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E-Book

Das digitale Wir

Unser Weg in die transparente Gesellschaft

AutorPeter Schaar
Verlagedition Körber-Stiftung
Erscheinungsjahr2015
Seitenanzahl224 Seiten
ISBN9783896844873
FormatPDF/ePUB
KopierschutzWasserzeichen/DRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis12,99 EUR
Ob es einem gefällt oder nicht: Die Digitalisierung bestimmt unseren Alltag. Weder unsere Arbeitswelt noch unser Privatleben sind heute ohne digitale Technologien vorstellbar. Und ein Ende scheint nicht in Sicht. Kommunikation und Konsum werden immer schneller und bequemer, doch für diese Annehmlichkeiten bezahlen wir mit unseren »Bewegungsdaten«: Egal was wir im Netz tun, es bleibt nicht unbeobachtet - der NSA-Skandal ist der deutlichste Beweis. Auch für Peter Schaar, den früheren Bundesbeauftragten für den Datenschutz, ist der Weg in die Informations- und Transparenzgesellschaft unumkehrbar. Doch fordert er eine gesellschaftliche, eine demokratische Kontrolle, damit unsere grundlegenden Werte ihre Gültigkeit behalten. Hier sind Politiker und Bürger gleichermaßen gefragt. Peter Schaar liefert einen profunden und konkreten Überblick über die neusten technischen Entwicklungen, fragt nach ihren Konsequenzen für unseren Alltag und unsere Gesellschaft und räumt mit vielen Mythen rund ums Internet auf. Wer Peter Schaar gelesen hat, wird Smartphone und Computer mit anderen Augen sehen!

Peter Schaar war von 2003 bis 2013 Bundesbeauftragter für den Datenschutz und die Informationsfreiheit; davor lange Zeit stellvertretender Datenschutzbeauftragter der Hansestadt Hamburg. Er veröffentlichte mehrere Bücher über Datensicherheit und erhielt zahlreiche Preise, zuletzt den renommierten amerikanischen Louis D. Brandeis Privacy Award. Seit September 2013 ist Peter Schaar Vorsitzender der Europäischen Akademie für Informationsfreiheit und Datenschutz (EAID) in Berlin.

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Leseprobe

2. No Return!


Eine Rückkehr ins analoge Zeitalter wird es nicht geben. Wir können uns den Veränderungen nicht wirklich entziehen, selbst wenn wir digitale Enthaltsamkeit üben und auf Smartphone, Internet und Notebook verzichten. Die elektronische Umwälzung hat längst auch Gerätschaften und Dienste erfasst, die wir alltäglich nutzen und bei denen wir zunächst nicht vermuten, dass sie unser Verhalten aufzeichnen und die Erkenntnisse über das Netz weitergeben. Selbst das auf dem Flohmarkt erworbene oder in Omas Keller gefundene alte analoge Telefon erzeugt wie sein digitaler Nachfolger Verbindungsdaten, wenn man es mit dem digitalen Telekommunikationsnetz verbindet. Fernseher und Autos, Stromzähler, Supermarktkassen und Ticketautomaten im Nahverkehr sind keine eigenständigen Geräte – sie sind vernetzt, erzeugen Daten und geben sie weiter. Wir müssen uns also mit der Digitalisierung auseinandersetzen, unabhängig davon, ob wir den digitalen Wandel positiv oder negativ sehen.

Gab es noch Ende des 20. Jahrhunderts ernst zu nehmende Stimmen, die das Internet für einen vorübergehenden »Hype« erklärten (Microsoft-Gründer Bill Gates 1995) oder für eine »Mode« hielten, die »vielleicht wieder vorbeigehen« würde (Ines Uusmann, schwedische Ministerin für Verkehr und Kommunikation, 1996), hört man solche Ansichten heute kaum noch. In der zweiten Dekade des 21. Jahrhunderts schwanken die Einschätzungen zwischen schwärzesten Dystopien (negativen Utopien)29 und totaler Euphorie30. Es ist nicht mehr zu bestreiten: Der Weg in die Informations- und Transparenzgesellschaft ist unumkehrbar, aber sein genauer Verlauf ist noch nicht endgültig festgelegt.

Die neue Industrialisierung


In ihrem Video-Podcast betonte Bundeskanzlerin Angela Merkel am 21. Februar 2015, Deutschland müsse den »Schritt hin zur Digitalisierung der Produktion gehen«. Der Sprung in die digitalisierte Industrieproduktion (»Industrie 4.0«) sei für den Wohlstand Deutschlands von entscheidender Bedeutung. Sie werde darauf achten, dass »ich auf der einen Seite den Datenschutz beachte, aber auf der anderen Seite die Verarbeitung von großen Mengen an Daten nicht so restriktiv handhabe, dass neue Produkte gar nicht mehr entstehen können«.31

Dass Computer einmal für die Wirtschaft von existenzieller Bedeutung sein würden, war vor 70 Jahren, bei den ersten Schritten ins Computerzeitalter, undenkbar. Die Computertechnik war zunächst ein Nebenprodukt der Kriegsführung im Zweiten Weltkrieg. Mit der ab 1940 gebauten »Turing-Bombe«, einem schrankgroßen, elektromechanisch arbeitenden Rechner, gelang den Alliierten im Zweiten Weltkrieg die Entschlüsselung der militärischen Funksprüche der deutschen Marine. Dieser kriegsentscheidende Durchbruch befähigte die Alliierten, die gefürchtete deutsche U-Boot-Flotte auszuschalten. Lange Zeit – auch nach dem Zweiten Weltkrieg – blieben Computer eine Domäne des Militärs, viele technische Fortschritte gab es nur, weil die amerikanischen Forschungseinrichtungen massiv aus dem Militäretat finanziert wurden. Bis heute werden führende Institute wie das MIT (Massachusetts Institute of Technology) vom US-Verteidigungsministerium gesponsert.32

Erst seit Mitte der 1950er-Jahre sickerte die Digitaltechnik allmählich in Großunternehmen und bei statistischen Ämtern ein. Die Rechner – gewaltige Geräte mit riesigem Energieverbrauch, aber mit aus heutiger Sicht lächerlichen Verarbeitungskapazitäten – wurden in Kellern und in ausgelagerten Rechenzentren aufgestellt. An den meisten Arbeitsplätzen änderte sich dadurch zunächst nichts, und an eine Verwendung von Computern im häuslichen Privatbereich war erst recht nicht zu denken. Erst als in den späten 1960er- Jahren Taschenrechner und zehn Jahre später die ersten Home- und Personalcomputer auf den Markt kamen, begann die Digitaltechnik in unseren Alltag einzusickern. Betroffen waren zunächst vor allem Büroarbeitsplätze. Begeisterung löste die neue Technik auch bei manchen – meist männlichen – Jugendlichen aus, die in der digitalen Maschine eine Möglichkeit zum Ausleben ihres Spiel- und Entdeckungstriebs sahen. Manches von dieser Begeisterung hallt noch in der oben zitierten Barlow’schen »Unabhängigkeitserklärung des Cyberspace«33 wider, die mehr über das Selbstverständnis der Nerds als über die Realität aussagte.

Heute gibt es kaum noch einen Bereich, der von der digitalen Revolution unberührt wäre. Computertechnik steuert alle möglichen Produktionsprozesse. Sie ist die Basis der erfolgreichsten Geschäftsmodelle, und sie entscheidet in immer stärkerem Maße über die Verteilung des erwirtschafteten Reichtums. Dabei ziehen Informationsmonopolisten – die Betreiber von »Sirenenservern«34 – immer mehr Wertschöpfung an sich, denn sie entscheiden zunehmend darüber, welche Dienstleistungen und Produkte erfolgreich sind, und sie verlangen dafür einen immer größeren Anteil des Erlöses. Dies führt zu dramatischen Verschiebungen zu Ungunsten der eigentlichen Urheber und der traditionellen Vermittler.

Trotz aller Unterschiede im Detail steht die Beherrschung der Vermittlungsprozesse im Mittelpunkt der Geschäftsmodelle des Suchmaschinengiganten Google, der Verkaufsplattform Amazon, des sozialen Netzwerks Facebook, des Auktionsdienstes eBay und der Autovermittlung Uber.

Die Digitalisierung verändert die heutigen Lebensverhältnisse ebenso stark, wie es die Industrialisierung getan hat. Standen im 19. und 20. Jahrhundert die Massenproduktion von Gütern und schließlich die Automatisierung ihrer Herstellung im Mittelpunkt, geht es nun um die massenhafte Sammlung und Auswertung von Daten, um deren Verknüpfung und um die Automatisierung des Denkens durch künstliche Intelligenz. Industriell gefertigte Gegenstände waren in hohem Maße standardisiert und unterschieden sich damit von handwerklich erstellten Produkten, in denen sich die individuellen Fähigkeiten und Vorstellungen des jeweiligen Handwerkers widerspiegelten. Ganzheitliche Arbeitsprozesse wurden durch fabrikmäßige Herstellungsverfahren abgelöst, die hochgradig arbeitsteilig organisiert waren. Jeder einzelne Arbeiter musste nur noch wenige Handgriffe beherrschen und hatte allenfalls eine vage Vorstellung von der Schaffung des Gesamtprodukts. Maschinen übernahmen zunehmend schwere körperliche Arbeiten und bestimmten den Takt des Arbeitsprozesses.

Die zunehmend auch in die Produktion eingedrungene Digitaltechnik verändert die industriellen Arbeitsprozesse ebenso dramatisch. Immer leistungsfähigere, digital gesteuerte Maschinen ermöglichen flexible Herstellungsprozesse und individuelle Produktgestaltungen. Während Henry Ford, der erste Fabrikant, der die Automobilherstellung vollständig auf Massenproduktion umgestellt hatte, zu seinem mehrere Millionen Mal produzierten »Modell T« 1909 halb scherzhaft erklärte: »Any customer can have a car painted any color that he wants so long as it is black«35, bekommen die Kunden heute weitgehend individualisierte Fahrzeuge, die sich nicht bloß in der Farbe, sondern auch in allen möglichen technischen Parametern und in der Ausstattung unterscheiden. Dies ist nur möglich, weil die Produktionsprozesse bereits weitestgehend computergesteuert ablaufen. Und schon deutet sich mit der Entwicklung von 3-D-Druckern ein neuer Schritt an, der die Produktionsprozesse abermals revolutionieren wird: Während herkömmliche Drucker zweidimensional arbeiten, indem sie Texte oder Grafiken auf Papier bringen, erzeugen 3-D-Drucker dreidimensionale Gebilde, etwa Figuren, Bauteile oder Gebrauchsgegenstände. Die rein softwaregesteuerte Erstellung beliebiger Produkte mit nahezu unendlichen Varianten rückt damit in greifbare Nähe.

Zum ersten Mal in der Geschichte der Menschheit bekommen wir es mit wirklich intelligenten Maschinen36 zu tun, die in der Lage sind, sich ohne menschliche Einwirkung zu organisieren und – ausgestattet mit »künstlicher Intelligenz« – selbst Entscheidungen zu treffen. Diese neue Qualität zeigt sich in vielen Bereichen, in der Güterproduktion und bei Waffensystemen gleichermaßen wie etwa bei der Bewertung der Kreditwürdigkeit eines Bankkunden oder Versicherungsnehmers. Diese Entwicklung wird kaum aufzuhalten sein, auch wenn die schon vor Jahrzehnten vorgebrachten Warnungen vor den Gefahren einer angeblichen Computerintelligenz heute berechtigter sind denn je.37

Digitaler Siegeszug


Niemals in der Geschichte der Menschheit hat sich eine Innovation so schnell durchgesetzt wie die Computertechnologie – nicht einmal 80 Jahre liegen zwischen ihren Anfängen und ihrer umfassenden Durchsetzung. 1936 erfand der britische Mathematiker Alan Turing das Modell des Universalcomputers, das bis heute den meisten digitalen Systemen zugrunde liegt. Nicht viel später konstruierte der deutsche Tüftler Konrad Zuse 1937 den ersten digitalen Rechner mit elektromechanischem Rechenwerk.

Einen Quantensprung machte die Informationstechnik mit der Möglichkeit der Vernetzung von Computern. Die Voraussetzungen für die digitale Datenkommunikation wurden von amerikanischen Wissenschaftlern Anfang der 1960er-Jahre geschaffen, aber es dauerte bis 1969, bis über das ARPANET die ersten Nachrichten versandt wurden. Wesentliche, noch heute verwendete Standards zur digitalen Kommunikation wurden bis Anfang 1983 entwickelt, der eigentlichen Geburtsstunde des Internets. Auf dieser technischen Basis wurden seither immer mehr Computersysteme vernetzt. Zudem war damit eine Plattform für eine Vielzahl von Kommunikationsdiensten vorhanden, etwa für die Versendung von E-Mails. Erst im...

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