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E-Book

Das All und das Nichts

Von der Schönheit des Universums

AutorStefan Klein
VerlagS. Fischer Verlag GmbH
Erscheinungsjahr2017
Seitenanzahl240 Seiten
ISBN9783104903378
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis12,99 EUR
Der Bestseller-Autor Stefan Klein erzählt in seinem mitreißenden und zugleich poetischen Buch »Das All und das Nichts. Von der Schönheit des Universums« erstaunliche Geschichten über Raum und Zeit. Gibt es das Nichts? Sind Raum und Zeit nur Illusionen? Reicht unser Verstand aus, um das All zu verstehen? Und warum sind wir auf der Welt? Die Physik des 21. Jahrhunderts verändert unsere Sicht auf die Welt und uns selbst. Ausgehend von der Blüte einer Rose spürt er der Schönheit des Unbekannten nach, beim Betrachten des Wetters erklärt er die Unberechenbarkeit der Welt, und mittels einer Kriminalgeschichte führt er uns die wahre Gestalt des Raumes vor Augen. Mit großem literarischem Gespür versetzt uns Stefan Klein ins Staunen und nimmt uns mit auf eine Reise in unsere Wirklichkeit, die ganz anders ist, als sie uns scheint.

Stefan Klein, geboren 1965, ist der erfolgreichste Wissenschaftsautor deutscher Sprache. Er studierte Physik und analytische Philosophie in München, Grenoble und Freiburg. Er wandte sich dem Schreiben zu, weil er »die Menschen begeistern wollte für eine Wirklichkeit, die aufregender ist als jeder Krimi«. Sein Buch »Die Glücksformel« (2002) stand über ein Jahr auf allen deutschen Bestsellerlisten und machte den Autor auch international bekannt. In den folgenden Jahren erschienen weitere hoch gelobte Bestseller: »Alles Zufall«, »Zeit«, »Da Vincis Vermächtnis« und »Der Sinn des Gebens«, das Wissenschaftsbuch des Jahres 2011 wurde. Zuletzt erschien »Träume: Eine Reise in unsere innere Wirklichkeit«, ausgezeichnet mit dem Deutschen Lesepreis 2016, »Das All und das Nichts. Von der Schönheit des Universums« (2017) und »Wie wir die Welt verändern« (2021). Stefan Klein lebt als freier Schriftsteller in Berlin.

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Leseprobe

… denn alles Wissen und Wundern

ist ein Ausdruck reinster Freude.

Francis Bacon

In einer meiner frühesten Kindheitserinnerungen trägt mein Vater einen großen Karton ins Haus. Rückwärts schiebt er sich durch die Tür, dann erscheint die Schachtel, schließlich ein Freund meines Vaters, der am anderen Ende mit angefasst hat. »Was ist das?«, fragt meine Mutter. »Ich habe uns einen Fernseher gekauft«, antwortet er. Die Mutter ist wütend, sie will solch ein hässliches Gerät nicht herumstehen haben. Der Vater rechtfertigt sich: »Sie fliegen zum Mond.«

Mein Vater holt eine Säge. Er öffnet die Flügeltüren des dunklen Schrankes im Wohnzimmer, die wir Kinder nicht anfassen dürfen, weil das Möbel alt und wertvoll ist. Außerdem enthält es die Hausbar. Mein Vater stellt die Flaschen heraus und macht sich mit der Säge im Inneren des Schrankes zu schaffen. Er schneidet aus dem kostbaren Schrank Bretter heraus, bis dort Platz genug für den Fernseher ist. Wenn die Türen geschlossen sind, ist er verschwunden.

Die Stimmen der Astronauten kamen also aus dem Schrank. Eingeprägt hat sich mir der metallische Ton, in dem sie, für mich unverständlich, ihre Kommandos schnarrten. Auch erinnere ich mich an zwei Bilder. In der einen Szene huschen zwei Gestalten über den Bildschirm. Sie leuchten geisterhaft weiß, statt eines Gesichts haben sie vor dem Kopf eine Scheibe. Im Grau hinter ihnen hängt eine Fahne. Die Geister tragen enorme Tornister, aber sie tänzeln und springen, als hätten sie gar kein Gewicht. Die Eltern reden etwas von sechsmal geringerer Schwerkraft auf dem Mond; ich möchte das auch ausprobieren. Ich bin vier Jahre alt.

Die andere Szene zeigt eine Murmel, die genau im Zentrum des Bildes, halb beleuchtet, in völliger Dunkelheit schwebt. Auch wenn wir damals einen Schwarzweißfernseher hatten, erinnere ich sie so tiefblau, dass die Intensität ihrer Farbe beinahe schmerzt. Offenbar haben Fotos, die ich später in Illustrierten und Büchern sah, sich mit den Fernsehbildern in meinem Gedächtnis überlagert und diesen Farbe verliehen. Auf dem Blau schimmern weiße Wirbel, und auf der linken Seite der Kugel zeichnet sich ein großer brauner Fleck mit scharfen Umrissen ab. Den gesamten Vordergrund des Bildes aber füllt eine Wüste in eintönigem Ocker. Hügel und Krater ziehen sich bis zum Horizont einer Bergkette hin, über der die Murmel steht. Unmöglich kann man sich vorstellen, dass in dieser ockerfarbenen Ödnis je etwas gelebt hat, je etwas leben wird.

So funkte die Apollo 11 den Erdaufgang über dem Mond in unseren zweihundert Jahre alten Wohnzimmerschrank. Ich weiß nicht mehr, wie ich reagierte, als diese Bilder im Juli 1969 über unsere Mattscheibe flimmerten, doch jedes Mal, wenn ich ihnen seither wieder begegnete, wurden meine Empfindungen stärker. Dies ist also unsere Heimat im Kosmos – eine winzige Kugel, allein in unermesslicher Nacht, zerbrechlich und schön. Bei sehr genauem Hinsehen lässt sich sogar die Lufthülle erkennen, ein hauchdünner Halo, der im Sonnenlicht schimmert: Der einzige uns bekannte Wohnort des Lebens, der einzige Ort, an dem wir uns aufhalten können.

Dabei ist auf der blauen Kugel nichts Menschliches zu erkennen, erinnert nichts an die Dinge, die uns vertraut sind. Der Blick vom Mond zeigt unseren Lebensraum so, wie wir ihn normalerweise nie wahrnehmen, von außen. Und doch spüren wir sofort: Hier geht es um uns. Gerade die fremde Sicht verleiht den Bildern vom Erdaufgang ihre Kraft. Wer sie einmal gesehen hat, kann das eigene Dasein nie mehr für eine Selbstverständlichkeit halten. Solange wir uns in das tägliche Einerlei verstrickt fühlen, mag uns das Leben banal erscheinen. Aber kann es etwas Erstaunlicheres geben als dieses Leben, wenn man erkennt, dass wir weit und breit ohne Gesellschaft sind, einsame Passagiere auf einem Staubkorn in der Kälte des Alls? Um zu einer tieferen Einsicht der eigenen Situation zu gelangen, muss man die gewohnte Perspektive verlassen.

 

Die Menschen haben immer wieder erfahren, dass die Wirklichkeit ganz anders ist, als sie uns erscheint. Die Erde ist weder flach, noch wird sie von der Sonne umkreist. Der Mond ist kein Himmelslicht, sondern ein Spiegel, der die Strahlen der Sonne zurückwirft. Die Wolken, die man im Teleskop zwischen den Sternen sieht, sind keine Nebel, sondern Galaxien wie die unsere. Die Tiere und Menschen betraten nicht in ihrer heutigen Gestalt den Planeten, sie entwickelten sich im langen Lauf der Evolution. Jede dieser Erkenntnisse war einmal ungeheuerlich. Sie widersprachen allem, was man sich ausmalen konnte und wollte. Heute kommen uns diese Ungeheuerlichkeiten selbstverständlich vor. Auf ihnen beruht unser heutiges Weltbild.

Ich fand diese Suche nach einer neuen, umfassenderen Sicht auf die Wirklichkeit selten so einprägsam dargestellt wie in einem rätselhaften Holzstich, der im Jahr 1888 in einem Werk des französischen Astronomen Camille Flammarion erschien. Das Bild, dessen Ursprung wir nicht kennen, wird gewöhnlich »Wanderer am Weltenrand« genannt. Es zeigt einen Reisenden, der seine vertraute Umgebung hinter sich lässt, um einen Kosmos von seltsamer Schönheit zu bestaunen. Im Rücken des Mannes sehen wir die Welt so, wie wir sie kennen, so, wie wir sie gewohnt sind: Auf sanften Hügeln wachsen Büsche und Bäume, im Hintergrund schmiegt sich ein Dorf an einen See, der von der untergehenden Sonne beschienen wird. Im Vordergrund ist es schon Abend, am Himmel funkeln die Sterne. Und genau diesen Sternenhimmel, der sich bis zur Erde hinabzieht, hat der Reisende mit seinem Oberkörper durchbrochen. Sein Kopf steckt schon in einer anderen Welt, einer Welt jenseits der bekannten Erscheinungen. Dort funkeln phantastische Wirbel, Wolken, Feuerräder, Strahlen, Lichter; der Mann streckt eine Hand nach den wundersamen Phänomenen aus, die ihm begegnen. Aber hat der Wanderer die Welt, die ihm vertraut ist, wirklich verlassen? Ein üppig dekorierter Rahmen hält beide Teile des Bildes zusammen, und vielleicht nicht zufällig erinnern die Wirbellinien hinter dem Firmament an die Linien elektromagnetischer Felder. Zwei Jahrzehnte bevor der »Wanderer am Weltenrand« veröffentlicht wurde, hatten Physiker diese unsichtbaren Kraftlinien entdeckt.

Mit verwunderten Augen blickt der Wanderer in eine andere Dimension unseres Daseins. Er betrachtet die Phänomene hinter den gewohnten Erscheinungen – aber keine fremde, sondern unsere alltägliche Welt. Das verbindet ihn mit uns, wenn wir die blaue Erde über dem Mond aufgehen sehen.

 

Müsste ich mich für ein Bild der großen Entdeckungen im 21. Jahrhundert entscheiden, so würde ich ebenfalls eines aus dem Weltraum auswählen. Zugegeben, die Himmelskarte, die uns die europäische Raumsonde Planck gesendet hat und die im Jahr 2013 veröffentlicht wurde, ist etwas schwerer zu lesen als die Bilder des Wanderers und der blauen Murmel. Auf den ersten Blick erinnert sie, darin den Wirbellinien des Weltenwanderers ähnlich, an ein abstraktes Gemälde. Man erkennt farbige Punkte, die sich zu einem zusammenhängenden Muster verbinden: Kontinente vielleicht?

Dargestellt ist der ganze von der Erde aus sichtbare Himmel. Dass wir uns in dieser Darstellung erst orientieren müssen, ist kein Wunder, zeigt sie doch ein den meisten Menschen noch unbekanntes Weltbild. Zu sehen ist eine Geburt: die Geburt des Universums. Die Farben stehen für eine Strahlung, die vor mehr als 13 Milliarden Jahren kurz nach dem Urknall freigesetzt wurde – das erste Licht der Welt. Es kommt von überall her, erfüllt den ganzen Kosmos. Im Lauf der Zeit hat sich das Licht in eine Wärmestrahlung verwandelt. Jede Farbe in der Himmelskarte bezeichnet also eine Temperatur: das Nachglühen des Urknalls. Dieses verhindert, dass der Weltraum je völlig auskühlen kann. Selbst in der Leere zwischen den Galaxien herrscht ein letzter Rest Wärme. Auch wenn unsere Augen die Hintergrundstrahlung nicht wahrnehmen, lässt sie sich doch mit einer gewöhnlichen Fernseh-Satellitenschüssel empfangen.

Die Hintergrundstrahlung wurde zufällig entdeckt, als die Physiker Arno Penzias und Robert Wilson 1964 in New Jersey mit einer der ersten Satellitenantennen experimentierten. Dabei bemerkten sie ein Störsignal, das fast gleichmäßig aus allen Richtungen eintraf. Es konnte also nicht aus dem benachbarten New York kommen, war offenbar überhaupt nicht irdischen Ursprungs. Doch ebenso wenig war seine Quelle in der Milchstraße oder in einer anderen Galaxie auszumachen. Penzias, der aus einem jüdischen Elternhaus in München stammte und sechsjährig nur in Begleitung seines Bruders mit einem der Kindertransporte den Nazis entkommen war, erklärte sich die Störung mit einer »weißen dielektrischen Substanz« auf der Antenne, vulgo Vogeldreck. In der Antennenschüssel hatte sich ein Taubenpaar eingenistet. Penzias und Wilson besorgten eine Taubenfalle, luden die überlisteten Tiere in einen Lastwagen und ließen sie 50 Kilometer von der Antenne entfernt frei. Die beiden Tauben kamen zurück. Schließlich wusste sich Penzias nicht mehr anders zu helfen, als die Vögel im Namen der Wissenschaft zu erschießen. Die Antenne wurde gereinigt, das Signal aus dem Nirgendwo blieb. Die Forscher waren ratlos.

Da fiel Penzias die Big Bang Theory ein. Dass das Universum in einem großen Knall entstanden sein sollte, dass dieser Knall sogar eine Strahlung hinterlassen haben könnte, galt damals als eine wüste Spekulation. Sich mit solcher Science-Fiction zu...

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