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Capital History: Die großen Krisen der Weltwirtschaft

Blasen, Crashs und Paniken aus fünf Jahrhunderten

VerlagGruner + Jahr Wirtschaftsmedien
Erscheinungsjahr2014
Seitenanzahl250 Seiten
ISBN9783652004725
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis4,99 EUR
Chefredakteur Horst von Buttlar über Capital History: 'Wir erza?hlen von den Blasen im 17. Jahrhundert, vom Gru?nderkrach 1873, der Entstehung der Zentralbanken, der Großen Depression und enden bei Asien- und Dotcom-Krise. Wir glauben, dass Wirtschaftsgeschichte wichtig ist und nicht nur lehrreich, sondern überaus spannend, Krimi, Saga und Dokumentation in einem. Kaum etwas hat die Menschheit, hat Fortschritt, Wohlstand und Verderben so geprägt wie die großen Krisen, Crashs und Paniken. Und wer sich genauer damit beschäftigt, wird Muster erkennen. Dass etwa Spekulationsblasen unvermeidlich sind. Dass Banken pleitegehen können. Staaten sowieso. Dass die Erholung nach großen Krisen wie der Lehman-Pleite langsam und schmerzhaft ist. Warum aber sollten Sie sich das noch mal antun? Auf diese Fragen gibt es eine simple Antwort: Nur wer die Lektionen der Geschichte verstanden hat, kann auch die Zukunft begreifen. Oder, wie mir vor Kurzem der Bankier Friedrich von Metzler sagte: 'Eine langfristige Strategie kann man nur entwickeln, wenn man die Geschichte kennt.''

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Leseprobe

 

WAS KOSTET DIE WELT?


Unter Philipp II. stieg Spanien zur Supermacht des 16. Jahrhunderts auf. Doch der allmächtige Regent war ein ständiger Bittsteller bei seinen Bankern.

Er führte sein Land in den Bankrott. Nicht nur einmal.

TEXT: INES ZÖTTL

In seinem Wohnzimmerkamin verbrennt der Kaufmann Anton Fugger einen Schuldschein von Kaiser Karl V. – als Geste der Großzügigkeit. Das Augsburger Handelshaus finanzierte Regenten und Päpste. Eine Verbindung auf Gedeih und Verderb. Dass die hier dargestellte Szene so stattgefunden hat, bezweifeln Historiker heute allerdings.

Lange vorher hat er gewusst, was auf ihn zukommt. Nun ist es so weit, und der 16-Jährige hat keine Angst.


Oder wenn doch, dann zeigt er es nicht. Gefühle ziemen sich nicht für einen Herrscher. Und Philipp II. herrscht nun. Sein Vater, der mächtige Kaiser Karl V., hat ihm die Regentschaft über Spanien übertragen. Philipp ist entschlossen, sich zu bewähren. Der Vater soll stolz auf ihn sein.

Es ist das Jahr 1543. Der Aufstieg der Habsburger zur globalen Supermacht ist weit fortgeschritten. Seitdem der eher unbedeutende Graf Rudolf von der Schweizer Habichtsburg 1273 zum römisch-deutschen Kaiser gewählt wurde, hat die Familie ihre Macht zielstrebig ausgebaut: mit Gewalt, käuflichen Erwerbungen, Hochzeiten und Erbschaften. Philipp wird zunächst nur den spanischen Teil des Reiches regieren – aber es ist ein Reich, in dem die Sonne nie untergeht. Es spannt sich von der Iberischen Halbinsel, den Niederlanden und Italien über den Globus bis nach Amerika. Später kommen die Philippinen und die portugiesischen Territorien in Brasilien, Afrika, Indien und Ostasien dazu.

Philipp begleitet den abreisenden Vater noch auf dem Ritt von Madrid zur Stadt Alcalá de Henares. Der nutzt auch die letzten Stunden, um dem künftigen Stellvertreter im Königreich Spanien eine seiner Lektionen über die Praxis und Schwierigkeiten des Regierens zu erteilen. Später, auf dem Schiff, bringt der Kaiser seine Instruktionen für den Thronfolger zu Papier. Er empfiehlt ihm, sich vor Schmeichlern zu hüten und vor zu viel Sex. Und er rät: Erfülle immer deine finanziellen Verpflichtungen.

Doch 1557, kurz nach seiner offiziellen Inthronisation als Nachfolger des Vaters, erklärt Philipp den ersten Staatsbankrott Spaniens. Es wird nicht der letzte sein. Das Land steigt zum Rekordpleitier der Geschichte auf. Sechs Mal innerhalb eines Jahrhunderts stellt es die Zahlungen ein: 1557, 1575, 1596, 1607, 1627, 1647. Die Wissenschaft hat dafür inzwischen einen eigenen Begriff geprägt: Serienpleiten. Philipp findet unzählige Nachahmer in Monarchien ebenso wie in Demokratien. Ein derartiges Finanzgebaren wird „zur Norm in allen Regionen der Welt“, schreiben die US-Ökonomen Carmen Reinhart und Kenneth Rogoff in ihrem voluminösen Werk „Dieses Mal ist alles anders“, in dem sie „Acht Jahrhunderte Finanzkrisen“ aufarbeiten.

Was war geschehen? Und was können die Regierungen und Finanzmärkte der Gegenwart vom Reich der Habsburger lernen?

Am Anfang stand eine Erkenntnis, die für Philipp II. so frustrierend war wie für die Euro-Retter der Neuzeit: Die Saat der Katastrophe wird gesät, lange bevor das Desaster reift. Als der frühere griechische Ministerpräsident Giorgos Papandreou 2009 ins Amt kam, hatte sein Land Jahre der Misswirtschaft hinter sich. So war es auch dem jungen, ehrgeizigen Thronfolger Spaniens ergangen. Philipp musste nach dem Amtsantritt den Bankrott ausrufen. Doch ausgerechnet sein fürsorglicher Vater hatte ihm die zerrütteten Staatsfinanzen hinterlassen.

Angefangen hatte der Schlendrian schon fast 40 Jahre zuvor. 1519 stirbt Maximilian I. von Habsburg, römisch-deutscher König, Erzherzog von Österreich und Kaiser des Heiligen Römischen Reiches. Karl, damals Herzog von Burgund und König von Spanien, ist wild entschlossen, den Thron zu besteigen. Unbedingt. Schon zwei Jahre zuvor hat er sich 100 000 Gulden geliehen, um für seine Sache zu werben – belehrt vom Großvater Maximilian, dass „mindestens das Vier- bis Fünffache“ nötig sein wird. Am Ende aber wird die Thronbesteigung noch viel, viel teurer. Es kostet Unsummen, die Stimmen der Kurfürsten zu kaufen. Der Kuhhandel wird in aller Öffentlichkeit ausgetragen. Mit den guten Absichten des künftigen Kaisers wollen sich die misstrauischen Fürsten nicht abspeisen lassen. Sie verlangen Bares oder erstklassige Sicherheiten.

Karl hat das Geld nicht – aber handelt es sich nicht um eine gute Investition? Der Herzog wendet sich dorthin, wo die Milliarden zu kriegen sind: an Jakob Fugger. In den vergangenen Jahren hat sich der Augsburger Kaufmann vom Handel mit Gewürzen, Seiden und Wollgewändern stärker aufs Geldgeschäft verlegt. Nun hat er die Chance, zum Verbündeten des mächtigen Herrschers aufzusteigen. Doch Jakob zögert – vielleicht weil er ahnt, wie viele schlaflose Nächte ihn dieser Kunde noch kosten wird. Das Geschäft aber ist zu verlockend. In Florenz, bei den Medici, hat der Schwabe als Lehrjunge gesehen, wie lukrativ das Bankgewerbe sein kann.

Er schlägt ein in den Pakt und stellt über eine halbe Million Gulden bereit. Auch die Welser, das Nürnberger Handelshaus, sind mit von der Partie, dazu Finanziers aus Genua und Florenz. Am 28. Juni 1519 wird Karl V. zum deutschen König und künftigen römischen Kaiser gewählt. Seine Gesandten nehmen die Wahlurne mit den Stimmzetteln entgegen. Erst danach rücken sie die Wechsel in der vereinbarten Höhe heraus: insgesamt 852 589 Gulden und 56 Kreuzer.

KRIEGE RUINIEREN DEN VATER WIE DEN SOHN
Kaum ein Jahr gab es, in dem Karl V. (links im Ölgemälde von Tizian) und sein Sohn Philipp II. (Rubens) nicht Krieg führten. Doch während der Vater ständig zu Pferde im Reich unterwegs war, führte der Sohn die Regierungsgeschäfte vom Schreibtisch aus. Das Pferd bestieg er lieber, um der Jagd zu frönen. Trotzdem gingen beide Könige durch ihre vielen Kriege ständig pleite.

Mit diesem Moment verschmelzen der Staat und seine Finanziers zur Schicksalsgemeinschaft, auf Gedeih und Verderb einander ausgeliefert. In steter Regelmäßigkeit werden erst Karl und dann sein Sohn Philipp ihren Finanzbedarf mit immer teureren Krediten decken. Und immer tiefer werden die Bankiers in den Strudel aus satten Gewinnen und desaströsen Pleiten geraten.

Für Jakob Fugger soll das böse Erwachen schon bald kommen. Bereits 1523 muss der Gläubiger das erste Mal mahnen. Der Süddeutsche ist ein fröhlicher, freundlicher Mann, aber er ist auch ein stolzer Bürger, der kein Blatt vor den Mund nimmt. „Es ist auch wissentlich und liegt am Tage“, schreibt er an Karl, „dass Eure Kaiserliche Majestät die römische Krone ohne mich nicht hätte erlangen mögen.“ Dringend bittet er um eine Anzahlung. Der Herr zeigt Einsicht – aber bevor noch der erste Kredit getilgt ist, zieht er den Fugger zu neuen Anleihen heran. Die Finanziers beschaffen dem Kaiser Geld, wann immer er in den Krieg zieht. Sie finanzieren seinen Feldzug gegen die Türken. Sie sorgen für Liquides, als sich Karl 1530 nach Italien aufmacht. 1535 geben die Fugger ihm einen Kredit von über einer halben Million Dukaten, im Jahr darauf kommen noch mal 300 000 Dukaten dazu. Zum Vergleich: Das Haushaltsvolumen der spanischen Krone beläuft sich auf etwa 10 Mio. Dukaten jährlich.

Nie in Karls Regentschaft reichen die Einnahmen, um die Ausgaben zu decken, und so wird es auch beim Sohn sein. Irgendwann ist das Geld am mächtigsten Hofe Europas so knapp, dass Philipp nicht einmal mehr die Kleiderrechnung seiner beiden Schwestern zahlen kann. Doch es sind nicht der königliche Prunk, die Bankette und Hochzeiten, die Narren und Jagden, die den Haushalt tief ins Minus reißen. Es sind die Kriege.

„Der Sieg wird an den gehen, der den letzten Escudo besitzt“, stellt ein spanischer Admiral in einer der vielen Schlachten fest. Das Militär der europäischen Mächte verschlingt damals in normalen Zeiten schon drei Viertel der Staatseinnahmen, wenn Kämpfe ausbrechen, noch weit mehr. Und eigentlich ist das die Normalität. Anders als sein Vater, der „Reisekönig“, wird Philipp seine Truppen vom Schreibtisch aus lenken. Doch unter seiner Ägide geht es ebenso kriegerisch zu wie unter Karl V. Praktisch in jedem seiner fast 50 Herrscherjahre wird er in Kämpfe verwickelt sein. Philipps militärische Bilanz wird „ein Mix aus kostspieligen Siegen und desaströsen Niederlagen“ - so resümieren die Wissenschaftler Hans-Joachim Voth von der Universität Pompeu Fabra und sein Kollege Mauricio Drelichman von der University of British Columbia. Sie haben in mehreren Studien das Finanzgebaren des spanischen Königs aufgearbeitet und ein Buch daraus gemacht. Der Titel: „Kredite an den Schuldner aus der Hölle“.

Aus ihren Untertanen pressen die Könige so viel Escudos wie irgend möglich. Kurz nach Karls Abreise 1543...

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