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3. Babyfieber
Der Gesichtsausdruck meines Mannes war undurchdringlich. Mit Mühe hielt ich mich auf meinem Stuhl, als wir uns an der Kücheninsel mit gedämpfter Stimme unterhielten.
»Dan, ich finde, das ist unglaublich, oder nicht? Sie kennt uns nicht einmal. Wie kann sie wollen, dass wir ihren kleinen Jungen aufziehen?«
Die Kinder waren ein Stockwerk über uns auf dem Weg ins Bett. Aus dem Nebenzimmer drang ein Werbespot in unsere vorübergehende Sprachlosigkeit. Jemand musste den Fernseher angelassen haben. Dan lehnte sich auf seinem Stuhl neben mir zurück und grübelte vor sich hin. Er war ruhig wie immer. Ich biss mir auf die Unterlippe, um mich vom Weiterreden abzuhalten. Jetzt war er an der Reihe.
»Ich denke, wir sollten einen Schritt nach dem anderen machen«, sagte er. Er verschränkte die Arme vor der Brust und dachte nach. »Nach dem, was du mir über sie erzählt hast, dass sie keine Familie und andere Möglichkeiten hat, könnten wir erst einmal in Erfahrung bringen, was sie im Augenblick braucht. Ich meine zum Beispiel Einkäufe oder Medikamente.«
»Natürlich«, antwortete ich. Das klang vernünftig. Ein guter nächster Schritt.
»Das ist sicher etwas, das wir tun können.«
Dan sagte: »Offensichtlich hat sie jetzt ganz schön was durchgemacht. Gib ihr einfach etwas Zeit, die schlimme Nachricht von heute zu verarbeiten. Wir beten für sie und ihren Sohn und sehen, wohin die Reise führt.«
»Wohin zum Beispiel? Wohin könnte sie führen?« Nervös drehte ich an meinem Ehering.
Immer schon habe ich in Dans Augen nach Antworten gesucht. Sie waren normalerweise haselnussbraun, aber wenn er Blau trug, erinnerten sie an einen klaren Sommerhimmel.
Trug er Grün, verwandelten sie sich in Jadesteine. Seine Augen gehörten zu den ersten Dingen, die mich an ihm faszinierten. Als er sich nun in seinen Gedanken verlor, sah ich weit mehr als Farbe darin. Sie waren getrübte Teiche voller Mitleid auf der Suche nach einer Lösung. Ich spiegelte mich darin.
»Ich weiß es wirklich nicht, Tricia«, gab er zu. »Ich denke, wir müssen Gott in dieser Sache vertrauen und sehen, was er vorhat.«
»Du sprichst gerade über die Adoption, nehme ich an?« Er hielt inne und nickte.
»Es könnte Gottes Weg sein, uns auf diese Weise einen kleinen Jungen zu geben, als Ersatz für den Jungen, der uns aus dem Pflegeheim vermittelt werden sollte. Vielleicht ist beim letzten Mal die Wahl deshalb nicht auf uns gefallen, weil es ein anderes Kind gibt, das uns dringender braucht.«
Ich starrte auf die gesprenkelte Arbeitsplatte vor mir und hielt meine ungefilterten Emotionen in Schach. So viele alte Bilder und Erinnerungen wallten in mir auf. Dan und ich waren uns vor vielen Jahren begegnet. Wir besuchten damals dieselbe Gemeinde. Anfangs war ich nicht in ihn verliebt. Eigentlich habe ich sogar mehr mit Dans Zwillingsbruder David gesprochen als mit Dan, einfach, weil David kontaktfreudiger zu sein schien. Als Dan aufs College ging, verloren wir uns für einige Jahre aus den Augen. Ich beendete meine Zeit an der Highschool, ging aufs College und strebte einen Abschluss in der Krankenpflege an. Im Sommer vor meinem Abschluss half ich in der Bibelschule unserer Gemeinde aus. Eines Abends betrat ich die Küche, in der die Frauen damit beschäftigt waren, Snacks vorzubereiten. Viele von ihnen kannten mich fast mein ganzes Leben lang, bereits seit der Zeit, als ich noch Zöpfe und Zahnspange trug. Sie fragten, wie es mir ging, wie es auf dem College lief und natürlich, ob es einen Mann in meinem Leben gab. Ich seufzte.
»Alle guten christlichen Männer sind schon vergeben«, erwiderte ich. »Ich werde wahrscheinlich im Kloster landen.«
Die Frauen umarmten mich und versicherten mir, dass die Liebe oft dann kommt, wenn man sie am wenigsten erwartet. Ich nahm es mir nicht sehr zu Herzen. Ich dachte, ich würde später sowieso mit meinem Pflegeberuf verheiratet sein und damit basta.
Am nächsten Abend in der Gemeinde huschte ich gerade die Treppe hinauf, als Dan sie hinunterkam. Wir blieben beide abrupt stehen. Als wir unsere Fassung wiedererlangt hatten, tauschten wir Nettigkeiten aus, wobei ich versuchte, ihn nicht anzustarren. Mir gefiel, wie seine Augen funkelten, und seinem Lächeln konnte ich kaum widerstehen. Aus Dan Seaman, dem schüchternen Jungen, war nun ein Mann geworden – und ein sehr gut aussehender noch dazu! Er trug eine kurze Hose und dazu ein lässiges weißes Hemd, hatte blondes Haar, war rasiert, sonnengebräunt und sein Parfum roch nach Moschus. Mit einem Mal hatte ich das Gefühl, rot anzulaufen. Mir wurde bewusst, dass unser letztes Gespräch drei Jahre zurücklag. Hoffentlich fiel ihm auf, dass auch ich etwas reifer geworden war.
Unsere zufällige Begegnung im Treppenhaus entwickelte sich zu einer wunderbaren Beziehung. Es war so leicht, mit ihm zu sprechen. Er war einfühlsam, locker und authentisch. Mir gefiel, wie sich sein Gesicht aufhellte, wenn er über Familie und seinen Glauben an Gott sprach. Noch nie hatte ich mich bei jemandem so wohlgefühlt.
Entsprechend leicht fiel es mir, Ja zu sagen, als er mir am Weihnachtsabend 1993 unter einer gedeckten Brücke bei leichtem Schneefall einen Heiratsantrag machte. Wir heirateten im darauffolgenden November. Dan war so aufgeregt, dass er sich beim Rasieren in den Hals schnitt, was einen Blutfleck auf seinem weißen Hemdkragen hinterließ, und später fuhr er beim Zurückstoßen gegen die Mülleimer hinter der Gemeinde. Unsere Hochzeit im Kreis von Familie und guten Freunden hätten wir uns nicht schöner ausmalen können.
Nach unseren Flitterwochen auf den Bahamas bezogen wir eine gemütliche Wohnung in Middletown bei Harrisburg. Ich schloss mein Studium mit dem Bachelor an der Millersville-Universität ab und Dan begann seinen Berufsweg bei Highmark Blue Shield, einer Krankenversicherungsgesellschaft. Während ich meine restlichen Kurse absolvierte, arbeitete ich gleichzeitig in Teilzeit im Lancaster-Krankenhaus. Dan und ich genossen es, ein kleines Reich unser Zuhause nennen zu dürfen, in dessen Nähe sich lauter Restaurants und Geschäfte befanden. Schnell merkte ich, dass Dan auch ein Händchen für Dekoration hatte. Und das war nur eine seiner vielen Stärken, für die ich ihn liebte.
Im Oktober 1995 wurde unsere Ehe zum ersten Mal auf eine harte Probe gestellt. Meine Großmutter Anna verstarb ganz plötzlich. Sie war erst Anfang sechzig. Ich war am Boden zerstört. Wir hatten uns sehr nahegestanden. Die Vorstellung, sie nie wiederzusehen, zerriss mir das Herz. Ich stützte mich auf Dan wie nie zuvor und er war mein Fels in der Brandung, genau so, wie ich es mir vorgestellt hatte. Der Verlust traf mich dennoch hart und in mir kam der Wunsch auf, Middletown zu verlassen und wieder aufs Land zu ziehen. Ich wollte nicht länger von Gebäuden, Verkehr und Geschäftigkeit umgeben sein. In meiner Trauer sehnte ich mich nach Einfachheit, der Nähe meiner Familie und nach unendlich weiter Landschaft.
Dan und ich machten uns auf den Weg. Alles war perfekt, bis auf eines: Wir waren jetzt so weit, selbst eine Familie gründen zu können.
Schon bald bekamen wir einen kleinen Vorgeschmack darauf, wie es sich anfühlte, Eltern zu sein. Ein Wochenende lang passten wir auf meine drei Jahre alte Cousine auf.
Wir gingen ins Kinderrestaurant und Spielzeug einkaufen. Während ich einen Riesenspaß hatte, fühlte sich Dan überfordert. Er ließ sich auf unser Sofa fallen und fuhr sich mit der Hand durchs Haar.
»Ich glaube nicht, dass ich schon bereit für Kinder bin«, sagte er. »Ich weiß einfach nicht, ob ich das kann. Es ist so anstrengend.«
Mir blieb vor Erstaunen der Mund offen stehen, weil ich genau das Gegenteil empfand.
Ich wollte mehr als je zuvor Mutter sein. »Machst du Witze? Es hat solchen Spaß gemacht. Was war denn daran anstrengend?«
Er betrachtete mich mit Vorsicht. »Ich weiß wirklich nicht, ob ich gut im Erziehen von Kindern wäre. Ich habe nie etwas mit Kindern zu tun gehabt oder auch nur eine Windel gewechselt. Außerdem weiß ich nicht, ob ich bereit bin, dich mit jemandem zu teilen.«
Dan konnte seine Vorbehalte schnell überwinden und zu unserem Glück wurde ich auch bald schwanger. Unsere süße kleine Anna wurde am 23. Oktober 1996 geboren. Obwohl Dan am Anfang Angst hatte, sie zu zerbrechen, gewöhnte er sich schnell daran, Papa zu sein, und genoss jeden Moment. Zwei Jahre später, am 27. Oktober, kam Jenna zur Welt, paradoxerweise genau an dem Datum, an dem meine Großmutter gestorben war. Ich hatte immer das Gefühl, dass Gott mir dadurch sagen wollte, ich solle jetzt fröhlich sein.
Er verwandelte einen Tag der Trauer in ein Fest neuen Lebens. Jenna sieht meiner Großmutter sehr ähnlich, was für mich etwas ganz Besonderes ist. Anna hatten wir nach ihr benannt, aber Jenna ähnelt ihr. Es war, als wäre meine Großmutter bei uns. Wir waren so glücklich mit unseren bildhübschen Mädchen, dass wir beschlossen, es noch einmal zu versuchen.
Baby Emma kam am 29. August 2001 zur Welt. Als Dan sie zum ersten Mal sah, sagte er:
»Es ist, als habe Gott Anna und Jenna zusammen in eine Tasche gepackt, gut durchgeschüttelt und eine Kombination aus beiden erschaffen.« Bis heute sieht sie aus wie eine Mischung aus ihren zwei Schwestern. Zwei Jahre später waren wir begeistert, als wir erfuhren, dass ich wieder schwanger war. Ich gebar unseren ersten Jungen, Noah, am 20. Februar 2004. Nachdem ich entbunden hatte, ging Dan mit großem Erstaunen und in heller Aufregung ins Wartezimmer, um der Familie zu verkünden: »Es ist an der Zeit, ein paar Spielzeugautos zu kaufen. Es ist ein...