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Das duale System der Berufsausbildung und seine Vorläufer - Eine historisch-systematische Analyse der Entwicklung in Deutschland von 1869 bis 1945

AutorAndrej Trifonov
VerlagGRIN Verlag
Erscheinungsjahr2012
Seitenanzahl122 Seiten
ISBN9783656322108
FormatPDF/ePUB
Kopierschutzkein Kopierschutz/DRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis34,99 EUR
Diplomarbeit aus dem Jahr 2010 im Fachbereich Pädagogik - Berufserziehung, Berufsbildung, Weiterbildung, Note: 1,3, Helmut-Schmidt-Universität - Universität der Bundeswehr Hamburg, Sprache: Deutsch, Abstract: [...] Sicherlich wäre es interessant, eine mögliche Antwort darauf zu finden warum und vor allem wie das duale System der Berufsausbildung all die zeitlich- und gesellschaftlichbedingten Veränderungen und Anforderungen in seiner über einhundert Jahre alten Tradition überdauern konnte und nicht bereits ihren Untergang fand. Aber genau diese Frage soll nicht Gegenstand der Betrachtung dieser Arbeit sein. Die entscheidende und somit zentrale Frage ist, ob die betriebliche Dominanz in diesem Ausbildungsverbund sich erst seit den letzten dreißig Jahren herausgebildet hat oder ob bereits frühere historische Anzeichen für diese Tendenz gegeben hat. Der zu analysierende Zeitraum, welcher einerseits einen Überblick über die unterschiedlichen Phasen der Genese der dualen Berufsaubildung wiedergeben soll beschränkt sich auf die Zeit des Kaiserreichs, über die Weimarer Republik bis zur Zeit des Nationalsozialismus. Jede der drei Phasen wird in einem Dreiklang aus sozialhistorischen Kontext, einer Analyse der betrieblichen Berufsaubildung und einer Untersuchung der berufsschulischen Ausbildung betrachtet, welche anschließend kritisch bewertet und zusammengefasst werden. Um eine Verständnisbasis zu schaffen, wird zunächst in einem einleitenden Kapitel der Versuch einer Definition des Begriffes 'duales Systems' unternommen, um die charakteristischen Besonderheiten der Struktur- und Organisationsmerkmale des dualen Systems hervorzuheben und anschließend wird die duale Berufsausbildung in den drei Epochen nacheinander untersucht.

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Leseprobe

2.1 Sozial - historischer Kontext


Das Wort „Industrialisierung“ könnte als das Synonym für Modernisierung, Veränderung, gesellschaftliche Umstrukturierung, Dynamik aber auch als die, mit ihr verbundenen soziale Folgen verwendet werden.

Im Zeichen der Industrialisierung war das neu gegründete Kaiserreich, ein junges, aufstrebendes Reich. Gekennzeichnet durch schnelles Wirtschaftswachstum, technische Neuerungen, Verbesserung der medizinischen Versorgung, welche zu einem rapiden Bevölkerungswachstum führte, brachte es neben neuen Wohlstand bedingt durch höhere Gehälter, zudem eine bessere Lebensqualität und auch neue Chancen des sozialen Aufstiegs. Die Einführung neuer Produktionsverfahren machte eine „systematische fachliche Qualifizierung“ 37 unumgänglich.

Aus dem ehemaligen Agrarstaat wurde eine Industriemacht, d. h. die Industrie gewann die vorherrschende Rolle innerhalb der deutschen Wirtschaft.

Das Individuum hatte nun die Option, sich durch Bildung höher zu qualifizieren und so die eigene gesellschaftliche Stellung zu verbessern. 38 Dadurch kam es zu sozialen Klassenverschiebungen und einer Herausbildung einer neuen Gesellschaftsordnung. Der Adel und das „Bildungsbürgertum“ hatten nach wie vor ihre Stellung in der kaiserlichen Gesellschaft, verloren aber durch die sich neu etablierten und rasend wachsenden sozialen Schichten zunehmend an Bedeutung und Einfluss. Durch den Wirtschaftsaufschwung begünstigt, profitierten vor allem das „Wirtschaftsbürgertum“ und das „Kleinbürgertum“,

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welches sich größtenteils aus Handwerkern, Selbstständigen im Handel, Gewerbe und Dienstleistungssektor zusammensetze und den „neuen Mittelstand“ des neuen gesellschaftlich umstrukturierten Bürgertums bildete. 39

Neben den industriellen und gesellschaftlichen Wandlungen erlebte auch der Bildungssektor einen kräftigen Wachstumsschub, wobei das elementare, mittlere und vor allem das höhere Schulwesen expandierte. 40 Die dominante Schulart blieb bis 1914 mit knapp 90 % der Schulpflichtigen, die Volksschule. Die Schulklassen waren im Vergleich zu heute verhältnismäßig groß, so dass eine Klassenstärke von 80 Schülern keine Ausnahme war. 41 Da die verschiedenen Laufbahnen an Bildungsabschlüsse gekoppelt waren, drängte der neue Mittelstand zunehmend auf das Gymnasium und die Universitäten, was zu einer Expansion der höheren Schulen führte. Neben dem traditionellen humanistischen Gymnasium, konnte das Abitur nun auch an den neu entstandenen Realgymnasien oder den Oberrealschulen erworben werden, um sich so seine Chance auf einen möglichen sozialen Aufstieg zu wahren. 42

Wehler verweist ausführlich darauf hin, dass die Periode zwischen 1873 und 1895 eine „Wechselspanne“ 44 darstellt, da keine durchgehende Krise bzw. Stagnation vorlag. Infolge der sich nach 1895/96 schnell ausbreitenden industriellen Welle kam es unter anderem dazu, dass Teile des traditionellen Handwerks wie z.B. Schneider oder Schuhmacher von der Großindustrie nahezu völlig verdrängt wurden, so dass die meisten bisherigen

Das duale System der Berufsausbildung und seine Vorläufer - Eine historisch-systematische Analyse der Entwicklung in Deutschland von 1869 bis 1945 Manufakturen zur industriellen Produktionsweise übergehen mussten. 45 Waren 1875 noch 60,23% der gewerblichen Arbeiter im Kleinhandwerk tätig, schrumpfte ihre Zahl 1895 auf 39,87%. 46 Wolf-Dietrich Greinert spricht in diesem Zusammenhang vom „Niedergang des Handwerks.“ 47

Aufgrund des bereits 1839 erlassenen Gesetzes sollten Kinder unter neun Jahren vor Fabrikarbeit geschützt werden und Jugendliche zwischen dem neunten und fünfzehnten Lebensjahr sollten maximal zehn Stunden (mit einer 1,5 Stunden Pause) täglich arbeiten, sowie in der Zeit zwischen 21 und 5 Uhr nicht mehr zur Nachtarbeit eingezogen werden. Da aber die notwendigen Kontrollinstanzen fehlten, hielt sich nur eine Minorität der Arbeitgeber an diese Vorgaben. 49

„Die Arbeiterschaft hatte sich seit Beginn der 1860er Jahre in einer „Emanzipationsbewegung“ 50 organisiert, […]. Diese Bewegung wurde zu einer gewichtigen, von der Koalition von Adel und Bürgertum gefürchteten Kraft.“ 51 Infolge der kontinuierlich voranschreitenden Industrialisierung begann die Arbeiterbewegung sich zur Durchsetzung und Wahrung eigener Interessen zu organisieren. 52 Erste Ansätze von Arbeitnehmervertretung gab es „erst nach 1868, (als) es zur Gründung verschiedener Gewerkschaften kam“, 53 welche aber nach einem kräftigen Aufschwung der ersten Jahre aufgrund interner Unstimmigkeiten und der ablehnenden staatlichen Haltung ihnen gegenüber zunächst an Bedeutung und Einfluss einbüßten. Zwischen 1890 und 1913 nahmen die Auseinandersetzungen um die Arbeitsbedingungen in Form von Unterbrechung der

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Arbeit oder durch organisierte Streiks zu, was Ullrich als ein Zeichen des rauen sozialpolitischen Klimas im Kaiserreich charakterisiert. 54

Infolge der erheblichen industriellen Nachfrage nach billigen Arbeitskräften 55 und des enormen Anstieges der Anzahl der Großbetriebe 56 , siedelte auf der Suche nach Arbeit ein beachtlicher Teil der Landbevölkerung in die Städte, so dass sich im Kaiserreich die ersten Großstädte herausbilden konnten. In diesen industriellen Ballungszentren etablierten sich neben dem neuen bürgerlichen Mittelstand auch eine neue soziale Unterschicht, das so genannte Proletariat.

Der Industrieproletarier konnte nur die eigene Arbeitskraft zum Verkauf anbieten, womit er jederzeit auswechselbar war und somit sich stets in Abhängigkeit zum Arbeitnehmer befand, so dass das Leben des einfachen Arbeiters meistens ein nackter Kampf ums Überleben darstellte. „Meistens nur angelernt oder ungelernt, übernahm der Lohnarbeiter Handlangerbzw. Hilfsarbeiten und leistete schwere körperliche Arbeit.“ 57 Im Vergleich zu den männlichen Arbeitern wurde Frauenerwerbsarbeit trotz gleicher Belastung schlechter entlohnt und fand kaum gesellschaftliche Anerkennung. 58

Berg beschreibt das Leben des Industrieproletariers in den so genannten Mietskasernen und Hinterhöfen der Großstädte als beengt, feucht und kalt, so dass die Wohnqualität bedingt durch das relativ geringe Einkommen und die stetig steigenden Wohnungskosten kontinuierlich sank. 59

Die soziale Frage, d.h. die Gestaltung des Lebens derjenigen, die zum Arbeiten in die Städte kamen, war laut Henning bis zum Ausbruch des Ersten Weltkrieges das zentrale Problem des Kaiserreichs. 60

gesellschaftlichen Umwalzung bewahren und die bestehenden gesellschaftlichen Verhältnisse stabilisieren.

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Gleichzeitig verabschiede er angesichts der gespannten Lage der Arbeiter bezüglich der unzumutbaren Arbeitsbedingungen mehrere sozialpolitischen Maßnahmen, wie die 1883 gesetzlich vorgeschriebenen Krankenversicherung, Unfallversicherung (1884), sowie die Einführung der Alters- und Invaliditätsversicherung (1889). 62

Ullrich verdeutlicht, dass „die Reformen auf sozialpolitischem Gebiet die Arbeiter gegen die Lockerung der Sozialdemokratie immunisieren (sollten)[…]. Zugleich hoffte Bismarck, dem monarchischen Staat auf diesem Wege langfristig Loyalität auch in der ständig wachsenden Klasse der Industriearbeiterschaft zu sichern“ 63 , so dass die staatliche Sozialpolitik von Bismarck „nicht das Instrument zur Humanisierung der industriellen Arbeitswelt […], sondern als Mittel seiner konservativen Stabilisierungspolitik (zu charakterisieren sei).“ 64 Georg und Kunze untermauern, dass die staatliche Sozialpolitik hauptsächlich der „Gewinnung der Loyalität der Arbeiter und ihrer Integration in den autoritären Staat“ 65 dienen sollte.

Um die sich rasant ausbreitende Arbeiterbewegung besser lenken und kontrollieren zu können, setzten sich besonders die bürgerlichen Vereine, welche den eigenen sozialen Stand als gefährdet ansahen, für eine gezielte Arbeiterpolitik ein. Karl Bücher, einer der bedeutendsten Wirtschaftwissenschaftler seiner Zeit empfahl „die...

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