Mehr geht immer: Weniger Verbrauch gibt’s nur auf dem Papier
Mancher Mensch arbeitet einen ganzen Monat hart, und wird dafür am Ende mit 450 Euro entlohnt. Der durchschnittliche Autofahrer dagegen muss in jedem Jahr genau diese Summe zusätzlich für Kraftstoff ausgeben, weil sein Wagen mehr verbraucht, als es der Hersteller versprochen hat. Denn dessen Angaben haben meist kaum etwas mit der Realität zu tun. Vielmehr liegen die realen Verbräuche inzwischen im Schnitt um 40 Prozent über den Werksangaben, das hat die Organisation European Federation for Transport and Environment T&E ermittelt. Bei einigen beliebten neuen Modellen wie dem 5er von BMW, der A-, C- und E-Klasse von Mercedes oder auch einem Peugeot 308 liegt die Differenz zwischen Theorie und Praxis demnach inzwischen sogar bei rund 50 Prozent.
Nun ist es unter Fachleuten längst kein Geheimnis mehr, dass fast jedes Auto die wohlklingenden Verbrauchswerte der Hersteller überschreitet. Doch der inzwischen erreichte Grad von 40 bis 50 Prozent höheren Werten verblüfft selbst jene, die all das schon lange monieren. Denn mit den üblichen und in der Szene auch bekannten Tricksereien lässt sich das nicht mehr erklären. Trotzdem behaupten die Autobauer laut T&E weiter steif und fest, dass sie keine Defeat Devices einsetzen – also keine Umschaltsoftware, die zwischen Labormessung des Verbrauchs und Alltagseinsatz auf der Straße unterscheiden kann. Trotzdem muss irgendetwas geschehen sein, das diese Entwicklung überhaupt erst erlaubt hat. Denn im Jahr 2001 verbrauchten die Autos in der Realität zwar auch mehr, als im Prospekt angegeben, allerdings waren es im Schnitt nur acht Prozent. Bis 2012 stieg der Wert auf 31 Prozent, um dann in kurzer Zeit den aktuellen Mehrverbrauch von durchschnittlich 40 Prozent zu erreichen.
Am grundlegenden Messverfahren kann es nicht liegen – das ist nämlich seit Jahren gleich, und vor allem gleich schlecht. Gemessen wird nämlich nach einem genormten Prozedere im Labor. Die Ergebnisse haben an sich schon gar nichts mit der Realität zu tun, zudem werden die Messungen von den Autobauern traditionell auch für einen leidlich legalen Betrug genutzt, der die Werte niedrig hält.
Was uns als Verbrauchswert eines Autos genannt wird, ist das Ergebnis eines im Grunde vorsintflutlichen Verfahrens: Es handelt sich um den NEFZ, den Neuen Europäischen Fahrzyklus, der auf dem Prüfstand gefahren wird. Neu ist an dem Verfahren allerdings außer des Begriffs gar nichts, vielmehr stammt es in den Grundzügen immer noch aus den Siebzigerjahren und damit der Jungsteinzeit des Automobilbaus. Seitdem wurde das Verfahren zwar immer wieder aufpoliert und ergänzt, wirklich viel geändert hat sich nicht. Abgesehen davon, dass die Hersteller über die Jahre sehr genau gelernt haben, wie sie das Ergebnis in ihrem Sinne beeinflussen können.
Die Grundbedingungen sind recht einfach, und sie erinnern noch sehr deutlich an das Verkehrsgeschehen in den Siebzigerjahren. Zunächst einmal muss der Wagen acht Stunden still stehen, um auszukühlen. Es soll also ein echter Kaltstart simuliert werden, weil ein Auto gerade dann auch besonders viel verbraucht. Hört sich eigentlich also schon mal ganz gut an. Direkt danach allerdings beginnt schon das Problem. Der Fahrer des Testwagens muss sich auf dem Prüfstand an exakte Vorgaben halten, die eben noch aus grauer Vorzeit stammen. Insgesamt sind auf einer symbolischen Strecke von elf Kilometern fünf sogenannte Zyklen zu absolvieren. Meist wird dabei das Fahren in der Stadt nachgeahmt, allerdings eben das Fahren in dem Stil, wie man ihn vor fast 50 Jahren kannte. Man ist betont langsam unterwegs, in schier unendlichen 26 Sekunden wird behutsam auf Tempo 50 beschleunigt. Selbst das hoffnungslos untermotorisierte DDR-Auto Trabant erreichte seine Höchstgeschwindigkeit von Tempo 100 nach knappen 24 Sekunden.
Auch eine Autobahnsimulation gehört zu der Verbrauchsmessung, die allerdings ist im Grunde noch weiter von der Realität entfernt. Hier nämlich geht es von Tempo 70 auf Tempo 100 und weiter bis zur Spitzengeschwindigkeit von 120 – das jedoch nur zehn Sekunden lang. Dann wird abgebremst, und das war es dann auch schon. Im Grunde handelt es sich also um ein Verfahren, das an sich bestens geeignet ist, einen sehr niedrigen Verbrauchswert zu erreichen. Doch die Hersteller sind damit selten zufrieden, sie nutzen vielmehr noch zusätzliche Tricks, um das Ergebnis noch weiter von der Realität zu entfernen. Und Tricks gibt es reichlich. Einer der einfachsten besteht darin, dass der Luftdruck der Reifen erhöht wird – denn das bedeutet weniger Rollwiderstand und damit geringeren Verbrauch. Dass der Wagen so im Alltag vermutlich nur hilflos auf seinen prallvollen Pneus herumhüpfen und mit der Bremse nur schwer zum Stillstand zu bekommen wäre, das interessiert niemanden. Ebenfalls eine beliebte Trickserei: Während man versucht, Neuwagenkäufern möglichst viele Extras und Sonderausstattungen anzudrehen, nimmt man für den Test Modelle ohne jegliche Extras. Denn mit so einer Coladosen-Ausstattung spart man schon mal 100 oder 200 Kilogramm Gewicht, und jedes zusätzliche Gramm erhöht auch den Verbrauch. Das alles ist natürlich eine absichtliche Täuschung der umworbenen Kunden, aber die Vorschriften lassen viele dieser Tricks zu, und machen sie so legal.
Aber es geht noch weiter: Im Grunde ist man sich nämlich für keinen Kniff zu schade. So wird gern die Temperatur im Prüflabor erhöht, weil der Kaltstart dann nicht ganz so kalt ist. Auch werden Außenspiegel abmontiert oder Karosseriefugen abgeklebt, um den Luftwiderstand und damit den Verbrauch zu verringern. Und natürlich ist der Tank nicht bis zum Rand gefüllt, sondern beinhaltet nur die vorgeschriebenen Mengen. Die Tricksereien gehen bis ins Detail des Details: So wird tunlichst darauf geachtet, dass etwa die Batterie wirklich randvoll geladen ist, damit sie nicht während der Prüffahrt nachgeladen werden muss, und so ein paar weitere Tropfen Kraftstoff verbraucht. Selbstverständlich ist das alles Trickserei, aber eben eine erlaubte Trickserei, weil die Vorgaben die vielen kleinen oder größeren Eingriffe nicht verbieten. Das gilt zum Beispiel ebenfalls für den Einsatz besonderer Leichtlauföle im Motor, die nicht umsonst so heißen, sondern dem Motor die Arbeit erleichtern und so ebenfalls die Verbrauchsbilanz positiv beeinflussen.
Fragt man nun die Autoindustrie zum Thema, sagt sie in schöner Regelmäßigkeit, dass die Messungen im Grunde nie dazu da waren, realistische Werte zu liefern. Sie sollten nur die Angaben der Hersteller besser vergleichbar machen. Das ist natürlich völliger Unsinn, wenn es im Grunde doch wieder nur darum geht, wer besser trickst, um die Werte der Konkurrenz zu unterbieten. Was die Manager ebenfalls immer betonen, das ist der Umstand, dass die alte Prüfmethode bald ausgedient und einem neuen, moderneren Vorgehen Platz zu machen hat. Das stimmt zwar, ist aber auch wieder nur die halbe Wahrheit. Denn abgelöst wird der Neue Europäische Prüfzyklus von einem Verfahren mit dem sperrigen Namen Worldwide Harmonized Light Duty Test Procedure, kurz WLTP. Dieses künftig weltweit einheitliche Verfahren soll realistischere Werte liefern, und wird in Deutschland ab September 2017 den NEFZ ablösen. Allerdings steht die neue Methode bereits jetzt in der Kritik, außerdem haben sich die Autohersteller einmal mehr durchgesetzt und manche Pläne durchkreuzt. Hinzu kommt, dass die neue Methode im Grunde geradezu maßgeschneidert für die deutschen Hersteller ist, da sie große und schwere Fahrzeuge bevorzugt, die ja vor allem bei uns vom Band laufen. Ein Test des TÜV Süd hat sogar ergeben, dass ein Mercedes C 180 nach WLTP-Messungen einen halben Liter weniger verbraucht als nach dem alten NEFZ-Verfahren. Zur Erinnerung: Nach den Untersuchungen von T&E ist gerade die C-Klasse ein Fahrzeug, das schon nach den alten Messungen in der Realität 50 Prozent über den Verbrauchangaben liegt.
Aber zurück zu der eigentlichen Frage, was denn der WLTP eigentlich besser oder anders macht, und was die Hersteller mit ihrer Macht schon erreicht haben, um ihn aufzuweichen.
Grundsätzlich geht der WLTP erst einmal in die richtige Richtung. Denn der Test macht einiges besser, als es bisher üblich war, aber er macht eben nicht alles wirklich gut.
Besser ist etwa, dass nicht alle Fahrzeuge über einen Kamm geschoren werden, sondern dass nun auch Leistungsklassen einführt wurden. Außerdem können die Hersteller künftig ihre Autos nicht mehr »gewichtsoptimiert« zur Prüfung schicken, indem sie erst einmal alles ausbauen, was das Gewicht erhöht. Vielmehr müssen die Autos nun bestimmte Ausstattungsmerkmale an Bord haben, die in der jeweiligen Fahrzeugklasse üblich sind – zum Beispiel eine Klimaanlage. Auch aus dem Tank darf nicht mehr so viel Kraftstoff abgelassen werden wie in der Vergangenheit. Statt bislang zu 40 Prozent muss er nun zu mindestens 50 Prozent gefüllt sein.
Am wichtigsten aber sind sicher die Änderungen bei den Fahrzyklen, die nicht mehr ganz auf behutsame Schleichfahrt ausgelegt sind. Künftig werden Stadt-, Überland- und Autobahnfahrten mit Geschwindigkeiten von 60, 80, 100 und auch mehr als 130 Stundenkilometern simuliert. Die Durchschnittsgeschwindigkeit steigt so von den bisherigen 33,4 auf 47 Stundenkilometer. Auch die gesamte Fahrtstrecke und die Fahrzeit werden verlängert. Simulierte der Zyklus bisher nur elf Kilometer sind es künftig 23, und damit mehr als doppelt so viel. Zudem dauert die Fahrt statt 20 in Zukunft 30 Minuten. In der Theorie sieht es also sehr gut aus mit den Absichten des WLTP. Doch das genannte Beispiel des im Test überraschend besser abschneidenden...