Chemnitz im 14. und 15. Jahrhundert
Landstadt der Wettiner
Was bedeutete es für Chemnitz, eine Landstadt der Wettiner zu sein? Helmut Bräuer spricht von der Bürgerschaft, »deren partielle Autonomie sich im wettinischen Rahmen bewegen konnte« (Bräuer, 2005, S. 21). Dies umschreibt treffend das Nebeneinander verschiedener Akteure: Wir sehen die Bürger von Chemnitz, die Teile ihrer Geschicke eigenständig regeln, unter und neben den Markgrafen von Meißen aus dem Haus der Wettiner, die immer wieder in die Regierung der Stadt eingreifen. Sie sind die Herren des umgebenden Landes und zugleich die Stadtherren. Sie waren die höchste und letzte rechtssetzende Instanz für alle innerstädtischen Belange und die Beziehungen der Stadt zu ihrem Umland. Das Verhältnis der Stadt zu ihrem Herrn wurde in Huldigungszeremonien und den Anreden in städtischen Schreiben symbolträchtig sichtbar gemacht. Die Stadt adressiert die Markgrafen durchweg als »unser herren« oder »unser gnedigen herren«.
Die Stadt war ein Teil des Herrschaftsraumes der Wettiner und somit von deren politischen Ambitionen betroffen. Wir sehen die Stadt hier als Befehlsempfängerin, die ihr Schicksal nicht eigenständig bestimmen konnte. Dies wird etwa bei den Landesteilungen deutlich, in denen sie ganz selbstverständlich zur Verfügungsmasse gehörte. So fiel Chemnitz bei der Teilung von 1410 an Friedrich IV. und seinen Bruder Wilhelm II., denen die Stadt daraufhin in einer Urkunde vom 6. September die Erbhuldigung gelobte. Immer wieder finden sich auch Hinweise auf die militärische Bedeutung der Stadt für die Landesherren: 1473 befahlen Kurfürst Ernst und Herzog Albrecht der Stadt wegen drohender Kriegsgefahr ein Kontingent auszurüsten: 200 Fußknechte, zwölf Reiswagen (Packwagen) und eine Karrenbüchse mit Büchsenmeister sollten sich innerhalb von zehn Tagen bei den Hauptleuten melden.
HINTERGRUND
CHEMNITZER URKUNDENBUCH
Woher beziehen wir unser Wissen über die Geschichte von Kloster und Stadt im Mittelalter? Der Großteil aller Informationen entstammt den mittelalterlichen Urkunden, die Hubert Ermisch 1879 im Urkundenbuch der Stadt Chemnitz und ihrer Klöster herausgegeben hat. Ermisch war am Hauptstaatsarchiv und als Leiter der Sächsischen Landesbibliothek in Dresden tätig. Er war Herausgeber der Zeitschrift Neues Archiv für sächsische Geschichte und hat zahlreiche Arbeiten zur sächsischen Landes- und zur Chemnitzer Stadt- und Klostergeschichte vorgelegt. Seine Edition ist für die Stadtgeschichte unverzichtbar, auch wenn sie nicht in allen Details dem Stand der heutigen Forschung entspricht. Dieses Buch ist auch online einsehbar unter http://codex.isgv.de/codex.php?band=cds2_06.
Die Beziehungen der Stadtherren zu ihrer Stadt lassen sich sehr gut ökonomisch erklären. Dies liegt auch an der Quellenlage: Steuern und Abgaben verursachten Schriftlichkeit, die uns heute (teilweise) überliefert ist. Die Wettiner verlangten von der Stadt eine jährliche Abgabe, die sogenannte Jahrbete, und Anteile an in der Stadt erhobenen Zöllen.
Interessant ist etwa die Urkunde des Markgrafen Friedrich III., des Strengen, von 1351. Sie stellt einen der frühesten Hinweise auf die finanziellen Interessen der Stadtherren dar. Der Markgraf verfügt, dass ein Hans von Lidlo von der Stadt Chemnitz 50 Schock Groschen über einen Zeitraum von zwei Jahren erhalten solle. Der Markgraf nutzt hier die Jahrbete der Stadt, um einer finanziellen Verpflichtung nachzukommen. Aus den Zahlungsmodalitäten ergibt sich, dass er dabei durchaus Rücksicht auf städtische Belange nahm: Im Fall eines merklichen Schadens durch Feuer konnte die Stadt die Zahlung aufschieben, bis der Schaden behoben war. Auch wurde der Zahlung an Hans von Lidlo Vorrang vor denen an den Markgrafen eingeräumt. Die Stadt konnte nur Abgaben generieren, wenn sie eine funktionierende Wirtschaftseinheit darstellte. Es lag mithin nicht im Interesse der Wettiner, Chemnitz über Gebühr zu belasten und gleichsam auszubluten.
Das Große Stadtsiegel von 1367.
1445 wurde eine Landesteilung vorbereitet, welche die Ansprüche der wettinischen Brüder Friedrich II. und Wilhelm III. regeln sollte. Die Altenburger Teilung wurde nicht akzeptiert, und erst nach dem Sächsischen Brüderkrieg (1446–1451) kam es zu einer Einigung. Uns liefert die Vorbereitung auf die Teilung Einblicke in die finanziellen Beziehungen zwischen Stadt und Kurfürstentum. Die Stadt teilt ihrem ›hochgeborenen Fürsten, gnädigen, lieben Herrn‹ mit, welche Abgaben sie schuldet: eine Jahrrente von 100 Schock Groschen, je 50 zum Michaelis-(29.9.) und zum Walpurgis-Tag (1.5.), dazu vormals 71 Schock aus dem Zoll (Urbar) und dem Gericht. Hinzu kommen Abgaben von der Bleiche und dem Geleit; beides sind zu diesem Zeitpunkt keine im engeren Sinne städtischen Abgaben, sondern in der Stadt erwirtschaftete Zahlungen an die Wettiner. Neben diesen Geld-Abgaben wird auch eine Naturalleistung aufgeführt: uff fleißbencken czinß alle iar, das leufft uff xvii steyn unsletes. Die Metzger der Stadt mussten also den sog. Unschlittzins zahlen; Unschlitt oder Talg wurde aus den Tierfetten hergestellt, die nicht verzehrt, sondern etwa zur Kerzenproduktion verwendet wurden (Unschlittkerzen).
Das finanzielle Interesse der Stadt- und Landesherren erschöpfte sich nicht nur im Abschöpfen von Profit; die Wettiner betrieben auch etwas, das man mit Stephan Pfalzer als »Wirtschaftsförderung« bezeichnen kann (Pfalzer 2012, S. 156). Ein erstes Beispiel für diese Maßnahmen ist das sog. Bannmeilenprivileg. Markgraf Friedrich garantierte der Stadt, dass innerhalb einer Meile keine Schenken betrieben und Handwerker Dienstleistungen anbieten durften – genannt werden Schuster und Flickschneider. Diese Maßnahme sollte die städtischen Handwerker und Brauer vor Konkurrenz aus den zum Benediktinerkloster gehörenden Dörfern bewahren. Weiterhin garantierte der Markgraf denjenigen, die neu in der Stadt siedeln wollen, bestimmte Rechte. Die Stadt war nach einem Brand zerstört und ›entvölkert‹; daher versuchte der Stadtherr, die Ansiedlung neuer Bürger zu befördern.
1398 erteilte Markgraf Wilhelm dem Benediktinerkloster und zwei Laien – einer davon ein Chemnitzer Bürger – ein Privileg für die unterhalb des Klosters im Bau befindliche Papiermühle. Der Landesherr verfügte, dass in seinem Land zum Schaden der Chemnitzer keine andere Papiermühle errichtet werden solle – bis zu deren Fertigstellung. Die Chemnitzer Papiermühle stellt damit einen der frühesten Belege für diese Fertigungstechnik im römisch-deutschen Reich dar; die aus dem arabischen Raum importierte Technik etablierte sich im 13. Jh. in Italien und gelangte im 14. Jh. auch nördlich der Alpen zum Einsatz. Die erste ›deutsche‹ Papiermühle ist in Nürnberg für das Jahr 1390 belegt. In den Mühlen wurden mit Wasserkraft Lumpen zu Brei zerstampft, aus dem dann die Blätter geschöpft werden konnten. Das Stampfwerk basierte auf dem Prinzip von Nockenwelle und Kurbel, wie sie auch für Sägen oder Pumpen zum Einsatz kamen – eine der gewerblich genutzten Innovationen des Mittelalters. Papiermühlen befanden sich wegen des Lärmes, den sie verursachten, oftmals außerhalb der Stadt – so auch in Chemnitz. Es steht zu vermuten, dass die dortige Mühle im Zusammenhang mit der lokalen Textilproduktion entstanden ist, deren Abfallprodukte die Materialgrundlage der Papierherstellung bildeten.
Dies bringt uns zu einer weiteren Wirtschaftsförderungsmaßnahme und dem Produktionszweig, der für die Stadtgeschichte große Bedeutung erlangen sollte: das Bleichprivileg von 1357 und die Leinenweberei. Das Privileg steht am Anfang einer sehr langfristigen Entwicklung, an deren Ende die Chemnitzer Textil- und Maschinenbauindustrie und letztlich auch die Technische Universität stehen. Dabei bezog es sich – ähnlich wie das für die Papiermühle – gar nicht auf die Stadt. Die Markgrafen Friedrich und Balthasar privilegierten nicht Chemnitz als Standort einer Bleiche, sondern gestatteten vier Männern, eine solche zu errichten, ohne deren Standort zu bestimmen. Zwei von ihnen sind als Gläubiger der Landesherren bezeugt. Am Anfang der Bleiche standen mithin die finanziellen Interessen der Landesherren, die ihre Gläubiger entlohnen und sich Einnahmen sichern wollten. Von jedem gebleichten Stück Leinwand war ihnen eine Abgabe von zwei Groschen zu entrichten. Um die Profitabilität zu erhöhen, erließen die Markgrafen darüber hinaus ein Bleichmonopol: Kein Garn, Leinwand, Barchent oder Flachszwirn sollte außer Landes gebracht werden, ohne in der Bleiche veredelt worden zu sein.
Die Wettiner brachten nicht nur ihre landesherrlichen Rechte in die Bleiche ein, sie investierten auch Kapital. 1358 bestätigten sie der Stadt Chemnitz, dass die Jahrbete um 15 Schock Groschen gemindert und dafür eine städtische Wiese der landesherrlichen Bleiche...