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E-Book

Das Abraham-Prinzip

Wie wir gut und lange leben

AutorHorst Opaschowski
VerlagGütersloher Verlagshaus
Erscheinungsjahr2016
Seitenanzahl192 Seiten
ISBN9783641166229
FormatePUB
KopierschutzDRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis13,99 EUR
Die Deutschen leben immer länger - und besser!
Noch nie hatten wir eine so hohe Lebenserwartung wie heute: Alle zwei Wochen verlängert sich unser Leben um ein langes Wochenende. Die Karten des Lebens werden neu gemischt.
Mit diesem Buch gibt Opaschowski Antworten auf die Frage: Wie können wir den Jahren mehr Leben und nicht nur dem Leben mehr Jahre geben?
Immer mehr ältere Menschen fühlen sich fit und gesund. Eine Revolution auf leisen Sohlen kündigt sich an: Die Ära des Alterspessimismus geht zu Ende! Eine langlebige Gesellschaft mit alterslosen Zügen entsteht. Jedes Lebensalter zählt. Die Zukunftsformel lautet: durchstarten in ein langes und gutes Leben!
  • - Das neue Buch des bekannten und renommierten Zukunftsforschers
  • - Opaschowski zieht positive Bilanz des demografischen Wandels: Länger leben »lohnt« sich


Prof. Dr. Horst W. Opaschowski, Zukunftswissenschaftler und Berater für Wirtschaft und Politik, 1979 bis 2010 Gründer und Wissenschaftlicher Leiter der Stiftung für Zukunftsfragen (ehemals BAT Freizeit-Forschungsinstitut) in Hamburg. Er hat sich im In- und Ausland als 'Mr. Zukunft' (dpa) einen Namen gemacht. Er gilt als Visionär mit Augenmaß und Bodenhaftung. Zugleich agiert er als 'leidenschaftlicher Anwalt für eine neue Generationengerechtigkeit' (DIE ZEIT). 'Wenn einer darüber Auskunft geben kann, wohin sich die deutsche Gesellschaft in den nächsten Jahren entwickelt, dann dieser moderne Seher.' (DIE WELT)

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Leseprobe

3. Von Siebzig auf Hundert!

Durchstarten in ein langes Leben

Früher galt eine Frau mit vierzig Jahren als Matrone, nannte sich Calvin mit fünfzig Jahren einen alten, verbrauchten Mann und dankte Karl V. mit 55 Jahren restlos erschöpft als Greis ab. Heute werden wir immer älter, wollen auch gut und lange leben – aber möglichst nicht alt sein.

Eine Agenda zur Vorbereitung auf ein langes Leben gibt es bisher noch nicht.

Seit 1855 hat sich die Lebenserwartung der Deutschen von 37 Jahren auf 81 Jahre mehr als verdoppelt. Und eine immer längere Lebenszeit steht uns bevor. Dieses als Gesellschaft des langen Lebens bezeichnete Phänomen wird zur großen Herausforderung für jeden Einzelnen. Die Fortschritte in Medizin, Ernährung und Versorgung der Menschen zwingen zu Veränderungen in der individuellen Lebensplanung sowie im gesellschaftlichen Zusammenleben.

Doch: Wie und mit welcher Lebensqualität wird man eigentlich 100 Jahre alt? Diese Frage habe ich mir vor drei Jahren gestellt, als sich die Schwester meiner Mutter und die Patentante meiner Frau im Alter von jeweils über hundert Jahren nach einem langen erfüllten Leben für immer verabschiedeten. Beide wirkten zeitlebens zufrieden und glücklich. Beide hatten entbehrungsreiche Kriegs- und Nachkriegsjahre überlebt. Und beide meisterten ihr Leben trotz schwerer persönlicher Schicksalsschläge. Ihr Lebenselixier?

Bescheiden in den Ansprüchen, beständig in der Sorge für andere und beschäftigt rund um die Uhr.

Beide waren ein Leben lang aktiv – und hatten doch immer Zeit. Alma, die Schwester meiner Mutter, wuchs während des 1. Weltkriegs unter ärmsten Verhältnissen auf: Statt Brot gab es Kohlrüben. Und am Ende des 2. Weltkriegs reihte sie sich ein in die Masse der Flüchtlinge von Beuthen in Oberschlesien bis nach Bernburg an der Saale. Es war eine »Flucht mit tausend Ängsten«. Ein Jahr nach der Hochzeit erlitt sie die erste Fehlgeburt. Ihr einziges Kind, das wenige Jahre später geboren wurde, starb im Alter von 28 Jahren an einem Gehirntumor: »Das war das Schlimmste in meinem Leben«. Fortan setzte sie ihre ganze Hoffnung auf die Beziehung zu ihrem Mann: »Einer musste den anderen halten«. Und beide versuchten gemeinsam, »dem Leben Sinn und Frohsinn zu geben«. Sie suchten und fanden schließlich ein Patenkind in der Nachbarschaft. »Die schönen Stunden mit ihm heilten unsere Wunden«.

In den folgenden Jahrzehnten versöhnten sie sich mit dem Leben. Sie fanden Erfüllung in ihren Beziehungen – in der Partnerschaft, dem Freundeskreis und der Nachbarschaft. Das war »ihre« neue Wahl- und Großfamilie, die sich gegenseitig half und unterstützte. Sie wohnten bescheiden in einem DDR-Plattenbau ohne Bad und Balkon – und vermissten nichts. Und als Alma 99 Jahre alt wurde, konnte sie aus dem 2. Stock wegen ihrer Kniebeschwerden die Wohnung nicht mehr verlassen. Kein Grund zur Resignation: »Wenn ich Sonne haben will, öffne ich das Fenster und mache meine Gymnastik«. Ansonsten wirkte sie fröhlich und ausgeglichen, bescheiden und fast demütig. Ihr Wahlspruch des Lebens lautete:

Was ich brauche, das habe ich. Was ich nicht habe, brauch ich nicht.

Mit dieser Lebenseinstellung war bei ihr geradezu Langlebigkeit vorprogrammiert – ganz im Gegensatz zum Szenespruch der Jugend aus der Nach-68er Zeit: »Was ich habe, das will ich nicht. Was ich will, das kriege ich nicht.« Was wir aus diesem Lebensentwurf einer Hundertjährigen lernen können? Auch in einem entbehrungsreichen Leben können wir Glück empfinden und Zufriedenheit finden.

Diese Vorstellung erinnert an das Bild des französischen Schriftstellers Albert Camus, der die philosophische Frage stellte, ob sich das Leben als Sisyphusarbeit überhaupt lohnt1. Können wir uns Sisyphus, der dazu verurteilt ist, ständig den Stein den Berg hinauf zu rollen, nicht auch als glücklichen Menschen vorstellen? Getrieben von dem Wunsch, genau das tun zu wollen, wozu er eigentlich verurteilt ist? Sisyphus hätte dann ein Ziel im Leben. Das wäre geradezu ein mentaler Optimismus, der im Kopf beginnt – in der Bereitschaft und Fähigkeit, das Wünschbare offensiv anzugehen. Wohlwissend, dass das Leben nicht nur eine Aneinanderreihung von guten Nachrichten sein kann. Das Alma-Beispiel zeigt:

Langlebige spielen nicht sich und anderen etwas vor. Sie arrangieren sich und resignieren nicht.

Das Arrangement gibt persönliche Stabilität in einem krisenreichen Leben. Es ist mehr das kleine Glück, das gewonnen und bewahrt werden soll. Damit verbunden ist der Vorsatz »Ich möchte so weiterleben wie bisher.« Und die Einstellung »Was ich brauche, das habe ich!« erhält Vitalität und Lebensfreude.

Die zweite konkrete Antwort auf die Frage »Wie wird man 100 Jahre alt?« bezieht sich auf das Leben der Patentante »Godel«, die 103 Jahre alt wurde. Ich habe sie nur unter diesem Namen kennengelernt. Mit dieser Bezeichnung ist ein alter Brauch verbunden, nach dem bei der Taufe eines Mädchens die »Godel« (bei einem Jungen der »Pate«) den Täufling in der Kirche über das Taufbecken hält. Damit ist zugleich die soziale Verpflichtung verbunden, für das Kind zu sorgen und es notfalls auch großzuziehen, falls den Eltern etwas zustoßen sollte.

Godel war die Patentante meiner Frau, die als armes Flüchtlingskind am Ende des 2. Weltkriegs mit ihrer Schwester und ihrer verwitweten Mutter mittellos in einem hessischen Dorf untergebracht wurde. Die Eltern und Großeltern hatten nach der Flucht aus Schlesien alles verloren, aber hier eine neue soziale Heimat gefunden. Die Mutter versorgte die kleinen Kinder mit dem Notdürftigsten, so dass sie weder hungern noch frieren mussten.

Die Godel hatte ihren Mann im Krieg verloren. Ihre drei Kinder sind alle nach der Geburt gestorben. Sie litt unter einer Blutgruppen-Unverträglichkeit (Rhesus-Inkompatibilität), die damals medizinisch nicht erkannt wurde. So war sie, unter einfachsten Verhältnissen lebend, auf sich allein gestellt und lebte nach dem Prinzip:

Hart arbeiten, um zu überleben – aber immer auch für andere da sein.

Auf dem Dorf half sie bei Geburten und Geburtstagen, Konfirmationen und Beerdigungen. Selbst eine kleine Dorf-Kapelle wurde unter ihrer Obhut und Pflege wiederhergestellt, so dass gelegentliche Gottesdienste vor Ort möglich waren. Religiosität und Mitmenschlichkeit gehörten zu ihrer Natur. Im Gottesglauben war sie tief verwurzelt, aber nicht unterwürfig. Zum 103. Geburtstag rief sie mir mit dem Blick nach oben zu: »Lieber Gott, nun reicht‘s langsam. Genug ist genug!«

War sie irgendwo zu Besuch, holte sie als erstes die Arbeitsschürze aus ihrer Tasche. Leben war für sie gleichbedeutend mit der Freude am Tun und mit der Sorge für andere. Sie war immer in Bewegung. Und wenn sie nicht mit fast achtzig Jahren vom Kirschbaum gefallen wäre, was ihren Aktivitätsdrang unfreiwillig einschränkte, hätte sie wohl noch ein paar Jahre länger leben können ...

Wenn die Frage »Wie wird man 100 Jahre alt?« einer überzeugenden Antwort bedarf, dann ist die Godel der vitale Beweis dafür. Die aus der internationalen Forschung bekannte Erfahrung »Caretakers live longer«2 findet hier ihre Bestätigung:

Wer sich um andere sorgt, lebt länger. Wer sich nicht sozial verhält, setzt sein Leben aufs Spiel.

Die intensive Pflege sozialer Beziehungen steigert nachweislich unsere Lebenserwartung. Familie ist sicher nicht alles, aber ohne Familie ist alles nichts. Die Familie kann auch eine Wahlfamilie oder Wahlverwandtschaft, ein Freundeskreis, eine Nachbarschaft oder eine Patenschaft fürs Leben sein.

Die Godel hat sich nicht nur um meine Frau, als sie Flüchtlingskind war, gesorgt – sie wurde auch von ihr im hohen Alter umsorgt. Beide sind so Godel oder Patin füreinander gewesen. Eine soziale Bindung für das ganze Leben zwischen Verpflichtung und Verantwortung, gewachsen und nicht verordnet. In der künftigen Gesellschaft des langen Lebens werden solche sozialen Konvois des Gebens und Nehmens zu unentbehrlichen Begleitern – die da sind, wenn man sie braucht, die unaufgefordert ihre Arbeitsschürze herausholen und Halt und Hilfe geben – vom Taufbecken bis zur Rollstuhlausfahrt.

In diesem Kreis der Hundertjährigen muss ich als 75-Jähriger wie ein Jugendlicher wirken, dem 25 Jahre Lebenserfahrung fehlen. Und doch habe auch ich eine ganz persönliche Beziehung zum Thema: Leben ist für mich die Lust zu schaffen. Schaffensfreude ist mein Lebenscredo – in welcher Rolle auch immer: Als Pate eines Mehrgenerationenhauses und Initiator einer Helferbörse in Hamburg, als Ehepartner, Vater und Großvater, aber auch als verantwortlicher Zukunftsforscher und Publizist.

»Wie heißt das einzige Lebewesen, das zuerst auf vier, dann auf zwei und zuletzt auf drei Beinen läuft?«, ließ die Sphinx die Reisenden fragen, die auf dem Weg nach Theben waren. Ödipus löste das Rätsel: Das Kind kriecht auf Händen und Füßen, der Erwachsene geht aufrecht, und der Greis nimmt den Stock zu Hilfe. Seither ist die Dreiteilung des Lebens fast schicksalhaft ›festgeschrieben‹. Doch die Dreiteilung des Lebens in Ausbildung, Beruf und Ruhestand stimmt so nicht mehr.

Traditionell bezeichnet man als Generation den Altersabstand zwischen den Geburtsjahren der Eltern und deren Kindern, der bei etwa 25 bis 30 Jahren liegt. In fast allen Indu­st­riegesellschaften mit ihren Strukturmerkmalen von Dynamik und Mobilität hat sich jedoch der Generationsbegriff gewandelt. Der quantitative Zeitbegriff reicht zur Beschreibung qualitativer...

Blick ins Buch

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