CAYO PIEDRA, DIE PARADIESISCHE INSEL DER CASTROS
Die Jacht von Fidel Castro schaukelt auf dem Karibischen Meer. Erst vor zehn Minuten haben wir Anker gelichtet, und schon haben uns weiße Delfine auf dem türkisblauen Wasser an der Südküste Kubas ausgemacht. Ein Schwarm von neun oder zehn dieser Säugetiere patrouilliert steuerbord, ganz nah am Schiffsrumpf; eine andere Gruppe folgt im Kielwasser etwa dreißig Meter backbord hinter uns. Das Ganze wirkt beinahe wie die motorisierte Eskorte eines Staatschefs bei einem offiziellen Besuch …
»Die Ablösung ist da: Du kannst dich ausruhen«, sage ich zu Gabriel Gallegos und weise auf die zahlreichen Rückenflossen, die rasend schnell die Wasseroberfläche durchpflügen.
Mein Scherz entlockt dem Kollegen ein Grinsen. Aber drei Minuten später ändern die unberechenbaren Tiere ihren Kurs, entfernen sich und verschwinden am Horizont.
»Kaum da, und schon wieder weg! Wie unprofessionell …«, scherzt nun Gabriel seinerseits.
Was Professionalität angeht, macht uns keiner etwas vor. Wir sind beide vor dreizehn Jahren in den Personenschutz des Comandante eingetreten. Das war im Jahr 1977. Und auf Kuba ist nichts professioneller organisiert, besser eingespielt oder gar wichtiger als der persönliche Schutz des Staatschefs. Die kleinste Bootstour von Fidel, sei es auch nur ein einfacher Angelspaß oder eine Unterwasserjagd, setzt einen beeindruckenden Apparat militärischer Sicherheitsmaßnahmen in Gang. So wird die Jacht von Fidel Castro, die Aquarama II, grundsätzlich von der Pionera I und der Pionera II eskortiert, zwei fünfundfünfzig Fuß (siebzehn Meter) langen, beinahe identisch ausgestatteten, leistungsstarken Schnellbooten, von denen eines zudem mit einer vollständigen medizinische Notversorgung ausgestattet ist, sodass der Comandante im Fall plötzlich auftretender gesundheitlicher Probleme unverzüglich versorgt werden kann.
Zehn Mitglieder des engsten Personenschutzes von Fidel, jener Eliteeinheit, der auch ich angehöre, verteilen sich auf diese drei Boote – so wie wir uns an Land auf drei Autos verteilen. Die Boote sind mit schweren Maschinenfeuerwaffen ausgerüstet und verfügen über einen Vorrat an Granaten, Kalaschnikows vom Typ AK-47 sowie ausreichend Munition, um jeder Eventualität angemessen begegnen zu können. Es stimmt, dass Fidel Castro seit Anbeginn der kubanischen Revolution unentwegt von Attentaten bedroht ist: Die CIA hat zugegeben, dass sie Hunderte geplant hatte – sei es mit Gift, mit präparierten Schreibutensilien oder Zigarren …
In offeneren Seegebieten wird zusätzlich noch ein Boot der Küstenwache mobilisiert, das dort dann die Radarkontrolle in der Luft und auf dem Wasser übernimmt. Die Instruktion lautet: Jedes Boot, das sich auf mehr als drei Seemeilen der Aquarama II nähert, wird aufgebracht. Auch die kubanische Luftwaffe ist in diese Manöver eingebunden: Am etwa einhundert Kilometer entfernten Luftwaffenstützpunkt Santa Clara harrt ein Pilot in voller Ausrüstung und in höchster Alarmbereitschaft aus, um jederzeit in seine MiG-29 sowjetischer Bauart springen, in weniger als zwei Minuten starten und die Aquarama II mit Überschallgeschwindigkeit erreichen zu können.
An jenem Tag herrscht schönes Wetter. Das überrascht nicht: Es ist Hochsommer Anno Salutis 1990, also im zweiunddreißigsten Jahr der Herrschaft von Fidel Alejandro Castro Ruz, der mittlerweile dreiundsechzig Jahre alt ist. Im vorausgegangenen Herbst ist die Berliner Mauer gefallen. Der amerikanische Präsident George H. Bush bereitet die Operation »Wüstensturm« vor: den Einmarsch in den Irak Saddam Husseins. Und Fidel Castro schippert hier an Bord des einzigen Luxusbootes der Republik Kuba, das er natürlich sein Eigen nennt, zu seiner streng geheim gehaltenen Privatinsel Cayo Piedra.
Es ist ein elegantes Schiff mit weißem Rumpf, dessen Länge 90 Fuß (27,5 Meter) beträgt. Anfang der 70er-Jahre in Betrieb genommen, ist es die gesteigerte Antwort auf die Rennjacht Aquarama I und übertrifft diese sogar noch. Die Aquarama I gehörte zuvor einer dem Regime von Fulgencio Batista nahestehenden Persönlichkeit und wurde beschlagnahmt, als jener, wie bekannt, am 1. Januar 1959 gestürzt wurde, nachdem zweieinhalb Jahre zuvor Fidel und etwa sechzig barbudos im undurchdringlichen Dickicht der Sierra Maestra die kubanische Revolution begonnen hatten. Außer den zwei Doppelkabinen, von denen eine – die von Fidel – ein Privat-WC besitzt, verfügt das Boot über Schlafmöglichkeiten für zwölf weitere Personen. Die sechs Sessel des Salons lassen sich zu Betten ausziehen. Zwei Pritschen befinden sich im Funkraum. Und in der der Mannschaft vorbehaltenen Kabine im Bug des Schiffes gibt es vier weitere Kojen. Für ihre Passagiere ist die Aquarama II mit jeglichem modernen Komfort ausgestattet: Klimaanlage, zwei Badezimmer, WC, Fernsehen und eine Bar.
Im Vergleich zu den Spielzeugen der neureichen Russen und Saudis, die heute bei den Antillen oder im Mittelmeer die Gewässer kreuzen, mag die Aquarama II mit ihrer strengen Silhouette und in ihrem Vintage-Look ein wenig altmodisch wirken. Aber in den 70er-, 80er- und 90er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts stand diese Luxusjacht, deren Planken vollständig aus seltenem, aus Angola importiertem Mahagoniholz bestehen, den in den Marinas der Bahamas oder in Saint-Tropez vor Anker liegenden Luxusbooten in nichts nach.
Genau genommen ist sie diesen aufgrund ihrer Maschinenleistung sogar weit überlegen. Ihre vier Motoren, die Leonid Breschnew Fidel Castro geschenkt hat, sind absolut identisch mit denen der Küstenwachschiffe der sowjetischen Marine. Unter Volldampf treiben sie die Aquarama II mit der sagenhaften Geschwindigkeit von 42 Knoten voran, was 78 Stundenkilometer bedeutet! Das ist einfach unschlagbar.
Auf Kuba weiß niemand – oder fast niemand – von der Existenz dieser Jacht, deren Ankerplatz sich in einem uneinsichtigen und unzugänglichen Winkel an der Ostküste der berühmten Schweinebucht befindet, etwa einhundertfünfzig Kilometer südwestlich von Havanna. Seit den 60er-Jahren befindet sich hier, mitten in einem militärischen Sperrgebiet, die private Marina von Fidel. Die Gegend heißt La Caleta del Rosario und steht unter strenger Bewachung. Außerdem befindet sich dort einer der zahlreichen Zweitwohnsitze von Fidel, und in einem der Nebengebäude ist ein kleines Museum untergebracht, in dem die Prachtstücke von Fidels Angeltouren ausgestellt sind.
Von dieser Marina braucht man ungefähr fünfundvierzig Minuten, um Cayo Piedra zu erreichen, die paradiesische Insel des Comandante. Hunderte Mal habe ich diese Überfahrt mit ihm gemacht, und doch bin ich immer aufs Neue von dem Blau des Himmels, der Klarheit des Wassers und der Schönheit der Unterwasserwelt überwältigt. Mindestens bei jeder zweiten Überfahrt erscheinen Delfine zu unserer Begrüßung, schwimmen ein Stück weit neben uns her, bevor sie dann je nach Laune wieder das Weite suchen.
Für uns ist es ein beliebtes Spiel geworden, wer sie als Erster erblickt; ist es so weit, ruft derjenige: »Aqui estan!«! (»Da sind sie!«) Oft folgen uns auch Pelikane von der kubanischen Küste bis nach Cayo Piedra. Ich liebe ihre behäbige, etwas schwerfällige Flugweise. Für uns, die Mitglieder der Eliteeinheit des kubanischen Militärs, stellt diese dreiviertelstündige Überfahrt eine willkommene Erholung dar, denn der Schutz einer so anspruchsvollen Persönlichkeit wie Fidel verlangt unsere ununterbrochene Aufmerksamkeit und verzeiht keinerlei Nachlässigkeit.
Während der gesamten Fahrt hält sich »El Jefe« (»der Chef«), wie wir ihn nennen, normalerweise im Salon auf. Dort sitzt er gewöhnlich in seinem großen, schwarzledernen Chefsessel, auf dem noch nie ein anderes menschliches Wesen Platz genommen hat. In der gedämpften Atmosphäre dieses Aufenthaltsraums vertieft er sich mit einem Glas Whisky Chivas Regal on the rocks in der Hand (sein Lieblingsgetränk) in die zusammenfassenden Berichte der Geheimdienste, blättert in der internationalen Presseschau, die sein Stab ihm zusammengestellt hat, oder analysiert die Auswahl der Meldungen von Agenturen wie France-Press, Associated Press und Reuters.
El Jefe nutzt die Zeit auch, um aktuelle Angelegenheiten mit José Naranjo, genannt »Pepín« (sprich: »Pépine«), seinem treuen Adjutanten, zu besprechen, der bis zu seinem Krebstod im Jahr 1995 tagsüber nicht von Fidels Seite wich.1 Dalia ist natürlich auch dort, die Mutter von fünf der neun Kinder Fidels. Seit 1961 ist Dalia Soto del Valle die Frau an seiner Seite, dies allerdings heimlich … Die Kubaner erfuhren von ihrer Existenz erst in den ersten Jahren des neuen Jahrtausends! Außerdem ist noch Eugenio Selman anwesend, bis zum Jahr 2010 der persönliche Leibarzt von Fidel, dessen Kompetenz El Comandante auch bei politischen Gesprächen schätzt. Die Hauptaufgabe dieses eleganten, zuvorkommenden und allseits geachteten Mannes besteht selbstverständlich darin, Sorge für die Gesundheit des Chefs zu tragen. Aber der persönliche Leibarzt von Fidel kümmert sich auch um die Wehwehchen des gesamten Umfelds.
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Nur selten befindet sich ein Gast – ein Unternehmer oder Staatschef – an Bord. Aber es kann vorkommen. Dann lädt El Comandante diesen ein, ihn auf die obere Brücke zu begleiten, von der man das Panorama der kubanischen Küsten bewundern kann, besonders die Schweinebucht, aus der...