Einleitung
Soziale Kapitalmaschine
Mein Vermögen sind meine Freunde.
Emily Dickinson
Cliquenwirtschaft ist eine herausfordernde Kunst. Sie kann Menschen glücklich, reich und mächtig machen. Zugleich ist sie eine vertrackte Angelegenheit, die Menschenkenntnis, manipulatorisches und strategisches Geschick sowie Übung verlangt. Cliquenwirtschaftlich beschlagene Männer formten die katholische Kirche, die Mafiaorganisation Cosa Nostra, die Investmentbank Goldman Sachs Group Inc. und den Technologiekonzern Google Inc. zu den Weltmachtzentren, die sie heute sind. Wie geschickt die Vertreter von vier der einflussreichsten Organisationen der Welt Cliquenwirtschaft für ihre politischen und wirtschaftlichen Ziele einsetzen, zeigt dieses Buch. Es erforscht ein allgegenwärtiges, aber bisher wenig gründlich durchleuchtetes Thema. Cliquenwirtschaft fragt nach den Ursachen, Gründen und Dynamiken für dieses Phänomen, das in der Tierwelt genauso vorkommt wie unter Menschen.
Das Buch will die Instrumente erfolgreicher Cliquenwirtschaft vorstellen, sie kritisch untersuchen und allen zur Erprobung nahelegen, die bisher nur zaghaft oder gar nicht cliquenwirtschaftlich tätig waren. Gerade bei denen, die Cliquenwirtschaft und mächtige Cliquenwirtschaftler ablehnen, soll Interesse geweckt werden. Nur wer die Motive und Absichten für Cliquenwirtschaft begreift, kann die Raffinesse, mit der cliquenwirtschaftliche Methoden eingesetzt werden, ein- oder wertschätzen. Es wird dazu eingeladen, Cliquenwirtschaft zu verstehen und anzuwenden – womöglich sogar dazu, um destruktive Formen von Cliquenwirtschaft aufzubrechen.
Gewinn durch Geselligkeit
Um wirtschaftliche, politische, gesellschaftliche, humanistische, ökologische, berufliche, private oder ganz andere Ziele zu erreichen, bilden Menschen Gruppen. Öffentliche Institutionen wie beispielsweise Städteverwaltungen, Nichtregierungsorganisationen (NGOs), OECD oder Weltbank setzen auf Gemeinde- und Clusterbildung. Im Wissen darum, dass Individuen sich in Gemeinschaft wohlfühlen, werden Gruppenprozesse gezielt gefördert und darüber Eigeninitiative und Produktivität angeregt. Auch Wirtschaftsunternehmen machen sich positive Gruppenphänomene zunutze. Mitarbeiter werden zu Teams zusammengestellt, vom Altenglischen team, das »Familie« oder »Gespann« bedeutet, um die einzelnen Mitglieder dazu zu bringen, wirtschaftliche Ziele zu erreichen. Investitionen in menschliche und zwischenmenschliche Faktoren lohnen sich ökonomisch.
Man mag die Ausschlachtung von menschlichen Nähebedürfnissen zu Wirtschaftszwecken moralisch verurteilen. Auch kann man es kritisieren, dass Menschen über gezieltes Auslösen von beglückenden Gruppengefühlen manipulier- und ausnutzbar gemacht werden. Doch viele Betroffene freuen sich über Gemeinschaftserlebnisse am Arbeitsplatz und die eigenen Leistungen, die sie in motivierten Arbeitsteams mit hervorbringen. Wer auf direktes Feedback stößt, empfindet die eigene Tätigkeit als sinnvoll. Angestellte fühlen sich an dem Ort wohl, an dem sie den Großteil ihrer Lebenszeit verbringen, wenn sie hier mit Gleichgesinnten kooperieren können. Sie werden erwiesenermaßen weniger krank als anderswo und wechseln seltener die Arbeitsstelle.
Cliquenwirtschaft ist eine soziale Technik, die dabei hilft, über Freundschaften und Bekanntschaften Kapital aller Art zu generieren. Sie dient dazu, wirtschaftliches, politisches, soziales, symbolisches, erotisches oder emotionales Kapital zu erlangen. Enge soziale Bonding- und schwache soziale Briding-Beziehungen lassen sich für verschiedene Zwecke nutzen. Während enge Freundescliquen (bonding) Unterstützung, Vertrauen und Sicherheit bieten, halten lockere Networking-Bekanntschaften (briding) Kontakte in neue soziale Kreise sowie weiterführende, frische Informationen bereit. Der Leistungsdruck ist in einer globalisierten, digitalisierten und dynamischen Umwelt mit sich ständig wandelnden Konstellationen und Wechselwirkungen so hoch wie nie. Nur wer heute und in Zukunft schnell, effizient, kreativ, flexibel und über Netzwerke agiert, hat Chancen, sich durchzusetzen. Doch zur Stärkung und Verstärkung während dieses Wettlaufs braucht der Einzelne die Gruppe.
In diesem Buch wird die Clique als ideales Organisationsgefüge zum Überleben in einer unübersichtlichen Welt identifiziert. Eine Einzelperson kann, selbst wenn sie sich mit einer zweiten zu einem Paar verbindet, wenig ausrichten. Menschentrauben und riesige Netzwerke sind wiederum schwerfällig und langsam. Sie lassen sich schlecht überblicken, kontrollieren und steuern. In einer komplexen Welt besitzen mittelgroße Einheiten die größte Schlagkraft. In einer Familie, Gruppe, Clique, Gemeinde oder Firma gelingt es am ehesten, beweglich und doch langfristig gewinnbringend zu handeln. In der Gruppe kann man spielen, lernen, arbeiten und gemeinsame Absichten verfolgen – und dabei Spaß haben. Hier kennt und vertraut man einander. Man vermittelt einander Nestwärme, hält sich wechselseitig über kurze Wege und rasch auf dem Laufenden und hilft sich gegenseitig. In der Clique verbinden sich Aspekte von Freundschaft und Seilschaft auf das Angenehmste. Menschen, mit denen man schon länger eng verbunden ist, sind verlässlicher als flüchtige Netzwerkbekanntschaften. Doch in der Regel sind Cliquen von größeren Netzwerken umgeben und geübt im Ausnutzen derselben. Die Clique ist die Brücke zwischen Ich und Welt.
Königsdisziplin Cliquenwirtschaft
Nicht immer strategisch, vielmehr oft instinktiv, aus praktischen Gründen oder aus der Not heraus widmen Menschen ihre Freundschaften in Seilschaften um und beuten sie zu bestimmten Zwecken aus. Größere Organisationen wie Kirche, Mafia, Goldman Sachs oder Google nutzen die Möglichkeiten der Cliquenwirtschaft auf unterschiedliche Weise und mit unterschiedlichem Erfolg. Organisieren sie ihr Personal über Hierarchien, Projektgruppen oder Teams, bewahren sie die Clique als Nukleus. So profitieren sie von allen damit verbundenen Vorteilen, vor allem dem Vorteil der wechselseitigen Motivation der Mitglieder. Diese kann, wie bei Goldman Sachs, in einen internen Wettbewerb münden, bei dem Mitarbeiter einander zum Wohl der Bank überbieten. Geschickte Führungskräfte initiieren daher Cliquenwirtschaft unter ihren Angestellten. Obendrein betreiben sie selbst Cliquenwirtschaft mit außenstehenden Personen oder Personengruppen. Sie unterhalten Beziehungen zu Politikern, Gesetzgebern, Konkurrenten, Anwälten, Wirtschaftsprüfern, Medienpersonen, Lobbyisten, Verbandsvertretern, Berufsmultiplikatoren und Beratern für alles und nichts, um jederzeit auf deren Unterstützung, Expertise, Empfehlungen oder Seilschaften zurückgreifen zu können.
Die Führungspersönlichkeiten der katholischen Kirche, der sizilianischen Mafia, der Investmentbank Goldman Sachs Group Inc. und des Technologiekonzerns Google Inc. sind Meister im Ausschöpfen der Potenziale von Cliquen und Cliquenwirtschaft. Im Kern geht es in allen vier Organisationen um Macht und Besitz, wobei beides eng verknüpft ist. Durchleuchtet man das Wirken dieser Institutionen, so lässt sich zeigen, wie Macht aufgebaut, lebendig gehalten und vermehrt wird und wie Macht finanziellen Reichtum hervorbringt.
Die Führungskräfte der vier Organisationen animieren ihre Mitglieder zu voller Hingabe an ihre Organisation und begeistern auch externe Partner. Sie spannen weltweite Netzwerke und schaffen um sich herum eine Aura, die andere betört und bindet. Das Buch stellt dar, mit welcher Brillanz die Vertreter dieser Machtzentren auf internationalem Parkett agieren. Es zeigt, dass Kirche, Cosa Nostra, Goldman Sachs und Google trotz ihrer Traditionsverbundenheit nicht stagnieren, sondern ihre Strategien vielmehr permanent professionalisieren, um in neue Dimensionen, Länder, Zielgruppen, Märkte oder Branchen vorzustoßen. Nicht Regeltreue, das Denken in engen Schubladen und das Kopieren alter Handlungsmuster, sondern der Spaß daran, in und mit Cliquen Gleichgesinnter anders vorzugehen als die meisten, treibt sie an und führt sie zum Erfolg.
Diese globalen Schwergewichte setzen sich absurd hohe Ziele. Und sie besitzen die Courage, manche ihrer Anhänger auch genügend kriminelle Energie, die Ziele umzusetzen. Die Vertreter der vier Organisationen denken und handeln global, die der katholischen Kirche und des Unternehmens Google verfolgen sogar einen universellen Anspruch. Die Kirchenlehre bezieht sich auf das Himmelreich und auf das Jenseits, und die Produktideen von Google ragen ins All. In der Kirche und bei Google rechnet man außerdem nicht in Jahrzehnten, sondern in Jahrhunderten oder in Ewigkeiten. Wenn es gut läuft, entsprechen sie ihrem Ewigkeitsanspruch, ohne antiquiert zu wirken oder an Anziehungskraft einzubüßen. Steigen die hochfliegenden Visionen der vier Institutionen nur hoch genug, erhöht das ihre Verführungskraft.
Max Weber definierte Macht als »jede Chance, innerhalb einer sozialen Beziehung den eigenen Willen auch gegen Widerstreben durchzusetzen, gleichviel worauf diese Chance beruht«1. Im Sinne von Weber haben die katholische Kirche, die sizilianische Mafia, die Bank Goldman Sachs und der Suchmaschinenanbieter Google jeweils mehr Macht über ihre Mitglieder, Kunden oder Partner als andere Organisationen über ihre Anhänger und als mancher Staat über seine Bürger. Katholische Kirche, Cosa Nostra, Goldman Sachs und Google sind mit zahlreichen Filialen in aller Welt vertreten. Über diese weltweit verstreuten, lose...