2.9„Du musst Geduld haben und gleichzeitig hungrig sein“ – Interview mit Patrick Femerling
Der heutige Jugendtrainer Patrick Femerling blickt auf eine ganz besondere Karriere in Europa zurück. Nachdem er erst mit 15 Jahren zu spielen begann und erst auf dem US-College eine Profikarriere in Betracht gezogen hatte, nahm seine 13-jährige Profikarriere wahnsinnig Fahrt auf. Innerhalb weniger Jahre entwickelte sich der 2,15 m große Center zu einem europäischen Topspieler, der Weg führte ihn zu Spitzenklubs in Spanien, Griechenland und der Türkei. Meisterschaften, Pokalsiege und den Euroleague-Titel nennt er sein Eigen. Für die deutsche Nationalmannschaft hielt er so oft wie kein anderer seine Knochen hin. Mit 221 Länderspielen ist er Rekordnationalspieler, nahm an sieben Europameisterschaften, zwei Weltmeisterschaften und den Olympischen Spielen teil. Er gewann WM-Bronze und EM-Silber mit der DBB-Auswahl an der Seite von Dirk Nowitzki. Im Interview spricht Patrick über die Rolle des Talents und über die Grundvoraussetzungen, Hürden und Probleme auf seinem Weg zum Profi und gibt lehrreiche Tipps aufgrund seiner eigenen Erfahrungen in der Vergangenheit.
Welche Rolle spielen deiner Ansicht nach die körperlichen Voraussetzungen (Gene) für einen ambitionierten Spieler, der das Ziel verfolgt, Basketballprofi zu werden?
Bestimmte Körperkonstitutionen können sicherlich hilfreich sein und sind es auch oft. Ich habe mit 15 angefangen zu spielen. Mit 16 war ich mit 1,99 m schon relativ groß. Ich konnte mich trotz meiner Größe auch ganz gut bewegen. Da habe ich gesehen, dass man vielleicht etwas daraus machen kann. Dass die Karriere dann so weit läuft, war natürlich nicht vorherzusehen.
Hattest du es einfacher als andere Spieler, aufgrund deiner Größe, dich als junger Spieler durchzusetzen?
Zunächst einmal hatte ich gar keinen Basketballhintergrund! Bevor ich 15 war, habe ich vielleicht ein-, zweimal in der Schule Basketball gespielt, sonst nicht. Ich habe neun Jahre Fußball, in der Schulmannschaft Handball und ein bisschen Volleyball gespielt. Ich war schon recht sportlich. Aber ich war kein Schrank, sondern eher spindeldürr und dafür sehr groß. Mit Basketball hatte ich gar nichts am Hut. Es war reiner Zufall, wie mich mein damaliger B-Jugendtrainer Johannes Buchwald auf einem Freiplatz in Düsseldorf entdeckte, wo ich mit zwei Kumpels herumhampelte. Wir wurden von ihm angesprochen, ob wir nicht mal zum Training zwei Straßen weiter vorbeikommen wollten. So bin ich zum Basketball gekommen. Dadurch, dass ich technisch echt roh war, weiß man nicht, was da herauskommt. Ich hatte sicherlich eine koordinative Grundvoraussetzung und die Körpergröße, aber ich hatte auch Glück mit dem Trainer und mit einer guten Grundausbildung.
Es ist für mich deshalb schwierig zu beurteilen. Kinder, die mit 8, 9, 10 Jahren anfangen, Basketball zu spielen, haben ein ganz anderes Grundkorsett und somit eine andere Ausgangslage. Ob das besser oder schlechter ist, sei dahingestellt.
Was war dein größtes Talent?
Ich konnte mich ganz gut bewegen. Ich hatte eine recht gute Spielübersicht und ich hatte Lust. Zudem hatte ich keinen Stress, wie etwas funktionieren muss. Sondern ich habe erst mal Basketball gespielt, weil es mir Spaß gemacht hat. Ich habe mir auch keine Gedanken darüber gemacht, schlecht zu sein. Zu Beginn war ich sehr schlecht, trotzdem habe ich gerne gespielt. Ich habe mit 15 bei null angefangen und hatte eine gute Eigenmotivation, mich stetig zu verbessern. Die Lust am Sport und der Antrieb, an sich zu arbeiten, ist eine wesentliche Grundvoraussetzung.
Wie hast du dich als junges Talent im Wettbewerb mit den anderen durchgebissen?
Meine Übersicht und meine Fußarbeit, weil ich viele Jahre mit dem Fuß gespielt habe, waren für mich von Vorteil. Ich war auch relativ beweglich. Die Art, wie ich mich auf dem Feld bewegen und laufen konnte, hat mir geholfen. Hinzu kommt das Handwerkszeug der Technik, die ich mir schnell aneignen konnte. Ich habe mir auch vieles von anderen Spielern abgeschaut und habe Basketball im Fernsehen verfolgt. Ich kann mich zum Beispiel noch sehr lebhaft daran erinnern, wie ich Henning Harnisch gegen Benetton Treviso spielen gesehen habe oder wie ich nachts aufgeblieben bin, um ein NBA-Allstar-Game zu schauen. Es hat sich viel bei mir um Basketball gedreht. Meine Freunde spielten auch Basketball. Dann bildet sich ein Mikrokosmos. Wenn man Leute um sich herum hat, die einem etwas beibringen können, kann man sich selbst ganz gut durchsetzen.
Als Mannschaft zu gewinnen, war mir immer wichtig. Es war mir wichtiger, als mich selbst darzustellen. Ich war schon immer Mannschaftssportler und werde es auch immer bleiben. Mein innerer Ehrgeiz war zudem, auf dem Feld mit guten Leistungen meinen Anteil am Sieg zu haben. Wenn man einmal gewonnen hat, will man immer wieder gewinnen. Das lernt man dann auch, wie man gewinnt. Es gibt Spieler, die spielen, um nicht zu verlieren und es gibt Spieler, die spielen, um zu gewinnen. Gegen jede Mannschaft, gleichgültig, wie aussichtslos eine Partie war, bin ich rausgegangen, um zu gewinnen. Beispielsweise hatten wir in der Jugend mit ART Düsseldorf gegen TuS Lichterfelde, objektiv betrachtet, null Chance, zu gewinnen, das sah man auch am Endstand, aber ich war trotzdem sauer und enttäuscht, dass wir verloren haben. Die Enttäuschung hat mich aber nicht gehemmt, sondern die Einstellung entwickelt: „Jetzt erst recht!“
Welche Hürden, Probleme und Stolpersteine sind dir auf dem Weg zum Profi begegnet und wie hast du sie überwunden?
Es gab bei mir viele Ablenkungen, sei es durch die Freundin oder mit den Jungs lieber rumzugammeln und Mist zu machen, als Basketball spielen zu gehen. Ich glaube, man muss die Erfahrung machen, aber man sollte sich nicht zu doll ablenken lassen. Die Leidenschaft für den Sport ist extrem wichtig. Es gibt Spieler, die sind sehr früh sehr klar und wissen schon in jungen Jahren: „Ich werde Profi und ich werde alles dafür investieren!“ Bei mir war es am Anfang nicht so. Ich hab’s gespielt, weil’s mir Spaß gemacht hat. Ich habe Freude mit meinen Jungs auf dem Feld gehabt. Nach und nach ist mir klar geworden, dass man damit auch seinen Lebensunterhalt verdienen kann und trotzdem das machen kann, was man möchte. Natürlich nicht alles und immer. Das hat sich bei mir erst relativ spät herauskristallisiert – und zwar erst, als ich aufs College gegangen bin und dann auch früher weggehen musste, weil das Verhältnis zum Trainer nicht gut war. Zudem war die finanzielle Situation zu Hause nicht so gut. Das hat die Entscheidung erleichtert, als Profi anzufangen und bei Alba Berlin meine erste Profistation zu haben.
Es gibt Leute, die sind sehr früh klar und es gibt Leute, die sind sehr spät klar. Beides hat seine Vor- und Nachteile. Wenn man schon sehr früh seine Gedanken darauf fixiert, das zu schaffen, kann das auch hemmen. Das kann auch der Freiheit der Entwicklung im Wege stehen. Auf der anderen Seite kann man als Trainer natürlich viel zielstrebiger mit den Jungs arbeiten. Ich sehe jetzt im Jugendleistungssport, dass es mit den Jungs natürlich einfacher ist. Die anderen haben vielleicht noch eine viel größere Freiheit und Lockerheit, die aber manchmal in dem Eifer, den sie investieren wollen, die Schwäche findet. Bei mir waren der Eifer und die Ablenkungen da und am Ende hat sich zum Glück Basketball durchgesetzt.
Was natürlich auch noch eine Schwierigkeit ist: Profi zu werden, ist das eine. Profi zu bleiben und erfolgreich zu sein, ist noch einmal ein anderer Schritt. Wenn man sich auf dem ausruht, was man erreicht hat, bleibt man nicht lange da, wo man hingekommen ist. Es kann natürlich ein positiver Druck sein, wenn man irgendwo angekommen ist, sich trotzdem verbessern zu wollen und weiterzumachen. Sich jedes Mal wieder aufzuraffen, z.B. nach Verletzungen. Das ist schwer. Dafür brauchst du Durchhaltevermögen und zum anderen auch gute Leute um dich herum. Auch Leute, die dir klar sagen, wie es ist und an dich glauben. Svetislav Pesic ist ein Beispiel für einen Trainer, der sehr viel emotionalen und sportlichen Druck macht, aber wenn du dann aufs Feld gehst, gibt er dir die Freiheit. Er will nur die Entwicklung an dir sehen, dass du quasi mit dieser Situation umgehen lernst und daran wächst. Natürlich ist das anstrengend und intensiv, aber eigentlich ist das eine Voraussetzung dafür, dass du auf einem bestimmten Niveau spielen kannst. Wenn alles etepetete wäre, kommt aus dir nichts raus.
Welche lehrreichen Tipps kannst du aus deiner eigenen Erfahrung jungen Spielern mit an die Hand geben, die das Ziel haben, Basketballprofi zu werden?
Du musst Geduld haben und gleichzeitig hungrig sein. Das ist kein Widerspruch in sich. Du musst Lust haben, in die Halle zu gehen und an dir zu arbeiten. Das ist nicht jeden Tag gleich. Wenn du es schaffst, ein bestimmtes Motivationslevel und ein bestimmtes Umfeld um dich herum zu haben, bei dem du merkst, dass sie dir helfen wollen, solltest du das zu schätzen wissen. Du solltest mit deinem Hunger und Ehrgeiz auch die Geduld haben, etwas passieren zu lassen. Niemand ist über Nacht Profi geworden. Michael Jordan hat in seinem ersten Highschooljahr auch nicht das Varsityteam geschafft. Die Kombination, aus Bock darauf zu haben und trotzdem die Geduld zu haben, dass du dich entwickelst, ist ganz wichtig. Du solltest dir auch bewusst sein, dass es keine Normalität, sondern etwas Besonderes ist, so viel Zeit mit Training in der Halle zu verbringen und du musst...