Unter Mädchenliteratur versteht man im Allgemeinen Literatur, die speziell für Mädchen geschrieben wurde. Es ist eine intentionale Literatur, die nicht auf ein bestimmtes Mädchenbild, eine Textsorte oder eine bestimmte Erzählstruktur festgelegt ist, da diese Faktoren einem gesellschaftlich -historischen Wandel unterworfen sind.[11] Entscheidendes Kriterium ist einzig und allein, dass das Mädchenbuch extra für Mädchen verfasst wurde.
Damit grenzt sich der Begriff des Mädchenbuchs oder auch der weiter gefasste Begriff der Mädchenliteratur von dem der Mädchenlektüre ab. Dieser meint nämlich die gesamte, von Mädchen rezipierte Literatur.[12] Mädchenlektüre kann daher sowohl den Bereich der Erwachsenenliteratur als auch die allgemeine Kinder-und Jugendliteratur oder das, in Opposition zum Mädchenbuch stehende, Jungenbuch umfassen.
Da diese Literatur jedoch ursprünglich an andere Zielgruppen adressiert wurde, kann sie nicht als Mädchenliteratur bezeichnet werden.
Auch wenn mit der Mädchenliteratur als pädagogisierende Literatur im Laufe der Zeit teils sehr unterschiedliche Ziele (Einfügen in Rollennormen, Erlernen von Sitte und Anstand, Emanzipation, Ermutigung zu mehr Selbstbewusstsein) verbunden werden, ist die Absicht der Literatur für ihre Definition letztlich gleichgültig[13], da als oberstes Kriterium die Adressierung an das Mädchen gilt.
Als Mädchenbuch bezeichnet Dahrendorf, der von der gegenseitigen Beeinflussung von rollenspezifischer Sozialisation und der Produktion von Mädchenliteratur aus marktwirtschaftlichen Interessen ausgeht, alle literarischen Produkte, „die als Instrumente zur Sozialisation des Mädchens zum 'Mädchen' interpretierbar sind“[14]. Im Gegenzug sind es aber auch die Produkte, die dem Mädchen helfen wollen, sich seiner Situation bewusst zu werden, um ihm die Chance zur Emanzipation zu geben.
Die Mädchenliteratur ist nicht nur zielgruppenorientiert, sondern lässt sich auch altersspezifisch untergliedern; als Hauptgruppe bezeichnet Dagmar Grenz Leserinnen im Alter von 12-18 Jahren. Daneben führt sie aber auch Literatur für „kleine” oder „jüngere” Mädchen an, der in Wilkendings Textsammlung Mädchenliteratur: Vom 18. Jahrhundert bis zum Zweiten Weltkrieg ein eigenes Kapitel gewidmet wird.[15] Dahrendorf unterscheidet Mädchenliteratur für die Phase der Vorpubertät, in der das Mädchen sich noch jungenhaft gebärden darf, und für die etwas älteren Mädchen: die Pubertätserzählung. Von dieser gibt es zwei Varianten: die „Erziehung zur gesitteten Dame“ und in der modernen Literatur häufig anzutreffende „Pubertätskrise“, in der der Hang zur Geselligkeit und stereotype Fröhlichkeit dem Hang zum Alleinsein und ebenso stereotyper Schwermut und Reizbarkeit weicht.[16]
Kenntlich gemacht wird die o.a. Adressierung von Verlag und Autor durch eine Reihe von äußeren Kennzeichen wie Titel, Cover, Binnenzeichnungen, Reihenzugehörigkeit und das für viele Titel/Serien auf dem Buchrücken obligatorische M für Mädchen. Zudem finden sich auf der Titelseite im Buchinneren des Öfteren Untertitel wie Eine Erzählung für junge Mädchen[17] oder Eine Jungmädchengeschichte[18].
Bereits das Cover ist adressatenspezifisch gestaltet: Nach Dahrendorf zeigen Bücher für jüngere Mädchen auf dem Titelbild oft Mädchengruppen, wobei meist ein Mädchen (die „Heldin“) hervorgehoben wird.
„Bücher für die Älteren bevorzugen Kopf oder Halbfigur eines einzigen, dem Alter der intendierten Leserinnen entsprechenden Mädchens.“[19]
Die Aufmachung der Titelbilder lässt vermuten, dass es sich hier um Werbestrategien handelt, „die über das Angebot von Identifikationsfiguren das Mädchen zur Annahme seiner Rolle konditionieren.“[20]
Der Titel enthält häufig einen Mädchennamen - bei den Neuerscheinungen im Jahr 1967 sind es knapp 50 % - oder weist auf „weibliche“ Interessen hin. Lediglich 14,7% der Mädchenbücher sind im Titel neutral gehalten.[21]
Charakteristisches Merkmal des Mädchenbuches ist es, dass Mädchen verschiedenen Alters und gelegentlich auch Frauen die Hauptfiguren sind. Diese drücken weibliches Empfinden aus, was die Mädchen geschlechtsspezifisch in dem anspricht, was sie von den Jungen unterscheidet.[22] Die Bücher sind von vornherein auf weibliche Bedürfnisse hin ausgerichtet, woraus man schließen kann, dass das Mädchenbuch nur deswegen existiert, weil in unserer Gesellschaft eine nach Geschlechtern getrennte Rollenzuschreibung erfolgt.
Mädchenliteratur ist nicht auf bestimmte Gattungen festgelegt:
Sie „umfasst nichtfiktionale und fiktionale Texte: religiöses Schrifttum, moralisch-belehrende und sachlich-belehrende Schriften, Lesebücher, Almanache, Jahrbücher und Zeitschriften; Beispielgeschichten, Erzählungen und Romane; Lieder, Gedichte, Lyrikanthologien,Schauspiele. Für das kleine Mädchen gibt es außerdem Bilderbücher, Märchen und speziell die Puppengeschichte“.[23]
Die subjektive oder personale Schreibweise dominiert bis ins 20. Jahrhundert hinein die Erzählungen in Form von Briefen. Das ermöglichte den AutorInnen nicht nur die Mitteilung äußerer Ereignisse, sondern auch Ausdruck von Gefühlen und Denkprozessen. Auch Erzählungen in Tagebuchform erlauben die Darstellung des „Inneren“. Daneben gibt es Mischformen (teils mit eingestreuter Lyrik) sowie Formen biographischen und autobiographischen Schreibens.[24] Vorherrschend ist also das personale Erzählen.
Die Mädchenliteratur als Teilbereich der Kinder- und Jugendliteratur bildet sich Ende des 18. Jahrhunderts heraus. Es ist ein Prozess, an dem literatur-, sozial- und geisteswissenschaftliche Faktoren beteiligt sind.[25]
Bei der Mädchenliteratur handelte es sich primär um moralisch-belehrende, nicht-fiktionale Literatur, die das bürgerliche und z.T. auch das adlige Mädchen auf ihren zukünftigen Status als Ehefrau und die von ihr abverlangten Pflichten und Tugenden vorbereiten wollte: „Schon das junge Mädchen sollte dazu angehalten werden, seine zukünftige Rolle als Hausfrau, Gattin und Mutter möglichst vollkommen zu erlernen.”[26]
Dazu zählt auch Joachim Heinrich Campes' Väterlicher Rath für meine Tochter, der, 1788 erstmals publiziert, die Diskussion über die Erziehung und Bildung der Frau nachhaltig beeinflusste.[27] Es ist zudem „der rezeptionsgeschichtlich bedeutsamste mädchenliterarische Text des späten 18. Jahrhunderts (...)“[28].
Das in den 90er Jahren des 18. Jahrhunderts in die Literatur aufgenommene Paradigma vom weiblichen Geschlechtscharakter ist verbunden mit der Bestimmung der Frau als Hausfrau, Gattin und Mutter. Die unterschiedliche Bestimmung und das Wesen der Frau in Opposition zum Mann spielt für die endgültige Festigung des Mädchenbuchs in der Kinder-und Jugendliteratur eine entscheidende Rolle. Man glaubte zu der damaligen Zeit, dass sich nicht nur die Inhalte, sondern auch die Form der Vermittlung an die weibliche Natur anzupassen habe.[29]
Die Existenz des Mädchenbuchs wird mit „bestimmten Auslegungen der Geschlechtscharaktere und damit verbundener gegensätzlicher biologischer und sozialer Bestimmungen von Mann und Frau“[30] begründet.
Für Gisela Wilkending ist Mädchenliteratur daher „ein besonderer Diskurs über die weibliche Bestimmung [...]. Der Diskurs ist eingebunden in die Sozial- und Erziehungsgeschichte von Mädchen und Frauen.”[31]
Das Backfischbuch als neue und bald darauf wichtigste mädchenspezifische Gattung entwickelt sich in der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts aus der moralischen Erzählung heraus, welche sich zur Zeit der Restauration durch romanhafte Motive und komplexere Handlungsstrukturen zur volkstümlichen Erzählung ausweitete.
Im Gegenzug übernimmt das Backfischbuch von den moralischen Erzählungen das Erzählmuster der Umkehr-oder Wandlungsgeschichte[32].
Die im 18 Jahrhundert noch dominante moralisierende Tendenz hat es dabei durch eine psychologische Motivierung der Erzählhandlung oder auch durch eine bloß (ent-)spannende Handlung verdrängt. [33]
Mädchenliteratur ist eine Art...