lügnern und Lügnerinnen zu sprechen sei, wenn der Inhalt einer Rede, Mitteilung oder Erklärung dies erfordert. Auch von Stehlenden und Mordenden ist verblüffend wenig die Rede, obwohl das im Plural geschlechtsneutrale Partizip 1 sich sonst im Lager der feministischen Sprachputschisten immenser Beliebtheit erfreut. Es scheint fast so, als wären Frauen genetisch nicht für Verbrechen und Unwahrheiten disponiert. Viren und Bakterien sind nicht Mann, nicht Frau; gleichwohl käme niemand auf die Idee von Krankheitserregerinnen (auch nicht mit dem umstrittenen großen Binnen-I) zu sprechen, um den geschlechtslosen Wesen zu den Genderrechten zu verhelfen, auf die sie leichtfertig verzichteten, würden sie sich weiter konsequent als Erreger bezeichnen lassen. Die weibliche Form ist in all diesen Fällen gleichsam ausgestorben, ehe sie das Licht der Welt erblicken konnte. Somit ist klar, dass es hier nicht um Wissenschaft geht und auch nicht um Gerechtigkeit (denn dann dürfte die Semantik der Wörter unerheblich sein), sondern, wie es auch die Frauenrechtlerin Marlene Streeruwitz offen einräumt25, um einen ganz profanen Kampf um Macht und Einfluss, in dem negativ besetzte Begriffe, denen Gendergerechtigkeit widerfährt, den selbsternannten Umkremplern der alten Ordnung keine Vorteile verschaffen. Ideologische Erstarrung erklärt auch die erstaunliche Blindheit neomarxistischer Politik- und Sozialwissenschaftlerinnen wie der Berliner Professorin Astrid Albrecht-Heide für die grotesk anmutende Doppelmoral, die sich offenbart, wenn sie die Kolonialpolitik des Westens im 20. Jahrhundert kritisieren und gleichzeitig selbst eine Art von kolonialer Usurpation betreiben, indem sie die deutsche Sprache ohne Mandat (sondern allein aufgrund eines anmaßenden Selbstverständnisses, letzte Wahrheiten zu vertreten) mit sprachlichen Fremdkörpern wie dem großen I in »ProfessorInnen« besiedeln. Nebenbei bemerkt: Auch das apodiktische Selbstverständnis des Feminismus, die letzten Wahrheiten über das Verhältnis zwischen Mann und Frau in der Gesellschaft zu vertreten, ist eine dogmatische Engführung, deren Legitimation viel mehr Menschen in Frage stellen, als es angesichts der oft einseitigen Berichterstattung den Anschein hat. Die Publizistin Birgit Kelle, Autorin des Buches Muttertier26, spricht für viel mehr Frauen als eine Alice Schwarzer oder Marlene Streeruwitz, wenn sie feststellt: Die klassische Rollenverteilung zwischen einem arbeitenden Mann und einer Frau, die sich um die Kindererziehung kümmert, »ist das am meisten gelebte Familienmodell in Deutschland [...] – warum unterstützen wir das nicht?«27 Statt dem natürlichen Lauf der Dinge freie Bahn zu lassen, so die Autorin in einem Gespräch mit dem FOCUS, werde mittels teurer Ersatzstrukturen ein aberwitziger »Nanny-Staat«28 errichtet, dessen ideologischen Überbau abgehobene, abstrakte universitäre Forschungen wie die am Zentrum für transdisziplinäre Geschlechterstudien der Humboldt-Universität liefern, die mit der Alltagswirklichkeit der Menschen nichts zu tun haben.
Angesichts solcher Absurditäten stellt sich die Frage, ob nicht bei anderen Forschungsschwerpunkten mehr Aussicht auf lückenlose und plausible Argumentationsketten bestünde. Warum das Geld des Steuerzahlers – wenn es denn nach Lage der Dinge unbedingt Argumente für neomarxistische Dogmen liefern muss – nicht lieber ausgeben für Forschungen, die zweifelsfrei belegen, dass es in der Menschheitsgeschichte dauerhaft blühende und vitale Hochkulturen gegeben hat, deren Fundament eine promiskuitive Vermischung der Geschlechter und eine Aufhebung der Mann-Frau-Dichotomie als Keimzelle der Gesellschaft waren? Den mündigen Bürger, dem die Homo-Ehe adhoc als Nonplusultra des vernunftbegabten Menschen übergestülpt wird, müssen solche Forschungsergebnisse als Argument zu der schwierigen Thematik doch interessieren. Aber leider sind ihm solche Hochkulturen bisher nicht zur Kenntnis gebracht worden. Entweder kann die Forschung hier nicht fündig werden oder sie fürchtet, hier nicht fündig werden zu können.
Das abgestreifte Ethos der christlichen Tradition
Was wir dagegen zweifelsfrei belegen können, ist, dass es nach dem Wirken eines gewissen Jesus Christus auf diesem Planeten den beispiellosen globalen Siegeszug einer friedliebenden und mit ebenso strikten wie klaren ethischen Normen versehenen Bewegung gegeben hat. Diese Bewegung war im sexuellen Bereich eher restriktiv und einer ihrer wichtigsten Repräsentanten, gleichsam ihr Chef-Theologe, der Apostel Paulus, hat die gleichgeschlechtliche Liebe als »Schande« (cf. Römer 1,26f.) geächtet. Wer die Bibel als Fundament des christlichen Glaubens und seiner Ethik ernst nimmt, kann das nicht unbeachtet lassen und auch nicht einfach mit Rudolf Bultmann als zeitbedingt abtun. Er hat doch dazu als Adept (und nicht Urheber) der Lehre gar kein Mandat. Belegen lässt sich auch, dass diese Bewegung sich gegenüber einer Kultur des Hedonismus wie im späten Rom als die wesentlich vitalere erwiesen und diese als untergehende hinter sich gelassen hat. Was die christliche Tradition und ihr oberster Wächter, die Kurie, konkret zum Thema »Ehe für alle« zu sagen haben, dem widmet sich in diesem Buch das Kapitel »Die Haltung der katholischen Kirche« ausführlich.
Ein paar Jahrhunderte nach der Entstehung der ersten christlichen Gemeinden setzte noch einmal eine von religiösen Überzeugungen und klaren ethischen Normen geprägte, äußerst vitale Massenbewegung ein gewaltiges Ausrufezeichen in der Menschheitsgeschichte, vielleicht nicht zufällig zu einem Zeitpunkt, da ihre Vorgängerbewegung, nachdem sie sich institutionalisiert hatte, bereits die ersten Verfallssymptome und Verirrungen aufwies. Kein Wunder also, wenn einer der führenden französischen Intellektuellen, Michel...