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E-Book

Das verzeih' ich Dir (nie)!

Kränkung überwinden, Beziehung erneuern

AutorBeate M. Weingardt
VerlagSCM R.Brockhaus im SCM-Verlag
Erscheinungsjahr2010
Seitenanzahl176 Seiten
ISBN9783417219814
FormatPDF/ePUB
Kopierschutzkein Kopierschutz/DRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis9,99 EUR
Der Bestseller - jetzt als gebundene Ausgabe: Menschen kränken einander, verletzen die Gefühle anderer - jeder hat das schon selbst erlebt. Selten geschieht die Kränkung absichtlich. Dennoch sitzt der Schmerz tief. Man fühlt sich getroffen, herabgesetzt, in Frage gestellt oder einfach enttäuscht. Was tun? Vergessen? Die wenigsten schaffen das. Auf die leichte Schulter nehmen? Auch nicht so einfach. Wie aber kann man verhindern, von seinen Gefühlen, seien es Wut, Hass, Schmerz oder tiefe Verunsicherung, dauerhaft belastet, womöglich 'aufgefressen' zu werden? Welche Schritte sind notwendig, damit Verzeihen möglich ist? Warum fällt uns Vergeben oft so schwer, vor allem bei Menschen, die uns nahe stehen? Diesen Fragen geht Beate Weingardt in ihrem Buch sehr praxisnah nach.

Beate M. Weingardt, Jahrgang 1960, hat Psychologie und Ev. Theologie studiert und 1999 über den 'Prozess des Vergebens in Theorie und Empirie' promoviert. Beate M. Weingardt ist mit vielen Themen in der Erwachsenenbildung tätig und berät Menschen mit seelischen Verletzungen.

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Leseprobe

2 Was vergeben nicht bedeutet

Wenn du etwas Wichtiges tun willst, genügt es nicht, den Verstand zu befriedigen; du musst auch das Herz berühren.

Mahatma Gandhi

Vergeben bedeutet nicht, auf materielle Wiedergutmachung zu verzichten

Vergeben heißt, dass der seelische Schaden, den jemand angerichtet hat, nicht mehr nachgetragen wird. Man kann ihn in der Regel ja auch nicht vollständig wiedergutmachen, selbst durch ein Schuldeingeständnis samt Reue nicht. Anders ist es mit dem materiellen Schaden. Hier ist Wiedergutmachung – z. B. durch Geldzahlung, Inanspruchnahme der Versicherung oder andere Formen des Schadenersatzes – häufig möglich. Sie kann und soll geleistet werden. Warum? Weil es nicht nur recht und billig, sondern für beide Seiten wichtig ist, wenn der Schädiger den Schaden, den er angerichtet hat, auszugleichen versucht. Und weil noch genug zu vergeben bleibt, wenn dieser äußerliche Schaden behoben ist.

Nehmen wir einen alltäglichen Fall: Jemand fährt Ihnen ins Auto. Sie werden leicht verletzt, Ihr Auto ist beträchtlich demoliert. Sie sind unschuldig, der andere ist Ihnen zu dicht aufgefahren und konnte bei einem plötzlichen Stau nicht mehr rechtzeitig bremsen. Sie sind erleichtert, dass nichts Schlimmeres passiert ist, aber auch wütend, denn Sie haben nun eine Menge Arbeit und Probleme vor sich: Schmerzen, Arztbesuche, Werkstatttermine, Schriftwechsel mit der Versicherung, um nur einiges zu nennen. Der Fahrer, der Ihr Auto beschädigt hat, beteuert, dass es ihm Leid tut, und entschuldigt sich. Sie glauben ihm sein Bedauern und akzeptieren seine Entschuldigung, mit anderen Worten: Sie verzeihen ihm seinen Fehler. Dies bedeutet aber keinesfalls, dass Sie darauf verzichten, Ihren Wagen auf Kosten seiner Versicherung reparieren zu lassen und unter Umständen Schmerzensgeld zu beantragen! Im Gegenteil: Diese Formen des materiellen Schadensersatzes sind für den Schädiger eine Möglichkeit, wenigstens einen Teil seiner Schuld abzutragen. Man darf ja nicht vergessen: Viele, die anderen Menschen Schaden zufügten, werden von Schuldgefühlen geplagt, und es wäre geradezu eine Strafe für sie, wenn man ihnen nicht erlauben würde, wenigstens den materiellen Schaden, so weit wie möglich, wiedergutzumachen.

Natürlich ist es uns freigestellt, ob wir in unser Verzeihen auch den Verzicht auf materiellen Schadensersatz einschließen – zum Beispiel weil es sich, materiell gesehen, um einen Bagatellschaden handelt. Aber man sollte nicht vergessen, dass zu viel Großzügigkeit auch leicht etwas Erniedrigendes an sich hat oder beim anderen einen irreführenden Eindruck erweckt (»Dann war’s wohl nicht so schlimm«). Das muss man vor allem bei Kindern beachten, die den Wert der Dinge oft noch nicht richtig einschätzen.

Vergeben bedeutet nicht verharmlosen

Wer vergibt, sagt nicht: »Es war ja nicht so schlimm.« Das würde bedeuten, das Geschehene zu bagatellisieren. Im Gegenteil: Wer vergibt, steht dazu, dass es schlimm war und weh getan tat, dass man das Erlebte nicht einfach wegsteckt. Verharmlosung hingegen wäre der Versuch, die Wirklichkeit weichzuspülen. Das klappt bei Kleinigkeiten – ein Kind schlägt sich das Knie an, trägt einen Kratzer davon und weint bitterlich. »Heile, heile Segen, drei Tage Regen, drei Tage Schnee – und dann tut’s nicht mehr weh!«, singt die Mutter. Das Kind lauscht, ist beruhigt, freut sich an der Zuwendung und dem optimistischen Schluss des Liedchens – und stapft getröstet von dannen. Fällt das Kind dagegen vom Baum und bricht sich ein Bein, wäre die gleiche Reaktion der Mutter nicht nur unangemessen, sondern sehr gefährlich: Das Kind wird nicht zum Arzt gebracht, der Arzt kann den Bruch nicht behandeln, das Bein schmerzt also weiter und wird aller Wahrscheinlichkeit nach schief zusammenwachsen. Das Kind müsste sich den Rest seines Lebens mit einem bleibenden Schaden abquälen, der ihm möglicherweise bei jedem Schritt weh tut oder zu schaffen macht.

Dieses Beispiel zeigt: Verharmlosen und auf die leichte Schulter nehmen kann sehr riskant sein. Leichtes soll leicht genommen werden – Schweres wird aber nicht dadurch leichter, dass wir uns einreden: »Es war ja nicht so schlimm.« Oder uns einreden lassen: »Das hat dir doch nicht geschadet!« Ob etwas leicht war oder schwer, schlimm oder harmlos, ob es uns gut getan hat oder nicht – das kann niemand anderes beurteilen als allein wir selbst. Denn niemand kann in unsere Haut schlüpfen und in unsere Seele blicken. Niemand weiß, wie wir empfinden und was wir empfinden. Darum hat auch kein Mensch das Recht, unseren seelischen Schmerz zu bagatellisieren oder nicht ernst zu nehmen: »Stell dich nicht so an!« Wer so reagiert oder spricht, fügt uns neuen Schmerz zu.

»Das war schlimm für mich«, sagt das junge Mädchen zu seinem Vater, »dass du gelacht hast, als ich bei Mutters Geburtstag beim Gedichtaufsagen ins Stocken geriet!« Darauf der Vater: »Sei doch nicht so empfindlich, das war doch nicht böse gemeint!« Die Tochter fühlt sich nicht ernst genommen, sondern aufs Neue verletzt. Je nach Temperament zieht sie sich entweder gekränkt zurück, oder sie wird wütend und greift den Vater an – ein aggressiver Konflikt droht. Hätte der Vater geantwortet: »Das tut mir Leid, daran habe ich in dem Moment nicht gedacht!«, dann hätte sich die Tochter ganz sicher geachtet und verstanden gefühlt, und die Sache wäre geklärt gewesen. Doch die Antwort des Vaters bedeutet den Versuch, die zugefügte Kränkung zu verharmlosen. Es gehören Mut und Stärke dazu, dennoch auf dem eigenen Empfinden zu beharren: »Es war aber schlimm für mich – auch wenn du das nicht verstehst oder nicht wahrhaben willst!«

Doch oft sind es nicht die anderen, die versuchen, unsere Kränkung zu bagatellisieren, sie kleinzureden. Oft sind es wir selbst. Die eine Stimme in uns sagt: »Ich bin verletzt«, und die andere widerspricht ihr: »Wegen so etwas leidet man doch nicht, das ist doch albern! Da müsstest du doch drüber stehen!« Oder sie flüstert: »Gibdir ja nicht die Blöße und zeige, dass du getroffen bist!« Möglicherweise zischt diese andere Stimme auch: »Das ist doch schon so lange her, lass es doch gut sein!« Gerade bei Kränkungen aus der Kindheit ahnen wir, dass anstrengende Arbeit auf uns zukäme, wenn wir uns mit dem, was in der eigenen Biografie schlecht gelaufen ist, auseinander setzen würden.

Sehr schön wird diese Scheu, das »Hässliche« anzupacken, in dem Märchen »Der Froschkönig« beschrieben. Die Königstochter ekelt sich vor dem Frosch, dem sie in der Not das Versprechen gegeben hat, ihn in ihr Bett zu holen. Sie will nicht zu dem stehen, was geschehen ist. Sie will den Frosch nicht küssen, ihn überhaupt nicht an sich heranlassen, kurz: Sie weigert sich verzweifelt, sich mit ihm einzulassen. Doch er bleibt hartnäckig, er ist – wie auch unsere negativen Erinnerungen – mit Wegschauen und Ausweichen nicht zu vertreiben, sondern meldet sich immer wieder zu Wort. Genauso lässt auch unser seelischer Schmerz nicht locker und nimmt notfalls den Körper zu Hilfe, um auf sich aufmerksam zu machen, sich Gehör zu verschaffen.

Der Frosch zwingt die Prinzessin mit seiner Beharrlichkeit, ihm nicht einfach auszuweichen. Und das Wunder geschieht: Als sie ihren Ekel annimmt, den Frosch aufnimmt und voller Wut an die Wand wirft – bisher war sie leidend und weinerlich, aber nicht wütend! –, verwandelt er sich in einen Prinz. Das Hässliche fällt von ihm ab, das Erschreckende verschwindet, sein »wahrer Kern« kommt zum Vorschein. Er ist erlöst – doch nicht nur er. Auch sie, die Prinzessin, ist befreit! Befreit zu neuen Gefühlen, zu einer neuen Beziehung zu diesem – nunmehr verwandelten – Wesen. Befreit zum Beginn eines neuen Lebensabschnitts! Die Weisheit, die diesem Märchen innewohnt, lautet: »Man muss sich dem Hässlichen und Angstmachenden stellen, um es zu überwinden« – man darf es nicht einfach verharmlosen oder verdrängen.

Dies gilt auch für seelische Verletzungen. Vergebung bedeutet: den Schmerz zulassen, ihn anschauen, ihn aushalten – und dann beginnen, ihn loszulassen, um befreit zu sein und weitergehen zu können.

Vergeben bedeutet nicht, einen Freibrief für die Zukunft auszustellen

Vergebung bezieht sich auf das, was geschehen ist und nicht mehr rückgängig gemacht werden kann. Wer vergibt, radiert die Vergangenheit nicht aus, aber er macht einen Strich unter die Vergangenheit, um wieder offen für die Gegenwart und die Zukunft sein zu können. Sollte der Verletzer daraus jedoch den Schluss ziehen: »Dann kann ich ja so weitermachen«, dann ist das ein gefährliches Missverständnis. Ein Missverständnis, das wir auf keinen Fall dulden sollten – es sei denn, wir haben sowieso nicht mehr...

Blick ins Buch
Inhaltsverzeichnis
Cover1
Einleitung6
1 Was vergeben bedeutet13
2 Was vergeben nicht bedeutet17
3 Vergebung ist ein Geschenk27
4 Warum können uns Menschen kränken und verletzen?34
5 Wie schützen wir uns gegen Kränkungen und Verletzungen?68
6 Was geschieht mit unserem Körper, wenn wir verletzt werden?102
7 Warum legt Jesus so großen Wert auf Vergebung?111
8 Voraussetzungen, um vergeben zu können131
9 Der Prozess des Vergebens141

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