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E-Book

Das Netz 2014/2015

Jahresrückblick Netzpolitik

VerlagiRights Media
Erscheinungsjahr2014
Seitenanzahl272 Seiten
ISBN9783944362250
FormatePUB
Kopierschutzkein Kopierschutz
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis4,99 EUR
Das Netz 2014/2015 ist ein Rückblick auf ein turbulentes Jahr der Netzpolitik und wagt gleichzeitig Ausblicke in unsere digitale Zukunft. Alle Bereiche der Gesellschaft sind von netzpolitischen Fragen, Problemen und Entwicklungen betroffen. Im dritten Jahr nacheinander informieren wir, diesmal auf fast 300 Seiten, über die wichtigsten Ereignisse und Entwicklungen rund um Datenschutz, die Digitale Agenda der Bundesregierung, Mobilität, Roboter, den gesellschaftlichen Umgang mit unseren Daten, die Manipulation unserer Gesellschaft durch Überwachung, wie das Internet regiert werden soll, wie das Internet in Zukunft unsere Bildung beinflussen wird, welche Kapriolen das Urheberrecht schlägt, Open Source und digitale Strategien in der Wirtschaft, Kultur im Netz und internationale Blickwinkel. Ein umfangreiches Glossar, das die wichtigsten netzpolitischen Begriffe erklärt, bietet Orientierung. Eine Zeitleiste listet die wichtigsten Ereignisse und Entwicklungen Monat für Monat auf und gibt einen guten Überblick in einem der schnellsten und dynamischsten Politikfelder überhaupt. Das Buchmagazin richtet sich an alle, die sich für die netzpolitischen Debatten des laufenden Jahres interessieren und wissen wollen, was in den nächsten Monaten wichtig ist. Die individuelle und kollektive Fähigkeit mit dem Internet zu leben, zu arbeiten und zu gestalten, ist die Kernkompetenz unseres Jahrhunderts. Das Netz 2013/2014 versucht einen Einblick zu geben und Entwicklungen transparent zu machen für alle, nicht nur Experten. In über 60 Beiträgen, Interviews und Kommentaren von Wissenschaftlern, Journalisten, Politikern, Aktivisten und Nutzern zeigen wir auf, wohin der Weg geht, was die Protagonisten denken und wie eine aktive Gestaltung der Digitalisierung gelingen kann.

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Leseprobe

Partnersuchdienste: Dating nach Zahlen


Wie viele Informationen sind nötig, damit aus zwei Singles ein Paar wird? Ein Gründer der Dating-Plattform Okcupid hielt einmal die Antworten auf drei Fragen für ausreichend. Doch die Plattformen setzen heute komplexere Matching-Algorithmen ein. Manch ein Nutzer überlistet sogar die Systeme und erprobt eigene Methoden im Datenwust.

von Kathrin Klette

Wer sich heute bei einer Dating-Plattform anmeldet, beantwortet oft Unmengen von Fragen, lädt ein Foto hoch und schreibt einen kleinen Text über sich. Doch vielleicht könnte alles viel einfacher sein. Vor drei Jahren schrieb Christian Rudder, einer der Gründer des US-Portals Okcupid im Blog des Unternehmens, dass schon drei Fragen ausreichten, um herauszufinden, ob die andere Person zu einem passt:

 

Magst du Horrorfilme?

Bist du jemals in einem fremden Land allein herumgereist?

Wäre es nicht toll, alles stehen und liegen zu lassen und auf einem Segelboot zu leben?

 

Waren also alle bisherigen, fein ausgeklügelten Matching-Systeme, alle Fragen nach der bevorzugten Wohnzimmertemperatur und den Lieblingsfilmen umsonst? Sieht man sich Rudders Auswertung an, könnte man das annehmen. Bei keiner anderen Fragenkombination sei die Übereinstimmung derart hoch gewesen: 32 Prozent der rund 34.000 befragten Paare hätten sie übereinstimmend beantwortet, schreibt er. Persönlichere Fragen (Ist Gott in deinem Leben wichtig? Ist Sex der wichtigste Teil einer Beziehung? Findest du Rauchen eklig?) fanden dagegen nur bei knapp 15 Prozent der Paare beiderseitige Zustimmung.

Während Rudders Drei-Fragen-Modell noch unter „Small Data“ anzusiedeln ist, verwalten heutige Partnersuchdienste größere Datenmengen. An noch ausgefeilteren Methoden versuchen sich Wissenschaftler, teils durch Forschung, teils im Selbstversuch. Nach einer Definition des Wissenschaftstheoretikers Klaus Mainzer geht es bei Big Data vereinfacht gesagt um Informationen, die in simplen Datenbanken nicht mehr bearbeitet werden können und mit großem Aufwand entwirrt werden müssen. Das gilt auch für solche Partnerbörsen, die den Nutzern angeblich emotional kompatible Partner vorschlagen. Dort dreht sich alles um eine Frage: Wie viele und vor allem welche Informationen sind nötig, damit aus zwei Singles ein Paar wird?

Wohl kalkulierte Partnerwahl


Match.com, 1995 gegründet, gilt als eines der weltweit größten Portale, das so funktioniert; Parship ist mit etwa 11 Millionen Mitgliedern vor allem im deutschsprachigen Raum populär. „Was macht Sie glücklich? Wie sieht Ihr nächster Urlaub aus?“ Hat sich ein User durch etwa 80 Fragen zu Werten, Interessen und Gewohnheiten geklickt, wird anhand der Antworten berechnet, wie sehr er mit einer anderen Person harmoniert. Laut Parship haben 38 Prozent aller zahlenden Mitglieder dort ihren Partner oder Partnerin gefunden. Fühlte man sich früher zunächst körperlich zueinander hingezogen und lernte sich erst dann kennen, ist es im Internet umgekehrt.

Die israelische Soziologin Eva Illouz hat die moderne Dating-Kultur als radikalen Bruch mit den bisherigen Vorstellungen der romantischen Liebe beschrieben. In ihrem Buch „Gefühle in Zeiten des Kapitalismus“ vertritt sie die These, dass die Kultur des Kapitalismus dazu geführt hat, dass unsere Emotionen, unter ihnen eben auch die Liebe, zunehmend von den Prinzipien des Marktes durchdrungen werden. Online-Kontaktbörsen, so Illouz’ These, sind Ausdruck dieser Kultur. Die Suche nach Liebe im Internet ist demnach die rationale, formalisierte, wohl kalkulierte Auswahl eines Partners, der den eigenen Ansprüchen am besten entspricht.

Fragt man Klaus Mainzer, sind das alles jedoch keine neuen Phänomene; weder die Rationalität in einer Beziehung noch das Bestreben, Gefühle in irgendeiner Form messen zu wollen. So war eine Partnerschaft, die aus Kalkül eingegangen wird, in der Vergangenheit gang und gäbe. Erst im 19. Jahrhundert entstand im bürgerlichen Zeitalter die Idee der romantischen Liebe, also das, was wir uns heute unter einer Beziehung vorstellen. Davor heiratete man primär aus wirtschaftlichen Gründen.

Die Vorstellung von kalkulierbaren Gefühlen ist sogar noch älter. Mit der Entstehung der Naturwissenschaften und der Philosophie der Neuzeit tauchte die Idee einer Rationalität der Emotionen auf. Gefühle sollten wie physikalische Phänomene berechenbar sein. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts wurden dann die Grundlagen des Behaviorismus gelegt, der den Menschen anhand seines Verhaltens erforschen wollte. Kurz zuvor hatte die Hirnforschung Gefühle in bestimmten Arealen des Gehirns lokalisiert, darunter auch die „wilde Liebe“ und die „eheliche Liebe“.

136 Regeln, n-te Wurzel ziehen


Heutige Datingbörsen drücken meist als Zahl aus, wie es um die Harmonie mit einem potenziellen Partner bestellt ist. Wie sie errechnet wird, ist das Herz einer Partnerbörse – ihr Geschäftsgeheimnis. Parship teilte lediglich mit, dass die Formel aus 136 Regeln bestehe, die schrittweise abgearbeitet werden. Nur Okcupid, 2001 von Harvard-Studenten gegründet und inzwischen einer der größten Dienste der USA, hat seinen Algorithmus in einem Video ausführlich beschrieben.

Gründer Rudder erklärt darin, dass jede Frage zwei Folgefragen nach sich zieht: Wie sollte dein künftiger Partner diese Frage beantworten? Wie relevant ist dieses Thema für dich? Auf diese Frage gibt es fünf Antwortmöglichkeiten und jede entspricht einem Zahlenwert: von „irrelevant“ (0 Punkte) bis „Bedingung“ (250 Punkte). Diese Zahl entspricht dann der Höchstpunktzahl, die ein Single bei einer Frage erreichen kann.

Interessieren sich zum Beispiel Max und Sarah füreinander, und ist für Sarah die Antwort auf die Frage wesentlich, ob jemand ordentlich ist, kann Max mit der passenden Antwort 250 Punkte erzielen. Ist ihr das Thema nur weniger wichtig, sind es zehn Punkte. Ist Sarah das Thema egal, kann Max antworten, wie er will. Nun wird für jede Frage, die beide Partner beantwortet haben, die jeweilige Punktzahl beider Partner ermittelt. Die Punkte werden addiert; anschließend wird der Anteil des möglichen Maximalwerts ermittelt.

Als letzter Schritt wird das geometrische Mittel beider Angaben berechnet, also die n-te Wurzel des Produkts beider Zahlen, wobei „n“ die Zahl der gemeinsam beantworteten Fragen ist. Der Rechenweg eigne sich, um mit disparaten Informationen zu arbeiten, erklärt Rudder in dem Video. Das Ergebnis ist die Kennzahl, die ausdrücken soll, zu wie viel Prozent beide Partner den Wünschen des jeweils anderen entsprechen.

Mathematiker McKinlay: Matching per Clusteranalyse und Textmining


So weit die Theorie. Chris McKinlay, ein Doktorand der Mathematik mit strubbeligen blonden Haaren, merkte jedoch im Sommer 2012, dass es in der Praxis oft anders aussieht. Auf Okcupid habe er Frauen Dutzende von Nachrichten geschrieben, berichtete das Magazin Wired über ihn. Die meisten hätten McKinlay nicht einmal geantwortet. Was war schiefgelaufen?

McKinlay fand heraus, dass er Fragen beantwortet hatte, die nur wenigen Frauen wichtig waren. Da Okcupid den Liebesfaktor aufgrund der gemeinsam beantworteten Fragen berechnet, war seine Chance gering, eine passende Gleichgesinnte zu finden. McKinlay legte zwölf Test-konten an und schrieb ein Programm, das alle Fragen automatisch beantwortete. Damit erreichte er zweierlei Dinge: Er wusste, welche Fragen bei den Frauen populär waren, und erhielt zugleich die Antworten selbst. Aus ihnen bildete er Datencluster mit sieben Gruppen. Zwei fand er besonders attraktiv: alternativ eingestellte Frauen Mitte 20 und etwas ältere Frauen in kreativen Berufen.

McKinlay legte nun zwei weitere Profile an, suchte per Textmining die 500 beliebtesten Fragen beider Gruppen heraus und beantwortete sie. Nur die Frage, wie wichtig ihm das jeweilige Thema sei, habe er seinen Computer berechnen lassen. So erhielt er einen für die jeweilige Zielgruppe optimalen Wert. Für die jüngeren Frauen lud McKinlay dann ein Foto hoch, das ihn mit Gitarre zeigte, für die älteren ein Foto beim Klettern. Mit Erfolg: Nun erreichte er mit mehr als zehntausend Frauen 90 Prozent Übereinstimmung und mehr, heißt es bei Wired; Frauen schickten Unmengen von Nachrichten. Er musste sich nur noch verabreden. So ausgefeilt sein System auch...

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