Vorwort
Geld ist allgegenwärtig. Es bestimmt weite Teile unseres Lebens und ist für die meisten von uns nicht irgendein Thema, sondern ein hoch emotionales. Und viele von uns haben eine negative Einstellung zum Geld.
Als Über-Geld-Sprecherin mache ich Eltern, Großeltern, Pädagogen, Kindern und Jugendlichen das Angebot, über Geld zu reden.
„Wie bitte? Warum denn das?“, werden Sie vielleicht fragen. „Verkaufen Sie Versicherungen, Kredite oder Anleihen? Sind Sie ‚so eine‘?“
Nein, das tue ich nicht. Ich hatte jahrelang beruflich nichts mit dem Thema Geld am Hut. Lebte ein Leben, in dem Geld zwar eine Rolle spielte, aber nie die Hauptrolle. Als Kind wuchs ich auf einem Bauernhof in der Lüneburger Heide auf; wir hatten nie viel. Auch in meiner Zeit als Studentin war mein Budget begrenzt. Dennoch wog die Freiheit in der großen Stadt Berlin dieses Defizit auf. Ich studierte Politik, lernte Russisch, jobbte, reiste, lebte in WGs und in Hinterhofwohnungen mit Kohleofen. Später pendelte ich für meine Arbeit, nahm viele Strapazen auf mich. Ich bekam zwei Kinder, musste Familie und Beruf miteinander vereinbaren, trennte mich vom Vater meiner Kinder und schlug mich durch. Geld war „irgendwie“ da, mal ging es aufwärts, zwischendurch auch mal abwärts.
Es war das Leben mit meinen Kindern, das mich dazu brachte, bewusster über Geld nachzudenken. Wie wachsen Menschen mit Geld auf? Welche Bedeutung hat es in ihrem Leben? Wie erwerben sie die vielen Kompetenzen, die sie für einen guten Umgang mit Geld benötigen? Und welche können sie durch einen guten Umgang mit Geld erlangen? Warum braucht es den gerade heute? Welche Rolle spielen die Eltern in diesem Prozess – und welche die Konsumgüterindustrie, Werbung und Handel? Was glauben wir von deren Botschaften? Werden wir mit einem Produkt oder einer Dienstleistung schöner, glücklicher oder beliebter? Wie ist es für unsere Kinder, in dieser Welt aufzuwachsen? Wie schaffen wir es, ihnen das Rüstzeug mitzugeben, damit sie später ihren Weg gehen, für sich, ihre Familien und die Gesellschaft Verantwortung übernehmen, für sich sorgen können, das „richtige“ Maß zwischen Verzicht und Überfluss finden? Welche Bilder vermitteln wir ihnen vom Leben? Und welche machen sie sich selbst davon? Kinder träumen nicht selten von Karrieren als Fußballer wie Ronaldo oder Messi, vom Ruhm einer Musikikone wie Rihanna oder der Bekanntheit eines Schauspielers wie Elyas M’Barek. Viele Kinder wollen in wenigstens einer Phase ihres Lebens reich und berühmt sein. Wie und wann beschäftigen wir uns gemeinsam mit unseren Kindern mit solchen Fragen? Und wie klären wir zunächst für uns selbst, was wir ihnen mitgeben wollen? Wie sollen sie werden? Was ist uns wichtig? Was haben wir von unseren Eltern gelernt?
Das Leben mit Kindern ist immer eine Herausforderung. Ihnen soll es gut gehen, es soll ihnen an nichts fehlen. Unsere Aufgabe ist auch, sie auf das Leben vorzubereiten. Darauf angesprochen, sagen viele Eltern, dass sie sich bemühen, sich mit den vielen Fragen des Lebens bewusst auseinanderzusetzen: Ernährung, Bewegung, Bildung, Medien, soziales Lernen. Das Thema Geld gehört aber oft nicht dazu, obwohl es eine so große Bedeutung in unserem Leben hat. Viele blocken bei diesem Thema sogar ab. Da Geld und Konsum allgegenwärtig und mitunter erdrückend sind, uns außerdem ständig in Berührung mit allen möglichen Gefühlen bringen, ist es fast ein Reflex, sich dieser Dominanz zu entziehen, alles, was damit zu tun hat, lieber nicht so genau zu betrachten, es nicht so wichtig zu nehmen. Natürlich können wir warten, bis unsere Kinder das Thema von selbst anschneiden, statt sie früh in den finanziellen Alltag der Familie einzubeziehen. Wir können versuchen, sie von der Übermacht des Geldes fernzuhalten, indem wir „bewusst“ darüber schweigen.
Doch dann twittert Naina, eine 17-jährige Schülerin, und wühlt uns auf. [1] Wir haben den Eindruck, sie klagt an. Sie schreibt, sie wolle mehr vom Leben wissen. Sie habe keine Ahnung von Steuern, Miete und Versicherungen. Niemand habe ihr erklärt, wie das Leben funktioniert. Junge Menschen wie Naina kenne ich viele.
Versäumen wir es als Eltern, den Alltag mit unseren Kindern von Anbeginn zu teilen, sie nicht nur zu guten Noten in der Schule zu bewegen? Können sie staubsaugen, ein warmes Gericht kochen, das Badezimmer putzen, einen Knopf annähen, Kartoffeln ernten, ein Bild an der Wand anbringen, alleine einkaufen, Petersilie von Basilikum unterscheiden, beim Hausmeister in der Sporthalle nachfragen, ob der verlorene Pulli gefunden wurde, drei Tage ohne Handy auskommen, sich das Taschengeld einteilen, einen Ausflug planen, Wäsche waschen, aufhängen und zusammenlegen, sich einen Schülerjob suchen, ein Baby in den Armen halten, eine Fahrkarte kaufen und alleine mit dem Bus fahren, auf etwas verzichten oder längere Zeit warten? Lernt Ihr Kind diese Kompetenzen zu Hause?
Mit Geld umgehen zu können, ist ebenfalls eine wichtige Alltagskompetenz. Wir arbeiten, rechnen, planen, wägen ab, schieben auf, verschenken, fragen nach, führen Buch, bezahlen Rechnungen, kaufen ein, sind enttäuscht, neidisch oder geizig. Wir merken gar nicht, was der Umgang mit Geld konkret von uns verlangt – und in welchem Verhältnis er zu den anderen alltäglichen Aufgaben des Lebens steht.
Wie bereiten wir unsere Kinder nun auf einen guten Umgang mit Geld vor? Und was heißt überhaupt „gut“? Geht es nur darum, in Zukunft keine Schulden zu machen? Zu lernen, wie man gut mit Geld umgeht, ist nicht nur denen vorbehalten, die viel Geld haben. Die Tendenz, dieses Thema auszuklammern, findet sich in allen gesellschaftlichen Schichten. Hat es die Konsumgüterindustrie mit ihren Botschaften geschafft, uns müde, unaufmerksam und unkritisch zu machen? Soll es uns einfach nur gut gehen, sollen wir entspannen, genießen, dazugehören? Sind wir noch die Hüter der Tugenden, die unsere Kinder nicht nur beschützen, sondern vor allem von innen stärken sollen? Oder haben wir kapituliert? Haben wir verlernt zu kämpfen? Ist es der richtige Weg, unsere Kinder von der Welt, die uns umgibt, möglichst lange fernzuhalten? Was ist wichtig im Leben? Und wie finden wir das heraus?
Lasst uns anfangen darüber zu sprechen, was echter Schutz überhaupt ist. Selbst wenn wir nicht jede Werbesendung anschauen, nicht jede Anzeige lesen, nicht jeden Einkauf tätigen, müssen wir feststellen, dass das, was wir kritisieren oder kritisch beäugen, längst Teil unseres Lebens geworden ist. Die Welt um uns herum ist nicht mehr die unserer eigenen Kindheit. Das können wir beklagen – oder aber akzeptieren und verantwortungsvoll damit umgehen. Und dazu gehört der Dialog mit unseren Kindern.
Die direkte Auseinandersetzung mit den Prinzipien des Konsums und des Geldes stärkt Kinder nachhaltig. Wollen wir also weiterhin – wenigstens teilweise – unsere Entscheidungsspielräume behalten, wollen wir weiter in vielen Situationen „die Wahl haben“, dann müssen wir hier und da bewusster hinsehen. Das gilt für uns als Erwachsene und insbesondere für das Zusammenleben mit unseren Kindern.
Ich wünschte, ich hätte eine andere Botschaft. Gerne würde ich sagen: Entspannt euch, alles wird gut! Ich möchte nicht, dass das Leben ein permanenter Kampf ist. Aber angesichts des immer größer werdenden Bedürfnisses vieler Eltern nach Ruhe und Erholung muss ich feststellen: Es gibt leider nicht nur Sonnenschein. Und deshalb trete ich dafür ein, dass wir Eltern intensiver, kritischer und bewusster mit den Themen Geld und Konsum in der Familie umgehen – früh, altersgerecht und kreativ, für uns und unsere Kinder.
„Du verkaufst Arbeit“, sagte neulich eine gute Freundin zu mir. „Das will doch niemand hören!“
Das könnte sein. Aber dann dachte ich an Tom Sawyer, der es schaffte, seine Pinselarbeit am Zaun als großen Spaß zu präsentieren. Die Nachbarskinder sahen seine – gespielte – Leidenschaft, die ansteckend wirkte, und boten ihm ihre ungewöhnlichsten Habseligkeiten, nur um selbst einmal streichen zu dürfen. Bald war die Arbeit getan und Tom im Besitz vieler neuer Gegenstände: „Am frühen Nachmittag war aus Tom ein steinreicher Junge geworden. Vor ihm lagen Schätze wie ein gut erhaltener Drachen, eine tote Ratte, zwölf Murmeln, eine blaue Glasscherbe zum Durchsehen und vieles mehr. [...] Ohne es zu wissen, hatte er entdeckt, dass man, wenn man eine Sache als unerreichbar darstellt, die anderen dazu bringt, sie tun zu wollen. Wäre Tom ein großer weiser Philosoph gewesen, dann hätte er jetzt verstanden, dass eine Arbeit nur lästig ist, wenn man sie tun muss. Wenn man sie jedoch freiwillig tut […], dann macht sie Spaß.“ [2]
Es ist nicht unmöglich, seinem Kind einen guten Umgang mit Geld zu vermitteln. Doch ich will Sie, liebe Leserinnen und Leser, auch nicht mit falscher Leidenschaft locken. Ich...