Anstelle eines Vorworts: Schwarzwälder Kirsch und das maximale Glück
Intrinsische und extrinsische Werte
Darf ich das?
Dieses Buch stellt sich den moralischen Fragen unserer Zeit, die jedermann »auf den Nägeln brennen«. Macht man sich schuldig, wenn man einfach dabei zuschaut, wie täglich unzählige Menschen verhungern? Muss der Hamster dem Kraftwerk weichen oder hat Naturschutz Vorrang vor Wohlstand? Darf man grüne Gentechnik einsetzen, um den Hunger in der Welt zu bekämpfen? Wäre es schlimm, ein Klon zu sein?
Was läuft in diesem Buch anders als in vielen andern, die auch diese dicken Bretter bohren?
Erstens soll dieses Buch auch unterhalten. Oder – geradeheraus gesagt: Es darf auch mal geschmunzelt werden. Auch wenn das in den heiligen Hallen der Philosophie höchst unüblich ist: Die Erfahrung als Hochschullehrer zeigt, dass sich junges Publikum mit Humor am besten gewinnen lässt. Und alle Didaktik beiseite: Dem Autor selbst bereitet es eine gewisse Freude, darüber zu spekulieren, dass Menschen, die als auf den Knien liegende Würmer gedacht werden, auf die Dauer keine wertvollen Sozialkontakte für den lieben Gott darstellen, sodass man sich ernstlich Sorgen um seine psychische Gesundheit machen muss; oder statistisch zu begründen, dass Flüchtlingsfeindlichkeit in Mecklenburg-Vorpommern absurd ist, weil Flüchtlinge dort seltener als Kolibris sind; oder festzustellen, dass die biblische Kritik an diversen Wirten, die Maria die Herberge an Weihnachten verweigerten, nur rekonstruierbar ist, wenn man Moral als Gegenteil von Egoismus versteht. Außerdem schaffen Scherze eine Distanz zum Gegenstand, die für den kühlen Kopf des Philosophen lebenswichtig ist. So kann man noch schmunzeln, statt nur noch zu heulen oder pathetisch zu predigen.
Zweitens werden die Probleme in diesem Buch nicht nur geschildert, sondern es gibt Antworten. Jede Fragestellung verdient eine möglichst originelle Lösung. Die Texte erschöpfen sich nicht in dem Versuch, aktuelle Probleme für jedermann verständlich zu beschreiben. Sie formulieren sogar Vorschläge für politische Regelungen. Diese Lösungen überschreiten manchmal die Grenzen des vermeintlich »politisch Korrekten« und entlarven dieses immer wieder als unbegründetes Tabu. Doch schon hier die Warnung: Dieses Buch wird parteiisch.
Ich will daher drittens für einen Standpunkt werben, der nicht gerade populär ist: für den ethischen Utilitarismus.1 Den wie bitte, was? Die Ansicht, dass die Moral von Handlungen danach bewertet werden soll, wie viel Wohlergehen sie in die Welt bringen bzw. ob sie dieses Wohlergehen maximieren.
UtilitarismusEine auf Francis Hutcheson (1694 – 1746) und Jeremy Bentham (1748 – 1832) zurückgehende Lehre. Maßstab des moralisch Richtigen soll das Gute sein, das eine Handlung in die Welt bringt. Das besteht in einer Maximierung des Glücks (Wohlergehens) aller von einer Handlung Betroffenen durch diese Handlung. Der Utilitarismus ista)Universell: Alle Betroffenen sind gleich wichtig, jeder zählt als einer, keiner mehr als einer.b)Wertmonistisch: Nur die Maximierung des Glücks ist an sich wertvoll, andere Werte dienen nur als Mittel dafür.Aggregativ: Das Glück wird zwischen Personen verglichen und aufaddiert zu einer Gesamtsumme, die für jede Handlungsalternative über alle von ihr Betroffenen hinweg ermittelt wird. Man wählt danach die glücksmaximierende Alternative. |
Der Utilitarismus ist eine besondere Form der Interessenethik, d. h., er baut darauf auf, ob Interessen oder Wünsche der Menschen erfüllt werden bzw. fußt letztlich auf ihrem dadurch erzeugten Wohlergehen.
Den Menschen soll es so gut wie möglich gehen, ganz logisch oder? Na ja, das heißt, dass nichts anderes außer der Menge an Wohlergehen zählt. Und mehr davon ist immer besser als weniger, das meiste Wohlergehen ist am besten. Diese Logik wird zwingend, wenn man Wohlergehen nicht mit Schwarzwälder Kirschtorte kurzschließt, von der man auch Mal genug haben kann. Wohlergehen oder Glück sollte als das verstanden werden, was auch immer Sie zufrieden macht, was zeitweilig natürlich mit Schwarzwälder Kirsch, zeitweilig auch mit dem Schnaps danach identisch sein kann. Nicht die Verteilung des Wohlergehens (Gerechtigkeit), nicht die Würde des Einzelnen, nicht die Freiheit des Einzelnen sind die finale Richtschnur. Allerdings spielen all diese Werte auch im Utilitarismus eine Rolle, denn sie sind wie Tortenstücke auf dem Weg zum Glück des Kuchenfreundes, d. h. Mittel, um viel Wohlergehen zu erzeugen. Wenn man den Menschen möglichst viel Freiheit lässt, werden sie z. B. meist glückliche Zeitgenossen. Verbote erzeugen Frust. Insofern zählt Freiheit schon, aber eben nicht als »Selbstzweck«, sondern als Mittel, um Glück zu schaffen. Alles andere wäre auch bedenklich, denn Freiheit oder Gerechtigkeit sind dafür gemacht, dass Menschen sich mit ihnen besser fühlen. Wenn sich niemand durch Gerechtigkeit besser fühlen würde, worin bestünde dann ihr Wert?
InteressenethikDarunter wird eine Ethik verstanden, deren Normen durch Interessen von Individuen begründet werden, weil diesen Interessen und daher auch den Trägern von Interessen, Wert zugemessen wird. Manche Interessenethiker halten jedes Interesse für wertvoll, andere nur informierte Interessen, die nicht auf Irrtümern, Launen etc. basieren. Einige Interessenethiken weisen Interessen Wert zu, weil sie sie als Indikator für Wohlergehen sehen (dem schließe ich mich an), andere sehen ihren Wert als völlig eigenständig an. |
Zwei Arten von Wertenintrinsischer Wert: X ist an sich wertvoll. X leitet seinen Wert nicht aus etwas anderem her wie etwa Folgen oder Begleitumständen von Ereignissen.extrinsischer/instrumenteller Wert: Y bezieht seinen ganzen Wert daraus, Mittel für die Umsetzung von Z zu sein. Z ist selbst ein intrinsischer Wert oder leitet sich aus einem solchen her. |
Einige Denker folgern daraus, Freiheit zähle im Utilitarismus also nichts und Glück alles. Das ist ein Glas-halb-leer-halb-voll-Fall. Richtig ist: Im Utilitarismus gibt es nur einen intrinsischen Wert, und zwar die Menge an Wohlergehen, das eine Handlung erzeugt, alle anderen Werte sind extrinsisch. Und genauso geht das in diesem Buch weiter: Ich beziehe Position, versuche aber dabei auch allgemein in Grundbegriffe der Ethik einzuführen – mein viertes Ziel. Diese Grundbegriffe werden in Kästchen verpackt und man kann sie unabhängig vom Rest konsumieren, je nach Appetit. So ergibt sich eine kleine »Einführung in die Ethik«, die nicht Theorie um der Theorie willen behandelt, sondern die sich um Antworten auf konkrete Fragen bemüht und die eine hoffentlich plausible Position begründen will. Damit soll die sich ergebende Einführung keine Einführung um ihrer selbst willen sein, sondern es geht dabei immer um die Sachthemen, die uns alle bewegen. Man kann aber jedes Kapitel isoliert verstehen und mit einem Stück Schwarzwälder Kirsch garniert genießen.
Der Plan
Ethiken, die z. B. die Natur, Gott oder Gerechtigkeit und Würde zur Richtschnur nehmen, wird hier eine Absage erteilt. Während das erste Kapitel jeder Interessenethik überhaupt erst einmal den Boden bereitet, indem es den lieben Gott vom Thron stürzt bzw. feststellt, dass dieser Thron nie wirklich besetzt war, dient das zweite Kapitel in erster Linie dazu, den Begriff der »Moral« einzuführen. Die Kapitel 3 und 4 sollen zeigen, wie der Utilitarismus funktioniert. Dann soll ein Ausflug beginnen, an dessen Ende wir nicht nur das schöne Wetter und Kaffee genossen, sondern den Utilitarismus ein Stück weit begründet haben. Im Kapitel 5 wird zuvor darüber nachgedacht, ob und wieweit (objektive) Moralbegründungen überhaupt möglich sind. Die Kapitel 6 bis 10 verwenden Hirnschmalz darauf, den Utilitarismus gegen alternative Prinzipien wie Natürlichkeit, Würde oder Gerechtigkeit zu verteidigen, wobei das nichts für schwache Nerven bzw. Menschen mit Einschlafproblemen ist.
Während im ersten Teil des Buches die wichtigsten Begriffe und Konzepte eingeführt werden und der Utilitarismus wenigstens grob begründet wird, wird dieser in den folgenden Teilen dann angewendet. Die verschiedenen Antworten, die wir dabei auf aktuelle Fragen erhalten, wie beispielsweise die nach der Lösung des Flüchtlingsproblems, fügen sich zusammen. Es entsteht ein Gesamtbild, das belegen soll, dass die Ethik attraktiv ist, die hinter ihm steht. Insofern liegt mir die Begründung weiterhin am Herzen, denn wenn die Ergebnisse der Anwendung prima sind, spricht das für die zugrundeliegende Theorie. Die Leser sollen außerdem »lernen«, wie ein Utilitarist schwierige Fragen analysiert. Vielleicht gelingt es den Lesern so, schon zu Beginn eines Kapitels die Antwort aus utilitaristischer Perspektive zu ahnen. So sollen sie selbst in die Lage versetzt werden, auf die kniffligen Fragen des Lebens Antworten zu formulieren und sich einen eigenen Kompass gegen moralische Verirrungen zu basteln.
Dabei wird sicher mancher Vertreter von Gegenpositionen aufschreien. Aber das Buch verfolgt insbesondere die Absicht, Menschen für Ethik zu interessieren, statt auf akademische Ausgewogenheit zu setzen....