Peter Brown
Vorwort
Ich fühle mich außerordentlich geehrt, für das vorliegende Buch meines Freundes und Kollegen Pedro Barceló ein Vorwort verfassen zu dürfen. Dabei sind mir in lebhafter Erinnerung unsere Begegnungen anlässlich akademischer Tagungen, die er durch seine Teilnahme und sein Organisationstalent auf seine unnachahmliche Art bereichert hat. Ich tue dies auch in tiefem Respekt vor den vielen Jahren wissenschaftlicher Arbeit, die er dem Studium der Beziehung zwischen Religion und Macht in der antiken Welt gewidmet hat. In all seinen Publikationen bin ich stets einem Gelehrten begegnet, der beide versteht, Herrscher und Bekenner.
In diesem Buch habe ich zusätzlich etwas gefunden. Dies ist nicht nur ein Werk über eine der entscheidenden Perioden in der langen Geschichte Europas – über das vierte und fünfte Jahrhundert nach Christus, als die antike Welt zu Ende ging und das christliche Mittelalter begann. Hier liegt eine Untersuchung vor, die durch die Art, wie sie geschrieben ist, ihrem Thema besonders gerecht wird. Aus diesem Grund ist es nicht nur eine Ehre, in dieses Werk einzuführen. Es war ein Vergnügen, diese Ausführungen zu lesen und darin die Handschrift eines Meisters der historischen Zunft zu erkennen.
Es erscheint mir an dieser Stelle, im Rahmen des Vorworts, hilfreich, Leser, die mit der traditionellen historischen Erzählweise über diese Periode nicht so vertraut sind, darauf hinzuweisen, wie erfrischend und ertragreich der von Barceló gewählte Ansatz ist. Es existieren bereits zahlreiche Publikationen über die Bekehrung Constantins zum Christentum. Das Jahr 2012 markierte den 1700sten Jahrestag der schicksalsträchtigen Schlacht bei der Milvischen Brücke (Ponte Molle, die den Tiber an der Stelle überquert, wo die Via Flaminia nach Rom hineinführt) und Constantins Hinwendung zum Christentum, die mit dieser Schlacht verknüpft ist. Es gibt bereits viele Schriften, die sich mit den Kontroversen um die richtige Lehre innerhalb der christlichen Kirchen des vierten und fünften Jahrhunderts beschäftigen sowie darüber, welche Rolle diese Auseinandersetzungen für eine Blickweise spielten, die eine Trennung von Kirche und Staat verfolgte; eine Sicht, die der antiken Welt vollkommen fremd war. Die Beschreibung der religiösen Kultur eines Jahrhunderts, das durch den Aufstieg des Christentums inmitten einer noch heidnischen Umwelt charakterisiert werden kann, hat eloquente Verfechter gefunden. An Übersichtsdarstellungen des weströmischen Reichs in den letzten dramatischen Jahrhunderten seiner Existenz besteht kein Mangel.
Die Mehrzahl dieser Abhandlungen ist jedoch in gewisser Weise eindimensional. Die Beschäftigung mit Constantin kreist um die Erörterung der Tätigkeitsfelder und Gesetze dieses Herrschers. Die Darstellung der frühen christlichen Kirche gerät zu einer Abhandlung über Häresien und Konzilien. Die Auseinandersetzung zwischen der heidnischen und der christlichen Kultur beschreibt eine Reihe von Büchern in der jeweiligen Tradition, für oder gegen die jeweilige Religion. Die Erforschung des späten römischen Reichs wird zu einer Darstellung von Verwaltungsmaßnahmen, militärischen Notlagen und entscheidenden Invasionen der Barbaren.
Alle diese Veröffentlichungen bezeichne ich als „Was“-Bücher, denn sie berichten uns, was geschehen ist. Sie erklären jedoch nicht warum. Pedro Barcelós Buch ist ein „Warum“-Buch. Barceló schrieb es, um uns das „Warum“ zu erklären. Daher ist es ein Werk von großer Aussagekraft. Alle Aspekte der kulturellen und religiösen Erfahrungen der spätantiken Welt sowie die politische und die Kirchengeschichte der nachconstantinischen Zeit werden unter der Fragestellung diskutiert, welche Kräfte die Akteure dieses gewaltigen und unvorhersehbaren Übergangs letztlich antrieben.
So, wie ein Physiker mit scharfsinniger Sorgfalt die Kraft, die schwere Körper bewegt, als Funktion ihrer Masse analysiert, so beschreibt Barceló ebenso kompetent wie anschaulich den Einfluss langfristiger, entscheidender Faktoren, die in der antiken Welt tief verwurzelt waren. Er untersucht die Tradition der göttlichen Kaiserverehrung als Erbe der klassischen Vergangenheit und das sich davon unterscheidende christliche Gottesverständnis, das langsam, aber sicher diese Tradition unterminierte. Ich empfehle dem Leser, den Abbildungen und Illustrationen in diesem Buch aufmerksam zu folgen. Sie bieten visuelle Orientierungspunkte für die Erschließung des Textes. Jede Abbildung zu betrachten, bedeutet, einen Einblick in die Gedankenwelt und die Empfindungen der an diesem Schauspiel Beteiligten zu gewinnen – friedliche kaiserliche Opferszenen und Szenen der kaiserlichen „Himmelfahrt“ wechseln mit Münzabbildungen, die Constantin repräsentieren, und mit Porträts von Bischöfen sowie idyllischen Szenen christlicher Ikonografie. Wir erlangen durch die Lektüre dieses Buchs vertiefte Kenntnisse, warum diese Veränderungen stattfanden, und entscheidende Impulse zum Nachdenken, was eine bloße Beschreibung nicht leisten könnte.
Barceló bietet die hohe Kunst der historischen Darstellung, er hat die Fähigkeit, nicht aus der Retrospektive zu schreiben. Eine Episode kann durch eine teleologische Herangehensweise schnell wie erstarrt wirken, so als wären die Entwicklungen linear verlaufen und würde die bloße Beschreibung der Ereignisse des vierten und fünften Jahrhunderts genügen, um sie zu erklären. Zwischen dem Beginn dieses Prozesses und seinem unausweichlichen Ende scheint es keine Ungewissheit gegeben zu haben. Um eine moderne Metapher zu benutzen: Wenn wir mit dem entscheidenden Ereignis der Wende Constantins zum Christentum 312 konfrontiert werden und seiner folgenden großzügigen Verleihung von Privilegien an die christliche Kirche, sind wir versucht, die Taste „schnell vorspulen“ zu drücken. Wir tendieren zu der Annahme, dass die orthodoxe Herrschaft Theodosius’ I. und Theodosius’ II. eine direkte Folge der Aktionen Constantins waren, und implizieren, dass es ausreiche, die „Vorspultaste“ noch einmal zu drücken, um direkt ins Mittelalter katapultiert zu werden.
Barceló tut nichts von alledem. Er schreibt mit feinsinnigem Gespür für das Unerwartete. Seine Darstellung der Hinwendung Constantins zum Christentum ist außerordentlich spannend deshalb, weil einem bewusst gemacht wird, dass jeder Schritt dieses „ersten christlichen“ Kaisers neu war und unvorhersehbare Folgen hatte. Diese konnten Constantin und seine Zeitgenossen nicht erahnen. Das christliche „Weltreich“, das sich im späten vierten Jahrhundert zur Zeit Theodosius’ I. und Theodosius’ II. andeutete, war eine weitgehende Neuschöpfung und letztlich ein Ergebnis der Krisen und Konflikte des vierten Jahrhunderts. Wenn man bedenkt, wie viele Ereignisse diese Epoche prägten, so handelt es sich bei dem Zeitraum zwischen Constantin und Theodosius I. um eines der „längsten Jahrhunderte“ in der europäischen Geschichte.
Barceló führt uns durch diese Zeit, indem er immer wieder die unvorhersehbaren und unplanbaren Konsequenzen aufzeigt, die Constantins Entschluss, das Christentum zu fördern, sowohl für die Kirche als auch für das Reich bedeuteten. In dieser Zeit veränderten sich der Glaube selbst und die kirchlichen Strukturen, die ihn stützten, auf rasante Weise. Weit davon entfernt, eine gehorsame Staatskirche geschaffen zu haben, erkannten Constantin und seine Nachfolger, dass sie sich anstatt auf ein Kätzchen auf einen Tiger eingelassen hatten.
Barceló charakterisiert klar und deutlich die Protagonisten dieses Geschehens. Kaiser wie Constantius II., Julian Apostata und Theodosius I. werden stets in den Situationen beschrieben, in denen sie sich befanden: in den Traditionen des Kaisertums, die sie prägten, und deren unerwarteten Konsequenzen in ihren Handlungen. Die maßgeblichen Vertreter der christlichen Kirche – von Athanasius und seinen weitsichtigeren östlichen Kollegen bis zu Ambrosius, Kyrill von Alexandria und Papst Leo dem Großen – erscheinen als voll entwickelte Charaktere einer Institution, die sie zunehmend mit Macht ausstattete. Weder sind sie „Pappfiguren“ noch sind die Anliegen, für die sie kämpfen, abstrakte Gedankenspiele. Unter der Militanz, der Virulenz, der Gewaltbereitschaft und der kompromisslosen Haltung vieler christlicher Bischöfe deckt Barceló die verborgenen, tiefen Sehnsüchte auf, welche die Glieder der christlichen Gemeinden erfüllten, und ihre Hoffnungen auf eine Gesellschaft, in der die Figur des Kaisers eine zentrale Rolle spielt.
Wie sich über die Jahrzehnte der Wandel dieser Figur vollzog, ist eines der Hauptthemen dieses Buches. Die Bandbreite reicht dabei vom konservativen Paganismus des Diocletian zu den unerwarteten charismatischen Handlungen Constantins, von der Gewissheit eines göttlichen Herrschaftsauftrags bei Constantius II. zu einer kontrollierten christlichen Monarchie Theodosius’ I. und seiner zunehmend müßiggängerischen Kinder, von denen erwartet wurde zu herrschen, die aber nicht ermutigt wurden zu regieren. Bei dieser Entwicklung sind wir nicht nur Zuschauer eines ersten und entscheidenden Kapitels in der Geschichte der Trennung von Kirche und Staat. Wir bewegen uns vielmehr „von einer Welt in eine andere“. Wir schreiten von einer heidnischen Welt, in der die Götter sich freundlich unter die Menschen mischten und in der der Kaiser ungezwungen, als Gleichrangiger unter den Göttern, an der Schwelle zwischen dem Menschlichen und dem Göttlichen stand, in die Welt eines einzigen transzendenten Gottes, in der die Kaiser Gott nicht länger ebenbürtig sein konnten, sondern nur Diener – und Diener nur dann, wenn sie der Kirche dienten.
Ich hoffe sehr, dass die Leser...